„Der Kultbegriff: Ein anthropologischer und soziohistorischer Definitionsversuch“

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von Lydia Maria Taylor

Das Phä­no­men ‚Kult‘ ist gegen­wär­tig kaum zu über­hö­ren geschwei­ge denn zu über­se­hen. Aber was genau ver­birgt sich hin­ter dem four-let­ter-word ‚Kult‘ und wie­so ist es in sei­ner wis­sen­schaft­li­chen Brauch­bar­keit und popu­lä­ren Ver­wen­dung nach wie vor umstrit­ten? Um die­se und ande­re Fra­gen genau­er erläu­tern zu kön­nen, hat sich der vor­lie­gen­de Bei­trag auf eine (klei­ne) his­to­ri­sche Spu­ren­su­che bege­ben, um den Ursprung und die Bedeut­sam­keit des Kult­be­griffs inner­halb der mensch­li­chen Zivi­li­sa­ti­ons­ge­schich­te auf­zu­ar­bei­ten und zu skizzieren.

1. Einleitung: Kult oder nicht Kult? Das ist hier die Frage!

Kult ist ein facet­ten­rei­ches, poly­se­mes Wort und kann je nach Kon­text unter­schied­lich de- und kon­no­tiert sein. Das Kurio­sum Kult scheint dem bewähr­ten Alles-oder-Nichts-Prin­zip zu fol­gen, d.h. alles kann, aber nichts muss sich zwangs­läu­fig zu einem Kult ent­wi­ckeln. Für gewöhn­lich wer­den Per­so­nen oder Objek­te rela­tiv schnell mit dem Prä­di­kat Kult ver­se­hen. Wor­te wie Kult­buch, Kult­film, Kult­mar­ke oder Kult­sta­tus wer­den ger­ne und häu­fig vor­ei­lig in den Raum gewor­fen. An der Fra­ge, was wann wie­so und für wen zum Kult wird, schei­den sich immer noch die Geis­ter. Grund­sätz­lich lässt sich fest­hal­ten, dass Kul­te einen Teil der con­di­tio huma­na darstellen.

Im Fol­gen­den soll erör­tert wer­den, wel­che anthro­po­lo­gi­schen Aspek­te und wel­che kul­tu­rel­len und reli­giö­sen Tra­di­tio­nen sich in Kul­ten mani­fes­tie­ren, wel­ches die cha­rak­te­ris­ti­schen Merk­ma­le eines Kul­tes sind und wie­so eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der gegen­wär­ti­gen Ver­wen­dung des Begriffs ‚Kult‘ erfor­der­lich ist.

2. Versuch einer Explikation und Konkretisierung des Begriffs ‚Kult‘

2.1 Begriffsgeschichte

Wirft man einen Blick auf die Ety­mo­lo­gie des Wor­tes ‚Kult‘, so wird schnell ersicht­lich, dass sei­ne Bedeu­tung ursprüng­lich nicht christ­lich geprägt ist. Grund­sätz­lich lässt sich eine enge Ver­wandt­schaft der Wör­ter ‚Kul­tur‘ und ‚Kult‘ kon­sta­tie­ren. Bei­de Ter­mi­ni haben den glei­chen latei­ni­schen Wort­stamm cul­tus ‚Anbau‘, ‚Bear­bei­tung‘, ‚Pfle­ge‘, der wie­der­um auf dem latei­ni­schen Verb cole­re ‚anbau­en‘, ‚bear­bei­ten‘, ‚bestel­len‘ fußt. Das latei­ni­sche Wort ist indes nicht auf den land­wirt­schaft­li­chen Acker­bau limi­tiert, son­dern beinhal­tet mit dem latei­ni­schen cul­tus deorum bereits auch die reli­giö­se Pra­xis der Anbe­tung und Ver­eh­rung von Göt­tern. (vgl. Schmidt-Big­ge­mann 1976: 1300)

Ein kom­pri­mier­ter his­to­ri­scher Abriss ver­deut­licht, dass eine Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen einem christ­li­chen und nicht­christ­li­chen Kult­ver­ständ­nis unab­ding­bar ist, um das Bewusst­sein für einen plu­ra­len Kult­be­griff zu schär­fen, der als eine Errun­gen­schaft der grie­chi­schen und römi­schen Kul­tur zwi­schen heid­ni­schen Bräu­chen und Sit­ten sowie jüdi­schen und christ­li­chen Tra­di­tio­nen oszil­liert. Weg­wei­send für die Über­nah­me des Kult­be­grif­fes in das Chris­ten­tum ist die von Augus­ti­nus ein­ge­führ­te Wen­dung cul­tus dei für die mono­the­is­ti­sche Got­tes­ver­eh­rung. Die­se wird spä­ter noch erwei­tert und ergänzt von Tho­mas von Aquin, der die fun­da­men­ta­le Unter­schei­dung zwi­schen dem äuße­ren und inne­ren Kult (cul­tus exte­ri­or vs. cul­tus inte­ri­or) ein­führt, die einen ers­ten wich­ti­gen Schritt auf dem Weg zum moder­nen Wort­ge­brauch markiert.

Die moder­ne Defi­ni­ti­on des Begriffs ‚Kult‘ hat pri­ma facie nur noch wenig mit der vor­nehm­lich christ­li­chen Ver­wen­dung gemein. Mit Beginn der Moder­ne tritt der Kult­be­griff ver­stärkt mit neu­en kul­tu­rel­len und sozia­len Bewe­gun­gen, aber auch poli­ti­schen Ent­wick­lun­gen in Erschei­nung. Spä­tes­tens seit dem 19. Jahr­hun­dert sind Kul­te nicht mehr vor­ran­gig reli­giö­ser Natur, son­dern fin­den sich ver­mehrt in Kunst, Kul­tur und Poli­tik. Auch der viel zitier­te post­mo­der­ne Wer­te­wan­del hat sich auf die Ver­wen­dung des Kult­be­grif­fes aus­ge­wirkt. Mit der Ent­ste­hung der Pop­kul­tur Ende der 50er und Anfang der 60er Jah­re sowie dem Anbruch der Post­mo­der­ne ent­wi­ckelt sich der Kult zu einem essen­ti­el­len Ele­ment des Popu­lä­ren. Unse­re Zeit ist geprägt von säku­la­ren Kul­ten, die immer wie­der mit neu­en Bedeu­tungs­in­hal­ten auf­ge­la­den wer­den und auf man­nig­fal­ti­gen Ver­eh­rungs­prak­ti­ken basieren.

Gekop­pelt an neu­ar­ti­ge sozia­le und poli­ti­sche Erschei­nun­gen ver­lässt Kult den seman­ti­schen Raum christ­li­cher Reli­gi­on, von Reli­gi­on über­haupt, und neue Bedeu­tungs­va­ri­an­ten und Ver­eh­rungs­ges­ten ent­ste­hen um säku­la­re Kult­fi­gu­ren und Kult­ge­gen­stän­de: Genie­kult, Per­so­nen­kult, Star­kult, Kult­film. ‚Kult‘ wird zur Chif­fre für For­men hoher ‚emo­tio­na­ler Ver­ge­mein­schaf­tung‘ im nicht­re­li­giö­sen Bereich (Mohr 2001/2010: 505).

2.2 Eine Definition des Begriffes ‚Kult‘

Die über­wie­gen­de Mehr­heit der Kul­te wei­sen drei essen­ti­el­le Merk­ma­le auf: Ers­tens ein Objekt, einen Ort oder eine Per­son, auf das/den/die sich der Kult kon­zen­triert; zwei­tens eine Zahl von mehr oder weni­ger ritua­li­sier­ten Hand­lun­gen; drit­tens eine Anhän­ger­schaft, die die­se regel­mä­ßig aus­führt. „Im Begriff cul­tus ist die ‚Rich­tig­keit‘ der Hand­lung nach den Kate­go­rien Per­son, Zeit, Ort, Mate­rie, Adres­sat (Göt­ter, Tote) ent­hal­ten“ (Mohr 2001/ 2010: 490).

Der Aus­druck ‚Kult‘ wird all­ge­mein für Phä­no­me­ne ver­wen­det, die schnell wech­seln­de Trends über­dau­ern und für eine gewis­se Zeit, d.h. min­des­tens ein Jahr­zehnt oder gar ein Jahr­hun­dert, eine Kult­ge­mein­de an sich bin­den kön­nen, die sich in regel­mä­ßi­gen Abstän­den zur Aus­übung des Kul­tes zusam­men­fin­det. Fer­ner wer­den Objek­te oder Per­so­nen in den Olymp des Kult­sta­tus erho­ben, wenn sie für ihre Bewun­de­rer und Ver­eh­rer eine Signi­fi­kanz erreicht haben, die die blo­ße Popu­la­ri­tät über­steigt. Ent­schei­dend ist, dass die­se Form der Wert­schät­zung einer Art Geheim­wis­sen gleich­kommt, das für Außen­ste­hen­de in der Regel unbe­kannt und unver­ständ­lich bleibt.

Das von Kult abge­lei­te­te Adjek­tiv lau­tet ‚kul­tisch‘ und bedeu­tet „ den Kult betref­fend, zum Kult gehören“(Duden online 2012). Wohin­ge­gen das Adjek­tiv ‚kul­tig‘ „ein Begriff [ist], der Ende der 80er Jah­re auf­ge­kom­men und bei­spiels­wei­se in der Tages­zei­tung erst­mals am 26. 02. 1994 belegt ist“ (Mohr 2001/ 2010: 507). Kul­tig bezieht sich auf den Kult- sta­tus einer Per­so­nen oder eines Objek­tes und ist der Jugend­spra­che zuzuordnen.

Das Gros der Kul­te wird in einer fei­er­li­chen Zere­mo­nie, die nach einer fes­ten Ord­nung abläuft, began­gen. Dabei nimmt das gespro­che­ne Wort, meist in Form von Mit­sin­gen und Mit­spre­chen von gan­zen Text­pas­sa­gen und Lie­der bis hin zum Nach­spie­len von ein­zel­nen Sze­nen, eine zen­tra­le Rol­le ein. Fer­ner sind in der Regel auch Klei­dung, Spra­che und Ver­hal­tens­wei­sen in hohem Maße nor­miert und regu­liert. Die Insze­nie­rung der meis­ten Kul­te beinhal­tet Ele­men­te, die Ana­lo­gien zu der Got­tes­dienst­lit­ur­gie oder der Dra­ma­tur­gie einer Thea­ter­per­for­mance auf­wei­sen. Dies ist kaum ver­wun­der­lich, lie­gen die Anfän­ge des Thea­ters mit dem Dio­ny­sos-Kult im anti­ken Grie­chen­land doch selbst in einem Kult. Der Kult lebt von der beson­de­ren Atmo­sphä­re und Stim­mung, die er auf sei­ne Anhän­ger aus­strahlt. Die regel­mä­ßi­ge kol­lek­ti­ve Rezep­ti­on und die ritu­el­le Kom­mu­ni­ka­ti­on der Anhän­ger unter­ein­an­der sind wich­ti­ge Erhal­tungs­maß­nah­men und Pfle­ge­hand­lun­gen und ein Garant für den Fort­be­stand eines Kul­tes. Die kul­ti­schen Hand­lun­gen kön­nen sowohl im pri­va­ten als auch öffent­li­chen Bereich voll­zo­gen wer­den, aus­schlag­ge­bend ist der fest­li­che Rah­men. Kul­te wer­den dadurch zu einem auf­se­hen­den­er­re­gen­dem Ereig­nis, das einem wah­ren Spek­ta­kel gleichkommt.

Grund­sätz­lich las­sen sich die drei fol­gen­den Kult­ty­pen von­ein­an­der unterscheiden:

1) Reli­giö­se und spi­ri­tu­el­le Kulte

Archäo­lo­gi­sche Fun­de legen nahe, dass Spi­ri­tua­li­tät und Reli­gio­si­tät von jeher eine Eigen­tüm­lich­keit des Men­schen ist. Nahe­zu alle For­men mensch­li­chen Zusam­men­le­bens wei­sen ein Reper­toire an reli­giö­sen Bräu­chen, Prak­ti­ken und Ritua­len auf, die voll­kom­men in die Gesell­schaft ein­ge­bet­tet sind. Die Men­schen ver­sam­meln sich zu kul­ti­schen Hand­lun­gen, um mit einem über­ir­di­schen Wesen oder einer Gott­heit in Ver­bin­dung zu tre­ten. Die­se Ver­eh­rung voll­zieht sich nach fes­ten und tra­dier­ten For­men, meist an einem beson­de­ren Ort und zu fes­ten Zei­ten. Häu­fig wird eine Mit­tels­per­son ein­ge­schal­tet, die von ihrer Gemein­de dazu ermäch­tigt wur­de, sich stell­ver­tre­tend für alle an die Gott­heit oder das über­ir­di­sche Wesen zu wen­den. In reli­gi­ös moti­vier­ten Kul­ten las­sen sich ver­schie­de­ne Riten, wie etwa Anbe­tungs­ges­ten, Beschwö­run­gen, Gebe­te und Gesän­ge, reli­giö­se Fes­te, sakra­men­ta­le Hand­lun­gen sowie Seg­nungs- und Weih­got­tes­diens­te vorfinden.

2) Pro­fa­ne Kul­te: Personen‑, Füh­rer- und Starkult

Die­se Form des Kults äußert sich in der ideel­len Über­hö­hung und Ver­klä­rung eines noch leben­den oder bereits ver­stor­be­nen Men­schen. Sie weist nicht sel­ten eine völ­lig unkri­ti­sche Hal­tung auf und ist oft im poli­ti­schen Bereich anzu­tref­fen. Cha­rak­te­ris­tisch ist das Abhal­ten von Ver­an­stal­tun­gen mit gro­ßer sym­bo­li­scher Bedeu­tung wie etwa Auf­mär­schen, Gedenk- oder Geburts­tags­fei­ern sowie Jubi­lä­ums­an­spra­chen und Para­den zu Ehren einer Per­son. Das Auf­hän­gen von Bil­dern und Por­träts in öffent­li­chen und pri­va­ten Räu­men und das Errich­ten von Denk­mä­lern sind wei­te­re Cha­rak­te­ris­ti­ka des Per­so­nen­kults. In Dik­ta­tu­ren oder tota­li­tä­ren Regi­men wer­den die­se oft unter Zwang erwirkt und befoh­len, weil sol­che Regie­rungs­for­men augen­schein­lich in beson­de­rem Maße des Per­so­nen­kul­tes bedürfen.

Eine moder­ne Aus­prä­gung des Per­so­nen­kul­tes, der aller­dings als Fort­set­zung des Genie­kults der Epo­che des Sturm und Drang und der Roman­tik zu inter­pre­tie­ren ist, ist der sog. Star­kult: „Der moder­ne ‚Star­kult‘, des­sen Vor­läu­fer im 18. Jh. an der Oper (Pri­ma­don­nen), im 19. Jh. und frü­hen 20. Jh. auf dem Thea­ter (Eleo­no­ra Duse) zu fin­den waren, ent­stand mit dem Auf­kom­men einer popu­lä­ren Mas­sen­kul­tur Anfangs des 20. Jh. in den euro-ame­ri­ka­ni­schen Indus­trie­ge­sell­schaf­ten“ (Mohr 2001/ 2010: 506).

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Der Begriff des Star­kults bezieht sich auf die beson­de­re Auf­merk­sam­keit und Bewun­de­rung, die berühm­ten Per­sön­lich­kei­ten aus Film, Medi­en, Musik­sze­ne und Sport ent­ge­gen­ge­bracht wird und kann durch­aus als moder­ne Ver­si­on der Iko­ni­sie­rung gedeu­tet werden.

3) Objekt­kul­te

Kult­ob­jek­te ent­ste­hen immer dann, wenn Gebrauchs­ge­gen­stän­de und/oder Tri­vi­al­pro­duk­te der All­tags­kul­tur ihrem eigent­li­chen funk­tio­na­len Kon­text ent­rückt wer­den und inner­halb einer Fan­ge­mein­de Kult­sta­tus erlan­gen, weil sie ihnen als „[signi­fi­kan­tes] Bezugs­ob­jekt des eige­nen Insze­nie­rungs­stils [dienen]“(Mohr 2001/ 2010: 507). Die Benen­nung ‚Kult‘ ver­leiht einem Objekt eine außer­or­dent­li­che Aura und basiert in ers­ter Linie auf einem Pro­zess, der als Ästhe­ti­sie­rung des All­täg­li­chen beschrie­ben wer­den kann. Es wird ein Nim­bus der Exklu­si­vi­tät kre­iert und etwas Bana­les zu einem emble­ma­ti­schen und kost­ba­ren Gegen­stand hoch­sti­li­siert, der sich vom Mas­sen­ge­schmack abhebt. Kult­ob­jek­te reprä­sen­tie­ren ergo eine Ästhe­tik oder Welt­sicht, die noch im Ent­ste­hen begrif­fen ist und las­sen sich daher nicht sel­ten in einem sub­kul­tu­rel­len Umfeld loka­li­sie­ren, dass sich auf der Suche nach einer befrie­di­gen­den neu­en Aus­drucks­mög­lich­keit befin­det. Sie beset­zen somit oft nur klei­ne Nischen und zir­ku­lie­ren in einem geschlos­se­nen Per­so­nen­kreis von Ein­ge­weih­ten. Das Kult­buch, die Kult­band, das Kult­lied oder auch Kult­fil­me sind nur eini­ge Bei­spie­le für die viel­fäl­ti­gen Aus­prä­gun­gen von Objektkulten.

3. Zwischen Emotio und Ratio: Die emotionale, soziale, religionssubstituierende und subversive Funktion von Kulten

3.1 Die emotionale Funktion von Kulten

Die Anzie­hungs­kraft und die Fas­zi­na­ti­on des Kults auf die Men­schen, las­sen sich nur bedingt ratio­nal begrün­den. Kul­te basie­ren auf einer undurch­sich­ti­gen Ver­qui­ckung von Aber­glau­ben, Phan­ta­sie und Ver­nunft. Die Ver­lei­hung des Kult­sta­tus an ein Objekt oder eine Per­son grün­det maß­geb­lich auf einem will­kür­li­chen Akt der Kul­tis­ten, d.h., dass für die meis­ten Mit­glie­der eines Kul­tes die Befrie­di­gung von affek­ti­ven Bedürf­nis­sen und/oder sozi­al­in­te­gra­ti­ve Bedürf­nis­se den größ­ten Stel­len­wert ein­neh­men. Ein Kult ent­hält somit immer ein Ele­ment des Nicht­er­gründ­ba­ren und Irra­tio­na­len, wodurch sich Außen­ste­hen­den bzw. Unein­ge­weih­ten der genaue Sinn­zu­sam­men­hang ent­zieht. Wo ratio­na­le Erklä­rungs­ver­su­che der Welt nicht grei­fen bzw. schei­tern, kommt die Erfin­dung des Über­na­tür­li­chen zum Tra­gen, denn ursprüng­lich wur­den kul­ti­sche Hand­lun­gen voll­zo­gen, um höhe­re Mäch­te güns­tig zu stim­men. Mit ande­ren Wor­ten sind Gefüh­le des Erha­be­nen, des Magi­sches und die Erfah­rung des Numi­no­sen wich­ti­ge Erfah­rungs­tat­sa­chen und Bestand­teil fast aller ursprüng­li­chen kul­ti­schen und/oder reli­giö­sen Hand­lun­gen (vgl. Otto 2004: S.79–85).

Kul­te spre­chen immer auch die Gefüh­le und Sin­ne ihrer Anhän­ger an und lösen Emo­tio­nen aus. Im Zen­trum eines Kul­tes steht das indi­vi­du­el­le und gemein­schaft­li­che Erle­ben von etwas Außer­all­täg­li­chem, das durch die beson­de­re Auf­füh­rungs­si­tua­ti­on und die Ein­bin­dung des Publi­kums zusätz­lich betont und ver­stärkt wird. Dem­entspre­chend nimmt die pri­va­te oder gemein­schaft­li­che Aus­übung von kul­ti­schen Hand­lun­gen und Riten in der Evo­ka­ti­on von Gefüh­len und Stim­mun­gen bei der Kult­ge­mein­de eine zen­tra­le Stel­lung ein. Oft stil­len Kul­te das Bedürf­nis und die Sehn­sucht nach Freu­de, Rausch und Zer­streu­ung. Eksta­ti­sche Fes­te und Ritua­le waren bereits ein fes­ter Bestand­teil anti­ker Reli­gi­on und vor allem im Mit­tel­meer­raum weit ver­brei­tet. Der Mensch gerät außer sich und ver­gisst dar­über sei­ne gewöhn­li­chen Exis­tenz und sei­ne welt­li­chen Pflich­ten, Ängs­te und Sor­gen. Kul­ten kann daher eine the­ra­peu­ti­sche Wir­kung attes­tiert wer­den. Über­dies füh­ren sie bis­wei­len zu Bewusst­seins­er­wei­te­run­gen, da durch die eksta­ti­schen Erre­gungs­zu­stän­de Kör­per und Geist der Kul­tis­ten in Ver­zü­ckung gera­ten und sich das Gefühl des Ergrif­fen­seins einstellt.

3.2 Die soziale Funktion von Kulten

Kul­te und Kult­hand­lun­gen bedür­fen der unein­ge­schränk­ten Unter­stüt­zung durch eine Anhän­ger­schaft oder Kult­ge­mein­de. Beim Pro­zess der Gemein­schafts­bil­dung kommt dem Kult eine ganz prak­ti­sche Funk­ti­on zu, denn er kann eine Grup­pe nicht nur struk­tu­rie­ren, son­dern auch hier­ar­chi­sie­ren. Zudem wir­ken kul­ti­sche Hand­lun­gen gesell­schaft­lich inte­grie­rend und för­dern damit den Gemein­schafts­sinn, den Zusam­men­halt und das Wir-Gefühl von Grup­pen. Sie ver­mit­teln der jewei­li­gen Kult­ge­mein­de einer­seits das Gefühl, etwas Beson­de­res zu sein, und stär­ken die Indi­vi­dua­li­täts­be­stre­bun­gen der Anhän­ger­schaft. Ande­rer­seits kom­men gleich­zei­tig zu den iden­ti­täts­stif­ten­den Pro­zes­sen aber auch strik­te Abgren­zungs- und Distink­ti­ons­me­cha­nis­men nach außen zum Tra­gen, die für das Selbst­bild und Selbst­ver­ständ­nis des Ein­zel­nen und der gesam­ten Grup­pe sehr wich­tig sind. Des­halb waren und sind Kul­te ein essen­ti­el­ler Bestand­teil zur Kon­struk­ti­on von regio­na­len und natio­na­len Identitäten.

3.3 Die religionssubstituierende Funktion von Kulten

Längst haben bestimm­te Kult­ge­mein­den auch ganz offi­zi­ell den Sta­tus einer reli­giö­sen Glau­bens­ge­mein­schaft erlangt. So ist der Jedi­is­mus, eine reli­giö­se Bewe­gung, die auf der fik­ti­ven Gemein­schaft der Jedi-Rit­ter der Sci­ence-Fic­tion-Saga Star Wars beruht, in Aus­tra­li­en inzwi­schen eine aner­kann­te Reli­gi­on und hat in Eng­land bereits ein eige­nes nume­ri­sches Kür­zel auf For­mu­la­ren und Umfra­ge­bö­gen zuge­wie­sen bekom­men. Typisch ist auch die Adap­ti­on reli­giö­ser Begriff­lich­kei­ten und Traditionen:

[Häu­fig] [w]erden außer­all­täg­li­che Erfah­run­gen durch reli­giö­se Deu­tun­gen auf einen tran­szen­den­ten Sinn fest­ge­legt, wer­den in ewi­gen Zir­kel­schluss die in Kul­tur-Kul­ten erleb­ten Erfah­run­gen in reli­giö­ses Voka­bu­lar geklei­det. Ein Tech­no-Hit hieß z.B. God is a DJ, „Eric Clap­ton is God“ lau­te­te eine berühm­te Graf­fi­ti in den frü­hen 1970er Jah­ren. Par­odis­ti­sche Züge nahm dies bei den „Zehn Gebo­ten von Rocky Hor­ror“ an, die den ROCKY HOR­ROR-Gläu­bi­gen ver­kün­det wur­den (Illing 2006: 214).

Jedi

Ein wei­te­res Bei­spiel für die Aneig­nung von reli­giö­sem Voka­bu­lar ist die häu­fi­ge Bezeich­nung von Neu­lin­gen als Novi­zen. Die neu Hin­zu­kom­men­den müs­sen zwar in der Regel kei­ne Pro­be­zeit absol­vie­ren, erhal­ten aber eine Ein­wei­sung in die Prak­ti­ken und Ritua­le der Gemein­schaft. Zudem ver­fü­gen sie zunächst nur über ein Mini­mum an emo­tio­na­ler Betei­li­gung: „Novi­zen zeich­nen sich vor allen Din­gen dadurch aus, daß sie Distanz bewah­ren und emo­tio­nal nicht im Gesche­hen auf­ge­hen“ (Win­ter 2003: 298).

Vor die­sem Hin­ter­grund stellt sich unwei­ger­lich die Fra­ge, war­um säku­la­re Kul­te ver­mehrt zu einer Form der Ersatz­re­li­gi­on avan­cie­ren. Dar­auf gibt es eine ein­fa­che Ant­wort: Kul­te geben Halt und ver­mit­teln ein Gefühl der Bestän­dig­keit und Kon­ti­nui­tät. In einer Zeit, die geprägt ist von andau­ern­den poli­ti­schen Kon­flik­ten, wie­der­keh­ren­den wirt­schaft­li­chen Kri­sen­zei­ten und einer Fül­le von gesell­schaft­li­chen Umbrü­chen, haben die Reli­gi­on bzw. der christ­li­che Glau­ben und die Kir­che ihre sta­bi­li­sie­ren­de Funk­ti­on ver­lo­ren, aber die Sehn­sucht und das Ver­lan­gen nach Spi­ri­tua­li­tät zuge­nom­men. Die Kom­ple­xi­tät und die Plu­ra­li­tät von Lebens­ent­wür­fen hat eine Dif­fu­si­on und Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit zur Fol­ge, die die Ent­wick­lung und Fest­le­gung der eige­nen Iden­ti­tät nach­hal­tig erschweren.

Reli­gi­ons­so­zio­lo­gisch betrach­tet, las­sen sich Kul­te als Reak­ti­on auf den Nie­der­gang der christ­li­chen Reli­gi­on, die Säku­la­ri­sie­rung und die Ent­zau­be­rung der Welt begrei­fen. Sie sind Aus­druck des für die Pot­mo­der­ne typi­schen Neo-Tri­ba­lis­mus, einer Ver­viel­fa­chung klei­ner, loka­ler Grup­pen, die auf krea­ti­ve Wei­se neue For­men von Gemein­schaf­ten her­vor­brin­gen (Win­ter 2003:295).

Des Wei­te­ren scheint ein Ver­lan­gen zur Spi­ri­tua­li­tät und Selbst­ver­wirk­li­chung in jedem Men­schen inne­zu­woh­nen und die­ses äußert sich in viel­fäl­ti­gen For­men. In die­sem Sin­ne las­sen sich auch nicht­re­li­giö­se Kul­te als eine Form der Welt­flucht inter­pre­tie­ren, da in ihnen ein Aspekt der Idea­li­sie­rung und Ver­klä­rung zum Tra­gen kommt. Die Erfah­rung und das Erle­ben des Nicht­all­täg­li­chen üben eine beson­ders star­ke Fas­zi­na­ti­on und Anzie­hungs­kraft aus. Kul­te ver­mit­teln ihren Anhän­gern seit jeher einen Zugang zum Tran­szen­den­ta­len und bestä­ti­gen somit die latent im Mensch vor­han­de­ne Spi­ri­tua­li­tät und Reli­gio­si­tät. Hier schließt sich der Kreis zur evo­lu­tio­nä­ren Dar­stel­lung des Men­schen als homo reli­gio­sus. (vgl. Otto 2004)

3.4 Die subversive Funktion von Kulten

Ana­log zur Mode lässt sich vie­len Kult-Phä­no­me­nen eine enge Ver­bun­den­heit mit sub­kul­tu­rel­len Bewe­gun­gen fest­stel­len. Mehr noch: man­che Kul­te schei­nen in einem gewis­sen Maß nur zu exis­tie­ren, solan­ge sie das Andere/Exotische/Fremde reprä­sen­tie­ren. Folg­lich bedür­fen sol­che Kul­te immer auch einer Leit­kul­tur respek­ti­ve einer Norm zur Bestä­ti­gung und Abgren­zung. Das Gefühl, einer Min­der­heit anzu­ge­hö­ren, ver­stärkt den Effekt des Extra­or­di­nä­ren und begrün­det in erheb­li­chem Maße den beson­de­ren Reiz, den Kul­te auf ihre Anhän­ger aus­üben. Dem Kult wird durch sei­ne Nähe zu Sub­kul­tu­ren ger­ne ein sub­ver­si­ves Poten­ti­al zuge­spro­chen. Der Grund hier­für liegt sicher­lich dar­in, dass Kul­te tra­dier­te Nor­men und Wer­te in Fra­ge stel­len und häu­fig Tabu­brü­che insze­nie­ren, pro­pa­gie­ren und wagen:

Kult ist zu einem popu­lä­ren Nega­tiv­ste­reo­typ gewor­den. Der Begriff dient heu­te als „social wea­pon“ in der poli­tisch-gesell­schaft­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung und im Kon­kur­renz­kampf reli­giö­ser Grup­pen. Wer einem Kult ange­hört und ihn prak­ti­ziert, gerät unter Gene­ral­ver­dacht. Kult ist das ‚Infa­me‘, das Ver­däch­ti­ge schlecht­hin, er ist der Ort, wo ‚etwas getrie­ben (prak­ti­ziert) wird‘. Kult ist Hort für Anrü­chi­ges, ‚Jugend­ge­fähr­den­des‘, kurz ein ‚des­truc­ti­ve cult‘ – das Gegen­bild von ‚Reli­gi­on‘ (Mohr 2001/2010: 508).

In die­sem Kon­text darf die gene­rel­le Unter­schei­dung von kon­struk­ti­ven und destruk­ti­ven Kul­ten nicht uner­wähnt blei­ben (vgl. Schwartz 1992). Destruk­ti­ve Kul­te wer­den als beson­ders bedroh­lich und gefähr­lich wahr­ge­nom­men, weil sie als Gene­ral­an­griff auf die demo­kra­ti­sche, poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Ord­nung emp­fun­den wer­den. Dies gilt vor allem dann, wenn sie die Betei­lig­ten von der rest­li­chen Welt iso­lie­ren und die bestehen­de gesell­schaft­li­che Ord­nung und das aner­kann­te Welt­bild in Fra­ge stel­len. Man den­ke hier­bei vor allem an Sci­en­to­lo­gy und ande­re Sek­ten, wie etwa die Hare Krish­na oder auch die Osho Bewe­gung. Zudem schaf­fen sich die Kul­tis­ten oft ein eige­nes Regel‑, Sprach- und Wer­te­sys­tem, das für Außen­ste­hen­de ver­schlüs­selt und unver­ständ­lich bleibt. Dem­ge­gen­über wer­den kon­struk­ti­ve Kul­te als för­der­lich für die Rhyth­mi­sie­rung und Struk­tu­rie­rung des Lebens (u.a. durch Geburts‑, Initiations‑, Ehe‑, Trau­er- oder auch Toten­ri­ten) und zur Mani­fes­ta­ti­on von loka­len, regio­na­len und natio­na­len Iden­ti­tä­ten emp­fun­den. Die Durch­füh­rung bestimm­ter Kul­te hat sowohl in der Ver­gan­gen­heit als auch in der Gegen­wart eine staats­tra­gen­de und staats­er­hal­ten­de Funk­ti­on übernommen.

4. Kult und Kommerz

4.1 Die Kulturindustrie und der Kult

Objekt- und Popu­lär­kul­te bedeu­tet ganz all­ge­mein betrach­tet, dass etwas Pro­fa­nes hoch­sti­li­siert, ange­be­tet und ver­ehrt wird. Die Kult­ge­gen­stän­de besit­zen eine Bedeu­tung und Wich­tig­keit unab­hän­gig von ihrem tat­säch­li­chen öko­no­mi­schen Wert. Aller­dings sind Kul­te inzwi­schen längst auch das Opfer und Ziel von Medi­en­kam­pa­gnen und Mar­ke­ting­stra­te­gien gewor­den. Obwohl sich Kul­te immer noch nicht bzw. kaum stra­te­gisch pla­nen und steu­ern las­sen, sind nicht nur die Medi­en, son­dern auch die Wirt­schaft und Wer­be­indus­trie auf das Phä­no­men auf­merk­sam gewor­den und ver­such­ten, Gewinn aus den diver­sen Kul­ten zu schla­gen. Dies gilt beson­ders für kul­ti­sche Phä­no­me­ne im Bereich der Film- und Fern­seh­in­dus­trie, der Musik­sze­ne, aber auch im Lite­ra­tur­be­trieb wie u. a. die Mar­ke­ting­kam­pa­gnen rund um die Har­ry-Pot­ter-Bücher bewei­sen. „Wie bei allen Prak­ti­ken popu­lä­rer Krea­ti­vi­tät reagiert die Kul­tur­in­dus­trie auch bei Kul­ten mit Stra­te­gien der Ver­ein­nah­mung, der Kom­mer­zia­li­sie­rung und der Manipulation“(Winter 2003: 299). Die Medi­en­land­schaft und die Kul­tur­in­dus­trie unter­neh­men ihrer­seits immer wie­der Ver­su­che, diver­sen Phä­no­men und Pro­duk­ten einen Kult­sta­tus zu ver­lei­hen. „Im Wider­stand gegen die­se Bemü­hun­gen wer­den aber neue ‚hei­li­ge Objek­te‘ gesucht und gefun­den“ (Win­ter 2003: 299). Letzt­lich ver­bleibt die Inter­pre­ta­ti­ons­ho­heit bezüg­lich der Kult­ob­jek­te des­halb bei der Fangemeinde.

Betrach­tet und bewer­tet man den Begriff des Kul­tes unter öko­no­mi­schen Gesichts­punk­ten, so lässt sich kon­sta­tie­ren, dass der Aspekt der Wer­bung und Ver­mark­tung bereits im 18. Jahr­hun­dert zum Ein­satz kam und sich zu einem inte­gra­len Bestand­teil des Phä­no­mens Kult eta­bliert hat. In die­sem Zusam­men­hang erwäh­nens­wert sind auf jeden Fall der Han­del mit Devo­tio­na­li­en, der sich bereits bei den Kult­bü­chern Richard­sons Pame­la (1740) und wenig spä­ter auch bei Goe­thes Wert­her (1774) beob­ach­ten lässt. Die ers­te frü­he Form des mer­chan­di­sing war gebo­ren. Belieb­te Arti­kel, die ange­bo­ten wur­den, waren z.B. Anhän­ger, Fächer, Tas­sen und Unter­tas­sen aus Porzellan.

Goethe

Die Band­brei­te an Fan­ar­ti­kel hat sich inzwi­schen ver­grö­ßert, aber die Mecha­nis­men und Zie­le sind immer die­sel­ben wie vor über 200 Jah­ren. Die Pro­duk­te spre­chen gezielt die Anhän­ger­schaft eines Kul­tes an, die bereit sind, Geld zu inves­tie­ren, um mit dem Erweb ihre Zuge­hö­rig­keit zu einer bestimm­ten gesell­schaft­li­chen Grup­pe zum Aus­druck zu brin­gen und sich gleich­zei­tig selbst zu ver­ge­wis­sern, noch Teil der Gemein­schaft zu sein. Erneut kommt man hier nicht umhin, auf die Funk­ti­on und Stel­lung von Devo­tio­na­li­en und Reli­qui­en in der römisch­ka­tho­li­schen Kir­che zu erinnern.

Die Instru­men­ta­li­sie­rung von Kul­ten durch Mar­ke­ting­stra­te­gen kann also auf eine lan­ge Geschich­te und Tra­di­ti­on zurück­bli­cken. Aller­dings wur­den die­sen Mecha­nis­men erst Ende der 70er bzw. Anfang der 80er Jah­re per­fek­tio­niert und stra­te­gisch insze­niert und fal­len ergo zusam­men mit den Anfän­gen der Ver­mark­tung von Fan­ar­ti­keln und Geor­ge Lucas kann zwei­fel­los als Pio­neer des Mer­chan­di­sin­gs betrach­tet wer­den, da er bereits 1977 sehr erfolg­reich Gum­mi­fi­gu­ren, T‑Shirts, Pos­ter und Uhren u.a. in Umlauf brach­te. (vgl. BBC News. BBC ON THIS DAY | 27 | 1977: Star Wars fever hits Bri­tain). Seit­dem sind Fan­ar­ti­kel aus der klas­si­schen Ver­kaufs­för­de­rung nicht mehr weg­zu­den­ken. Die­ser anhal­ten­de Erfolg basiert vor allem auf der Bereit­schaft der zah­len­den Fan­ge­mein­de bzw. Kult­ge­mein­de. „Die heu­ti­ge Aus­beu­tung und infla­tio­nä­re Ver­wen­dung des Kult-Eti­ketts erscheint hin­ge­gen als Sym­ptom des kul­tur­in­dus­tri­el­len Sys­tems, das damit das Nischen­mar­ke­ting per­fek­tio­niert“ (Illing 2006: 215). Authen­ti­zi­tät, media­le Insze­nie­rung und Sel­ten­heit bil­den die Grund­pfei­ler des sog. Nischen­mar­ke­tings: „Die Rari­tät wird zum Kom­merz­gut, wenn sie von einer Aura der Nicht­kom­mer­zia­li­tät umge­ben ist, die Sehn­sucht nach dem Nicht­kom­mer­zi­el­len wird kom­mer­zia­li­siert“ (Misik 2007: 124). In die­sem Fall bil­den das aus­ge­präg­te Distink­ti­ons­be­dürf­nis und die Exklu­si­vi­tät von Kul­ten eine per­fek­te Sym­bio­se und wer­den für mate­ri­el­le Inter­es­sen instru­men­ta­li­siert. In Zei­ten, in denen die Voka­bel Main­stream gera­de­zu einem Schimpf­wort gleich­kommt, ist eine kla­re Abgren­zung zum ver­pön­ten Mas­sen­ge­schmack not­wen­dig. Dies gilt ins­be­son­de­re für die Mit­glie­der von Jugend- und Sub­kul­tu­ren, für wel­che gesell­schaft­li­che Distink­ti­on das bedeut­sams­te Ele­ment darstellt.

4.2 Die Kultmarke

Die Ver­ding­li­chung der Welt und der aus­ge­präg­te Waren­fe­ti­schis­mus unse­rer Zeit sind con­di­tio­nes sine qui­bus non für das Phä­no­men der Kult­mar­ke. Eine Per­ver­tie­rung der Idee der Authen­ti­zi­tät und des Kults, eben­so die Ten­denz zur Iko­ni­sie­rung, sowie zur Sakra­li­sie­rung des All­tags und des Pro­fa­nen in der moder­nen Kon­sum­welt sind die Grund­vor­aus­set­zung dafür, dass Waren eine Glo­ri­fi­zie­rung und Hul­di­gung wider­fährt, die in sakra­len Kul­ten aus­schließ­lich Göt­tern zustand. Gebrauchs­gü­ter wer­den in den Olymp geho­ben und Mar­ken ange­be­tet und verehrt:

Din­ge, die beson­ders gut sind beim Reprä­sen­tie­ren, nennt man im all­ge­mei­nen „Kult“: der Adi­das-Schuh, die Ray-Ban-Bril­le, der Lat­te mac­chia­to, der iMac, das gera­de ange­sag­te Kult-Buch, die Tos­ka­na-Rei­se, das hipps­te Han­dy der Sai­son, das Stück von Pra­da, das Acces­soire von Dolce&Gabana – die Lis­te ist end­los (Misik 2007: 8).

Der TV-Sen­der ARTE wid­me­te dem The­ma Kult­mar­ke im Dezem­ber 2011 sogar einen gan­zen The­men­abend. Pro­duk­te wie Apple, Coca Cola, Levi’s oder Nokia gehö­ren zu den 100 bekann­tes­ten und teu­ers­ten Mar­ken der Welt. Sowohl die auf­ge­führ­ten Fir­men­na­men wie auch die Logos zeich­nen sich dadurch aus, dass sie inzwi­schen ein kla­res und zeit­lo­ses Allein­stel­lungs­merk­mal und einen hohen Wie­der­erken­nungs­wert erwor­ben haben. Kult­mar­ken sind die spi­ri­tu­el­le Essenz des Kapi­ta­lis­mus, der „im Prin­zip unend­lich vie­le unter­schied­li­che Stil­ge­mein­schaf­ten för­dert, die wie Glau­bens­ge­mein­schaf­ten funk­tio­nie­ren […]“ (Misik 2007: 53). Kult­mar­ken haben Fetisch­cha­rak­ter und wer­den von ihren Kon­su­men­ten mit einem Image und Lebens­ge­fühl ver­knüpft, das sie und ihre Besit­zer zu etwas Beson­de­rem macht: „Mar­ken­fans sind ‚mit Leib und See­le‘ dabei, zwi­schen Kult­an­hän­gern und Nicht­kon­su­men­ten besteht eine beträcht­li­che Distanz und unter Mar­ken­jün­gern selbst herrscht Kame­rad­schaft bis hin zu inni­ger Freund­schaft“ (Kili­an 2008: 1). Selbst hier las­sen sich also pseu­do­re­li­giö­se Mecha­nis­men und Züge nach­wei­sen, die sich an der christ­li­chen Prä­gung unse­rer Kul­tur ori­en­tie­ren und ver­trau­te bibli­sche For­mu­lie­run­gen annek­tie­ren. Beson­ders deut­lich wird dies im Zusam­men­hang mit der Bericht­erstat­tung über die Fir­ma Apple. So wird etwa der Apple-Mit­be­grün­der Ste­ve Jobs als Mes­si­as und die Kun­den als Apple-Jün­ger bezeich­net, die jedes neue Pro­dukt, das auf dem Markt lan­ciert wird, fre­ne­tisch beju­beln und feiern.

iKult

Wei­te­re wich­ti­ge Kri­te­ri­en, die einer Mar­ke zum Kult­sta­tus ver­hel­fen, sind: Der Auf­bau einer gro­ßen emo­tio­na­len Bin­dung zwi­schen Pro­dukt und Kon­su­men­ten, die Erlan­gung eines gro­ßen Bekannt­heits­grads und der Sta­tus eines Mas­sen­phä­no­mens. „Zudem ist es erfor­der­lich, dass die Ehr­erbie­tung aktiv betrie­ben wird, z.B. in Form von (nur Insi­dern bekann­ten) Ritua­len oder von (irra­tio­na­len) Nach­tei­len, die man für die Mar­ke in Kauf nimmt. Auch Mar­ken­events und Mar­ken­ge­mein­den zäh­len dazu“(Kilian 2008:1).

Misik

Kult­mar­ken ver­ei­nen Life­style-Gemein­schaf­ten von Kon­sum-Hedo­nis­ten, die durch den Kauf­akt ihrer Kult­mar­ke die ent­spre­chen­de Ehr­erbie­tung zuteil wer­den las­sen. Das Kon­sum­er­leb­nis wird zur iden­ti­täts­stif­ten­den Ele­ment der Gemein­de und ist zugleich Aus­druck und Sym­pto­me des gras­sie­ren­den Irr­glau­bens, dass „[…] Wir sind, was wir kau­fen […]“ (Misik 2007: 38). Fer­ner sind Kult­mar­ken in hohem Maße von der Pla­nung, Schaf­fung und Ver­brei­tung eines Mythos abhän­gig. Beson­de­rer Beliebt­heit erfreu­en sich in die­sem Zusam­men­hang die sog. Grün­der­my­then, die sich meist aus­schließ­lich auf die Ent­wick­lungs­pha­se und die Anfangs­jah­re des jewei­li­gen Pro­duk­tes kon­zen­trie­ren. Die Halt­bar­keit des Kult­sta­tus einer Mar­ke ist folg­lich abhän­gig von dem Bekannt­heits- und Beliebt­heits­grad, der Ver­kaufs­quo­ten und ande­ren markt­stra­te­gi­schen und wirt­schaft­li­chen Bedin­gun­gen. Eine Kult­mar­ke bleibt nur solan­ge erhal­ten, wie sie Anhän­ger für sich gewin­nen und an sich bin­den kann. Das hat zur Fol­ge, dass ein Mar­ken­kult oft nicht mehr als eine Gene­ra­ti­on überdauert.

5. Der Begriff ‚Kult‘ im 21. Jahrhundert zwischen Kitsch, Trend und Trash

5.1 Begriffsdifferenzierung

5.1.1 Kitsch

Kitsch kann als „[…] das tra­di­ti­ons­reichs­te und am meis­ten ana­ly­sier­te Eti­kett [für] schlech­ten Geschmack [betrach­tet werden]“(Illing 2007: 219). Der Aus­druck als sol­ches exis­tiert indes erst seit etwa Ende des 19. Jahr­hun­derts. Die ers­ten Bele­ge rei­chen bis 1870 zurück und legen nahe, dass der Begriff in der Münch­ner Kunst­händ­ler­sze­ne ent­stand, um mas­sen­haft pro­du­zier­te Gemäl­de und ande­re Kunst­er­zeug­nis­se zu brand­mar­ken, die zu güns­ti­gen Prei­sen vor­nehm­lich an Tou­ris­ten ver­kauf wur­den. „Obwohl die Wort­ent­ste­hung auf die Sphä­re hand­werk­li­cher Klein­pro­duk­ti­on ver­weist, präg­te die im sel­ben Zeit­raum ein­set­zen­de indus­tri­el­le Mas­sen­pro­duk­ti­on von Kon­sum­gü­tern die Geschich­te des Kit­sches, so dass er mit­un­ter zum Syn­onym für Mas­sen­kul­tur wur­de“ (Illing 2007: 219).

5.1.2 Trash

Trash ist gewis­ser­ma­ßen eine Unter­ka­te­go­rie von Kitsch und schlech­tem Geschmack. Im Wort Trash schwingt mehr als nur ein nega­ti­ves Wert­ur­teil mit, es ist die Ver­sinn­bild­li­chung von allem, was bil­lig und schnell pro­du­ziert wur­de und an Geschmack­lo­sig­keit kaum unter­bo­ten wer­den kann. Als ein Syn­onym für Obsku­ri­tät und Schund „ […] ist den Trash-Pro­duk­ten [gemein­sam], dass sie nicht nur unter­halb des hoch­kul­tu­rel­len Geschmacks, son­dern auch jen­seits des „mitt­le­ren“, von der Kul­tur­in­dus­trie bedien­ten Geschmacks­ni­veau ange­sie­delt sind“(Illing 2007: 231). Inzwi­schen hat sich die nega­ti­ve Bewer­tungs­ka­te­go­rie ‚Trash‘ zu einem eigen­stän­di­gen Gat­tungs­be­griff im Bereich der Lite­ra­tur, des Films und der Musik eta­bliert. Die Bezeich­nung ‚Trash‘ und ‚Kitsch‘ las­sen sich, trotz einer Rei­he von Gemein­sam­kei­ten, in einem wesent­li­chen Punkt von­ein­an­der unter­schie­den und zwar durch die Kom­po­nen­te der Selbst­re­fle­xi­vi­tät: „Aus die­ser Selbst­re­fle­xi­on her­aus ent­stand dann das Phä­no­men des absicht­li­chen Trash: Pro­duk­tio­nen, die nicht aus Unver­mö­gen oder begrenz­ten finan­zi­el­len Mit­teln, son­dern mit Absicht Trash sind“ (Illing 2007: 232).

5.1.3 Trend

Trend ist, ana­log zum Kult­be­griff, ein Aus­druck für eine Nei­gung, eine Prä­fe­renz oder eine Ver­än­de­rungs­be­we­gung, die sich als bedeut­sa­mer neu­er Mode‑, Lebens- oder Musik­stil inner­halb einer Jugend- und/ oder Sub­kul­tur ent­wi­ckelt. Der Trend lebt von Aktua­li­tät, zeit­ge­nös­si­schen Geschmacks- und Kon­sum­ge­wohn­hei­ten sowie der schnel­len Dis­tri­bu­ti­on. Mit ande­ren Wor­ten han­delt es sich beim ‚Trend‘ um eine sta­tis­tisch erfass­ba­re Ent­wick­lungs­ten­denz, die über einen gewis­sen Zeit­raum zu beob­ach­ten ist (vgl. Schol­ze-Stu­ben­recht 1999: 824).

Einen Trend zu erken­nen und ihm zu fol­gen, bedeu­tet am Puls der Zeit zu sein. Nicht umsonst kommt es inzwi­schen einer Tod­sün­de gleich, wenn man einen Trend wort­wört­lich ‚ver­pennt‘ hat. Der Begriff ‚Trend‘ wird eher ver­wen­det, um einen Modus der Rezep­ti­on zu beschrei­ben, aber impli­ziert noch kei­ne ästhe­ti­sche (Be-)Wertung.

Bei­spiels­wei­se der Retro-Tren­do der auch Second Hand Trend sind Phä­no­me­ne, die bewusst auf frü­he­re Stil­rich­tun­gen aus ver­gan­gen Jahr­zehn­ten zurück­grei­fen und sich als eine Art ästhe­ti­sche Gegen­pol zu gegen­wär­ti­gen vor­herr­schen­den Haupt- bzw. Mas­sen­trends begreifen.

5.2 Der moderne Kultbegriff als Symbiose von Kitsch, Trash und Trend?

Die bedeu­tungs­va­ria­ble und maß­lo­se Stra­pa­zie­rung des Kult­be­grif­fes scheint ein Kenn­zei­chen des gegen­wär­ti­gen Zeit­al­ters und der inter­me­dia­len, post­mo­der­nen Ver­weis­tech­nik zu sein. Es stellt sich zum einen die Fra­ge, wie sich Kult vom Kitsch, Trash und Trend unter­schei­den lässt und zum ande­ren, ob eine sol­che Dif­fe­ren­zie­rung über­haupt noch mög­lich ist.

Das Bemü­hen nach iden­ti­fi­ka­to­ri­scher Abgren­zung zum gesell­schaft­li­chen ‚main stream‘, wie es vor allem Jugendlich‑, Intel­lek­tu­el­len- und Ghet­to­kul­tu­ren kenn­zeich­net, wird oft mit Mit­teln deri­van­ter Sti­li­sie­rung in Sze­ne gesetzt – man den­ke an Kult von Intel­lek­tu­el­len und Homo­se­xu­el­len um Tivi­al­ob­jek­te (Ästhe­ti­ken des ‚trash‘ bzw. ‚camp‘) (Mohr 2001/2010: 507).

Die Gren­zen zwi­schen Kult, Kitsch, Trash und Trend, sofern sie jeweils vor­han­den waren, schei­nen flie­ßend inein­an­der über­zu­ge­hen. ‚Trend‘ und ‚Kult‘ sind in der umgangs­sprach­li­chen Ver­wen­dung längst Syn­ony­me gewor­den und eine ein­deu­ti­ge Dif­fe­ren­zie­rung der bei­den Begriff­lich­kei­ten ist nur noch ety­mo­lo­gisch mög­lich. Kul­te wer­den wie Trends häu­fig in Form von digi­ta­ler Mund­pro­pa­gan­da im Inter­net aus­ge­löst. Sie zir­ku­lie­ren als Geheim­tipp in ein­ge­schwo­re­nen Krei­sen und wer­den in eigens ein­ge­rich­te­ten Foren zele­briert. Aller­dings über­dau­ern die meis­ten zeit­ge­nös­si­schen Kul­te eben­so wie vie­le Trends heu­te nicht mehr als eine Gene­ra­ti­on. Kul­te kom­men und gehen und sind längst der Schnell­le­big­keit der gegen­wär­ti­gen Zeit zum Opfer gefal­len: „Was ges­tern in der von Moden domi­nier­ten Sze­ne Kult war, ist schon heu­te wie­der ver­ges­sen“ (Och 2004: 32).

Eine Iro­ni­sie­rung bzw. eine Inver­si­on des Kult­be­grif­fes und die kul­ti­sche Ver­eh­rung von Gegen­stän­den oder Per­so­nen, die sich eher durch einen Man­gel an gutem Geschmack aus­zeich­nen, sind allem Anschein nach Sym­pto­me der post­mo­der­nen Gesell­schaft. Dar­aus ergibt sich die Ver­bin­dung zum schlech­ten Geschmack. Außen­ste­hen­de sind oft ver­wun­dert, wovon die Anhän­ger eines Kul­tes fas­zi­niert sind, denn „eigent­lich“ han­delt es sich doch nur um ästhe­tisch Mit­tel­mä­ßig­keit oder Min­der­wer­ti­ges. […] Ästhe­ti­sche Män­gel oder Feh­ler sind den Anhän­gern eines Kul­tes mit­un­ter sogar bewusst, aber sie sind nicht ent­schei­dend (Illing 2007: 210).

Der Kult scheint zu einem belie­bi­gen und indi­vi­du­el­len Geschmacks­ur­teil ver­kom­men zu sein. Die Kul­tis­ten im 21. Jahr­hun­dert wen­den gekonnt und vir­tu­os die Mecha­nis­men der Bri­co­la­ge an: „Die [heu­ti­ge] Kult­ge­mein­de besteht aus medi­en­kom­pe­ten­ten und ‑gebil­de­ten Bri­coleu­ren, die sich nach ihrem Inter­es­sen und Bedürf­nis­sen Tex­te aneig­nen“ (Win­ter 2003: 298). Die Mehr­heit der popu­lä­ren und zeit­ge­nös­si­schen Kult-Phä­no­me­ne beruht auf der Inno­va­ti­ons­kom­pe­tenz und der Medi­en­er­fah­rung ihrer Anhän­ger. Die Kul­tis­ten setz­ten kom­pe­tent die inter­tex­tu­el­len Rela­tio­nen und die Selbst­re­fe­ren­tia­li­tät der ver­schie­den Medi­en ein und „[…] ent­wi­ckeln in der lust­vol­len und wie­der­hol­ten Beschäf­ti­gung mit ihnen eige­ne Inter­pre­ta­tio­nen, Ritua­le und Prak­ti­ken, die durch Krea­ti­vi­tät und Bri­co­la­ge, den spie­le­ri­schen Umgang mit Signi­fi­ka­ten und Sinn­be­stän­den, gekenn­zeich­net sind“ (Win­ter 2003: 296). Infol­ge der Umwer­tung von ästhe­ti­schen Wert­nor­men, die als sol­che auch immer Aus­druck eines momen­ta­nen Geschmacks­ur­teils sind, wer­den Kunst- wer­ke oder Objek­te, die ehe­mals als Kitsch oder Trash abge­wer­tet und miss­ach­tet wur­den, plötz­lich zum Kult aufgewertet.

Es lässt sich für die Kate­go­rien ‚Kitsch‘ und ‚Trash‘ fest­stel­len, dass hier nicht immer zwangs­läu­fig eine Bedeu­tungs- bzw. Ver­wen­dungs­gleich­heit mit dem Begriff des ‚Kults‘ gege­ben ist. So kön­nen eini­ge Arten von Kitsch oder Trash zum Kult erklärt wer­den, dies gilt aber nicht vice ver­sa. Nur kit­schig oder tra­shig zu sein, ist kein hin­rei­chen­des ori­gi­nä­res Merk­mal zur Erlan­gung des Kult­sta­tus. Das Ein­zi­ge, was sich unauf­hör­lich ver­än­dert, ist das Objekt oder Sub­jekt des jewei­li­gen Kul­tes. Die Insze­nie­rung und die Ästhe­tik der neu­en popu­lä­ren Kul­te rekur­rie­ren auf das nicht kodi­fi­zier­te Wis­sen des kul­tu­rel­len Gedächt­nis­ses, denn die Ver­eh­rungs­for­men und Ver­eh­rungs­struk­tu­ren der Kul­te blei­ben immer iden­tisch. Ergo ver­ber­gen sich hin­ter den Begrif­fen Kitsch, Kult, Trash bei nähe­rer Betrach­tung nur Aus­sa­gen und sub­jek­ti­ve Wert­ur­tei­le. So bleibt zu kon­sta­tie­ren, dass es sich bei der Ein­schät­zung des­sen, was als ‚Kitsch‘, ‚Trash‘ oder ‚Kult‘ zu beti­teln ist, genau­so ver­hält wie beim Mythos, d.h. alles kann zum ‚Kult‘, ‚Kitsch‘ oder ‚Trash‘ wer­den (vgl. Bar­thes 1964: 85). Der gegen­wär­ti­ge Kult­be­griff scheint nur noch eine Art Plat­ti­tü­de bzw. gro­ße Wort­hül­se zu sein für ästhe­ti­sche und zumeist sub­jek­ti­ve Aus­sa­gen und Wert­ur­tei­le. Was Kult ist und was nicht, bleibt somit letzt­end­lich eine rei­ne Defi­ni­ti­ons- und Geschmackssache.

Viel­mehr noch die Gesetz­mä­ßig­kei­ten des Kul­tes wur­den (sys­te­ma­tisch) inver­tiert und kom­mer­zia­li­siert. „Kult ist daher heu­te eine wohl­fei­le Benen­nung, deren Seman­tik zu Mark­te getra­gen wird“ (Mohr 2001/2010: 507).

Literaturverzeichnis:

Bar­thes, Roland: Mythen des All­tags. Frank­furt a. M., 1964.

Enderwitz, Ulrich: Wirk­lich­keit ohne Wert. Eine Unter­su­chung zum Ver­hält­nis von Kunst, Kult und Kom­merz. Köln, 2011.

Illing, Frank: Kitsch, Kom­merz und Kult. Sozio­lo­gie des schlech­ten Geschmacks. Kon­stanz, 2006.

Misik, Robert: Das Kult-Buch. Glanz und Elend der Kom­merz­kul­tur. Bonn, 2007.

Mohr, Hubert. “Kult”. In: Barack, Karl­heinz; Mar­tin Fon­ti­us, Die­ter Schlen­stedt, Burk­hart Stein­wachs, Fried­rich Wolf­zet­tel (Hg.): Ästhe­thi­sche Grund­be­grif­fe. Band 3 Har­mo­nie – Mate­ri­al. Stutt­gart und Wei­mar, 2001/ 2010. S.498–510.

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Portrait Lydia Maria Taylor

Lydia Maria Taylor

*16.12.1980 in Fort Bragg/USA

seit Okto­ber 2009:
Pro­mo­ti­on im Fach Anglis­tik: Lite­ra­tur­wis­sen­schaft bei Prof. Dr. Rudolf Frei­burg an der Fried­rich-Alex­an­der-Uni­ver­si­tät Erlangen-Nürnberg

10/2009 – 05/2011:
Sti­pen­dia­tin des Pro­gramms zur För­de­rung beson­ders begab­ter Nach­wuchs­wis­sen­schaft­le­rin­nen der Phi­lo­so­phi­schen Fakul­tät und des Fach­be­reichs Theo­lo­gie an der FAU

seit Okto­ber 2011: Men­tee im Men­to­ring-Pro­gramm ARIADNEphil

Teil­nah­me sowie Prä­sen­ta­ti­on eines Vor­trags mit dem Titel “Pan­do­ra in the Box – Tra­vel­ling around the World in the Name of Fashion” bei der 3rd Glo­bal Con­fe­rence – Fashion: Explo­ring Cri­ti­cal Issues am Mans­field Col­lege in Oxford, Eng­land, vom 22.–25.09.2011