Ein Hoch auf Hypothesentests!

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von Lea Nöske

„Hil­de. Die­ses Arsch­loch. Ich bin da. Wol­len wir uns mor­gen sehen? Und über ihn ablästern?“

Das war die Reak­ti­on einer mei­ner bes­ten Freun­din­nen, als ich ihr an Weih­nach­ten erzählt hab, dass mein Ex fremd­ge­gan­gen ist, die Cho­se eine Woche vor mir ver­heim­licht hat, um dann mit mir Schluss zu machen. In dem Moment hab ich sie schon sehr lieb gehabt. Genau das war nötig. Bedin­gungs­lo­se Anteil­nah­me-Mit­fühl-Wut, weder reflek­tiert noch hin­ter­fragt. Von jeman­dem, den ich schon seit der Schu­le ken­ne und den ich mitt­ler­wei­le lei­der nur noch höchs­tens alle fünf Mona­te sehe, weil wir in unter­schied­li­chen Städ­ten woh­nen. Aber man­che Leu­te schickt ein­fach der Himmel.

 

Am nächs­ten Tag haben wir uns dann getrof­fen, Wein getrun­ken, Piz­za und Apfel­stru­del geges­sen. Es war herr­lich. Ich war zwar immer noch nicht ganz auf der Höhe und die Sache zu dem Zeit­punkt drei Tage her, aber die Wär­me, die an dem Abend in der Luft lag, hat sich ange­fühlt wie damals, wie ein Mon­tag­mor­gen, an dem Mathe aus­ge­fal­len ist. Die­se tie­fe Erleich­te­rung von innen her­aus, noch­mal davon­ge­kom­men zu sein, vor links­sei­ti­gen Hypo­the­sen­tests, Wur­zel­funk­tio­nen, Vek­to­ren und Betrags­stri­chen. Und genau­so war es ja auch irgend­wie. Zwar unfrei­wil­lig, aber ich war noch­mal davon­ge­kom­men. Dies­mal aus einer Bezie­hung, die letz­ten Ende zwar nicht mal drei Mona­te gehal­ten, mich dafür aber unfass­bar viel Kraft gekos­tet hat.

 

Fort­lau­fend das Gefühl, die ande­re Per­son ein­zu­en­gen, auf der ande­ren Sei­te aber auch das, der ande­ren Per­son nicht genug Auf­merk­sam­keit und Wert­schät­zung ent­ge­gen­zu­brin­gen. Das mich-dazu-getrie­ben-füh­len-Gefühl, die ande­re Per­son von einer Bezie­hung mit mir über­zeu­gen zu müs­sen. Auch wenn da die­se eman­zi­piert-selbst­be­wuss­te Simo­ne de Beau­voir in mei­nem Inne­ren laut wur­de, nie­man­den, und zwar ganz gene­rell, von irgend­ei­ner Art von Bezie­hung mit mir über­zeu­gen zu müs­sen – sei sie freund­schaft­li­cher oder roman­ti­scher Natur. Immer­zu die ande­re Per­son. Die ande­re Per­son und ihre Bedürf­nis­se, die ande­re Per­son und ihre Wün­sche, die ande­re Per­son und ihre Ängs­te. Die ande­re Per­son und das, was sie wohl den­ken, wol­len, erwar­ten, vor­aus­set­zen oder stö­ren könn­te. Die ande­re Per­son eben. Ein ego­is­tisch-ego­zen­tri­sches Nar­ra­tiv, iro­nisch gezeich­net in sei­ner unter­schwel­lig spür­ba­ren, sup­p­ri­mie­ren­den Wir­kung, im Fremd­ge­hen kul­mi­nie­rend. Ein Ende mit Ansa­ge. Fast schon poetologisch.

 

Mitt­ler­wei­le ist das Gan­ze ein paar Mona­te her. Ich schwan­ke zwi­schen „Ich bin drü­ber hin­weg“ und „Heu­te ist es wie­der schlim­mer“, fra­ge Freun­din­nen nach Coping-Stra­te­gien und kau­fe „Glücksgefühl“-Tabletten (eigent­lich nur Magne­si­um mit irgend­wel­chen Vit­ami­nen) in der Dro­ge­rie. Ein wenig Selbst­mit­leid ist das schon, so ehr­lich muss ich sein. Hin und wie­der bade ich da auch sehr ger­ne drin, so ehr­lich muss ich auch sein. Aber je mehr Zeit ver­streicht, umso öfter erin­ne­re ich mich an mich. Dar­an, wie ich mich damals gefühlt habe: Schnel­les Herz­klop­fen, das zum Hals auf­steigt und mir dort die Luft abschnürt, wie zwei Hän­de, die sich um mei­nen Kehl­klopf schlin­gen. Und so beschränkt-albern es klin­gen mag, auch der Anspruch an mich selbst, mich kör­per­lich nicht ver­än­dern zu dür­fen, immer schlank sein zu müs­sen, nur weil er mich im Som­mer so ken­nen­ge­lernt hat. See­li­scher Schmerz kann also doch kör­per­lich wer­den, wenn man es nicht schafft, aus sei­nem eige­nen sozia­len Expe­ri­ment – „Wie schaf­fe ich es, eine Per­son an mich zu bin­den?“ – auszusteigen.

 

Was ein Ein­satz für ver­plan­te Wochen­en­den und Nähe. „Alles für die Wis­sen­schaft“, sagt die Dis­so­nanz­re­duk­ti­on. „Oder auch nur die Quit­tung für gren­zen­lo­se Dumm­heit und den Unwil­len, zu akzep­tie­ren, dass der ein­fach kei­nen Bock auf dich hat­te“, könn­te man ent­geg­nen. In sol­chen Momen­ten den­ke ich mir dann, dass ich ihm fast schon dank­bar sein kann, mich abge­sägt zu haben. Klar, das Fremd­ge­hen hät­te nicht sein müs­sen, aber glück­li­cher­wei­se scheint mein Ego da sta­bil genug zu sein. Auch wenn ich mich, trotz der ein oder ande­ren Tän­de­lei, immer wie­der ein biss­chen ein­sam füh­le, habe ich nicht nur wie­der viel mehr Zeit für mei­ne Freun­de, son­dern auch für mich. Ich schrei­be wie­der und mag mich auch noch mit drei Kilo mehr Kör­per­mas­se – die objek­ti­vie­ren­de Wir­kung die­ser phy­si­ka­li­schen For­mu­lie­rung ist inten­diert. Manch­mal scheint trau­ri­ger­wei­se also doch jemand erst böse zu uns sein zu müs­sen, damit wir wie­der lieb zu uns selbst wer­den kön­nen. Ein Hoch auf Hypothesentests!

Lea Nös­ke ist 23 Jah­re alt, stu­diert in Regens­burg Ger­ma­nis­tik und Roma­nis­tik und schreibt ger­ne Essays, bevor­zugt, um mei­nen eigent­li­chen Auf­ga­ben, bei­spiels­wei­se Haus­ar­bei­ten, aus dem Weg zu gehen.