„Royals“ – Der Kult des inszenierten Königtums

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von Maria Sil­va­na Nede­lea Rusca

Spä­tes­tens seit der könig­li­chen Hoch­zeit von Prin­ce Charles und Lady Dia­na ist die media­le Omni­prä­senz der bri­ti­schen Royals ein augen­schein­li­ches Phä­no­men. Dahin­ge­gen ist die kul­ti­sche Ver­eh­rung bestimm­ter Mit­glie­der der Königs­fa­mi­lie eine Erschei­nung, der kei­ne zeit­li­chen Gren­zen gesetzt sind und die immer neue Nuan­cen und Facet­ten deku­vriert. Im Fol­gen­den sol­len die­se punk­tu­ell kon­tu­riert werden.

1. Einleitung

„Why do you think this gre­at nati­on of ours loves the Roy­al Fami­ly?“ „Gun law. If we did­n’t have it, you’d be asking the oppo­si­te ques­ti­on.“ (Bar­nes 2000: 47)
Wir erle­ben seit frü­hen Zei­ten ein Phä­no­men, das heut­zu­ta­ge als „Kult um Royals“ bezeich­net wer­den könn­te. Zur Ter­mi­no­lo­gie muss jedoch ad inte­rim erwähnt wer­den, dass Kult im Fol­gen­den als eine Ver­eh­rungs­form auf­ge­fasst wird, die sich je nach Epo­che und Kul­tur auf eine beson­de­re Art offen­bart und über die Aus­übung bestimm­ter, nach einem fes­ten Sche­ma ablau­fen­der Hand­lun­gen, den Ritua­len, kon­so­li­diert (vgl. Peters 2008: 162). Dazu gehö­ren Zere­mo­nien wie die Krö­nung oder die Hoch­zeits­pro­zes­si­on, bei denen sowohl ver­ba­le als auch non-ver­ba­le Hand­lun­gen eine signi­fi­kan­te Rol­le spie­len (vgl. Figl 2003: 664f, vgl. Peters 2008: 162). Wie ist die Gene­se der mit dem Kult-Begriff ver­bun­de­nen Ver­eh­rung zu erklä­ren und wie mani­fes­tiert sich die­se zu magisch-obses­si­ven Eigen­schaf­ten ten­die­ren­de Erschei­nung? Kann die Vor­stel­lung eines Kul­tes um Royals für die Dau­er aller Zei­ten petri­fi­ziert, als sta­tisch und all­ge­mein­gül­tig ver­stan­den wer­den, oder ist es eher ange­mes­sen, die­ser kul­ti­schen Ver­eh­rung ein dyna­mi­sches Ele­ment zuzu­wei­sen und dem­nach die Mög­lich­keit einer Ent­wick­lung zu berück­sich­ti­gen? Die­se sind die zen­tra­len Fra­gen, die sich als Leit­fa­den des vor­lie­gen­den Arti­kels her­aus­kris­tal­li­sie­ren las­sen. Dabei erfah­ren in einer dia­chro­nen Ana­ly­se die mit einem Palim­psest zu ver­glei­chen­den Ele­men­te wie die impo­san­ten, Distanz auf­bau­en­den Gemäl­de der Köni­gin Eliza­beth I sowie die schein­bar Trans­pa­renz und Nähe schaf­fen­de Hoch­zeits­pro­zes­si­on ab dem 20. Jahr­hun­dert beson­de­re Berücksichtigung.

2. The Royal Family — Kult als überzeitliche Erscheinung

Wel­che Asso­zia­ti­ons­ket­te löst der Gedan­ke an das bri­ti­sche Königs­haus heut­zu­ta­ge aus? Wel­che Mit­glie­der der Königs­fa­mi­lie wer­den in die­sem Zusam­men­hang als reprä­sen­ta­tiv betrach­tet? Eini­ge wer­den an Köni­gin Eliza­beth II den­ken, ande­re wer­den sich Lady Dia­nas Bild ver­ge­gen­wär­ti­gen, und ange­sichts des mar­kan­ten Ereig­nis­ses 2011, der „Roy­al Wed­ding“, wird bestimmt auch Cathe­ri­ne Mount­bat­ten-Wind­sor (geb. Cathe­ri­ne Eliza­beth „Kate“ Midd­le­ton) unter den am häu­figs­ten genann­ten Namen sein. Aus­ge­hend jedoch von John Lockes Beob­ach­tung, dass der Mensch nicht ewig bei einem ein­zi­gen Gedan­ken ver­wei­len kann (vgl. Locke 1812: 168) und in Anleh­nung an Lau­rence Ster­nes Apho­ris­mus „gre­at wits jump“ (Ster­ne 2009: 112) kann in die­sem Zusam­men­hang behaup­tet wer­den, dass der Gedan­ke an das bri­ti­sche Königs­haus einer kalei­do­skop­ar­ti­gen Per­spek­ti­vie­rung ähnelt. Auf onto­lo­gi­scher Ebe­ne han­delt es sich näm­lich bei dem Gesamt­bild des­sen, was das bri­ti­sche Königs­haus für jedes ein­zel­ne Indi­vi­du­um aus­macht, um ein Kon­glo­me­rat ver­schie­dens­ter Ele­men­te, die simul­tan wahr­ge­nom­men wer­den und zu einem unzer­trenn­li­chen Ensem­ble fusio­nie­ren. Reprä­sen­ta­ti­ve Funk­ti­on erhal­ten dabei neben zeit­ge­nös­si­schen Per­sön­lich­kei­ten auch signi­fi­kan­te his­to­ri­sche Ereig­nis­se und die damit ver­bun­de­nen gro­ßen Namen, so dass die­sem Refle­xi­ons­vor­gang die Auf­lö­sung der Zeit­di­men­si­on inhä­rent ist.
Doch was trägt dazu bei, dass heut­zu­ta­ge Per­sön­lich­kei­ten wie Köni­gin Eliza­beth II, Lady Di oder Kate Mount­bat­ten-Wind­sor so gro­ßes Inter­es­se erre­gen, Ver­eh­rung erfah­ren und sogar reprä­sen­ta­ti­ve Funk­ti­on erlan­gen, dass sie schließ­lich als Kul­t­er­schei­nun­gen bezeich­net respek­ti­ve zu Kult­fi­gu­ren sti­li­siert wer­den? Und wie ist die magi­sche, Fas­zi­na­ti­on evo­zie­ren­de Aura der Köni­gin Eliza­beth I und damit die immer noch schein­bar unge­bro­che­ne roya­le Fas­zi­na­ti­on in Bezug auf das 16. Jahr­hun­dert zu erklä­ren, die sich vor allem in der kon­ti­nu­ier­li­chen Rezep­ti­on des Eli­sa­be­tha­ni­schen Zeit­al­ters durch zeit­ge­nös­si­sche Kult­se­ri­en wie The Tudors und The Vir­gin Queen sowie im Block­bus­ter Eliza­beth niederschlägt?

2.1 Gemälde als Palimpsest — Der Kult um Königin Elizabeth I

Eine geeig­ne­te Annä­he­rung an das Phä­no­men Eliza­beth I bie­ten zunächst die viel­fach sym­bo­lisch auf­ge­la­de­nen Gemäl­de (vgl. Suer­baum 1989: 116), deren Ver­frem­dungs­cha­rak­ter von einer magisch-mys­ti­schen Aura beglei­tet wird. Alle Por­träts trans­por­tie­ren die Rät­sel­haf­tig­keit und die Magie, indem sie immer wie­der neue, sich aus dem his­to­ri­schen Kon­text erge­ben­de Ele­men­te mit Basis­sym­bo­len wie den Per­len – Zei­chen der Jung­fräu­lich­keit (vgl. Suer­baum 1989: 118) – zu einem neu­en Gan­zen ver­schmel­zen las­sen. Dabei kom­men sie einem Palim­psest nahe, „[…] eine[r] philologische[n] Meta­pher, die Par­al­le­len zur geo­lo­gi­schen Meta­pher der Schich­tung auf­weist.“ (Ass­mann 2007: 111) Sowohl das Arma­da Por­trait (1588) als auch das Rain­bow Por­trait (1600) und das Coro­na­ti­on Por­trait (1600) insze­nie­ren eine Frau, die sich erfolg­reich gegen den natür­li­chen Alte­rungs­pro­zess durch­setzt und para­do­xer­wei­se immer jün­ger zu wer­den scheint (vgl. auch Suer­baum 1989: 199f). Die pracht­vol­len Klei­der kön­nen mit einer visu­el­len Geschich­te ver­gli­chen wer­den: Die fili­gra­nen Sti­cke­rei­en sowie die für den zeit­ge­nös­si­schen Betrach­ter als rät­sel­haft emp­fun­de­nen Details sind nicht als sinn­ent­leert und dem­nach als l’art pour l’art zu betrach­ten, son­dern die­nen auf­grund ihres kom­ple­xen Zei­chen­cha­rak­ters als Inter­pre­ta­ti­ons­sti­mu­li. Die Klei­der ste­hen somit in ihrer Dyna­mik dem einer Iko­ne ähneln­den Gesicht gegen­über, wodurch der Ver­frem­dungs­ef­fekt der Gemäl­de ver­stärkt wird. An die­ser Stel­le wird bereits ersicht­lich, dass sich das eli­sa­be­tha­ni­sche Zeit­al­ter durch die Freu­de am Ludis­mus, die Ver­bin­dung von Oppo­si­tio­nen sowie die Fas­zi­na­ti­on für Ambi­gui­tät und Ambi­va­lenz kenn­zeich­net (vgl. auch Suer­baum 1989: 534) – Schlüs­sel­fak­to­ren, auf die sich die Ent­ste­hung des Kul­tes um Eliza­beth I in ihrer Regie­rungs­zeit zurück­füh­ren lässt.

Dar­über hin­aus kann die­se Ambi­va­lenz auch in der Figur der Köni­gin selbst fest­ge­hal­ten wer­den. Zwar insze­nier­te sich Eliza­beth I in den Bil­dern als zeit­lo­ses, gott­ähn­li­ches Wesen, aber im All­tag streb­te sie eine enge Ver­bin­dung zum Volk an. Die Bereit­schaft der Köni­gin, sich für ihr Volk zu opfern und alles zuguns­ten des Gemein­wohls zu unter­neh­men, wird an einer viel zitier­ten Stel­le ihrer berühm­ten Anspra­che vor den Trup­pen in Til­bu­ry im Jah­re 1588 deutlich:

I know I have the body of a weak and
feeb­le woman, but I have the heart and
sto­mach of a king – and of a king of
Eng­land, too. I think foul scorn that
Par­ma […] or Spain, or any prin­ce
of Euro­pe should dare to inva­de the
bor­ders of my realm. To which, rather
than any dis­ho­nor shall grow by men, I
mys­elf will take up arms. I mys­elf
will be your gene­ral, judge, and
rewar­der.
(Wies­ner-Hanks 2005: 101)

Köni­gin Eliza­beth I, die eine Kom­bi­na­ti­on aus Stär­ke, Durch­set­zungs­ver­mö­gen und weib­li­cher Ele­ganz ver­kör­per­te, gelang es, aus Eng­land ein flo­rie­ren­des Land zu machen und vor allem erneut Gemein­schaft zu stif­ten, ein Ziel, das sie bereits bei ihrer pom­pö­sen Krö­nungs­pro­zes­si­on 28 Jah­re frü­her erreicht hat­te (vgl. Suer­baum 1989: 121). Heut­zu­ta­ge sym­bo­li­siert Eliza­beth I immer noch die unkon­di­tio­nier­te Lie­be zum Vater­land, da die­ses Gefühl durch sie im 16. Jahr­hun­dert initi­iert und pro­pa­giert wur­de: „Eng­land war […] das Land, des­sen Anders­ar­tig­keit am stärks­ten emp­fun­den wur­de; es erschien Aus­län­dern als zugleich fas­zi­nie­rend und fremd, in man­cher Hin­sicht bewun­derns­wert, in man­cher aber auch kuri­os und unver­ständ­lich.“ (Suer­baum 1989: 521)

2.2 Die Hochzeitsprozession als Zitat

Ange­sichts der Tat­sa­che, dass das Ritu­al einen essen­ti­el­len Bestand­teil des Kul­tes dar­stellt, wird im Fol­gen­den anhand einer dia­chro­nen Vor­ge­hens­wei­se das Ritu­al der Hoch­zeits­pro­zes­si­on unter­sucht. Die­se voll­zieht sich jedes Mal nach einem genau fest­ge­leg­ten Sche­ma, die Varia­ti­on besteht dar­in, dass die Akteu­re ande­re sind. Der Ablauf eig­net sich dem­nach als Zitat: Das Volk war­tet enthu­si­as­tisch auf die Ehe­leu­te, die auf die Minu­te genau in die West­mins­ter Abbey oder in die St. Paul’s Cathe­dral ein­zie­hen, wo die Trau­ung vom Erz­bi­schof von Can­ter­bu­ry voll­zo­gen wird. Anschlie­ßend ver­lässt das frisch­ver­mähl­te könig­li­che Braut­paar das Got­tes­haus und begibt sich mit der Kut­sche auf den Weg zum Buck­ing­ham Palace, wo die Queen, das Braut­paar und die engs­ten Fami­li­en­mit­glie­der auf den Bal­kon des Palas­tes tre­ten und der Anblick des lang­ersehn­ten Kus­ses end­lich von den Zuschau­ern genos­sen wer­den kann. Dabei han­delt es sich um einen magi­schen Moment, der die sonst unüber­brück­ba­re Kluft zwi­schen dem ein­fa­chen Volk und den blau­blü­ti­gen Hohei­ten, die nicht zuletzt auch durch die räum­li­che Situ­ie­rung der Aktan­ten zuein­an­der akzen­tu­iert wird, auf­zu­he­ben scheint. Im Gegen­satz zu einer rein rezep­ti­ven Hal­tung, die auf die Betrach­tung der sym­bo­lisch auf­ge­la­de­nen Gemäl­de, die Eliza­beth I zei­gen, ange­wandt wer­den kann, weist das Hoch­zeits­ri­tu­al einen kom­mu­ni­ka­ti­ven, per­for­ma­ti­ven Cha­rak­ter auf, denn es ermög­licht die Ent­ste­hung einer unmit­tel­ba­ren Inter­ak­ti­on, auch wenn dies eine Illu­si­on ist. Dar­über hin­aus han­delt es sich um eine Insze­nie­rung, die als „[…] Schlüs­sel­be­griff eines kon­struk­ti­vis­ti­schen Welt­ver­ständ­nis­ses [deter­mi­niert wer­den kann], dem­zu­fol­ge Wirk­lich­keit nicht vor­find­lich exis­tiert, son­dern per­for­ma­tiv her­ge­stellt wird […]“ (Ass­mann 2007: 162), da sich alles inner­halb eines kon­stru­ier­ten Rah­mens abspielt. Den­noch wer­den die­se Momen­te von der Men­schen­mas­se als Chan­ce wahr­ge­nom­men, aktiv am Leben des bri­ti­schen Königs­hau­ses teil­zu­ha­ben und so am Glück der Königs­fa­mi­lie – einer ihnen frem­den, obsku­ren Welt – zu partizipieren.

2.2.1 Die königliche Hochzeit 1947 und der Kult um Elizabeth II

War­um war Eliza­beth II in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts bei vie­len Men­schen so beliebt – und ist es heu­te noch? Bereits in ihrer Jugend bewies die Prin­zes­sin ihre Fähig­keit und ihre Bereit­schaft, sich für ihr Volk ein­zu­set­zen. Sie ver­kör­per­te den bene­vo­len­ten, phil­an­thro­pen Men­schen schlecht­hin und wies beson­de­re Qua­li­tä­ten auf, die für ihr Pres­ti­ge von ekla­tan­ter Bedeu­tung waren. Da die Mon­ar­chie den Rah­men bil­det, inner­halb des­sen sich der Kult um Royals her­aus­kris­tal­li­siert, kann die Queen als Stütz­säu­le die­ses Kon­struk­tes betrach­tet wer­den. Eliza­beth II sym­bo­li­siert Sta­bi­li­tät und Har­mo­nie, Attri­bu­te, die sich auch ihrer lang­jäh­ri­gen, glück­li­chen, skan­dal­frei­en Ehe ver­dan­ken. Im Win­ter des Jah­res 1947 hei­ra­te­te Prin­zes­sin Eliza­beth am 20. Novem­ber den bri­ti­schen Kriegs­ma­ri­ne­of­fi­zier Lt. Sir Phil­ip Mount­bat­ten, ihren Cou­sin drit­ten Gra­des. Mil­lio­nen von Men­schen ver­folg­ten die Hoch­zeit ent­we­der vor Ort (vgl. BBC) oder im Radio. Sechs Jah­re spä­ter wur­de die Krö­nungs­pro­zes­si­on sogar zum ers­ten Mal welt­weit über­tra­gen (Gre­at Bri­tain 1991: 5).

Allein der Anblick des Braut­paa­res, das so viel Glück und Zufrie­den­heit aus­strahl­te, bestä­tig­te damals, dass es sich um kei­ne arran­gier­te Ehe han­del­te, son­dern um eine Lie­bes­ver­bin­dung. Ange­sichts des his­to­ri­schen Kon­tex­tes der unmit­tel­bar vor­aus­ge­gan­ge­nen Kata­stro­phe des Zwei­ten Welt­krie­ges war die Hoch­zeit für die Men­schen­mas­se ein Anlass zur Freu­de, da sie mit dem frisch­ver­mähl­ten Paar eine gesell­schaft­li­che Wie­der­ge­burt sowie Hoff­nung auf Nach­wuchs und damit auf die Kon­ti­nui­tät der Mon­ar­chie assoziierte.

2.2.2 Die königliche Hochzeit 1981 und der Diana-Kult

Die könig­li­che Hoch­zeit von Prin­ce Charles und Dia­na Spen­cer, die am 29. Juli 1981 statt­fand und dies­mal nicht mehr in der West­mins­ter Abbey zele­briert wur­de, son­dern in der St. Paul’s Cathe­dral, zog erst­mals welt­wei­te Auf­merk­sam­keit auf sich. Mit gro­ßem Enthu­si­as­mus und vol­ler Erwar­tung ver­folg­ten über 750 Mil­lio­nen Men­schen die Fei­er­lich­kei­ten (vgl. Ber­ends 2006), ohne dabei ahnen zu kön­nen, dass das ver­meint­li­che Glück des Braut­paa­res nur von kur­zer Dau­er sein würde.

Die Hoch­zeits­fei­er von Charles und Dia­na war in viel­fa­cher Hin­sicht kul­tisch auf­ge­la­den und avan­cier­te dadurch zu dem Para­dig­ma roya­ler Phan­tas­men: Nicht nur die Kut­sche fun­gier­te bei die­ser Auf­füh­rung als mär­chen­haf­tes Ele­ment, son­dern auch die Braut selbst. Zwar stamm­te Dia­na aus einer Adels­fa­mi­lie, aber ihr Beruf als Kin­der­gärt­ne­rin, ihre Schüch­tern­heit und Beschei­den­heit ver­lie­hen der Vor­stel­lung vom bri­ti­schen Königs­haus eine neue und frem­de, aber zugleich fas­zi­nie­ren­de Dimen­si­on: „She made the roy­al fami­ly human […]“, kon­sta­tiert Schrift­stel­le­rin Moni­ca Ali rück­bli­ckend in einem Inter­view zu Beginn des Jah­res 2011 (Ali 2011). Dia­na stärk­te die Bezie­hung der könig­li­chen Fami­lie zum Volk, da sie das Bin­de­glied zwi­schen die­sen zwei ver­schie­de­nen Sphä­ren ver­kör­per­te. Plötz­lich war es für Mil­lio­nen von Frau­en auf der gan­zen Welt mög­lich, sich mit einem Mit­glied der Königs­fa­mi­lie zu iden­ti­fi­zie­ren, zusam­men mit die­sem einen ver­meint­lich mär­chen­haf­ten Traum zu erle­ben und die eige­nen Sehn­süch­te auf die­se Per­son zu pro­ji­zie­ren. Die Queen trat in den Hin­ter­grund, und die Prin­zes­sin von Wales rück­te in den Fokus öffent­li­cher und media­ler Auf­merk­sam­keit, wobei sie auch selbst die Nähe zum Publi­kum such­te und sich dazu bereit erklär­te, sich den Jour­na­lis­ten zu offen­ba­ren (vgl. Coward 2008: 129). Jeder Schritt, den die Prin­zes­sin mach­te, wur­de akri­bisch ver­folgt. Spä­ter tru­gen die viel­fäl­ti­gen Skan­da­le, der Tabu­bruch der schließ­lich erfol­gen­den Schei­dung, die offe­ne Dis­kus­si­on über Dia­nas Krank­heit sowie das Lei­den zur Kon­so­li­die­rung ihres Kult­sta­tus bei, und sie wur­de zur ‚people’s prin­cess‘, wie sie häu­fig genannt wird. Die Tat­sa­che, dass die mit ihrem Leben ver­bun­de­nen Ereig­nis­se in zahl­rei­chen Büchern und Fil­men the­ma­ti­siert und pro­ble­ma­ti­siert wer­den, gilt als Indi­ka­tor dafür, dass sie als Kult­phä­no­men betrach­tet wer­den kann. Die­ser Sta­tus wur­de durch den mythisch umrank­ten Tod – ein kon­sti­tu­ti­ves Ele­ment für die Eta­blie­rung von Kult­stars in der (Post)Moderne – wei­ter zementiert.

2.2.3 Die königliche Hochzeit 2011 und Catherine Mountbatten-Windsor als Diana-Nachfolgerin

Von einer magi­schen Aura umge­ben war auch das könig­li­che Event 2011, die Trau­ung von Wil­liam und Kate, die am 29. April als pom­pö­ses Spek­ta­kel für ein Drit­tel der Welt­be­völ­ke­rung insze­niert wur­de (vgl. Bouar­rouj 2011). Auf­fal­lend war bei die­ser Hoch­zeits­pro­zes­si­on das Zusam­men­spiel von Tra­di­ti­on und Inno­va­ti­on, da ein noch stär­ker aus­ge­präg­tes Gefühl der Nähe der könig­li­chen Fami­lie zum Volk erzeugt wur­de und außer­dem eine illu­so­ri­sche Trans­pa­renz zu herr­schen schien. Ange­sichts der Tat­sa­che, dass die Lie­bes­ge­schich­te von Wil­liam und Kate in den letz­ten Jah­ren von den Medi­en minu­ti­ös doku­men­tiert wur­de, konn­te die Prä­senz des Ver­frem­dungs­ele­ments, der­je­ni­gen Distanz oder Obsku­ri­tät, die frü­her mit jeder könig­li­chen Trau­ung asso­zi­iert wor­den wäre, nicht deut­lich wahr­ge­nom­men wer­den. Die Begeis­te­rung der Anwe­sen­den sowie ihre Reak­ti­on beim Anblick des Braut­paa­res reprä­sen­tier­ten eine ver­meint­li­che Ver­traut­heit mit dem Braut­paar, die viel­leicht als Movens der Ent­fal­tung ihrer kul­ti­schen Ver­eh­rung fun­gie­ren kann.

Ähn­lich wie bei den ande­ren Königs­paa­ren mach­te die Braut auch dies­mal Furo­re. Den­noch war sie nicht der ein­zi­ge Publi­kums­ma­gnet, denn Phil­ip­pa „Pip­pa“ Midd­le­ton, Kates Schwes­ter und Braut­jung­fer, lös­te bei der Trau­ung eine uner­war­te­te enig­ma­ti­sche Fas­zi­na­ti­on aus. Sie gehört zwar nicht zum Königs­haus, aber sie ist plötz­lich seit der Hoch­zeit zur Medi­en­at­trak­ti­on gewor­den (vgl. Brennan 2011) und scheint all­mäh­lich Kult­sta­tus zu ent­wi­ckeln, eine Beob­ach­tung, die eine post­mo­der­ne Aus­dif­fe­ren­zie­rung und Dekon­struk­ti­on der Beschrän­kung des Kul­tes auf Royals zum Vor­schein bringt. Han­delt es sich in ihrem Fall um wah­ren Kult oder ver­dankt sich die Ver­eh­rung, die sie erfährt, der Kon­tin­genz, wodurch der von ihr aus­ge­lös­te Zau­ber einer eph­eme­ren Erschei­nung nahe­kä­me? Ihre Schwes­ter betref­fend kann der öffent­li­chen Bewun­de­rung trotz kri­ti­scher Stim­men nach­ge­spürt wer­den, die sie im Lau­fe der Jah­re als berech­nend zu eti­ket­tie­ren ver­such­ten. Einer­seits erfährt Kate auf­grund ihrer Kraft Hoch­ach­tung, sich mit­hil­fe ihrer Ziel­stre­big­keit und Kon­se­quenz in einer für das Gros der Mensch­heit frem­den Welt durch­zu­set­zen. Ande­rer­seits wird sie ver­ehrt, weil sie an Lady Di erin­nert und ähn­lich wie die ehe­ma­li­ge Prin­zes­sin von Wales eine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur mit Vor­bild­cha­rak­ter reprä­sen­tiert. Kate ist bereits vor der Hoch­zeit zur Mode­iko­ne sti­li­siert wor­den. Die Herz­lich­keit und die Ele­ganz sind nur zwei der zahl­rei­chen Eigen­schaf­ten, die sie kenn­zeich­nen und die für vie­le Frau­en als nach­zu­ei­fern­des Vor­bild gel­ten. Des Wei­te­ren wird Kate zu Dia­nas Nach­fol­ge­rin sti­li­siert. Der Kult um Dia­na soll in der Lie­bes­ge­schich­te von Wil­liam und Kate fort­ge­setzt und wei­ter tra­diert wer­den. Schließ­lich wur­de medi­en­wirk­sam in einem Inter­view bekannt gege­ben, dass Kate Dia­nas Ver­lo­bungs­ring erhielt und wei­te­re media­le Quel­len pro­pa­gie­ren dar­über hin­aus, dass zudem ein Stück von Dia­nas Braut­kleid in Kates Hoch­zeits­ro­be ein­ge­näht wor­den sein soll (vgl. Adel Exklu­siv 2011).

Das Hoch­zeits­fie­ber pack­te nicht nur das Königs­haus oder die Bri­ten, son­dern Men­schen auf der gan­zen Welt, die schon eini­ge Mona­te vor der Trau­ung damit began­nen, in den Online-Shops nach Hoch­zeits­sou­ve­nirs zu stö­bern. Ob es sich um die Hoch­zeits­prot­ago­nis­ten Wil­liam und Kate in Minia­tur­aus­ga­be han­del­te oder um Por­zel­lan, Spiel­kar­ten, Bade­tü­cher, Kalen­der, Bücher oder Tee, alle Vor­lie­ben wur­den bedient. Noch nie zuvor haben sowohl renom­mier­te Labels als auch klei­ne Unter­neh­mer von einer könig­li­chen Hoch­zeit in sol­chem Maß pro­fi­tiert und noch nie zuvor wur­de eine könig­li­che Hoch­zeit in sol­chem Maß ver­mark­tet. Die Käu­fer betrach­te­ten den Erwerb die­ser Pro­duk­te als Chan­ce, am Glück des Königs­hau­ses teil­zu­ha­ben. Damit war das Gefühl der Zuge­hö­rig­keit zur Königs­fa­mi­lie her­ge­stellt sowie die Vor­stel­lung ver­bun­den, dass sie selbst dadurch Teil des gro­ßen Spek­ta­kels sein könnten.

3. Résumé

Die bri­ti­sche Königs­fa­mi­lie steht für Geschich­te, Tra­di­ti­on und sym­bo­li­siert natio­na­le Ein­heit und Zusam­men­ge­hö­rig­keit. Vie­le Bri­ten behar­ren auf den Glau­ben, die Mon­ar­chie stel­le einen zen­tra­len Bestand­teil ihrer eige­nen Iden­ti­tät dar. Die Vor­stel­lung, dass es die Mon­ar­chie nicht mehr gäbe, wäre für die­se Men­schen mit einem Gefühl der see­li­schen Lee­re ver­bun­den (vgl. Gre­at Bri­tain 1991: 1f). Zere­mo­nien wie die Krö­nungs- oder die Hoch­zeits­pro­zes­si­on, die einen Ritual­cha­rak­ter auf­wei­sen, gewäh­ren einem inter­na­tio­na­len Publi­kum einen Ein­blick in die fas­zi­nie­ren­de, frem­de, uner­reich­ba­re Welt des Königs­hau­ses. Von Neu­gier­de beherrscht las­sen sich die Men­schen aus der gan­zen Welt die Chan­ce nicht ent­ge­hen, an sol­chen Ritua­len teil­zu­neh­men und in eine Sphä­re ein­zu­tau­chen, in der alles per­fekt zu sein scheint und mit der sie Sta­bi­li­tät und Sicher­heit assoziieren.

Frü­her war es nicht mög­lich, sich mit einem Mit­glied der Königs­fa­mi­lie zu iden­ti­fi­zie­ren, und der Kult um Eliza­beth I zeich­ne­te sich durch Ver­frem­dung und Opa­zi­tät aus. Durch die Ent­wick­lung der Medi­en (vgl. Gre­at Bri­tain 1991: 5) und ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund des Wan­dels der Wert­maß­stä­be, der sich in der Auf­nah­me Dia­na Spen­cers und Kate Midd­le­tons in die Königs­fa­mi­lie sowie in deren Ver­eh­rung wider­spie­gelt, wur­de der Zugang zu der roya­len Welt ermög­licht und ein Gefühl von ver­meint­li­cher Trans­pa­renz ver­mit­telt. In die­sem Zusam­men­hang wird ersicht­lich, dass kul­ti­sche Ver­eh­rung ein epo­chen­spe­zi­fi­sches Phä­no­men ist, das einem his­to­ri­schen Wan­del unter­liegt und dem­nach eine beson­de­re Dyna­mik auf­weist. Über das Medi­um Inter­net kön­nen die Men­schen nun sogar ver­meint­lich mit den Royals in direk­ten Kon­takt tre­ten, sich vir­tu­el­len Gemein­schaf­ten anschlie­ßen und selbst aktiv an der Kult­bil­dung par­ti­zi­pie­ren. Den­noch muss gefragt wer­den: Ist die­se Trans­pa­renz, die­se Nähe zur Königs­fa­mi­lie real oder eine Insze­nie­rung? Kann es sein, dass die manch­mal leicht zu Obses­si­on nei­gen­de Ver­eh­rung der Königs­fa­mi­lie, die durch die Medi­en pro­pa­giert wird, irgend­wann dazu füh­ren könn­te, dass die wah­re Signi­fi­kanz der Zere­mo­nien in Ver­ges­sen­heit gerät und schließ­lich nur der Rah­men, das insze­nier­te Spek­ta­kel von Bedeu­tung ist? Den Wor­ten von Juli­an Bar­nes ist eine sol­che Über­le­gung bereits inhä­rent: „Reli­gi­on decays, the icon remains; a nar­ra­ti­ve is for­got­ten, yet its repre­sen­ta­ti­on still magne­ti­zes […].“ (Bar­nes 2009: 133)

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Wei­ter­füh­ren­de Lite­ra­tur zum Kult-Begriff:

Rit­ter, Joachim/ Grün­der, Karl­fried (Hg.): His­to­ri­sches Wör­ter­buch der Phi­lo­so­phie. Band 4: I‑K. Darm­stadt: Wis­sen­schaft­li­che Buch­ge­sell­schaft, 1976. S. 1300–1309.

Portrait Maria Silvana Nedelea Rusca

Maria Sil­va­na Nede­lea Rus­ca, Jahr­gang 1984, stu­diert Eng­lisch und Deutsch für das Lehr­amt an Gym­na­si­en an der Fried­rich-Alex­an­der-Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg. Seit April 2010 ist sie als stu­den­ti­sche Hilfs­kraft am Lehr­stuhl für Anglis­tik (The Shaf­tes­bu­ry Pro­ject) tätig.