„I Like Philosophy as an Anonymous Job“

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von Phil­ipp Sonntag

Die stark emo­tio­nal kon­no­tier­te, semi­re­li­giö­se Ver­eh­rung einer Kult­fi­gur scheint der ratio­na­len Ori­en­tie­rung der wis­sen­schaft­li­chen Welt in para­do­xer Wei­se zu wider­spre­chen. Am Bei­spiel des slo­we­ni­schen Phi­lo­so­phen und Kul­tur­theo­re­ti­kers Sla­voj Žižek, der als wis­sen­schaft­li­che Kult­fi­gur der Gegen­wart ange­se­hen wer­den kann, las­sen sich mög­li­che Defi­ni­ti­ons­kri­te­ri­en für wis­sen­schaft­li­che Kult­phä­no­me­ne erpro­ben und gegen­warts­spe­zi­fi­sche Aspek­te der media­len Reprä­sen­ta­ti­on und Selbst­in­sze­nie­rung diskutieren.

Im Gegen­satz zu ande­ren kul­ti­schen Erschei­nungs­for­men in der Kul­tur der Gegen­wart, die sich zumeist um lite­ra­ri­sche, künst­le­ri­sche, poli­ti­sche oder popu­lär­kul­tu­rel­le Phä­no­me­ne und Akteu­re bil­den und die ein gewis­ses Maß an gesell­schaft­li­chem Inter­es­se bün­deln, äußern sich Kult­phä­no­me­ne in der Wis­sen­schaft weit weni­ger deut­lich. Der hoch spe­zia­li­sier­te, für gro­ße Tei­le der Gesell­schaft her­me­ti­sche wis­sen­schaft­li­che Dis­kurs ist grund­sätz­lich durch eine weit­aus gerin­ge­re öffent­li­che Wahr­neh­mung gekenn­zeich­net. Das grund­le­gen­de Para­do­xon liegt jedoch auf der Hand, ste­hen doch die Emo­tio­na­li­tät und extre­me Sub­jek­ti­vi­tät kul­ti­scher Ver­eh­rung den Idea­len wis­sen­schaft­li­cher Pra­xis mit ihrem Anspruch auf Ratio­na­li­tät, Logik und Wahr­heits­fin­dung dia­me­tral entgegen.

1. Visibilität und Normativität von Kultphänomenen in der Wissenschaft

Ein Kult­phä­no­men weist in der Regel drei kon­sti­tu­ti­ve Merk­ma­le auf: ein Kult­ob­jekt, einen Trä­ger des Kul­tes und eine mehr oder weni­ger ritua­li­sier­te Form einer kul­ti­schen Hand­lung. Die­se kön­nen zu unter­schied­li­chen Gra­den insti­tu­tio­na­li­siert wer­den und ver­schie­de­ne Funk­tio­nen erfül­len. Wird eine Per­son zum Objekt eines Kults, so lässt sich die­se als Kult­per­son oder Kult­fi­gur inner­halb einer bestimm­ten Gesell­schaft oder sozia­len Grup­pe beschrei­ben. Neben pro­mi­nen­ten Bei­spie­len aus der Poli­tik, die auch als Herr­scher­kul­te bezeich­net wer­den kön­nen, gehen Kult­fi­gu­ren auch aus der Unter­hal­tungs­in­dus­trie, dem Sport, der Musik, der Wirt­schaft, der Kunst und der Lite­ra­tur her­vor (vgl. Makri­des 2008: 263).

Im Bereich der Wis­sen­schaft exis­tie­ren ver­schie­de­ne Aus­prä­gun­gen von Per­so­nen­kul­ten. Gemes­sen am Grad der öffent­li­chen Wahr­neh­mung las­sen sich Kul­te um Per­so­nen, die ihre Trä­ger­schaft haupt­säch­lich außer­halb des wis­sen­schaft­li­chen Bereichs fin­den und eher im Licht der gesell­schaft­li­chen Öffent­lich­keit ste­hen, wie etwa Jean-Jac­ques Rous­se­au, Vol­taire, Augus­te Comte, Ernst Hae­ckel, Fried­rich Nietz­sche, Albert Ein­stein oder Ste­phen Haw­king von sol­chen Kult­fi­gu­ren unter­schei­den, deren Ver­eh­rer und Trä­ger selbst inner­halb des wis­sen­schaft­li­chen Rah­mens situ­iert sind (vgl. Makri­des 2008: 269–270). Bei Kult­fi­gu­ren, deren Sta­tus sich einer grö­ße­ren Öffent­lich­keit ver­dankt, kön­nen Insti­tu­tio­na­li­sie­rungs­me­cha­nis­men beob­ach­tet wer­den, die an spe­zi­fi­sche Funk­tio­nen geknüpft sind. So lässt sich die Wir­kung der Kult­fi­gu­ren Marx und Lenin kaum ohne Rück­griff auf deren ideo­lo­gi­sche Funk­tio­na­li­sie­rung inner­halb eines poli­ti­schen Sys­tems erklä­ren: „In die­sem Fall haben wir es […] mit einer Orga­ni­sa­ti­on, Nor­mie­rung, Zen­tra­li­sie­rung und sys­te­ma­ti­schen Pro­pa­gie­rung ihres Kul­tes zu tun“ (Makri­des 2008: 270).

Die gerin­ge öffent­li­che Visi­bi­li­tät von Phä­no­me­nen kul­ti­scher Ver­eh­rung inner­halb der Wis­sen­schaft ist auf unter­schied­li­che Ursa­chen zurück­zu­füh­ren. Wis­sen­schaft­li­che Kul­te sind „kein orga­ni­sier­tes Mas­sen­phä­no­men, das in der Gesell­schaft deut­lich wahr­ge­nom­men wer­den kann“ (Makri­des 2008: 269). Einer der Grün­de hier­für ist zunächst „die feh­len­de Insti­tu­tio­na­li­sie­rung und Nor­mie­rung sol­cher Kult­phä­no­me­ne, die eher in dif­fu­sen For­men exis­tie­ren und ver­schie­de­ne Funk­tio­nen erfül­len“ (Makri­des 2008: 263). Eine sol­che Funk­ti­on kann bei­spiels­wei­se dar­in bestehen, „die Kohä­renz und künf­ti­ge Ent­wick­lung“ einer bestimm­ten Dis­zi­plin zu garan­tie­ren, und oft­mals geht damit auch die Hoff­nung auf die „Bil­dung von Auto­ri­tä­ten und bestimm­ten ‚Schu­len‘“ (Makri­des 2008: 264) ein­her. Zudem han­delt es sich bei den meis­ten Fäl­len um „impli­zi­te Kult­phä­no­me­ne, die von denen, die sie betrei­ben, nicht als sol­che bezeich­net wer­den“ (Makri­des 2008: 264). Damit rückt die nor­ma­ti­ve Dimen­si­on des Kult­be­griffs in den Blick. Per­so­nen­kul­te in der aka­de­mi­schen Welt ste­hen „oft im Ver­dacht, ledig­lich irra­tio­na­le Emo­ti­ons­zu­stän­de her­vor­zu­ru­fen“ (Makri­des 2008: 264), die der kri­tisch-ratio­na­len Aus­rich­tung der Wis­sen­schaft wider­spre­chen. Eine gerin­ge Visi­bi­li­tät und impli­zi­te Erschei­nungs­form von inner­wis­sen­schaft­li­chen Kul­ten lässt sich somit auf die enge Ver­knüp­fung mit der nor­ma­ti­ven Ver­wen­dung des Kult­be­griffs zurück­füh­ren. Die mit dem Ver­weis auf eine unan­ge­mes­se­ne Emo­tio­na­li­tät und Irra­tio­na­li­tät begrün­de­te nega­ti­ve Bewer­tung kul­ti­scher Phä­no­me­ne in der Wis­sen­schaft, die einen Man­gel an wis­sen­schaft­li­cher Qua­li­tät sug­ge­riert, wirft jedoch die Fra­ge auf, inwie­fern sich eine über­mä­ßi­ge und über­stei­ger­te Ver­eh­rung von der kon­ven­tio­na­li­sier­ten Form wis­sen­schaft­li­chen Arbei­tens unter­schei­den lässt und inwie­fern Kri­te­ri­en der Wis­sen­schaft­lich­keit durch kul­ti­sche Ver­eh­rungs­stra­te­gien von Wis­sen­schaft­lern ver­letzt werden.

2. Wissenschaft als Kult und Wissenschaftskultur

Über­trägt man das Grund­mus­ter eines Kul­tes auf die Wis­sen­schaft, so lässt sich als Kult­ob­jekt ein bestimm­ter theo­re­ti­scher oder metho­di­scher Ansatz aus­ma­chen, der im Fal­le eines Per­so­nen­kul­tes mit dem jewei­li­gen Theo­re­ti­ker ver­bun­den ist. Der Trä­ger eines sol­chen Kul­tes kon­sti­tu­iert sich in einer Rezep­ti­ons­ge­mein­schaft, die sich bis zu der Aus­bil­dung einer eige­nen Denk­schu­le ver­fes­ti­gen kann. Die ritu­ell-kul­ti­sche Hand­lung, die die­se Grup­pe aus­führt, besteht dann in der Refe­renz auf die jewei­li­ge Theo­rie oder den jewei­li­gen Den­ker in Form von Zita­ten, spon­ta­nen Akkla­ma­tio­nen in Form von Name­drop­ping oder Argu­men­ta­tio­nen ad verecun­diam, die sich der Fremd­au­to­ri­tät als Kri­te­ri­um der Wahr­heit bedie­nen, oder in Form von metho­di­schen Adapt­a­tio­nen. Ange­sichts die­ser Grund­an­nah­me zur Erschei­nungs­form von kul­ti­schen Mus­tern in der Wis­sen­schaft wirft der Ver­such der kla­ren Abgren­zung über­mä­ßi­ger, hagio­gra­phi­scher Ver­eh­rung von den all­ge­mein aner­kann­ten Qua­li­täts­stan­dards wis­sen­schaft­li­cher Pra­xis Pro­ble­me auf.

Die Refe­renz auf frem­de For­schungs­leis­tun­gen, spe­zi­fi­sche dis­zi­pli­nä­re Tra­di­tio­nen oder Denk­schu­len – in Form von Zita­ten, Lite­ra­tur­ver­zeich­nis­sen und metho­di­schen Adapt­a­tio­nen – stellt einen kon­sti­tu­ti­ven Fak­tor wis­sen­schaft­li­chen Arbei­tens dar und gilt als Qua­li­täts­merk­mal aka­de­mi­scher Pra­xis. Inner­halb die­ser Nor­ma­li­tät der Ver­wei­se und Refe­ren­zen, die den ein­zel­nen For­scher 1 als ‚intel­lek­tu­el­len Zwerg auf den Schul­tern der Rie­sen der dis­zi­pli­nä­ren Geschich­te und Tra­di­ti­on‘ erschei­nen las­sen kön­nen, droht die Gren­ze zwi­schen einer legi­ti­men Beru­fung auf vor­he­ri­ge For­schungs­er­geb­nis­se und einer über­stei­ger­ten Ver­eh­rung, die die aka­de­mi­sche Inte­gri­tät kor­rum­pie­ren könn­te, zu ver­schwim­men. Eine Abgren­zung auf der Grund­la­ge von Kri­te­ri­en der Wis­sen­schaft­lich­keit eines bestimm­ten For­schungs­an­sat­zes scheint jedoch nicht mög­lich zu sein. Begreift man Wis­sen­schaft als die sys­te­ma­ti­sche Ana­ly­se eines kon­kre­ten For­schungs­ob­jekts, die, unter der Maß­ga­be ter­mi­no­lo­gi­scher und metho­do­lo­gi­scher Expli­ka­ti­on, anhand einer logi­schen Argu­men­ta­ti­on inter­sub­jek­ti­ve, veri­fi­zier­ba­re und in irgend­ei­ner Form rele­van­te Erkennt­nis gene­riert, und nimmt man fer­ner an, dass ein kul­ti­sches Mus­ter in der Wis­sen­schaft im Wesent­li­chen in der Ver­ab­so­lu­tie­rung eines bestimm­ten theo­re­ti­schen oder metho­di­schen Ansat­zes zu erken­nen ist, so wider­spricht dies nicht not­wen­di­ger Wei­se den Kri­te­ri­en der Wis­sen­schaft­lich­keit. Das Kri­te­ri­um der Rele­vanz weist jedoch auf die zugrun­de lie­gen­de Pro­ble­ma­tik hin, dass sowohl die Wahl des jewei­li­gen For­schungs­ob­jekts und die Aus­rich­tung des For­schungs­in­ter­es­ses als auch die Eva­lua­ti­on und Aner­ken­nung von For­schungs­er­geb­nis­sen nicht pri­mär wis­sen­schafts­in­ter­nen Fak­to­ren unter­lie­gen. Die Fra­gen, zu wel­chem Zweck Wis­sen­schaft betrie­ben wird, wel­che For­schungs­ob­jek­te dem­entspre­chend gewählt wer­den, ob der, zumin­dest in den Geis­tes- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten, all­ge­mein aner­kann­te Metho­den­plu­ra­lis­mus deskrip­tiv auf­ge­fasst wird und ob eine kul­ti­sche Ver­ab­so­lu­tie­rung eines bestimm­ten Ansat­zes damit als gerecht­fer­tigt ange­se­hen wer­den müss­te oder ob sich hier­aus ein Gebot zu mul­ti­per­spek­ti­vi­schem Den­ken ablei­ten lässt, sind all­ge­mein dem Bereich der Wis­sen­schafts­kul­tur zuzu­ord­nen, ins­be­son­de­re der Wis­sen­schafts­so­zio­lo­gie, ‑ethik und ‑psy­cho­lo­gie (vgl. Poser 2011: 14–16). Kul­ti­sche Phä­no­me­ne in der Wis­sen­schaft kol­li­die­ren mit einer Wis­sen­schafts­kul­tur, die sich den Idea­len des kri­ti­schen und anti­dog­ma­ti­schen Den­kens ver­schrie­ben hat, nicht jedoch zwangs­läu­fig mit Kri­te­ri­en der Wissenschaftlichkeit.

3. Werk und Leben: Merkmale akademischer Kultfiguren

Trotz der gerin­gen Visi­bi­li­tät und der impli­zi­ten Erschei­nungs­form von Kult­phä­no­me­nen in der Wis­sen­schaft kön­nen bestimm­te Merk­ma­le und Vor­aus­set­zun­gen iden­ti­fi­ziert wer­den, die eine genaue­re Bestim­mung aka­de­mi­scher Kult­fi­gu­ren ermög­li­chen. Ein ers­tes Kri­te­ri­um stellt die außer­or­dent­li­che wis­sen­schaft­li­che Leis­tung einer bestimm­ten Per­son dar, die gewis­ser­ma­ßen die Grund­la­ge für ihre Ent­wick­lung hin zu einer Kult­fi­gur bil­det (vgl. Makri­des 2008: 266). Da die Bewer­tung einer wis­sen­schaft­li­chen Leis­tung dem, wie­der­um nur impli­zit wahr­nehm­ba­ren, Kon­sens der wis­sen­schaft­li­chen Gemein­schaft unter­wor­fen ist, tritt eine außer­or­dent­li­che Leis­tung eines ein­zel­nen For­schers ledig­lich dann beson­ders her­vor, wenn die Wir­kung sei­ner Ideen und Theo­rien zur Bil­dung einer eige­nen Denk­schu­le oder zur Begrün­dung eines neu­en For­schungs­pa­ra­dig­mas führt (vgl. Makri­des 2008: 266). Dar­über hin­aus bil­den die trans­dis­zi­pli­nä­re Wir­kungs­macht, die epo­chen­über­grei­fen­de Rezep­ti­on einer Idee oder Theo­rie (vgl. Makri­des 2008: 266), aber auch der Grad der inter­na­tio­na­len Rezep­ti­on, der an der Quan­ti­tät der fremd­spra­chi­gen Über­set­zun­gen gemes­sen wer­den kann, sowie die Pro­duk­ti­vi­tät der Rezep­ti­on und die Anschluss­fä­hig­keit eines Ansat­zes (vgl. May 2004: 105, 107), ables­bar an der Quan­ti­tät der wis­sen­schaft­li­chen Publi­ka­tio­nen und Tagun­gen, wich­ti­ge und deut­lich wahr­nehm­ba­re Anhalts­punk­te für den rela­ti­ven Wert einer wis­sen­schaft­li­chen Leistung.

Den­noch ist zwi­schen einer wis­sen­schaft­li­chen Kult­fi­gur und der Kory­phäe eines bestimm­ten Faches zu unter­schei­den; nicht jeder her­aus­ra­gen­de Wis­sen­schaft­ler wird durch sein fach­li­ches Pres­ti­ge auch zu einer Kult­fi­gur. Neben her­aus­ra­gen­den Leis­tun­gen in der For­schung spie­len zusätz­li­che, außer­wis­sen­schaft­li­che, Fak­to­ren, die „zumeist auf psy­cho­lo­gi­schen Moti­ven und Dis­po­si­tio­nen“ (Makri­des 2008: 266) beru­hen, eine zen­tra­le Rol­le. Neben dem Werk und des­sen Wir­kung bil­det die „beson­de­re Art der Rezep­ti­on des Wer­kes bzw. der Ideen sol­cher Kult­fi­gu­ren […], die ein­deu­tig die Sphä­re der Wis­sen­schaft­lich­keit über­steigt“ (Makri­des 2008: 265) und die sich pri­mär auf die Bio­gra­phie und Per­sön­lich­keit des jewei­li­gen Wis­sen­schaft­lers fokus­siert, ein wei­te­res wich­ti­ges Merk­mal (vgl. Makri­des 2008: 266–267). Ver­knüp­fun­gen zwi­schen Leben und Werk kön­nen zwei­fels­oh­ne wich­ti­ge Anhalts­punk­te für ein­zel­ne Ana­ly­sen­an­sät­ze und Inter­pre­ta­tio­nen lie­fern. Pro­ble­ma­tisch wird der Rekurs auf die Per­son erst dann, wenn die­ser die Gren­zen der bio­gra­phisch gelei­te­ten Ana­ly­se über­schrei­tet und dadurch mit wis­sen­schafts­kul­tu­rell gepräg­ten Kon­ven­tio­nen in Kon­flikt gerät: in die­sem Fal­le mit dem Kri­te­ri­um der Rele­vanz. Wird jeder Infor­ma­ti­on über das Leben der betref­fen­den Kult­fi­gur, von der sexu­el­len Ori­en­tie­rung über die phy­sio­gno­mi­sche Erschei­nung bis hin zu kleins­ten Details, wie Erin­ne­run­gen von Bekann­ten aus frü­hes­ter Kind­heit, kurz­um allem, das die Per­son je gesagt, getan und geschrie­ben haben mag, eine enor­me Bedeu­tung zuge­mes­sen, so stellt sich die Fra­ge, inwie­fern die­se Infor­ma­tio­nen noch rele­vant für das wis­sen­schaft­li­che Ver­ständ­nis der ent­spre­chen­den Tex­te oder Wer­ke sein kön­nen (vgl. Makri­des 2008: 271). Glei­cher­ma­ßen stellt sich die­se Fra­ge im Fal­le einer text­zen­trier­ten Rezep­ti­on, die durch eine über­mä­ßig selek­ti­ve und reduk­ti­ve Les­art den Blick für das Text­gan­ze ein­zu­bü­ßen droht (vgl. May 2004: 114).

Ein wei­te­rer ent­schei­den­der Fak­tor für die Ent­ste­hung einer Kult­fi­gur ist deren „beson­de­re Ver­hal­tens­wei­se – all­ge­mei­ner: ihre Lebens­wei­se“ (Makri­des 2008: 267). Die Lebens­füh­rung von Kult­fi­gu­ren weist dem­nach unter­schied­li­che Devi­an­z­er­schei­nun­gen und Idi­or­rhyth­mi­en (Makri­des 2008: 267) auf, die sie von der Nor­ma­li­tät des pri­va­ten und wis­sen­schaft­li­chen All­tags abgren­zen. In Bezug auf die Fra­ge, inwie­fern die indi­vi­du­el­le Lebens­füh­rung eines Wis­sen­schaft­lers Ein­fluss auf die Deu­tung sei­nes pro­fes­sio­nel­len Schaf­fens nimmt, muss jedoch grund­sätz­lich zwi­schen der, sozu­sa­gen unfrei­wil­li­gen, Fremd­zu­schrei­bung bio­gra­phi­scher Deu­tungs­an­sät­ze und der selbst for­cier­ten Ver­knüp­fung von Leben und Werk im Sin­ne einer bewuss­ten Selbst­in­sze­nie­rung unter­schie­den wer­den. Kult­fi­gu­ren kön­nen, wenn auch ohne Garan­tie auf Erfolg, selbst zur Eta­blie­rung ihres eige­nen Kul­tes bei­tra­gen (vgl. Makri­des 2008: 267). Die unter­schied­li­chen Grün­de für eine sol­che Selbst­in­sze­nie­rung las­sen sich nicht gene­ra­li­sie­ren und müs­sen am jeweils kon­kre­ten Ein­zel­fall über­prüft wer­den. Makri­des’ pau­scha­le Aus­sa­ge, dass Selbst­in­sze­nie­run­gen „zumeist etwas mit mensch­li­cher Eitel­keit sowie mit dem Ver­lan­gen nach all­ge­mei­ner Aner­ken­nung und Unsterb­lich­keit zu tun“ (Makri­des 2008: 267) haben, scheint hier aller­dings zu kurz zu grei­fen. Auch das Bei­spiel der Kult­fi­gur Jac­ques Der­ri­da, das Makri­des in die­sem Kon­text als reprä­sen­ta­tiv für post­mo­der­ne Den­ker ansieht, muss zumin­dest in Fra­ge gestellt wer­den. Für cha­rak­te­ris­tisch erach­tet Makri­des „die Art und Wei­se[,] wie sie [die post­mo­der­nen Den­ker; Anm. d. Verf.] schrei­ben, spre­chen, sich beneh­men, aus­se­hen und dis­ku­tie­ren“, wobei die „viel­leicht auf­fäl­ligs­te Devi­anz­form“ für Makri­des in „der Ver­ständ­nis­schwie­rig­keit ihrer oft ver­klau­su­lier­ten Tex­te und Spra­che“ besteht (Makri­des 2008: 267). Der ent­schei­den­de Aspekt, der mit der Deu­tung des unge­wöhn­li­chen Sprach­ge­brauchs als Selbst­in­sze­nie­rung offen­bar über­se­hen wird, besteht dar­in, dass gera­de bei Der­ri­da der Refe­renz­wert der Schrift selbst zum Inhalt und zu einem Bedeu­tungs­trä­ger sei­nes Den­kens wird, dem eine sol­che Abur­tei­lung als sti­lis­ti­sche Spie­le­rei und nar­ziss­ti­sche Selbst­in­sze­nie­rung nicht gerecht wird.

Das viel­leicht wich­tigs­te Merk­mal für die Erfas­sung von aka­de­mi­schen Kult­fi­gu­ren ist die „Aus­schließ­lich­keit des Inter­es­ses“ (Makri­des 2008: 274) der jewei­li­gen Kult­trä­ger an ihrer Kult­fi­gur. Dies äußert sich in der Grün­dung von Fach­zeit­schrif­ten und Buch­rei­hen, die der Kult­fi­gur gewid­met sind und sich nicht aus­schließ­lich mit dem wis­sen­schaft­li­chen Werk der jewei­li­gen Per­son befas­sen, eben­so wie in der Grün­dung wis­sen­schaft­li­cher Gesell­schaf­ten, einer Viel­zahl an wis­sen­schaft­li­chen Publi­ka­tio­nen all­ge­mein, und in extre­men Fäl­len in der Eta­blie­rung „inof­fi­zi­el­ler wis­sen­schaft­li­cher Dis­zi­pli­nen“ (Makri­des 2008: 274). Makri­des nennt in die­sem Zusam­men­hang die sog. „Webe­ro­lo­gie“, die sich dem Werk und Leben Max Webers wid­met, oder die „Witt­gen­stein­olo­gie“ (Makri­des 2008: 274). Mit der aus­schließ­li­chen Ver­eh­rung der Kult­fi­gur gehen zudem die „außer­aka­de­mi­sche Bekannt­ma­chung der Kult­fi­gur und ihre Popu­la­ri­sie­rung“ (Makri­des 2008: 275) ein­her. Dazu kön­nen Theater‑, Film- und Fern­seh­pro­duk­tio­nen sowie popu­lär­wis­sen­schaft­li­che Ein­füh­rungs­li­te­ra­tur (vgl. Makri­des 2008: 275) zäh­len, aber, ins­be­son­de­re unter Berück­sich­ti­gung der digi­ta­len Medi­en, auch the­ma­tisch basier­te Web­sites, audio-visu­el­le Doku­men­ta­tio­nen von Vor­trä­gen, Inter­views und Podi­ums­dis­kus­sio­nen, spe­zi­fi­sche Kanä­le auf Video-Platt­for­men, Grup­pen in sozia­len Netz­wer­ken, Fan­ar­ti­kel und sons­ti­ge ‚Devo­tio­na­li­en‘.

Wei­te­re Cha­rak­te­ris­ti­ka für Kult­fi­gu­ren, die jedoch teil­wei­se nur post­hum zu beob­ach­ten sind, sind die „Zen­tra­li­sie­rung“ der Kult­fi­gur „im Kon­text ihrer Epo­che“ (Makri­des 2008: 274), der Umgang mit dem Nach­lass, „der sehr oft an den pie­tät­vol­len Umgang mit einer Reli­quie im kon­ven­tio­nel­len reli­giö­sen Sin­ne erin­nert“ (Makri­des 2008: 272), die „reli­giö­se Beschrei­bungs­spra­che“ (Makri­des 2008: 275) die teil­wei­se ver­wen­det wird, und die Musea­li­sie­rung der Lebens- und Wir­kungs­stät­ten des jewei­li­gen Den­kers (vgl. Makri­des 2008: 276).

4. Kultische Rezeptionsformen bei Slavoj Žižek

Sla­voj Žižek ist in vie­ler­lei Hin­sicht „kein gewöhn­li­cher slo­we­ni­scher Phi­lo­so­phie­pro­fes­sor“ (Leigh 2011; Übers. d. Verf.). Žižeks Den­ken ver­bin­det Lacan­sche Psy­cho­ana­ly­se, den Deut­schen Idea­lis­mus und post­mar­xis­ti­sches Gedan­ken­gut mit medi­en­theo­re­ti­schen Refle­xio­nen, popu­lär­kul­tu­rel­len Refe­ren­zen und poli­ti­schem Enga­ge­ment. Žižeks ideo­lo­gie­kri­ti­sche Hal­tung gegen­über der für die Gegen­wart dia­gnos­ti­zier­ten Kon­sum­kul­tur und dem libe­ra­len Kapi­ta­lis­mus macht ihn für die poli­ti­sche Rech­te zumin­dest zu einem poli­ti­schen Zyni­ker, wenn nicht zum „gefähr­lichs­ten west­li­chen Phi­lo­so­phen“ (Kirsch 2009; Übers. d. Verf.), und für die poli­ti­sche Lin­ke zu einem Kon­for­mis­ten (vgl. Shar­pe 2010: 243). Žižeks poli­ti­sches Enga­ge­ment, das sich von sei­ner Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­tur 1990 in Slo­we­ni­en (vgl. Shar­pe 2010: 243–244) bis zu sei­nem jüngs­ten Auf­tritt bei der New Yor­ker „Occu­py-Bewe­gung“ (vgl. Gell 2011) erstreckt, ist eng mit sei­nen theo­re­ti­schen Posi­tio­nen ver­bun­den und äußert sich zuneh­mend in sei­nen Publi­ka­tio­nen, die unter ande­rem die Ter­ror­an­schlä­ge vom 11. Sep­tem­ber 2001 und den zwei­ten Irak­krieg the­ma­ti­sie­ren (vgl. Shar­pe 2010: 244). Die­ser ideo­lo­gie­kri­ti­sche Impe­tus, die glo­ba­le Dimen­si­on und die gro­ße Anschluss­fä­hig­keit von Žižeks Den­ken an das tages­po­li­ti­sche Gesche­hen bie­ten einen ers­ten Anhalts­punkt für die Erklä­rung sei­ner Popu­la­ri­tät und des öffent­li­chen Inter­es­ses an dem ‚Phä­no­men Žižek‘.

In Bezug auf die wis­sen­schaft­li­che Auf­merk­sam­keit lässt sich unter Berück­sich­ti­gung der ver­hält­nis­mä­ßig kur­zen Rezep­ti­ons­ge­schich­te von Žižeks Tex­ten ein rela­tiv gro­ßes Inter­es­se ver­zeich­nen. Auch wenn sich kein neu­es For­schungs­pa­ra­dig­ma um Žižeks Theo­rien abzeich­net, so wer­den die­se doch inter­na­tio­nal – wor­auf die Über­set­zung sei­ner Schrif­ten in bis­her 20 Spra­chen hin­weist (vgl. O’Hagan 2010) – und fächer­über­grei­fend (vgl. Bri­vic 2008, Depo­ort­e­re 2008) rezi­piert. Akzep­tiert man die­se quan­ti­ta­ti­ven Kri­te­ri­en als aus­rei­chen­den Beleg für die Leis­tung von Žižeks Theo­rien, so stellt sich im Anschluss die Fra­ge nach einer außer­ge­wöhn­li­chen Rezep­ti­ons­form inner­halb der Wis­sen­schaft, die eine beson­de­re Ver­knüp­fung zwi­schen Leben und Werk auf­weist, nach spe­zi­fi­schen Devi­an­z­er­schei­nun­gen in der Lebens­füh­rung, nach Selbst­in­sze­nie­rungs­stra­te­gien und nach der Aus­schließ­lich­keit des For­schungs­in­ter­es­ses, die Žižek als wis­sen­schaft­li­che Kult­fi­gur beschreib­bar machen könn­ten. Eine Ana­ly­se Žižeks als Kult­fi­gur muss logi­scher­wei­se ohne eini­ge Merk­ma­le, die zur Bestim­mung einer Kult­fi­gur her­an­ge­zo­gen wer­den kön­nen, wie die Fra­ge nach der epo­chen­über­grei­fen­den Wir­kung sei­ner Theo­rien, dem Umgang mit sei­nem Nach­lass und der Musea­li­sie­rung sei­nes Geburts­hau­ses, aus­kom­men. Jedoch kommt gera­de Žižeks Zeit­ge­nos­sen­schaft eine beson­de­re Rol­le im Rah­men sei­ner Wir­kung als Kult­fi­gur zu.

Die wis­sen­schaft­li­che Rezep­ti­on von Žižeks Tex­ten lässt zunächst kei­ne über­mä­ßi­ge Ver­knüp­fung von Leben und Werk erken­nen. Auf­fal­lend ist ledig­lich, dass Žižek in vie­len wis­sen­schaft­li­chen Publi­ka­tio­nen selbst in irgend­ei­ner Wei­se zu Wort kommt, sei es in Form eines Vor­wor­tes (Žižek 2011), eines Nach­wor­tes (Žižek 2007) oder eines eige­nen Bei­trags (Žižek 2008) in einem Sam­mel­band. Den­noch sind es im Fall von Žižek ande­re Merk­ma­le, die sei­ner Eta­blie­rung als Kult­fi­gur zuträg­lich sind. Als ein deut­li­ches Bei­spiel für die Aus­schließ­lich­keit des For­schungs­in­ter­es­ses lässt sich das Inter­na­tio­nal Jour­nal of Žižek Stu­dies (IJŽS) anfüh­ren. Allein der Titel und die Kon­zep­ti­on der frei zugäng­li­chen Online-Zeit­schrift sug­ge­rie­ren die enor­me Bedeu­tung, die der exklu­si­ven Erfor­schung von Žižeks Tex­ten zuge­wie­sen wird. Dar­über hin­aus ist Žižeks Mit­glied­schaft in der Redak­ti­ons­lei­tung ein beson­de­res Merk­mal der Zeit­schrift, das den Ein­druck einer über­mä­ßi­gen Kon­zen­tra­ti­on auf die Titel- und Kult­fi­gur unter­stützt. Den Her­aus­ge­bern ist es ein Anlie­gen, bereits auf der Start­sei­te jeden Zwei­fel an der Objek­ti­vi­tät und Rele­vanz der Publi­ka­ti­on zu zer­streu­en und des­sen Serio­si­tät zu unter­mau­ern: „With a desi­re to avo­id ‘how many Žižeks can dance on the head of a pin?’ types of deba­te, and mere hagio­gra­phy, IJŽS aims to pro­vi­de a valuable resour­ce for tho­se inte­res­ted in his ini­mi­ta­ble brand of cri­ti­cal thought“ (IJŽS). Der Unter­stel­lung einer ‚Hei­li­gen­ver­eh­rung‘ wird hier also expli­zit ent­ge­gen gewirkt, und auch Žižeks Redak­ti­ons­mit­glied­schaft wird posi­tiv aus­ge­legt: „Žižek is ali­ve, which allows him to ans­wer back. […] He rea­di­ly chal­lenges peo­p­le try­ing to sum him up. Hence his pre­sence on the Board of the jour­nal is unsett­ling rather than any­thing else – unsett­ling in a posi­ti­ve way“ (IJŽS). Die Mög­lich­keit, in einen Dia­log ein­zu­tre­ten, stellt zwei­fels­oh­ne einen wün­schens­wer­ten Effekt dar, da dies eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung för­dern kann. Inwie­fern kri­ti­sche Inhal­te durch die­se Ein­fluss­nah­me aber even­tu­ell ver­hin­dert wer­den, bleibt logi­scher Wei­se ver­bor­gen. Der Inhalt der Zeit­schrift lässt jeden­falls erken­nen, dass Žižek selbst die öffent­li­che Platt­form der Zeit­schrift nutzt, wenn­gleich mit­un­ter auch dazu, bio­gra­phi­sche Infor­ma­tio­nen zu kom­men­tie­ren und deren Deu­tung zu beein­flus­sen (vgl. Žižek 2009).

Neben dem Merk­mal der Aus­schließ­lich­keit des For­schungs­in­ter­es­ses, das zumin­dest am Bei­spiel der Zeit­schrift deut­lich zu erken­nen ist, zeich­net sich Žižek sowohl durch gewis­se Devi­an­z­er­schei­nun­gen in sei­ner Lebens­füh­rung, eine kla­re Ten­denz zur Selbst­dar­stel­lung und durch die Popu­la­ri­sie­rung sei­ner Arbei­ten aus, die einer­seits auf die media­le Reprä­sen­ta­ti­on, ander­seits aber auch auf die bewuss­te Ver­knüp­fung popu­lär­kul­tu­rel­ler Refe­ren­zen und theo­re­ti­scher Inhal­te durch Žižek selbst zurück­zu­füh­ren ist. In der media­len Reprä­sen­ta­ti­on wird Žižek zu einer schil­lern­den aka­de­mi­schen Figur sti­li­siert, die mit­un­ter der Lächer­lich­keit preis­ge­ge­ben wird. So gerät das media­le Bild Žižeks zu dem eines intel­lek­tu­el­len ‚Clowns‘, der als „halb Ras­pu­tin, halb Grou­cho Marx“ (Tay­lor 2007; Übers. d. Verf.), als „The Elvis of Cul­tu­ral Theo­ry“ (IJŽS), oder als „The Marx Brot­her“ (IJŽS) beschrie­ben wird. Das medi­al ver­mit­tel­te Bild von Žižek hebt die Idi­or­rhyth­mi­en sei­ner Lebens­füh­rung her­vor, die ihn (gera­de) auch inner­halb des aka­de­mi­schen Main­streams als Exo­ten mar­kie­ren. Neben phy­sio­gno­mi­schen Aspek­ten und sei­nem star­ken Akzent sind es vor allem sein Sinn für Humor, der unter­stell­te Charme des ‚unor­tho­do­xen Intel­lek­tu­el­len‘ und der gro­ße Unter­hal­tungs­wert sei­ner zahl­rei­chen Vor­trä­ge und Auf­trit­te inner­halb und außer­halb der Aka­de­mie (vgl. Oehm­ke 2010), die teil­wei­se den Cha­rak­ter einer cha­ris­ma­ti­schen Erwe­ckungs­pre­digt besit­zen (vgl. Akrap 2011), wel­che genannt wer­den und die sei­ne Lebens­wei­se als devi­ant charakterisieren.

Die media­le Fremd­re­prä­sen­ta­ti­on von Žižek als clow­nes­ke Kult­fi­gur wird stets über­la­gert von sei­ner Selbst­in­sze­nie­rung und sei­nen Pro­vo­ka­tio­nen, die sich bei­spiels­wei­se in sei­ner Vor­lie­be für skato­lo­gi­sche Wit­ze äußert (vgl. Tay­lor 2007). Eben­so wird die enor­me Popu­la­ri­sie­rung Žižeks und sei­ner Ideen sowohl von sei­nen Anhän­gern als auch von ihm selbst betrie­ben. So fun­giert er bei­spiels­wei­se als Prot­ago­nist von zwei bio­gra­phi­schen Doku­men­ta­tio­nen, Žižek! (2005) und Ali­en, Marx & Co. (2010), die aus­schließ­lich sei­ner Per­son und sei­nem Werk gewid­met sind, als Gesprächs­part­ner in der bio­gra­phisch-phi­lo­so­phi­schen Doku­men­ta­ti­on Exami­ned Life (2008) und als Mode­ra­tor der TV-Pro­duk­ti­on The Pervert’s Gui­de to Cine­ma (2009), deren Fort­set­zung The Pervert’s Gui­de to Ideo­lo­gy momen­tan pro­du­ziert wird (vgl. Leigh 2011). Die­se enge Ver­knüp­fung von Leben und Werk, die für eine Deu­tung Žižeks als Kult­fi­gur spricht, wird durch jenes oben benann­te Moment der selbst betrie­be­nen Popu­la­ri­sie­rung und Insze­nie­rung unter­stützt. Als Anspie­lung auf den Titel von Žižeks The Sub­li­me Object of Ideo­lo­gy (1989) fin­det sich auf der Zeit­schrif­ten-Web­site unter der Rubrik „The Sub­li­me Objects of IJŽS“ ein Link (der tref­fen­der Wei­se als „IJŽS objets de kitsch“ beti­telt ist) zu einem Online-Shop, der Žižek-Fan­ar­ti­kel ver­treibt: „‚Purely in a spi­rit of fun‘ and in kee­ping with Žižek’s own irrever­ent style, we have crea­ted a ran­ge of IJŽS-the­med objects that can be purcha­sed online“ (IJŽS). In die­sem Shop fin­den sich so bana­le Din­ge wie T‑Shirts, Unter­ho­sen und Kopf­kis­sen mit dem Logo der Zeit­schrift. Eben­falls im Ange­bot befin­den sich T‑Shirts und ande­re Devo­tio­na­li­en mit der Auf­schrift „WWŽS?“,; ein Akro­nym für die Fra­ge „What would Žižek say?“.

Wie unter­schied­lich die Deu­tun­gen die­ser Über­la­ge­run­gen von Werk und Leben sowie von Fremd- und Selbst­dar­stel­lung aus­fal­len kön­nen, zei­gen die Äuße­run­gen von Žižek in Astra Tay­lors Doku­men­tar­film Žižek! (2005) sowie die ver­schie­de­nen Reak­tio­nen auf die­sen Film. Aus der Sicht sei­ner Anhän­ger dient die media­le Reprä­sen­ta­ti­on der Dis­kre­di­tie­rung sei­ner Ideen (vgl. Tay­lor 2010). So spe­ku­liert Paul Tay­lor: „The media’s appa­rent need to cari­ca­tu­re him […] is per­haps a stra­te­gic dis­trac­tion from the dis­tur­bing impli­ca­ti­ons his work has for our inter­pre­ta­ti­on of popu­lar culture’s expli­cit and impli­cit ideo­lo­gies“ (Tay­lor 2007). Die­se Sicht­wei­se wird durch eine Äuße­rung Žižeks in Žižek! unter­stützt: „I’m almost tempt­ed to say that making me popu­lar is a resis­tance against taking me serious­ly“ (Žižek! 2005). Žižek und sei­ne Anhän­ger leh­nen die media­le Reprä­sen­ta­ti­on, die mehr auf sei­ne Per­son abzielt denn auf die Inhal­te, die er ver­brei­ten möch­te, also einer­seits ab, heben aber ande­rer­seits die per­for­ma­ti­ve Ver­mitt­lung der Inhal­te durch die Per­son als beson­de­res Merk­mal von Žižeks Den­ken und Arbei­ten her­vor. Dies wird in einer Rezen­si­on des Doku­men­tar­fil­mes, die im IJŽS ver­öf­fent­licht wur­de, deut­lich: „The intel­li­gence of the docu­men­ta­ry Žižek! is to pre­sent the phe­no­me­non while taking part in it. […] The case of Žižek – whe­re the medi­um takes the who­le place of the mes­sa­ge – tea­ches us that one and the other are not to be distin­gu­is­hed“ (Lemieux 2008). Im Gegen­satz dazu erscheint Žižeks Sta­tus als „intel­lek­tu­el­ler Super­star“ (Scott 2005; Übers. d. Verf.), den der Betrof­fe­ne zu genie­ßen scheint, in einer ande­re Kri­tik des Fil­mes als „Beleg für die Nei­gung von Aka­de­mi­kern, ins­be­son­de­re in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten, Per­so­nen­kul­te um Theo­re­ti­ker aus frem­den Län­dern zu bil­den“ (Scott 2005; Übers. d. Verf.).

Vor dem Hin­ter­grund die­ser viel­fäl­ti­gen Über­lan­ge­run­gen von Leben und Werk, der media­len Reprä­sen­ta­ti­on sowie Žižeks eige­nen Popu­la­ri­sie­rungs- und Selbst­in­sze­nie­rungs­stra­te­gien lässt sich der Hype um die Per­son Žižeks klar im Kon­text kul­ti­scher Rezep­ti­ons­for­men ver­or­ten. Žižek ist zwei­fel­los ein öffent­li­cher Intel­lek­tu­el­ler, des­sen eben­falls aus Tay­lors Doku­men­tar­film stam­men­de Äuße­rung „I like phi­lo­so­phy as an anony­mous job“ (Žižek! 2005) nur als selbst­iro­ni­scher Kom­men­tar ver­stan­den wer­den kann.

Bibliographie

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Anmerkungen


  1. Im wei­te­ren Ver­lauf wird aus Grün­den der Über­sicht­lich­keit stets die mas­ku­li­ne Genus­form als gene­ra­li­sie­ren­der Begriff ver­wen­det. 
Portrait Philipp Sonntag

Phil­ipp Sonn­tag stu­dier­te Anglis­tik, Phi­lo­so­phie, poli­ti­sche Wis­sen­schaft und „Ethik der Text­kul­tu­ren“ an der Fried­rich-Alex­an­der-Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg. Seit 2010 ist er Lehr­kraft für beson­de­re Auf­ga­ben am Lehr­stuhl für Anglis­tik, ins­be­son­de­re Lite­ra­tur­wis­sen­schaft, und Dok­to­rand im Pro­mo­ti­ons­pro­gramm „Lite­ra­tur und Kultur“.