Gespenster gehen um in Augsburg

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© Jörg Brüggemann

Kritik zu Brechts Gespenster des Berliner Ensembles

von Clara Eisenreich

Mit Flüs­tern, Nebel und Blä­ser­spiel star­tet Brechts Gespens­ter als Gast­spiel des Ber­li­ner Ensem­bles am 16.02.2023 im Mar­ti­ni Park – ein Stück, das wie­der ein­mal beweist, dass gutes Thea­ter auf Zusam­men­ar­beit basiert. Auf der dunk­len Büh­ne hän­gen Suse Wäch­ters Pup­pen, die größ­ten­teils als Brechts Zeit­ge­nos­sen iden­ti­fi­ziert wer­den kön­nen. Wie erhängt erschei­nen die Mario­net­ten bis die­se durch die Puppenspieler*innen, die zugleich auch als Schauspieler*innen auf­tre­ten, zum Leben erweckt werden.

So beginnt ‚Kaf­ka‘ in Form einer klei­nen Mario­net­te über sei­ne Brie­fe zu phi­lo­so­phie­ren. Wäh­rend er sei­ne geschrie­be­nen Wor­te mit Gespens­tern ver­gleicht, wir­belt ein Wind das Papier in die Lüf­te. Der visu­el­le sowie inhalt­li­che Fokus liegt durch den Licht­ein­fall auf der klei­nen Mario­net­te und lässt die Spieler*innen in den Hin­ter­grund tre­ten. Durch die Mate­ria­li­tät des Brie­fes wird Lite­ra­tur bereits in der ers­ten Sze­ne ‚fass­bar‘ und regt zum Nach­den­ken über ihren Stel­len­wert an. Wel­che Bedeu­tung hat Brecht für uns heu­te?, scheint Suse Wäch­ter, nicht nur Pup­pen­spie­le­rin, son­dern auch Regis­seu­rin des Stücks, ihr Publi­kum zu fragen.

Nach Dun­kel­heit, Höl­len­ru­fen und Nebel­ein­satz erscheint der Gast­ge­ber des Abends: ‚Brecht‘ tritt an die­ser Stel­le als Hand­pup­pe auf, wie üblich mit Zigar­re im Mund­win­kel und erklärt ganz im Sin­ne des epi­schen Thea­ters den Auf­bau des Stücks und die Auf­ga­be des Ber­li­ner Ensem­bles. Der Geist Brechts spie­gelt sich tief in die­sem Stück und sei­ner Insze­nie­rung wider. So tritt nicht nur Man­fred Wekwerth, im Anschluss an Brecht von 1960 bis 1969 der Inten­dant des Ber­li­ner Ensem­bles, neben Brecht als Figur auf, er erklärt dar­über hin­aus auch detail­liert Brechts Leh­re, den V‑Effekt und bringt die­sen schließ­lich auch zur Anwen­dung. Der Ein­satz der Pup­pen ist nur ein Bei­spiel dafür.

Des­halb ver­wun­dert es zunächst, dass ‚Brecht‘ nur als Mode­ra­ti­ons­in­stanz auf­tritt, erklärt sich jedoch spä­ter, wenn über ihn von den übri­gen Figu­ren Lobes­hym­nen auf Basis sei­ner Tex­te gesun­gen wer­den. So bleibt er durch­ge­hend im Stück präsent.

© Jörg Brüggemann

Mit dem Abgang ‚Brechts‘ ver­än­dert sich die Büh­ne: War sie zunächst noch als nach­denk­lich stim­men­des Geis­ter­haus prä­sent, wan­delt sie sich jetzt in eine Musi­cal­show. Die ‚Erich Honecker‘-Puppe singt mit so viel Aus­druck, dass bei­na­he ver­ges­sen wer­den kann, dass es sich nur um eine Mario­net­te han­delt und auch als ‚Hen­ry Ford‘ einen Song über den Kom­mu­nis­mus zu einem Song über den Kapi­ta­lis­mus umfor­mu­liert und dazu Schlag­zeug spielt, bin ich beein­druckt von dem Umgang mit den Hand­pup­pen und der vie­len Mög­lich­kei­ten die­ser Insze­nie­rung. Die Inter­ak­ti­on der Pup­pen unter­ein­an­der und mit den Zuschauer*innen treibt die Dyna­mik des Stü­ckes maß­geb­lich voran.

Das The­ma Kom­mu­nis­mus ist nicht nur durch die Figu­ren, wie ‚Erich Hon­ecker‘, ‚Karl Marx‘ oder ‚das Gespenst des Kom­mu­nis­mus‘ prä­sent, son­dern wird auch in gegen­wär­ti­ge Dis­kur­se ein­ge­bun­den und gewinnt so an Aktua­li­tät. Ein Mit­glied des Pro­le­ta­ri­ats for­dert z.B. Brechts Absicht ein, das Thea­ter der sog. Eli­te zu ent­zie­hen. Ein Ver­lan­gen, das sich zudem im Pro­gramm und in den Spiel­stät­ten des dies­jäh­ri­gen Brecht­fes­ti­vals wider­zu­spie­geln scheint. The­ma­tisch unter­streicht das der phi­lo­so­phi­sche Dia­log zwi­schen ‚Gott‘ und ‚Marx‘ über die Bedeu­tung von Glau­ben. ‚Marx‘ wirft ‚Gott‘ vor, sich sei­ner Auf­ga­be, die Welt zu einem bes­se­ren Ort zu machen, zu ent­zie­hen und die Men­schen so sich selbst zu über­las­sen. Das Gespräch der unglei­chen Glei­chen endet nicht nur mit einem Kuss der Figu­ren, der sich für mich als Zuschaue­rin anfühl­te wie ein schlech­ter One-Night-Stand, son­dern auch in der Selbst­re­flek­ti­on der Figu­ren über sich als alte, wei­ße Män­ner. Durch das Auf­grei­fen die­ser For­mu­lie­rung aus femi­nis­ti­schen Debat­ten wird auch hier das Publi­kum zum Nach­den­ken über Kano­ni­sie­rung und dem Pres­ti­ge männ­li­cher Autoren in der Lite­ra­tur angeregt.

Kurz vor Schluss, der Erlö­sung im Him­mel schein­bar nahe, kom­men drei der sie­ben Zwer­ge zu Wort. Sie sol­len „die klei­nen Leu­te mit dem klei­nen Porte­mon­naie“ dar­stel­len und erklä­ren sinn­bild­lich die man­geln­den Auf­stiegs­chan­cen in unse­rer Gesell­schaft, defi­nie­ren Brechts Pro­le­ta­ri­at neu und kri­ti­sie­ren die gesell­schaft­li­che Akzep­tanz von sys­tem­re­le­van­ten, nicht-aka­de­mi­schen Jobs. Der Abend ende­te, wie er auch begon­nen hat­te, mit ‚Kaf­ka‘, der im stau­bi­gen Licht in den Him­mel geschickt wur­de .Brechts Gespens­ter schei­nen Ruhe gefun­den zu haben und ich hel­le Begeis­te­rung: das Zusam­men­spiel aus Büh­nen­bild, Musik, Schau- bzw. Pup­pen­spiel und Licht­tech­nik war so detail­reich und per­fekt abge­stimmt, dass sich die Lei­den­schaft des gesam­ten Teams nur auf das Publi­kum über­tra­gen konnte.