© Matti Keller
von Matti Keller
“Ja, mal gucken. Viel Spaß!”, sagt Jelena Kuljić im Werkraum der Kammerspiele, bevor der zweite Teil der Plattenpräsentation von Fundamental Interactions beginnt. Alles kann passieren an diesem Abend, der als Jazz-Konzert zum Anlass von 30 Jahren Kriegsende in Bosnien-Herzegowina firmiert.
“Mir war es wichtig, dass wir uns nicht mit Krieg und Traumata beschäftigen, sondern mit allen anderen Dingen, die uns zu Menschen machen, egal, ob das jetzt Liebe, Wut, Nostalgie, Traurigkeit oder was auch immer ist.”, sagt Jelena Kuljić am Rande der After-Show-Party.
Und das geht auf: Vor nichts kann man sich entziehen an diesem Abend in der kleinen Bühne, der das Publikum – ob es will oder nicht – durch Gefühlswelten jagt. Es ist warm, die Luft zu Beginn des Konzerts trocken, der Saal gefüllt. Auf der Bühne Jelena Kuljić sowie Christian Illinger (Schlagzeug), Kalle Kalima (Gitarre), Tim Dahl (Bass) und Olga Reznichenko (Rhodes, Synthesizer) inmitten bekannter und weniger bekannter Instrumente, Synthesizer, Drum-Computer, Pedals, Kabel, Boxen.
Dann setzt der erste treibende Schlagzeug-Beat ein und trifft mitten ins Zwerchfell. Über die nun folgenden 75 Minuten entlocken alle Musiker*innen ihren Instrumenten eine unglaubliche Bandbreite von Klängen: feines, technisch-taktiles Klicken und gläsernes Windspiel, wuchtige Basslinien, atmosphärische Flächen, Rauschen, Knacken, Stöhnen. Manchmal scheinen die Töne ganz ohne Ursprung zu sein, manchmal zieht sich alles Musizieren auf einen Punkt zusammen, mal sehen sich die Besucher*innen mit einer Wand aus Tönen konfrontiert – subtil und sensibel von der Lichttechnik unterstützt, die den Raum verengt und weitet, kühle Nebel mit warmem Blitzlicht abwechselt.
Jeder Song, jedes Stück ist hier – eine Plattitüde, aber so ist es eben – eine Reise. Allerdings nicht all-inclusive auf dem Ozeandampfer, sondern durch Wind und Wetter, durch Städte, deren Lärmpegel kurz oberhalb der Schmerzgrenze liegt (die Dame neben mir atmet hörbar aus, als wir sie wieder verlassen), durch merkwürdige Orte, an denen Schlagzeuger Christian Lillinger im Schneidersitz vor dem sich am Boden drehenden Becken sitzt und durch weite, beinahe mystische Ebenen à la Björk. Immer wieder verliert sich hier der Blick im Unbekannten, hakt sich dann wieder an Bekanntem fest. Es ist ein musikalisches Wechselspiel aus Entgrenzung und Figuration.
Ein Erlebnis ist es aber auch, den Musiker*innen zuzuschauen. Kommunikation ist beim improvisations-lastigen Jazz unerlässlich, und so fliegen Blicke hin und her und Gesten werden durch den Raum geworfen. Jede*r auf der Bühne hat eine spezielle Körperlichkeit, die sich mal nur auf sich selbst zu beziehen scheint und die sich dann wieder mit den anderen Körpern zu einer großen Bewegung zusammenfügt – „Fundamental Interactions” eben:
“Wie die Band und die Musik, mit der ich mich beschäftige, funktioniert, das ist sehr viel Miteinander, Abhängigkeit voneinander. Ich fand es einfach interessant, diesen sehr trockenen Begriff aus der Physik mit etwas so tiefem zu verbinden.”
Mit und in all dem musiziert Jelena Kuljićs rauchige Alt-Stimme mit großer Präzision in Intonation und Artikulation. Gut zu verstehen sind, neben von ihr geschriebenen Lyrics, so auch die vertonten und ins Englische übersetzten Gedichte von zeitgenössischen Lyriker*innen aus Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Serbien. Auch hier ist Interaktion Programm:
“Es geht darum, dass Leute aus den verschiedenen Republiken Ex-Jugoslawiens, die miteinander und gegeneinander Krieg geführt haben, zusammenkommen und entschlossen sind, miteinander zu arbeiten. Um mit diesem Akt zu zeigen, wie sinnlos Kriege sind, dass es dabei keine Gewinner, nur Verlierer gibt.”
Wie alle Teile der Musik stehen die Texte mal mehr und mal weniger im Vordergrund. Es sind weniger ganze Songs, die sich einprägen, sondern vielmehr einzelne Passagen, die sich über den Abend zu kleinen Geschichten und zusammenhängenden Bildern vereinen: “Like a matchstick I contain infinite / promise, my head ablaze, a dent / in the night.” aus Monologue For A First Date der bosnischen Autorin Selma Asotić* tritt mit „loving the leader is the same as / taking care of your car“ der serbischen Lyrikerin und Journalistin Dragana Mladenović, die gerade ihr Leben auf den Protesten gegen das Vučić-Regime in Serbien verbringt und der Zeile „I’m a good citizen. / on weekends I drive for miles” des kroatischen Autors Marko Pogačar in Austausch.
Fundamental Interactions ist ein Erlebnis der besonderen Art, eine Einübung in Austausch und Kommunikation – vor allem aber in das menschliche Fühlen in seiner ganzen Bandbreite. Wer das erfahren möchte, hat bereits morgen beim Nürnberger Jazzfestival die Chance dazu.
*Selma Asotićs Gedichtband „Reci Vatra“ erscheint am 17.11.2025 unter dem Titel “Sag Feuer” erstmals auf Deutsch bei Suhrkamp.
