„Eine im eigentlichen Sinne dem Anderen gerecht werdende Wahrnehmung ist nie wirklich möglich.“

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Ein Gespräch mit dem Künstler und Schriftsteller Christoph Peters

von Ste­pha­nie Waldow

SCHAU INS BLAU: Die Begeg­nung mit dem Frem­den scheint sich wie ein roter Faden durch Dei­ne Tex­te zu zie­hen. Was fas­zi­niert Dich dar­an und wie kommt es zu die­ser Konstante?

CHRISTOPH PETERS: Ich bin ja qua­si in letz­ten Enkla­ven des „christ­li­chen Abend­lands” auf­ge­wach­sen — erst in einem katho­li­schen Bau­ern­dorf am Nie­der­rhein und dann in einem noch katho­li­sche­ren Jun­gen­in­ter­nat. Bis sech­zehn habe ich mich ganz dezi­diert als Euro­pä­er in die­sen Tra­di­tio­nen gefühlt. Gleich­zei­tig kam mir früh, vor allem in der Beschäf­ti­gung mit Joseph Beuys, der Ver­dacht, dass unse­re euro­päi­schen Sicht­wei­sen trotz ihrer vor­geb­li­chen Viel­falt ziem­lich begrenzt sein könn­ten. Mit sieb­zehn bin ich dann end­gül­tig aus der Selbst­ge­wiss­heit des katho­li­schen Chris­ten­tums her­aus­ge­fal­len, bald danach ist mir auch der Glau­be an die uni­ver­sa­le Gül­tig­keit der Auf­klä­rung, auf die ich kurz­zei­tig gesetzt hat­te, abhan­den gekom­men. Ich war in der Schul­bi­blio­thek auf die reli­gi­ons­phä­no­me­no­lo­gi­schen Bücher von Mir­cea Elia­de gesto­ßen und hat­te ange­fan­gen, mich mit ande­ren Reli­gio­nen zu beschäf­ti­gen, mit Scha­ma­nis­mus, archa­isch-india­ni­schen Reli­gio­nen, mit Tao­is­mus und Zen-Bud­dhis­mus. Dabei habe ich fest­ge­stellt, dass die Welt — wenn man erst mal aus dem west­li­chen Raum her­aus­tritt — tat­säch­lich völ­lig anders ange­schaut und geord­net wird, als wir das tun. Sobald man bereit ist, sol­che fun­da­men­tal ande­ren Sicht­wei­sen zuzu­las­sen, erweist sich das Spek­trum des­sen, was wir Mei­nungs­viel­falt nen­nen, als ein höchs­tens mit­tel­gro­ßer Aus­schnitt aus den Mög­lich­kei­ten der Welt­be­schrei­bung. Wir begrei­fen mit unse­ren Kon­zep­ten nicht ein­mal im Ansatz, wie zum Bei­spiel ein Chi­ne­se denkt — schon weil wir sei­ne Gram­ma­tik nicht nach­voll­zie­hen kön­nen -, noch viel weni­ger haben wie eine Ahnung, wie ein yaku­ti­scher Scha­ma­ne sei­ne Stel­lung in der Welt sieht. Die Ver­stö­rung und die Fas­zi­na­ti­on, die die­se Ein­sich­ten nach sich zogen, waren der Aus­gangs­punkt für mein Inter­es­se an frem­den Kul­tu­ren. Dazu kam rela­tiv früh so ein rei­se­ro­man­ti­scher Impuls: Ich will fort­ge­hen von dort, wo ich bin, und irgend­wo im ganz Ande­ren „ech­te Aben­teu­er” erle­ben. Das ist natür­lich in Tei­len ein­fach ein Flucht-Traum gewe­sen, denn in Wirk­lich­keit saß ich in die­sem Inter­nat am Nie­der­rhein fest und war todunglücklich.

SCHAU INS BLAU: Was anklingt ist das Frem­de als das ganz Ande­re. In Dei­nen Büchern geht es viel­fach um die Refle­xi­on, ob die­ses Ande­re tat­säch­lich in sei­ner abso­lu­ten Anders­heit auch aner­kannt wer­den kann. Macht­me­cha­nis­men im Moment der Beschrei­bung des Ande­ren wer­den auf­ge­zeigt. Das betrifft zum einen den west­lich gepräg­ten Dis­kurs, der durch­aus auch ein Macht­dis­kurs ist, wenn es um die Beschrei­bung ande­rer Reli­gio­nen und Kul­tu­ren geht. Zum ande­ren gibt es das seman­ti­sche Pro­blem, dass oft die Spra­che fehlt, wenn man etwas ande­res beschrei­ben will, das sich dem eige­nen Erfah­rungs­ho­ri­zont ent­zieht. Wie wür­dest Du Dich da verorten?

CHRISTOPH PETERS: Ich ste­he immer zwi­schen Recher­che, ernst­haf­ter Ein­füh­lung und Exo­tis­mus. Es gibt gar kei­ne Mög­lich­keit, den exo­tis­ti­schen Mus­tern zu ent­ge­hen, wenn man sich mit frem­den Kul­tur­räu­men beschäf­tigt. Unser Blick als Euro­pä­er des 20. oder 21. Jahr­hun­derts auf frem­de Kul­tu­ren bleibt von den Bil­dern vor­ge­prägt, die sich die vor­her­ge­hen­den Gene­ra­tio­nen gemacht haben. Ich bin mit „Der klei­ne Muck”, „Kalif Storch”, „Ali Baba und die vier­zig Räu­ber”, sche­men­haf­ten Tür­ken vor Wien, „Ölscheichs” und „paläs­ti­nen­si­schen Ter­ro­ris­ten” auf­ge­wach­sen. Also mit allen mög­li­chen Figu­ra­tio­nen und Sze­na­ri­en, mit­tels derer die euro­päi­sche Kul­tur sich ihren „Ori­ent” geschaf­fen hat und am Leben erhält. Wenn ich in die wirk­li­che isla­mi­sche Welt von heu­te rei­se, sind die­se Bil­der sozu­sa­gen Teil mei­nes Rei­se­ge­päcks. Ich bin über Wochen in Istan­bul oder Kai­ro gewe­sen, und was ich dort erlebt habe, waren auf den ers­ten Blick Ori­gi­nal-Erfah­run­gen. Aber die Bil­der, die ich mit­brach­te, haben die­se Erfah­run­gen natür­lich ein­ge­färbt wie ein Fil­ter, durch den ich schaue. Ich kann nicht unvor­ein­ge­nom­men wahr­neh­men. Da sind kul­tu­rel­le Vor­for­ma­tie­run­gen, aus denen im wei­tes­ten Sin­ne Erwar­tun­gen ent­ste­hen, und die beein­flus­sen die Wahr­neh­mung des­sen, was mir ent­ge­gen­tritt. Grob gespro­chen: In Istan­bul oder Kai­ro ist es genau so, wie ich es erwar­tet habe, oder es ist ganz anders, meis­tens ist es irgend­wie dazwi­schen. Von daher ist eine im eigent­li­chen Sin­ne dem Ande­ren gerecht wer­den­de Wahr­neh­mung nie wirk­lich mög­lich. Ande­rer­seits ist das Ande­re im Eige­nen natür­lich von vorn­her­ein ange­legt. Sobald ich mich defi­nie­re, also eine Gren­ze um mich zie­he, sei es als Per­son, als Land oder als Kul­tur, ist jen­seits die­ser Gren­ze der oder das Ande­re. Das gilt umge­kehrt natür­lich auch für die Ande­ren. Sie brin­gen in unse­re Begeg­nung ihrer­seits Erwar­tun­gen und Vor­stel­lun­gen mit, was ich wohl den­ke, wie ich mich ver­hal­te, wel­che kul­tu­rel­len Mus­ter ich ver­kör­pe­re. Das ist im Prin­zip ein natür­li­cher Mecha­nis­mus. Wenn ich ihn unre­flek­tiert las­se, führt er zur Kon­struk­ti­on, um nicht zu sagen Fik­ti­on des homo­ge­nen Kul­tur­raums, und der mün­det dann schnell in die­sen absur­den clash of civi­liza­ti­ons, den uns neo­ar­chai­sche Popu­lär­wis­sen­schaft­ler und Jour­na­lis­ten seit gerau­mer Zeit ein­re­den wol­len. Wenn man sich die Geschich­te der letz­ten zwei Jahr­tau­sen­de aller­dings etwas genau­er anschaut, stellt man fest, dass es immer diplo­ma­ti­sche, wirt­schaft­li­che und damit natür­lich auch kul­tu­rel­le Bezie­hun­gen zum Bei­spiel in die isla­mi­sche Welt und von dort über die Sei­den­stra­ße bis nach Ost­asi­en gege­ben hat. Die­se Gren­zen waren flie­ßend und die Ein­fluss­sphä­ren sind per­ma­nent von hier nach dort ver­scho­ben wor­den. Die Anhän­ger soge­nann­ter christ­li­cher Irr­leh­ren in Nord­afri­ka und Klein­asi­en haben im 7. und 8. Jahr­hun­dert die Ara­ber freu­dig begrüßt, weil es ihnen danach viel bes­ser ging als unter der Gewalt­herr­schaft der byzan­ti­ni­schen Staats­kir­che. Spä­ter bekam die Renais­sance ent­schei­den­de Impul­se, gera­de im Bereich der Natur­wis­sen­schaft und Phi­lo­so­phie, als nach dem Fall von Kon­stan­ti­no­pel die dor­ti­gen Gelehr­ten nach Vene­dig über­ge­sie­delt sind und das gan­ze Wis­sen des isla­mi­schen Mit­tel­al­ters im Gepäck hat­ten. Man fin­det wikin­gi­sche Ket­ten­hem­den, die über Sizi­li­en und Bag­dad bis nach Kiew gelangt sind, oder sie sind über die Nord­rou­te nach Kiew expor­tiert und von dort aus viel­leicht nach Bucha­ra oder Damas­kus wei­ter­ge­han­delt wor­den. Sie­ben­hun­dert Jah­re lang gab es ara­bi­sche Kul­tur in Spa­ni­en. Mar­co Polo ist bis Chi­na gereist und soll von dort unter ande­rem die Spa­ghet­ti mit­ge­bracht haben, das heu­ti­ge Zen­trum der ita­lie­ni­schen Küche. Natür­lich gab es immer auch krie­ge­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen, aber die Gren­zen funk­tio­nier­ten wie eine semi­per­meable Mem­bran, hat­ten also eine Durch­läs­sig­keit in bei­de Rich­tun­gen. Wenn wir heu­te so tun, als gäbe es das authen­ti­sche christ­li­che Abend­land im Gegen­satz zu irgend etwas ande­rem, dann ist das ein­fach Unfug. Zumal die Welt, wie wir sie heu­te gern glo­ba­li­siert hät­ten, ja gera­de dar­auf basiert, dass jedes kul­tu­rel­le Phä­no­men adap­tiert, amal­ga­miert, inte­griert, ein­ver­leibt oder ver­wurs­tet wird.

Sobald ich mich als Autor mit einer frem­den Kul­tur beschäf­ti­ge, schwan­ke ich immer hin und her zwi­schen dem Hoch­ge­fühl, etwas Neu­es ent­deckt oder ver­stan­den zu haben, und der Resi­gna­ti­on, dass das Ande­re ein­fach immer das Frem­de blei­ben wird, ganz gleich wie sehr ich mich auch bemü­he, ihm näher zu kom­men. Ich sto­ße also an Gren­zen, die sich nicht leicht oder gar nicht über­sprin­gen las­sen. Dann fan­ge ich an, mit den Fak­to­ren, die die­se Gren­zen bestim­men, mit den Fik­tio­nen des Authen­ti­schen und des Ori­gi­na­len zu jon­glie­ren. So sind zum Bei­spiel die Zwi­schen­sze­nen aus dem japa­ni­schen Spät­mit­tel­al­ter, die ich in Mit­sukos Restau­rant kon­stru­iert habe, einer­seits eine Adap­ti­on der Text­gat­tung des zen-bud­dhis­ti­schen K?ans, das als lite­ra­ri­sche Form, ehe es im 12. Jahr­hun­dert nach Japan gelang­te, schon Jahr­hun­der­te auf dem Weg von Indi­en und quer durch Chi­na hin­ter sich hat­te. Ande­rer­seits ori­en­tie­ren sie sich an bestimm­ten Typo­lo­gien aus Samu­rai-Fil­men der 50er, 60er Jah­re, die ihrer­seits schon Typo­lo­gien der japa­ni­schen Samu­rai­re­zep­ti­on des 18. und 19. Jahr­hun­derts ent­stam­men. Nach dem 2. Welt­krieg, der für Japan ja in jeder Hin­sicht kata­stro­phal geen­det hat, wur­de das japa­ni­sche Mit­tel­al­ter dort in der Ver­si­on des 19. Jahr­hun­derts für das Kino auf­be­rei­tet, um die natio­na­len Iden­ti­täts­bil­der zu beschwö­ren oder auch zu hin­ter­fra­gen. Die­se Adap­ti­on kam dann über das Kino zu uns und form­te unse­re Vor­stel­lung des­sen, wie es im japa­ni­schen Mit­tel­al­ter zuge­gan­gen ist. Ich neh­me die­se ange­rei­cher­ten Bil­der, schaue wie­der­um in Geschichts­bü­cher und bud­dhis­ti­sche Ori­gi­nal­tex­te und ver­su­che dann, im Rah­men des deut­schen Klang­bil­des, der deut­schen Gram­ma­tik und der euro­päi­schen Lite­ra­tur­tra­di­ti­on eine Spra­che zu fin­den, die auf der sen­su­el­len, klang­li­chen und auf der Bild­ebe­ne die­sen japa­ni­schen Japo­nis­men so nahe kommt, dass einer­seits eine Illu­si­on des Authen­ti­schen ent­steht, wäh­rend sich ande­rer­seits dahin­ter die Zwei­fel an der grund­sätz­li­chen Mög­lich­keit des Authen­ti­schen auftürmen.

SCHAU INS BLAU: Exo­tis­mus ist im Grun­de genom­men ein sehr nega­tiv beleg­ter Begriff in unse­rer Kul­tur. Aber er ist auch Bestand­teil unse­rer Kul­tur und eigent­lich nicht weg­zu­den­ken. Exo­tis­mus stellt oft die ers­te Annä­he­rung an das Ande­re, an das Frem­de dar. Vor­aus­set­zung ist dann natür­lich, dass man in einem zwei­ten Schritt dar­über reflektiert.

CHRISTOPH PETERS: Der Haupt­vor­wurf gegen den Exo­tis­mus, wie er vom 17. Jahr­hun­dert bis in die 70er Jah­re des 20. Jahr­hun­derts ver­brei­tet war, lau­tet, dass wir das Frem­de, indem wir es exo­tis­tisch über­stei­gern, auf der ästhe­ti­schen Ebe­ne kolo­nia­li­sie­ren und also für unse­re eige­nen Vor­stel­lun­gen miss­brau­chen. Pro­to­ty­pen die­ser Kli­schees sind die sich räkeln­de Harems­da­me oder der tan­zen­de Mas­sai-Krie­ger mit Speer und Löwen­fell. Bei­de sind unschwer als Pro­jek­ti­ons­flä­chen der Wunsch­träu­me ihrer jewei­li­gen Epo­chen zu erken­nen. Aller­dings fal­len wir zur Zeit, wäh­rend wir uns vor­der­grün­dig poli­tisch kor­rekt über den alten exo­tis­ti­schen Kitsch empö­ren, auf des­sen Rück­sei­te im Namen von Frei­heit, Auf­klä­rung und Eman­zi­pa­ti­on in die Mus­ter des fins­te­ren Exo­tis­mus zurück: An die Stel­le der Para­die­se ohne zivi­li­sa­to­ri­sche Ver­kramp­fung, als die der exo­tis­ti­sche Blick sich das Frem­de gefü­gig gemacht hat­te, tritt jetzt wie­der die Höl­le der Bar­ba­ren: Dort haust der böse Mos­lem mit sei­nen ver­schlei­er­ten Frau­en, der, nach­dem er sei­ne Fami­lie abwech­selnd sexu­ell drang­sa­liert und halb tot geprü­gelt hat, den Bom­ben­gür­tel umschnallt. Er ist der ganz und gar abscheu­li­che und unbe­greif­ba­re Frem­de. Die­ser Tage wird jedes Fami­li­en­dra­ma, das sich hier­zu­lan­de in einer soge­nann­ten Migran­ten­fa­mi­lie ereig­net, medi­al gna­den­los aus­ge­schlach­tet, um zu bewei­sen, dass es die­ses Mos­lem­mons­ter tat­säch­lich und mas­sen­haft gibt. Wenn man aber inne­hält, einen Schritt zurück­tritt und sich die Zerr­bil­der des Frem­den anschaut, die unse­re Geschich­te in den letz­ten 400 Jah­ren bestimmt haben, stellt man fest, dass die­ser musel­ma­ni­sche Fins­ter­ling ein Kon­glo­me­rat aus über­lie­fer­ten Bil­dern vom sin­nen­lüs­ter­nen gewalt­tä­ti­gen Ori­en­ta­len dar­stellt, den sich der kapi­ta­lis­ti­sche Pro­tes­tant in sei­nem leis­tungs­ori­en­tier­ten Puri­ta­nis­mus als Kon­trast­mit­tel gebas­telt hat. Im Übri­gen sind es zum Groß­teil die­sel­ben Topoi, die „der Stür­mer” vom Juden, der Kolo­nia­list vom „Neger” und der Hol­ly­wood-Wes­tern vom India­ner gezeich­net haben. Erstaun­li­cher­wei­se scheint in unse­ren psy­cho­ana­ly­se­hö­ri­gen Dis­kur­sen nie­man­dem auf­zu­fal­len, dass es sich dabei — wenn man denn mit die­sen Begrif­fen ope­rie­ren will — um die klas­si­sche Per­so­ni­fi­zie­rung des abge­spal­te­nen „ES” han­delt, als sol­ches passt es wun­der­bar zu dem neu­bür­ger­li­chen Geist, der seit gerau­mer Zeit wie­der die Ober­hand in den Feuil­le­tons hat. Hin­ter die­sem Dis­kurs­schund lau­ert gleich­zei­tig aber immer noch das tota­le Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung jed­we­der Anders­heit, das wir uns nach den Erfah­run­gen mit Ras­sen­leh­re, Kolo­nia­lis­mus und Ver­nich­tungs­la­gern ver­ord­net haben. Wir sind hin- und her­ge­ris­sen zwi­schen dem Ver­bot, das Frem­de zu ver­kit­schen, und der per­ma­nen­ten Dro­hung, es zu dis­kri­mi­nie­ren. Bei­des scha­det einem ent­spann­ten Umgang sowohl mit uns selbst als auch mit „den Ande­ren”. Ich glau­be, dass ein sou­ve­rä­ner und unvor­ein­ge­nom­me­ner Blick auf die Dif­fe­renz, ein Blick, der das Ande­re weder ver­klärt noch ver­teu­felt, in einem tie­fe­ren Sinn zur Rela­ti­vie­rung der eige­nen Posi­ti­on füh­ren wür­de. Im Moment ste­hen wir aller­dings auf dem Stand­punkt, dass wir als post­christ­li­che West­ler ja sämt­li­che Glau­bens- und Lebens­for­men tole­rie­ren, die auf der Basis der Men­schen­rech­te tole­rier­bar sind. Alles, was sich außer­halb die­ses Tole­ranz­rah­mens bewegt, muss auf­ge­klärt bezie­hungs­wei­se huma­ni­siert wer­den. Der Gedan­ke, dass es sinn­vol­le Beschrei­bungs­mög­lich­kei­ten für die Welt und glücks­hal­ti­ge gesell­schaft­li­che Orga­ni­sa­ti­ons­for­men jen­seits unse­res demo­kra­ti­schen Mei­nungs­viel­falts­spek­trums geben könn­te, ist für uns völ­lig inak­zep­ta­bel. Des­halb greift, sobald die Dif­fe­renz sich ein biss­chen außer­halb unse­rer Tole­ranz­mus­ter bewegt, sofort wie­der der alte Bekeh­rungs­re­flex. Frü­her muss­te allen Völ­kern das Evan­ge­li­um gebracht wer­den, damit sie nicht in die Höl­le kamen, heu­te müs­sen wir Frei­heit, Demo­kra­tie und Men­schen­rech­te in den letz­ten Win­kel der Welt tra­gen — zusam­men mit McDo­nalds, Coca Cola und Madon­na. Wenn wir uns die Aus­rot­tung der nati­ven Kul­tu­ren von Aus­tra­li­en bis Alas­ka durch die Euro­pä­er im Ver­lauf des 19. und 20. Jahr­hun­derts anschau­en, dann geht ein Groß­teil davon nicht mehr auf die Rech­nung christ­li­cher Mis­sio­na­re, son­dern wur­de von Huma­nis­ten, Sozia­lis­ten und Ent­wick­lungs­hel­fern bewerk­stel­ligt. Sie haben alle For­men vor­mo­der­ner gesell­schaft­li­cher Rege­lun­gen erst stig­ma­ti­siert und dann ver­nich­tet. Natür­lich fan­den Stam­mes­krie­ge auf Papua Neu­gui­nea nicht im Rah­men der Haa­ger Kon­ven­ti­on statt. Die Fra­ge ist aber doch, ob sie nicht trotz­dem hät­ten sein dür­fen. Im Ergeb­nis waren die ande­ren Kul­tu­ren nach­her voll­stän­dig zer­stört, die Nach­kom­men der ehe­ma­li­gen Ange­hö­ri­gen — Abori­gi­nes, Tschuk­tschen, Yan­om­amis, Inu­it und wie sie alle hie­ßen -, hau­sen jetzt in Well­blech­hüt­ten, leben von mick­ri­gen staat­li­chen Trans­fer­leis­tun­gen und sau­fen. Das alles, weil wir zu dem Ergeb­nis gekom­men waren, ihre Lebens­wei­se ent­sprä­che nicht unse­ren Vor­stel­lun­gen von Men­schen­wür­de. Abge­se­hen davon gab und gibt es — wenn man etwas genau­er hin­schaut — hin­ter dem gan­zen Auf­klä­rungs­wahn fast immer hand­fes­te Wirtschaftsinteressen.

SCHAU INS BLAU: Emma­nu­el Levi­n­as hat die Betrach­tung und Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Frem­den auch an eine ethi­sche Fra­ge­stel­lung geknüpft. Er geht davon aus, dass der Ande­re immer vom Sel­ben aus beschrie­ben wird. Ein­zi­ge Mög­lich­keit wäre die Ver­ab­schie­dung der sokra­ti­schen Onto­lo­gie, die eine Auf­lö­sung des Sub­jekts im Moment der Begeg­nung mit dem Ande­ren zur Fol­ge hät­te. Wür­den damit nicht auch eine Nivel­lie­rung des Sub­jekt­sta­tus und eine Nivel­lie­rung der Dif­fe­renz ein­her­ge­hen? Inwie­weit ist das über­haupt möglich?

CHRISTOPH PETERS: Ich wür­de noch einen Schritt wei­ter zurück­ge­hen und grund­sätz­lich die Fra­ge stel­len, ob der indi­vi­dua­lis­ti­sche Sub­jekt­be­griff, wie wir ihn als euro­päi­sche Kul­tur seit der Anti­ke immer wei­ter aus­bau­en, tat­säch­lich all­ge­mein­mensch­li­che Gül­tig­keit besitzt. Da wir in kei­nen ande­ren Kopf hin­ein­schau­en kön­nen, wis­sen wir nicht, ob und auf wel­che Wei­se sich ein Kala­ha­ri-Pyg­mäe, ein Sioux oder auch ein Zen-Mönch des frü­hen 20. Jahr­hun­derts als Indi­vi­du­um in unse­rem Sin­ne wahr­ge­nom­men hat. Ob er über­haupt unse­ren Indi­vi­dua­li­täts­be­griff hat­te. Und wenn er ihn nicht hat­te — wofür Eini­ges spricht -, was hat das für ihn für Fol­gen gehabt, für sei­ne Welt­wahr­neh­mung, sei­ne Selbst­wahr­neh­mung und für sei­ne Posi­tio­nie­rung inner­halb des natür­li­chen sowie des sozia­len Umfelds? Jede Epo­che und Kul­tur balan­ciert das Ver­hält­nis von Indi­vi­du­um und Gesell­schaft auf ihre Wei­se aus. Wie ver­hal­ten sich die Rech­te des Ein­zel­nen zu denen der Gemein­schaft, in der er lebt. Zwi­schen dem tota­li­tä­ren Modell „Du bist nichts, dein Volk ist alles” und unse­rem „Das Indi­vi­du­um ist alles und die Gesell­schaft ist nichts” exis­tie­ren unend­lich vie­le Vari­an­ten. Wahr­schein­lich gab es aber auch Gesell­schaf­ten, in denen die Fra­ge in die­ser Form gar nicht gestellt wur­de, son­dern ganz ande­re Mus­ter herrsch­ten, weil es den Begriff unse­res abge­grenz­ten Ichs, des „Ein­zel­nen”, in den Köp­fen der Leu­te eben gar nicht gab. Wenn ich als Euro­pä­er, der in einer Ich-Kul­tur groß gewor­den ist, jeman­den aus einer ande­ren Kul­tur betrach­te, dann muss ich, wenn ich ihn ansatz­wei­se ver­ste­hen will, unter Umstän­den mal ver­su­chen, von mei­nem Ich und sei­nem Begriff abzu­se­hen. Als West­ler bla­sen wir unser Ego — das wäh­rend des Groß­teils der Welt­ge­schich­te in den meis­ten Kul­tu­ren für den Haupt­ver­ur­sa­cher des mensch­li­chen Unglücks gehal­ten wur­de — ganz sys­te­ma­tisch und von Kin­des­bei­nen an ins Unend­li­che auf. Das führt dazu, dass wir per­ma­nent mit allen Leu­ten, auf die wir tref­fen, in mehr oder weni­ger schwe­re „Grenz­kon­flik­te” gera­ten. Also schaut man ganz genau hin, ob die­ser Mensch, mit dem man es gera­de zu tun hat, in sei­nen Inter­es­sen 100-pro­zen­tig zu einem passt, ob sein Ver­hal­ten mit dem eige­nen Ver­hal­ten kom­pa­ti­bel ist. Da unse­re Egos stän­dig den Anspruch haben, in ihrer gan­zen Aus­deh­nung und Pracht gewür­digt zu wer­den, fal­len wir als Gesell­schaft immer wei­ter aus­ein­an­der und brau­chen immer mehr Platz um uns her­um. Ein ein­zel­ner Mensch in Euro­pa, wenn er es sich irgend­wie leis­ten kann, bewohnt eine 100-Qua­drat­me­ter-Woh­nung. In Kai­ro leben auf die­sem Raum locker drei Fami­li­en. In Tokio kann man noch ein­mal genau­so vie­le Leu­te dazu­pa­cken wie in Kai­ro. Ich weiß nicht, wie es in Tokio ist, aber zumin­dest in Kai­ro waren die Leu­te, mit denen ich zu tun hat­te, vor­sich­tig gesagt, nicht unglück­li­cher als wir hier.

SCHAU INS BLAU: In Dei­nen Büchern, vor allem in Ein Zim­mer im Haus des Krie­ges und Mit­sukos Restau­rant, löst die Begeg­nung mit dem Ande­ren einer­seits Begeh­ren aus, ande­rer­seits macht sie Angst. Was lösen die Kon­fron­ta­tio­nen mit dem Ande­ren bei dem Sub­jekt aus? Führt die Begeg­nung mit dem Ande­ren schließ­lich zur Kon­ver­si­on des Subjekts?

CHRISTOPH PETERS: Auf Ebe­ne der Figu­ren ist es in den bei­den Büchern ein per­ma­nen­tes Hin und Her. Cis­mar unter­nimmt in Ein Zim­mer im Haus des Krie­ges immer neue Ver­su­che, auf Sawatz­ky zuzu­ge­hen, und ab einem bestimm­ten Zeit­punkt kommt Sawatz­kys ihm dann ja auch ent­ge­gen, zumin­dest emo­tio­nal. Da fin­det mehr und mehr eine Sym­pa­thi­sie­rung bei­der mit­ein­an­der statt. Trotz­dem bleibt ein Gra­ben, der wesent­lich damit zusam­men­hängt, dass bei­de ihre Rol­le als Mensch in die­ser Welt völ­lig anders defi­nie­ren. In Mit­sukos Restau­rant basie­ren Komik und Gro­tes­ke, aber auch das Trau­ri­ge dar­auf, dass die Annä­he­rungs­ver­su­che immer wie­der an eine Gren­ze sto­ßen, die dar­auf fußt, dass grund­sätz­lich ande­re kul­tu­rel­le Vor­stel­lun­gen über indi­vi­du­el­les Glück, per­sön­li­che Ent­schei­dungs­frei­heit, Mann und Frau im Hin­ter­grund ste­hen. Die kul­tu­rel­len Bedingt­hei­ten sind da und sie las­sen sich nicht ein­fach außer Kraft set­zen. Aber aus irgend­wel­chen Grün­den wol­len wir als Men­schen Gren­zen über­sprin­gen. Wahr­schein­lich fin­den wir Gren­zen trotz allem uner­träg­lich. Unse­re Idee von uns selbst ist eigent­lich die der Unbe­grenzt­heit. Für das moder­ne Ich ist der Ande­re, der uns begeg­net, sozu­sa­gen der ers­te Raum, in den hin­ein wir uns ent­gren­zen wol­len. Dadurch, dass es dem ande­ren umge­kehrt meist genau­so ergeht, kommt es dann zu Kol­li­sio­nen. Bei Mit­suko und Achim wird die Begeg­nung noch dadurch erschwert, dass Achim die­sen stark exo­tis­tisch-roman­ti­schen Zug mit­bringt und Mit­suko gern als die Frem­de sei­ner Ima­gi­na­ti­on lie­ben wür­de. Mit­suko hin­ge­gen ver­sucht alles, eine ganz nor­ma­le moder­ne Euro­päe­rin zu wer­den, was natür­lich auch nicht klappt. Aber vor lau­ter japo­nis­ti­schen Visio­nen ist Achim lan­ge Zeit gar nicht in der Lage zu sehen, wie weit Mit­suko sich aus ihrer Anders­heit längst gelöst hat und dass sie in sehr vie­len Berei­chen ihm viel näher ist, als er das über­haupt wol­len wür­de. Wahr­schein­lich ist es das, was am Ende sei­ne Ver­liebt­heit zer­brö­seln läßt. Er merkt, dass sie eigent­lich kei­ne tra­di­tio­nel­le Japa­ne­rin mehr ist. Sie beherrscht ja nicht mal die Tee-Zere­mo­nie richtig.

SCHAU INS BLAU: Die Tee-Zere­mo­nie ist eine sehr zen­tra­le Stel­le in Mit­suko. Christ­li­che Abend­mahl-Tra­di­ti­on ver­schränkt sich mit japa­ni­scher Tee-Zere­mo­nie. Wie ich in Dei­nem Auf­satz Japan an der Ost­see — Die Gefä­ße des Jan Koll­witz lesen konn­te, wer­den japa­ni­sche Tee­scha­len mit der Hand gefer­tigt und der Abdruck der Hän­de, der noch dar­in zu sehen ist, drückt das Begeg­nungs­mo­ment mit dem Ande­ren aus.

In der christ­li­chen Tra­di­ti­on gibt es ein ähn­li­ches Moment: Im Mat­thä­us-Evan­ge­li­um heißt es: ‚Wo einer oder mehr in mei­nem Namen zusam­men­kom­men, da bin ich mit­ten unter euch.’ Die Begeg­nung mit den Ande­ren stellt in bei­den Tra­di­tio­nen offen­sicht­lich eine Art der Offen­ba­rung des Ande­ren dar. In Mit­suko schei­tert die­se Begeg­nung aller­dings. Anstatt den sinn­li­chen Zugang zum Ande­ren zu suchen, ver­sucht Achim, die Tee­ze­re­mo­nie zu durch­den­ken und sie ratio­nal zu erfassen.

Statt­des­sen funk­tio­niert die­se Begeg­nung aber auf der nar­ra­ti­ven Ebe­ne. Die ‚Nar­ben-Prin­zes­sin’, eine Tee­scha­le, die eine zen­tra­le Rol­le bei der Tee­ze­re­mo­nie zwi­schen Achim und Mit­suko spielt, ent­stammt der mythi­schen Erzäh­lung ‚Eini­ge hun­dert Jah­re zuvor in Japan’, die in den Roman suk­zes­si­ve nach jedem Kapi­tel ein­ge­scho­ben wird. Mit der Tee­scha­le ver­knüp­fen sich bei­de Erzähl­strän­ge, ohne ihre Eigen­stän­dig­keit aufzugeben.

CHRISTOPH PETERS: Tee-Zere­mo­nie und Abend­mahl haben auf der äuße­ren Ebe­ne evi­den­te Ähn­lich­kei­ten. Eine Scha­le wird her­um­ge­reicht, das Gefäß ist beson­ders und der Trank selbst ist es auch. Der japa­ni­sche grü­ne Tee ist ja ein sehr kost­ba­res Pul­ver. In der zen-bud­dhis­ti­schen Tra­di­ti­on ist es als Kon­zen­tra­ti­ons- und Heil­mit­tel seit andert­halb Jahr­tau­sen­den in Gebrauch. Bei­de Ritua­le haben mit Begeg­nung und mit dem Über­schrei­ten der Per­sön­lich­keits­gren­zen zu tun. Aber sie gehen die­se Tran­szen­die­rung auf völ­lig unter­schied­li­che Wei­se an. Das christ­li­che Abend­mahl ist eine Begeg­nung von Indi­vi­du­en, die mit­ein­an­der in Bezie­hung tre­ten und über die Auf­nah­me des fleisch­ge­wor­de­nen Logos zu einem ein­zi­gen Leib wer­den. Aber es blei­ben Indi­vi­du­en, wie die Apos­tel, die in der Ursprungs­sze­ne mit Jesus am Tisch sit­zen: Johan­nes, der Lieb­lings­jün­ger, Petrus, der sich beschwert, dass ihm nicht die Füße gewa­schen wer­den, auch Judas, der Ver­rä­ter. In den Abend­mahl-Sze­na­ri­en der christ­li­chen Iko­no­gra­phie sind sie alle sehr prä­zi­se her­aus­ge­ar­bei­te­te Charaktere.

In der japa­ni­schen Tee-Zere­mo­nie fin­det die Ent­gren­zung dadurch statt, dass alle ver­su­chen, sich in ihrer Indi­vi­dua­li­tät kom­plett aus­zu­lö­schen und in einem bis ins letz­te Fin­ger­schnip­pen gere­gel­ten Ritu­al auf­zu­ge­hen. Das Sub­jekt als Indi­vi­du­um spielt in der Tee-Zere­mo­nie nach Mög­lich­keit über­haupt kei­ne Rol­le, son­dern es stellt sich völ­lig in den Dienst des per­fek­ten Ablaufs der ver­schie­de­nen Bewe­gun­gen, die not­wen­dig sind, damit das Gan­ze glückt. Jeder hat sei­nen Platz und sei­ne Funk­tio­nen in die­sem Ablauf und er soll­te sei­ner Rol­le mög­lichst per­fekt gerecht wer­den — der Tee­meis­ter, der den Tee auf­schlägt, der ers­te Gast, der zwei­te Gast, der drit­te Gast. Die Auf­lö­sung der Gren­zen des Indi­vi­du­ums fin­det statt, indem jeder die ihm zuge­wie­se­ne Rol­le mög­lichst voll­kom­men verkörpert.

SCHAU INS BLAU: In Mit­suko und auch in Ein Zim­mer im Haus des Krie­ges fin­den sich eine Rei­he von nar­ra­ti­ven Ver­fah­rens­wei­sen, wie etwa die Gro­tes­ke, die die gesell­schaft­li­chen Macht­me­cha­nis­men im Umgang mit dem Ande­ren auf­zei­gen und zugleich sub­ver­siv unter­lau­fen. Kannst Du etwas zu Dei­ner Arbeit an den lite­ra­ri­schen Stra­te­gien sagen?

CHRISTOPH PETERS: Es hat lei­der kei­ne Rezep­ti­on der komi­schen Sei­ten von Ein Zim­mer im Haus des Krie­ges gege­ben. Ich fin­de, dass das Buch, trotz oder gera­de wegen des tod­erns­ten Stof­fes, ziem­lich vie­le gro­tes­ke Sze­nen und Sub­tex­te hat. Mit Mitus­kos Restau­rant woll­te ich dann tat­säch­lich, nach­dem ich vier ziem­lich fins­te­re Bücher geschrie­ben hat­te, mal ein Buch mit dezi­diert komi­scher Ober­flä­che ver­su­chen. Wobei das absichts­vol­ler klingt, als es de fac­to war. Im Grun­de bestimmt jede Geschich­te auf eine schwer beschreib­ba­re Wei­se selbst die Gestalt, die sie bekommt, und die Art und Wei­se, wie sie erar­bei­tet wird. Natür­lich gibt es in die­sem Pro­zess so etwas wie Erzähl­stra­te­gien, das, was man Hand­werks­zeug nennt. Da sam­melt man im Lau­fe der Zeit Erfah­run­gen. Ein ent­schei­den­des Ele­ment ist dabei die Infor­ma­ti­ons­do­sie­rung. Damit der Leser das, was ich ihm erzäh­len will, auch tat­säch­lich 300 oder 400 Sei­ten lang durch­hält, muss ich einen Span­nungs­bo­gen erzeu­gen. Ich arbei­te sel­ten spon­tan, das heißt, wenn ich anfan­ge zu schrei­ben, ken­ne ich den Text und sei­nen Ver­lauf schon rela­tiv genau. Ich weiß in etwa, wie er anfängt, wie er wei­ter­geht und wie er endet. Und nun muss ich mir sehr genau über­le­gen, was ich als Erzäh­ler dem Leser von dem, was ich schon weiß, wann und wie ver­ra­te. Grob gespro­chen: Wenn ich ihm am Anfang zu viel preis­ge­be, lang­weilt er sich anschlie­ßend, und wenn ich ihm zu wenig ver­ra­te, ver­liert er das Inter­es­se, oder er hat das Gefühl, die Geschich­te kommt nicht zum Punkt. Er muss genau abge­wo­ge­ne Men­gen an Infor­ma­tio­nen bekom­men, damit er immer so viel weiß, dass er gespannt bleibt, wie es wei­ter­geht. Wobei ich in all die­sen erzähl­stra­te­gi­schen Din­gen Auto­di­dakt bin. Ich habe ja nichts Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­ches stu­diert son­dern Male­rei. Mei­ne Kom­po­si­ti­ons­vor­stel­lun­gen stam­men im Wesent­li­chen aus der bil­den­den Kunst: Ich habe eine visu­el­le Vor­stel­lung davon, wie mein Buch aus­se­hen soll, lan­ge bevor ich einen Ver­laufs­plan schreibe.

SCHAU INS BLAU: Du hast gesagt, dass Du Dich ver­ant­wort­lich fühlst für die Geschich­te, die du erzählst. Ist das auch so eine Art Begeg­nung mit dem Frem­den? Die noch zu erzäh­len­de Geschich­te als etwas, was eine Fas­zi­na­ti­on aus­übt und der Du Dich im Schrei­ben annäherst.

CHRISTOPH PETERS: Meinst Du jetzt die Geschich­te als Gegen­über, die Geschich­te qua­si als „Du”?

SCHAU INS BLAU: Ja.

Chris­toph Peters: Es ist sehr schwer zu beschrei­ben, wie das im Ein­zel­nen funk­tio­niert. Die Geschich­te ent­hält jen­seits aller Pla­nung und Recher­che einen Kern an Geheim­nis, über den ich kei­ne Ver­fü­gungs­ge­walt habe, den ich aber gleich­wohl sehr prä­zi­se ahne. Wegen die­ser Ahnung fan­ge ich an, mich ein­ge­hen­der mit ihr zu beschäf­ti­gen. Am Anfang steht dabei immer die Über­zeu­gung, dass in die­ser Geschich­te etwas Ent­schei­den­des ent­hal­ten ist, das mich, wenn ich es ein­fan­gen könn­te, einen Schritt wei­ter bräch­te. Dann arbei­te ich mich Satz für Satz vor, um es frei­zu­le­gen. Etwa fünf Sei­ten vor Schluß mer­ke ich, dass ich die­sen alles ent­schei­den­den Wen­de­punkt wie­der nicht gefun­den habe — also muss ich wohl oder übel wei­ter­schrei­ben. Neben die­ser Ahnung, die den Antrieb bil­det, steht das Bekann­te, all das, was ich über die Geschich­te weiß oder in Erfah­rung brin­gen kann. Die Roma­ne schlep­pe ich zehn oder mehr Jah­re mit mir her­um, in denen ich über sie nach­sin­ne, Mate­ri­al samm­le, struk­tu­rie­re und kon­zi­pie­re, lan­ge bevor ich mich hin­set­ze und den ers­ten Satz suche. Ich ken­ne die Figu­ren, ich ken­ne die Hand­lung und weiß, wel­che The­men im Zen­trum ste­hen. Aber vor alle­dem gab es — zumin­dest bei den grö­ße­ren Geschich­ten — eine unru­hi­ge Nacht, an deren Ende eine Art abs­trak­tes Bild die­ses Buches in mei­nem Kopf gewe­sen ist. Die­ses Bild ent­hält als Farb­klang und Struk­tur alles, was das Buch aus­ma­chen soll, und zusam­men­ge­hal­ten wird es von die­sem Kern­ge­heim­nis. Viel­leicht kann man es sich ein biss­chen vor­stel­len wie das schwar­ze Loch im Zen­trum einer Gala­xie: Ich sehe, wie sich alles in einer rie­si­gen Kreis­be­we­gung um die­ses schwar­ze Loch dreht, aber das Loch selbst sehe ich nicht. Das Bild des Tex­tes mit dem dunk­len Kern stellt gleich­zei­tig mei­ne Kor­rek­tur­fo­lie bei der Arbeit dar. Wenn ich an den ein­zel­nen Pas­sa­gen bas­te­le, gibt es neben nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den für einen bestimm­ten Satz­bau, Duk­tus und Ton immer die­se Über­prü­fungs­in­stanz, die nicht in Wor­te zu fas­sen ist, aber trotz­dem sehr prä­zi­se funk­tio­niert. Es fin­det ein per­ma­nen­ter Abgleich zwi­schen dem Aus­druck des inne­ren Bil­des und dem Aus­druck, den der Text annimmt, statt. In die­sem Pro­zess wer­den die Geschich­te und ich immer ver­trau­ter mit­ein­an­der, wobei das eher ein Wie­der­erken­nen ist, denn eigent­lich ken­nen wir uns schon, seit die Bild­vor­stel­lung da ist. Ich mache sie im Grun­de nur les­bar. Man­che Stein­bild­hau­er beschrei­ben das, was sie tun, ähn­lich. Das ers­te, was ich in die­ser Art gehört habe, war die Geschich­te rund um die Ent­ste­hung von Michel­an­ge­los David: In Flo­renz lag jah­re­lang die­ser rie­si­ge Mar­mor­block her­um. Alle mög­li­chen Bild­hau­er hat­ten sich schon dar­an ver­sucht, aber nie­mand konn­te etwas damit anfan­gen. Dann hat Michel­an­ge­lo ihn über­nom­men und in rela­tiv kur­zer Zeit den David her­aus­ge­hau­en. Als man ihn dann frag­te, wie er das gemacht habe, soll er gesagt haben, sinn­ge­mäß, dass die Skulp­tur im Stein schon voll­stän­dig vor­han­den gewe­sen sei, und er eigent­lich nur alles Über­flüs­si­ge weg­ge­schla­gen habe.

SCHAU INS BLAU: Also ist das Geschich­ten­er­zäh­len auch so ein biss­chen wie Bildbeschreibung?

CHRISTOPH PETERS: Für mich viel­fach schon, nicht immer. Auf einer Ebe­ne, sozu­sa­gen ober­halb des Kerns, erzäh­le ich dann einen inne­ren Film nach. Manch­mal bewe­ge ich mich auch von Stand­bild zu Stand­bild, hal­te an und gehe in die Details der Bil­der, die ich vor dem inne­ren Auge habe. Wenn ich über­haupt nicht mehr wei­ter weiß in einer Sze­ne, kann es pas­sie­ren, dass ich tat­säch­lich eine Zeich­nung des inne­ren Bil­des ver­su­che, oder ich mache eine Kon­struk­ti­ons­zeich­nung des Rau­mes, in dem sich die Figu­ren befin­den. Anhand so eines Auf­ris­ses kann ich mir das Gefü­ge der Sze­ne dann sehr viel bes­ser ver­ge­gen­wär­ti­gen: Wenn die Figur jetzt hier sitzt, dann schaut sie um die­sen Pfei­ler her­um und sieht da hin­ten die Hand­wer­ker, die eine Stell­wand vor­bei tra­gen. Dar­aus ent­steht plötz­lich eine Über­le­gung, die die Geschich­te vor­an­bringt. Oder ich sehe eine Sze­ne nur ver­schwom­men, als wäre eine Milch­glas­schei­be davor, und dann fan­ge ich an, sie zu zeich­nen, um anhand der Zeich­nung zu beschrei­ben, wie zum Bei­spiel die Haupt­fi­gur besof­fen auf dem Schiff steht und raucht.

SCHAU INS BLAU: Du kommst ja, wie Du bereits erwähnt hast, eigent­lich aus der bil­den­den Kunst. Viel­leicht kannst Du die Wech­sel­wirk­sam­keit zwi­schen bil­den­der Kunst und Lite­ra­tur noch etwas näher beschreiben.

CHRISTOPH PETERS: Ich habe ange­fan­gen, Geschich­ten zu schrei­ben, sobald ich über­haupt schrei­ben konn­te, etwa mit sie­ben, und die­se Geschich­ten habe ich illus­triert. Spä­ter, mit fünf­zehn, sech­zehn, als ich mich schon erwach­sen fühl­te, habe ich Illus­tra­tio­nen zu mei­nen Puber­täts­ge­dich­ten gemacht. Danach haben sich die bei­den Berei­che aus­ein­an­der ent­wi­ckelt. Ab Ende des 17. Lebens­jah­res hat­ten Bil­der und Tex­te über­haupt nichts mehr mit­ein­an­der zu tun. Das, was ich seit­dem zeich­ne, wäre als Illus­tra­ti­on zu dem, was ich schrei­be, völ­lig unge­eig­net. Ich habe rela­tiv früh gemerkt, dass ich als Schrei­ber eine ande­re Welt­wahr­neh­mung habe, als wenn ich zeich­ne. Ganz lan­ge war es so, dass ich strikt von­ein­an­der getrenn­te Schreib- oder Zei­chen­pha­sen hat­te. Es gab einen Hebel, der sich im Kopf umge­legt hat, dar­an konn­te ich jeweils mer­ken, dass jetzt wie­der der ande­re Pro­duk­ti­ons­ap­pa­rat anläuft. Wenn ich zeich­ne, gehe ich wie ein Pho­to­graph, der eine Kame­ra vor dem Auge hat, durch die Welt, und lich­te per­ma­nent Ein­zel­sze­nen ab. Ich sehe Kom­po­si­tio­nen, Farb­klän­ge und in gewis­ser Wei­se ist all das statisch.

Wenn ich schrei­be, ist es viel mehr ein pro­zess­haf­tes Wahr­neh­men. Da regis­trie­re ich die gan­zen Bewe­gungs­ab­läu­fe, in denen ich mich befin­de, in denen sich die Welt um mich her­um befin­det. Einer­seits lau­fe ich wie eine Film­fi­gur durch mein eige­nes Leben, ande­rer­seits nimmt die Auf­merk­sam­keit für die akus­ti­sche Sei­te der Welt zu. Ich höre qua­si Klang­col­la­gen, Stra­ßen­bah­nen, Stim­men, Schrit­te. Frü­her bin ich mona­te­lang ent­we­der als Schrei­ber eben oder als Zeich­ner durch die Welt gegan­gen. Inzwi­schen über­schnei­det sich das oft, ich kann es sogar gezielt umschal­ten. Wenn ich, was die Kraft anlangt, in guter Ver­fas­sung bin, schrei­be ich mor­gens bis mit­tags fünf, sechs Stun­den und abends zeich­ne ich noch mal drei, vier Stun­den und da kommt sich gar nichts mehr in die Quere.

Aber nach wie vor haben weder die Beschäf­ti­gung selbst, noch das, was dabei her­aus­kommt, irgend­ei­ne Ähn­lich­keit mit­ein­an­der. Wenn ich schrei­be, gibt es eine stark kon­struk­ti­vis­ti­sche Ebe­ne, wenn ich zeich­ne, ist es rei­ne Impro­vi­sa­ti­on. Ich reagie­re mit dem Blei­stift auf das, was auf dem Papier pas­siert, nicht im Sin­ne einer Frei­set­zung von Unbe­wuss­tem, son­dern im Sin­ne einer Über­füh­rung alea­to­ri­scher Ele­men­te ins Kom­po­si­to­ri­sche. Ich neh­me aber schon an, dass die Aus­bil­dung als Zeich­ner bei Horst Egon Kali­now­ski an der Kunst­aka­de­mie Karls­ru­he mei­nen Blick auf die Welt ins­ge­samt und damit mein Schrei­ben ver­än­dert hat. Beim gegen­ständ­li­chen Zeich­nen kon­zen­triert man sich ja ganz anders auf das Hin­schau­en, als sonst im All­tag. Indem man sich das Gese­he­ne in Form von Lini­en auf Papier wirk­lich klar macht, schult man sei­nen gesam­ten Wahr­neh­mungs­ap­pa­rat und lernt in gewis­ser Wei­se erst rich­tig Sehen. Nach dem ers­ten Win­ter an der Aka­de­mie hat­te ich ein sehr ver­wir­ren­des und son­der­ba­res Erleb­nis. Ich war damals viel mit dem Zug zwi­schen Karls­ru­he und Mainz unter­wegs und ent­lang der Stre­cke gab es aus­ge­dehn­te Wald­stü­cke. Ich fuhr also an einem der ers­ten Wochen­en­den im Mai von Karls­ru­he nach Mann­heim und schau­te aus dem Fens­ter und dach­te plötz­lich: „Was ist denn das jetzt hier? Die haben aber komi­sche Bäu­me, scharf kon­tu­riert und klein­tei­lig, als hät­ten sie viel mehr Blät­ter — sieht aus wie bei Dürer die Gegend.” Das ist mir eini­ge Male so gegan­gen, und irgend­wann habe ich rea­li­siert, dass sich wäh­rend der sechs Mona­te, in denen kei­ne Blät­ter an den Bäu­men gewe­sen waren, mei­ne Wahr­neh­mung durch das per­ma­nen­te Zeich­nen so sehr ver­än­dert hat­te, dass ich all das, was ich in den ers­ten 23 Jah­ren mei­nes Lebens eher so impres­sio­nis­tisch über­flo­gen hat­te, plötz­lich mit einer unge­heu­ren Klar­heit und Prä­zi­si­on sehen konn­te. Wahr­schein­lich hat­te mein Hirn ein­fach die Ver­ar­bei­tung grö­ße­rer opti­scher Infor­ma­ti­ons­men­gen gelernt und konn­te jetzt die Din­ge in einer Detail­liert­heit erfas­sen, für die es vor­her ein­fach zu lang­sam war. Das ist eine Fähig­keit, die ich sicher als Grund­la­ge für die Tex­te nut­ze. Jeden­falls wird oft gesagt, dass mei­ne Tex­te sehr optisch sei­en, man sehe das, was man lese, immer deut­lich vor sich.

SCHAU INS BLAU: Ist das Schrei­ben vom Bild aus also auch eine Wahr­neh­mungs­er­wei­te­rung, eine Per­spek­ti­ve, die Du der Text­per­spek­ti­ve zur Sei­te stellst?

CHRISTOPH PETERS: Es ist schwer aus­ein­an­der zu hal­ten und es funk­tio­niert auch tat­säch­lich in jedem Text anders. Bei den Kurz­ge­schich­ten gibt es eini­ge, die sich dezi­diert einem Bild oder auch einem Gegen­stand ver­dan­ken. Im Geschich­ten­band, der jetzt gera­de fer­tig gewor­den ist, fin­det sich zum Bei­spiel eine Geschich­te, die sich um einen alten, kup­fer­nen Tua­reg-Kes­sel dreht. Ich habe die­sen Kes­sel vor ein paar Jah­ren für die Tee-Expe­ri­men­te im Rah­men von Mit­sukos Restau­rant gekauft, doch lei­der stell­te er sich als völ­lig unbe­nutz­bar her­aus. Irgend­wie habe ich aber ziem­lich sofort, als ich ihn gese­hen habe, gedacht, wenn er sich schon nicht zum Was­ser­ko­chen eig­net, muß er doch wohl eine Geschich­te ent­hal­ten, denn sonst hät­te es ja kei­nen Sinn gehabt, dass er aus der Zen­tral­sa­ha­ra bis zu mir hier nach Ber­lin gekom­men ist. Ich hat­te also die­sen Kes­sel und die Tua­reg, die mich ohne­hin schon lan­ge fas­zi­niert hat­ten. Außer­dem wuss­te ich, dass ich eine Geschich­te mit einem Dschinn, also mit so einem mor­gen­län­di­schen Geist­we­sen, schrei­ben woll­te, magisch-phan­tas­tisch-ori­en­ta­lis­tisch, aber trotz­dem ganz modern. Da ich kei­ne Zeit hat­te, dort­hin zu fah­ren, habe ich Bil­der und Fil­me über die Tua­reg gesucht. Und dann habe ich tat­säch­lich ein Foto im Inter­net gefun­den, mit einem asch­grau­en, kegel­för­mi­gen Berg drauf, und ich wuss­te sofort, das ist genau der Berg, den ich brau­che. Hin­ter die­sem Berg kann all das statt­fin­den, was mir vor­schwebt. Und dann wur­de das Schrei­ben fast täg­lich so etwas wie eine Beschwö­rung die­ses Ber­ges im Bild, der sich irgend­wie schon lan­ge, bevor ich ihn gese­hen habe, im Nukle­us die­ser Geschich­te befun­den haben muss, sonst hät­te ich ihn ja nicht wie­der­erken­nen können.

SCHAU INS BLAU: Viel­leicht zum Abschluss, an wel­chen Pro­jek­ten arbei­test Du gerade?

CHRISTOPH PETERS: Jetzt im Juni erscheint das Buch Japan beginnt an der Ost­see über den Kera­mi­ker Jan Koll­witz, eine Art mono­gra­phi­sches Buch. Es erzählt in einem län­ge­ren Essay und in einem Gesprächs­teil von japa­ni­scher Tee­ke­ra­mik, Zen-Bud­dhis­mus und Hand­werk, und wie Jan Koll­witz es als Deut­scher geschafft hat, in die­sen Kern­be­reich der japa­ni­schen Kul­tur vor­zu­drin­gen. Dazu gibt es wun­der­ba­re Fotos von den Kera­mi­ken und von den ver­schie­de­nen tra­di­tio­nel­len Herstellungsverfahren.

Im Herbst kommt dann der Geschich­ten­band Sven Hofe­stedt sucht Geld für Erleuch­tung. Dar­in geht es wie­der um Frem­des und Ver­trau­tes, Ori­ent, Japan und um Bil­der, Pho­to­gra­phie haupt­säch­lich. Es gibt eine Figur, die schon im ers­ten Erzähl­band Kom­men und gehen, manch­mal blei­ben, eine Rol­le gespielt hat, das ist der Foto­graf Vin­cent. Der taucht dies­mal in meh­re­ren Geschich­ten auf. Dazu kommt ein Strang mit magisch-phan­tas­ti­schen Ele­men­ten, zu dem die Geschich­te mit dem Tua­reg-Kes­sel gehört.

Wenn das Buch dann end­gül­tig vom Tisch ist, wer­de ich mit einem Roman anfan­gen, der in einem katho­li­schem Jun­gen­in­ter­nat wie dem, wo ich so vie­le Jah­re ver­bracht habe, spielt, und sich mit ers­ter Lie­be und reli­giö­sem Wahn aus katho­li­scher Per­spek­ti­ve beschäf­tigt. Ich möch­te noch ein­mal in den Bereich des reli­giö­sen Extre­mis­mus hin­ein­ge­hen, aber anders als in Ein Zim­mer im Haus des Krie­ges dies­mal in den christ­li­chen Fun­da­men­ta­lis­mus. Ich glau­be, das, was ich dort in den 1970er und 80er Jah­ren erlebt habe, ist von heu­te aus gese­hen fast genau­so exo­tisch wie Papua Neu­gui­nea. Ich möch­te ver­su­chen, das Reli­giö­se in sei­nen Ambi­va­len­zen zu beschrei­ben, zwi­schen Angst und Schre­cken, Ver­tie­fung und Erha­ben­heit, und mit den Grenz­erfah­run­gen, die es ermög­licht. Was das Buch auf gar kei­nen Fall wer­den soll, ist eine Abrech­nung mit katho­li­scher Kir­che, Sexu­al­feind­lich­keit und die­sem gan­zen The­men­kom­plex, der da jüngst durch die media­len Dör­fer gejagt wur­de. Die Kon­struk­ti­on steht so weit und die Figu­ren bekom­men all­mäh­lich ihre Namen. Das wird mich sicher zwei bis drei Jah­re beschäftigen.

SCHAU INS BLAU: Nicht schlecht! Dann erst­mal ganz herz­li­chen Dank!

 

Chris­toph Peters wur­de 1966 in Kal­kar am Nie­der­rhein gebo­ren. Peters stu­dier­te Male­rei an der Staat­li­chen Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te in Karls­ru­he und ist seit­her als frei­schaf­fen­der Künst­ler und Schrift­stel­ler tätig. 2004 hat­te er die Poe­tik­do­zen­tur der Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten und der Lite­ra­tur der Uni­ver­si­tät Mainz inne. 2006 wur­de er zum Muse­ums­schrei­ber des Het­jens-Muse­ums / Deut­sches Kera­mik Muse­um in Düs­sel­dorf ernannt. Zusam­men mit dem indi­schen Schrift­stel­ler Kiran Nag­ar­kar hielt Chris­toph Peters 2008 die 22. Tübin­ger Poe­tik-Dozen­tur. Peters erhielt für sein Schrei­ben zahl­rei­che Aus­zeich­nun­gen, dar­un­ter 1998 den Mar­tha-Saal­feld-För­der­preis, 1999 den Aspek­te-Lite­ra­tur­preis und den Nie­der­rhei­ni­schen Lite­ra­tur­preis der Stadt Kre­feld, 2000 den Georg‑K.-Glaser-Preis und 2009 den Rheingau-Literaturpreis.