“Das Schlüpfen in eine fremde Haut ist wie ein Ausruhen von sich selbst”

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Ein Gespräch mit Anne Weber

von Agnes Bidmon und Sabi­ne Wirth

 

Anläss­lich des Erlan­ger Poe­ten­fests traf
Schau ins Blau die Autor-Über­set­ze­rin Anne Weber, die seit ihrem acht­zehn­ten Lebens­jahr in Frank­reich lebt und schreibt. Sie ist eine Grenz­gän­ge­rin zwi­schen den Spra­chen, indem sie nicht nur in bei­den Spra­chen schreibt, son­dern auch in bei­de Spra­chen über­setzt — sowohl die Tex­te Ande­rer als auch ihre eigenen.

Schau ins Blau: Frau Weber, Sie leben seit sehr vie­len Jah­ren in Paris und schrei­ben sowohl auf fran­zö­sisch als auch auf deutsch. Dar­aus lei­tet sich die Fra­ge ab, wel­che Bedeu­tung für Sie der Ter­mi­nus ?Mut­ter­spra­che’ hat und wel­che Spra­che Sie für sich, wenn Sie über­haupt noch mit die­sem Begriff ope­rie­ren, als Mut­ter­spra­che bezeichnen?

Anne Weber: Ja, ich rede von Mut­ter­spra­che, und in mei­nem Fall ist das ganz ein­deu­tig. Mei­ne Mut­ter­spra­che, mei­ne ers­te, ursprüng­li­che Spra­che ist das Deut­sche und dann ist das Fran­zö­si­sche erst in der Schu­le, nach dem Eng­li­schen, dazu­ge­kom­men und hat in mei­nem Leben, vor allem natür­lich in mei­nem Leben in Frank­reich, einen wich­ti­gen Platz ein­ge­nom­men. Aber Mut­ter­spra­che — die Mut­ter­spra­che ist natür­lich die Spra­che, die von der Mut­ter gespro­chen und ver­mit­telt wur­de, und es ist die aller­nächs­te Spra­che, es ist die Spra­che, die einem nicht ver­lo­ren gehen kann oder nur sehr schwer ver­lo­ren gehen kann. Da muss man sich eigent­lich schon sehr anstren­gen — oder die Umstän­de müss­ten so dra­ma­tisch sein und es müs­sen Jahr­zehn­te ver­ge­hen, damit man die Mut­ter­spra­che ver­gisst, wäh­rend das Fran­zö­si­sche, also die Fremd­spra­che, für mich sehr an der Ober­flä­che bleibt, obwohl ich jetzt schon län­ger in Frank­reich lebe als ich je in Deutsch­land gelebt habe. Das mer­ke ich ganz ein­fach dann, wenn ich wie­der eine Wei­le in Deutsch­land bin, für ein paar Wochen oder Mona­te, da rückt schon das Fran­zö­si­sche sofort wie­der in den Hin­ter­grund und es ist viel weni­ger tief ver­an­kert, das mer­ke ich.

Schau ins Blau: War­um haben Sie erst zu publi­zie­ren begon­nen, als Sie in Frank­reich waren — was war dafür der Beweg­grund? War die Distanz von Deutsch­land, der Spra­che und der Kul­tur nötig, um sich frei­er oder um sich über­haupt aus­drü­cken zu können?


Anne Weber: Ich bin mit 18 aus Deutsch­land weg­ge­gan­gen, direkt nach dem Abitur, und in dem Alter… Es gibt zwar Leu­te, die da schon anfan­gen zu ver­öf­fent­li­chen, aber das war nicht mein Fall. Geschrie­ben habe ich zwar schon als Jugend­li­che, aber natür­lich nicht ver­öf­fent­licht und dann war ich erst mal in Frank­reich, in einer ganz ande­ren Sprach­um­ge­bung und eigent­lich auch in einer völ­lig ande­ren Welt. Und das hat erst mal Jah­re gedau­ert, bis ich mich dort — wie soll ich sagen — erst mal zurecht­ge­fun­den habe und bis ich mich auch in die­ser Sprach­welt zurecht­ge­fun­den habe und dann ist gera­de das Sprach­li­che aber auch gleich sehr wich­tig gewor­den, und ich habe mich von Anfang an dem Fran­zö­si­schen sehr geöff­net, habe es auf­ge­nom­men und habe ver­sucht zu hören und zu ver­ste­hen. Und nach Jah­ren habe ich dann ange­fan­gen, die ers­ten fran­zö­si­schen Tex­te zu schrei­ben. Das waren erst mal Gedich­te, weil ich vor­her auch schon in Deutsch­land Gedich­te schrieb, und dann irgend­wann Pro­sa. Und dann lag der Gedan­ke nahe, die­se fran­zö­si­schen Tex­te auch zunächst in Frank­reich zu ver­öf­fent­li­chen und es ist dann auch in die­ser Rei­hen­fol­ge gesche­hen: ich habe also zuerst in Frank­reich ver­öf­fent­licht, das Buch dann ins Deut­sche über­tra­gen und einen deut­schen Ver­lag gefun­den dafür.

Schau ins Blau: In Ihrem Arti­kel
?Trou­ver sa lan­gue, trou­ver sa place”, der die­ses Jahr in
Le Mon­de erschie­nen ist, heißt es, dass es eine Sehn­sucht nach der ?ande­ren’ Spra­che gibt. Haben Sie die­se Spra­che, die­se frem­de oder neue, ande­re Spra­che eher gesucht oder sind Sie von ihr gefun­den worden?

Anne Weber: Ich glau­be, ich habe sie nicht nur gesucht, son­dern ich habe sie mir auch rich­tig erar­bei­tet. Und — das wäre ja schön, wenn man irgend­wo hin­kä­me und dann ein­fach gefun­den wür­de von einer Spra­che, dann könn­te man sich man­chen Sprach­kurs spa­ren. Nein, es ist schon eine ganz schö­ne Arbeit, eine ganz schö­ne Anstren­gung gewe­sen, sich so in eine frem­de Spra­che hin­ein­zu­den­ken und zu füh­len, wie ich das getan habe. Ich gehö­re auch nicht zu den Leu­ten wie zum Bei­spiel Ilma Rakusa, die bei der Über­setz­er­werk­statt anwe­send war und auch sehr schön gespro­chen hat, die in ich-weiß-nicht-wie-vie­len Spra­chen zuhau­se ist. Aber sie wür­de, sag­te sie, nie in einer ande­ren Spra­che schrei­ben als im Deut­schen. Ich habe mich sehr auf das Fran­zö­si­sche kon­zen­triert und das Deut­sche, das mei­ne Mut­ter­spra­che ist, aber ich habe sonst kei­ne. Gut, ich spre­che ein biss­chen Eng­lisch, wie jeder­mann, aber das Fran­zö­si­sche ist mei­ne ein­zi­ge ganz enge und nahe zwei­te Spra­che, Fremd­spra­che, und ich habe ver­sucht, es zu einer Art von Voll­kom­men­heit zu brin­gen, soweit man das als Aus­län­der kann — und man kann es eben nicht, aber man ver­sucht es.

Schau ins Blau: Zumal eine Ihrer Beson­der­hei­ten ja ist, dass Sie in bei­den Spra­chen schrei­ben und über­set­zen und zudem ihre Tex­te auch selbst über­set­zen, wobei sehr vie­le ande­re Über­set­zer kon­sta­tie­ren, dass ihnen das unmög­lich wäre. Ist die­ses ?Sich-Selbst-Über­set­zen”, wie Sie in ihrem Buch
Ers­te Per­son dar­stel­len, also eine Art der Begeg­nung mit einem Ande­ren in sich selbst?

Anne Weber: Ja es ist tat­säch­lich so, wie bei der Über­setz­er­werk­statt auch gesagt wur­de, dass man auch ein biss­chen ein ande­rer Mensch wird in einer ande­ren Spra­che. Ein Teil Ver­klei­dung steckt dahin­ter, man schlüpft in eine frem­de Haut. Es ist aber nicht so, dass man das so schau­spie­ler­haft absicht­lich annimmt, son­dern das geschieht unwill­kür­lich mit einem. Und beim Sich-Selbst-Über­set­zen schlüp­fe ich in mei­ne deut­sche Haut zurück, in mei­ne zurück­ge­las­se­ne, zeit­wei­lig abge­leg­te Mut­ter­spra­chen­haut, und dann wie­der ins Frem­de. Und das ist so ein Hin und Her, so ein Dazwi­schen, das hab ich auch ver­sucht, in der Dis­kus­si­on zu sagen. So ein Ange­sie­delt-Sein im Dazwi­schen, in einem Raum, der unge­wiss ist — zwi­schen zwei Spra­chen und zwi­schen zwei Stüh­len und zwi­schen zwei Wel­ten und Län­dern und Lan­des­ge­schich­ten, Kul­tu­ren — und die­ser Platz ist genau einer, der nicht unbe­dingt gera­de bequem ist für das täg­li­chen Leben, aber der ein güns­ti­ger Ort zum Schrei­ben für mich ist.
Schau ins Blau: Ermög­licht die­ser Raum — die­ses Dazwi­schen, von dem sie gera­de gespro­chen haben und den Sie ja auch in ihrem Text expli­zit erwäh­nen -, also die­se Ver­wei­ge­rung eines völ­li­gen Ange­hö­rens weder der einen noch der ande­ren Sprach­hei­mat, eher zu einer Art Dop­pel­hei­mat oder Hei­mat­lo­sig­keit, also eher zur Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit oder der Mög­lich­keit der Frei­heit, der Indi­vi­dua­li­tät und der Selbstsorge?

Anne Weber: Also, Hei­mat­lo­sig­keit, da will ich jetzt nicht, dass alle gleich ihre Taschen­tü­cher zücken und mich wegen mei­ner ?Hei­mat­lo­sig­keit’ bemit­lei­den. Aber es ist schon so, wenn man so lan­ge weg ist aus dem eige­nen Land, dass man sich natür­lich fremd fühlt, wenn man zurück­kommt und dass man sich auch manch­mal in der Spra­che nicht mehr so rich­tig zuhau­se fühlt, weil die sich ja ers­tens wei­ter­ent­wi­ckelt hat und sich ver­än­dert und weil sie zwei­tens in wei­te­re Fer­ne gerückt ist und man die Wor­te nicht mehr fin­det, oder einem ande­re Wor­te ein­fal­len aus dem Deut­schen. Aber natür­lich bin ich in Frank­reich nicht so hei­misch gewor­den, dass ich sagen könn­te, ich füh­le mich wie eine Fran­zö­sin und ich bin jetzt Fran­zö­sin gewor­den und spre­che wie eine Fran­zö­sin — das wird auch nie ein­tre­ten — weil ich dazu zu spät in die­ses Land gezo­gen bin. Es ist gleich­zei­tig eine unbe­que­me Situa­ti­on, aber auch eine ganz frucht­ba­re, den­ke ich. Es ist ein ?Blick von außen’ gewor­den, in bei­den Län­dern oder in bei­den Spra­chen und das ist, glau­be ich, auch für das Schrei­ben das Rich­ti­ge. Das ist mir zum ers­ten Mal beim Schrei­ben im Fran­zö­si­schen bewusst gewor­den, dass man wirk­lich eine Spra­che auch von außen betrach­ten kann. Das tut man mit der Mut­ter­spra­che nicht. Und mit der Fremd­spra­che tut man es schon, eigent­lich schon wenn man sie lernt, bereits wenn man die ers­ten Schrit­te in ihr macht, aber erst recht natür­lich, wenn man ver­sucht, etwas zu schrei­ben. Also wenn ich sage von ?außen betrach­ten’, dann mei­ne ich damit zum Bei­spiel, dass man bestimm­te Rede­wen­dun­gen oder Sprach­kli­schees nicht ein­fach auf­nimmt oder über­nimmt, son­dern dass man das alles aus­ein­an­der nimmt. Dass man hin­ter dem über­tra­ge­nen Sinn sofort immer den ursprüng­li­chen Sinn sieht. Und das ist in der Mut­ter­spra­che ein­fach nicht so, weil man die­se Sprach­kon­ven­tio­nen viel zu sehr ver­in­ner­licht hat.

Schau ins Blau: Führt die­se Dif­fe­renz­er­fah­rung, die Sie eben gera­de beschrie­ben haben, dann sowohl als Deut­sche dem Fran­zö­si­schen gegen­über wie auch als Fran­zö­sin dem Deut­schen gegen­über zu einer Mög­lich­keit der objek­ti­ve­ren Begeg­nung der bei­den Spra­chen oder Sprach­ge­füh­le mit­ein­an­der? Liegt dar­in nicht auch eine Art ethi­sches Moment, indem man sagen könn­te, dass man sich die ande­re Spra­che nicht völ­lig aneig­net, son­dern ihr ihre Fremd­heit zuge­steht und damit der ande­ren Spra­che auf eine Wei­se ?gerecht’ wird oder zumin­dest gerech­ter, als wenn man sie ein­fach auto­ma­ti­siert für sich annimmt?

Anne Weber: Ich wür­de das nicht mit mora­li­schen Kri­te­ri­en bewer­ten. Zumal man das ja nicht bewusst tut, son­dern all das, das ver­su­che ich jetzt mehr schlecht als recht zu for­mu­lie­ren… aber im Grun­de funk­tio­niert das ja alles — Funk­tio­nie­ren ist auch schon das fal­sche Wort, das geschieht mehr oder weni­ger völ­lig unbe­wusst, und das Meis­te dar­an ist ein­fach auch nicht for­mu­lier­bar. Oder jeden­falls nicht im Gespräch — ich müss­te das dann ver­su­chen auf­zu­schrei­ben und in mei­ne Spra­che zu fas­sen. Natür­lich, man kann ja gar nicht anders als der Fremd­spra­che das Frem­de zuzu­ge­ste­hen. Man ist ja damit kon­fron­tiert und man wird davon auch zurück­ge­sto­ßen, von die­ser Fremd­heit. Es ist auch ein Kampf gegen die­se Spra­che, damit man über­haupt ein biss­chen ein­drin­gen kann, damit sie einen auf­nimmt. Und die­sen Kampf gibt es in der Mut­ter­spra­che nicht, weil die einem so zufällt. Die nimmt man auf mit der Mut­ter­milch und denkt im Grun­de lan­ge Zeit über­haupt nicht dar­über nach.

Schau ins Blau: Ist die­ser Kampf mit der Spra­che viel­leicht auch eine bestän­di­ge Her­aus­for­de­rung nach Per­fek­ti­on, weil — wie Sie sagen — man die ers­ten 18 Jah­re nicht nach­ho­len kann und das Fran­zö­si­sche nie­mals Ihre Mut­ter­spra­che wer­den wird? Wie ist somit in die­sem Zusam­men­hang das Ver­hält­nis von gespro­che­ner Spra­che und Schrift­spra­che zu sehen: Kön­nen Sie in Tex­ten eine Art ?Per­fek­ti­on’ errei­chen, so dass ande­re Men­schen Sie für eine Mut­ter­sprach­le­rin hal­ten, was Sie viel­leicht im All­tags­le­ben nie vor­täu­schen könnten?

Anne Weber: Ja, das ist so. Mir hat jetzt auch noch nie­mand gesagt, Dei­ne Tex­te lesen sich aber beson­ders deutsch oder da ist jetzt deut­sche Syn­tax zu spü­ren, das ist wohl nicht so. Und tat­säch­lich, so etwas wie Akzent ver­liert sich ja im Schrift­li­chen, Gott sei Dank. So dass ich da tat­säch­lich als Fran­zö­sin durch­ge­hen könn­te. Das stimmt. Das habe ich mir so noch nicht über­legt, aber im Schrift­li­chen bin ich fast die per­fek­te Französin.

Schau ins Blau: Sie spre­chen ja auch davon, dass Ihre Tex­te — in zwei Spra­chen ver­fasst — zwei Ori­gi­na­le sind. Kann man das jeweils als eine Form von The­ma und Varia­ti­on viel­leicht fas­sen? Anders gewen­det: Wie wer­den Sie den unter­schied­li­chen kul­tu­rel­len Codie­run­gen oder Auf­la­dun­gen gerecht? Ich den­ke ins­be­son­de­re an ihren neu­en Text
August, der ja doch mit sehr vie­len deutsch­spra­chi­gen und deut­schen lite­ra­ri­schen und lite­ra­tur­ge­schicht­li­chen Tra­di­tio­nen spielt. Kann man so einen Text eins zu eins nach Frank­reich expor­tie­ren oder sind da nicht ande­re Zugangs­wei­sen erforderlich?

Anne Weber: Also, eins zu eins sicher nicht. Bei die­sem neu­en Manu­skript, aus dem ich ganz kurz vor­ge­le­sen habe in Erlan­gen, geht es um Goe­thes Sohn und da ist ein even­tu­el­les Pro­blem, dass die­se gan­ze Umge­bung von Goe­the in Wei­mar, sein Sohn und des­sen Fami­lie usw., dass das alles in Frank­reich nicht bekannt ist und dass natür­lich über­haupt das alte Wei­mar dem fran­zö­si­schen Bil­dungs­bür­ger oder Leser nicht so prä­sent ist. Aber es ist dann mehr ein Pro­blem für den Ver­lag, Leser dafür zu fin­den, weil sie mir sagen, das ist ein The­ma, was hier nicht so gro­ße Beach­tung fin­den wird und weil es die Leu­te hier nicht ken­nen. Aber beim Erstel­len der fran­zö­si­schen Fas­sung habe ich natür­lich dar­an über­haupt nicht gedacht. Da geht es um ein­zel­ne Sät­ze oder Wör­ter oder Ver­se, es ist ja teils auch in Ver­sen geschrie­ben. Und damit bin ich sehr frei, also nicht eins zu eins, umge­gan­gen. Man muss ja auch sich selbst gegen­über nicht so gro­ßen Respekt haben, ich bin mir ja nicht zu einer unbe­ding­ten Treue ver­pflich­tet. Und ich den­ke, dass es mir gelun­gen ist, einen fran­zö­si­schen Text zu fabri­zie­ren, der dem Deut­schen eini­ger­ma­ßen entspricht.

Schau ins Blau: Inwie­fern beein­flus­sen folg­lich bei­de lite­ra­ri­sche und sprach­li­che Tra­di­tio­nen, sowohl die des Fran­zö­si­schen als auch die des Deut­schen, Ihr eige­nes Schrei­ben — sowohl die lite­ra­ri­schen Tra­di­tio­nen als auch die Spra­che in all ihrer Musi­ka­li­tät, Rhyth­mik und ihrem ihr eige­nen Klang? Ins­be­son­de­re das Fran­zö­si­sche wird oft als sehr musi­ka­li­sche, poe­ti­sche Spra­che beschrie­ben, was dem Deut­schen ja oft­mals nicht zuge­stan­den wird. Beein­flus­sen die­se Zuschrei­bun­gen auch Ihr eige­nes Schrei­ben und Übersetzen?

Anne Weber: Das sind eigent­lich auch so ein biss­chen Kli­schees, die­se Vor­stel­lun­gen von den Spra­chen… Das Deut­sche ist ja eine ganz gro­ße Dich­ter­spra­che und auch in der Musik — ich glau­be die Musi­ker sagen, das Deut­sche las­se sich viel bes­ser sin­gen als das Fran­zö­si­sche mit sei­nen vie­len Nasal­lau­ten. Also ich glau­be über­haupt nicht, dass das Fran­zö­si­sche musi­ka­li­scher ist als das Deut­sche. Und mit den Ein­flüs­sen ist es so, dass es von Anfang an so vie­le gibt, dass es schwer fällt, sie aus­ein­an­der zu divi­die­ren und auf wel­che Wei­se — wie soll ich je sagen kön­nen, was aus der fran­zö­si­schen Dich­tung oder der deut­schen Dich­tung gewor­den ist, die ich gele­sen habe? In mei­nem Schrei­ben ist alles so ver­schmol­zen, dass ich es im Nach­hin­ein nicht mehr sagen kann.

Schau ins Blau: Dar­an schließt sich unmit­tel­bar die Fra­ge an, inwie­fern sich Ihr eige­nes Schrei­ben vom Über­set­zen unter­schei­det? Ist es eher ein not­wen­di­ges Wech­sel­spiel zwi­schen Altru­is­mus und Ego­is­mus oder hat es — wie vie­le Ihrer Über­set­zer-Kol­le­gen kon­sta­tie­ren — eher ganz prag­ma­ti­sche Grün­de? Wie gehen Sie selbst dabei vor, was emp­fin­den Sie als Kon­trast die­ser bei­den Tätigkeiten?

Anne Weber: Das ist tat­säch­lich so ein Wech­sel. Ich prak­ti­zie­re das nie gleich­zei­tig, also ent­we­der schrei­be ich oder ich über­set­ze, und es sind schon sehr ver­schie­de­ne Tätig­kei­ten. Ich glau­be, von Proust gibt es den Satz, dass das Schrei­ben auch schon ein Über­set­zen ist, weil man das eigent­li­che oder das wesent­li­che Buch schon in sich hat, nur noch nicht auf­ge­schrie­ben. Und der Unter­schied zum Über­set­zen ist, dass man das Buch vor sich lie­gen hat, dass man kein wei­ßes Blatt hat, dass ein Ande­rer freund­li­cher­wei­se dafür gesorgt hat, dass da schon was steht. Und man braucht das dann ?nur noch” — also das ist ja eine ganz schö­ne Arbeit, wobei nicht nur Arbeit son­dern auch ein Lie­bes­akt manch­mal — zu über­set­zen. Wäh­rend das Eige­ne aus dem Nichts her­aus geschaf­fen wer­den muss. Die­ses unsicht­ba­re Buch, was es da in einem gibt, muss man ja erst mal in Erschei­nung bringen.

Schau ins Blau: Nimmt man die­se viel­fäl­ti­gen Ein­flüs­se der Fremd­au­to­ren bewusst in sich auf? Haben sie Aus­wir­kun­gen auf das eige­ne Schrei­ben oder kann man das rela­tiv strikt tren­nen, wenn Sie sagen, dass das Eige­ne ?aus dem Nichts” geschaf­fen wird? Ist es nicht so, dass die Vor­er­fah­run­gen, die man auch gera­de in der Über­set­zungs­tä­tig­keit frem­der Autoren gemacht hat, das eige­ne Schrei­ben auch nach­hal­tig irgend­wie mit beeinflussen?

Anne Weber: Also wenn ich sage ?aus dem Nichts”, dann mei­ne ich natür­lich nicht ?aus dem Nichts”. Son­dern aus all dem, was man gewor­den ist im Lau­fe der Jah­re, aus die­sem Nähr­bo­den her­aus und natür­lich auch mit all dem, was man gele­sen und erlebt und gefühlt hat. Aber die Bücher, die ich über­set­ze — des­we­gen über­set­ze und schrei­be ich nicht gleich­zei­tig, weil es tat­säch­lich viel­leicht die Gefahr gäbe, dass das eine das ande­re zu sehr beein­flusst oder da hin­ein spielt. Aber auch des­halb, weil man zum Schrei­ben und Über­set­zen eine ganz gro­ße ?dis­po­ni­bi­li­té” — gibt es das auch im Deut­schen? — braucht. Man muss sich inner­lich nur mit die­ser einen Sache beschäf­ti­gen und dann kann ich nicht gleich­zei­tig noch Pierre Michon über­set­zen, das gin­ge nicht. Aber ich glau­be schon, dass ich das ganz gut aus­ein­an­der hal­ten kann und ich habe nicht das Gefühl, dass ich je wie Pierre Michon geschrie­ben habe, nach­dem ich Pierre Michon ins Deut­sche über­setzt habe, noch dass ich je wie Gen­a­zi­no geschrie­ben habe, nach­dem ich Gen­a­zi­no ins Fran­zö­si­sche über­setzt habe, das könn­te man nicht nach­wei­sen, den­ke ich. Für eine bestimm­te Dau­er schlüpft man in eine frem­de Haut hin­ein, aber das legt man dann auch wie­der ab. Das ist wie ein Aus­ru­hen von sich selbst.

Schau ins Blau: Lie­be Frau Weber, wir dan­ken Ihnen ganz herz­lich für die­ses Gespräch.