Gestern, morgen, nur nicht heute?

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Ein Kongress über Literatur und Zukunft

von Maxi­mi­li­an Richter

Die ernüch­tern­den Fak­ten gleich vorn­weg: Weder war frü­her alles bes­ser, noch hat Lite­ra­tur für uns die Zukunft auf­ge­ar­bei­tet, auch eine zufrie­den­stel­lend funk­tio­nie­ren­de KI zur Erstel­lung von Tagungs­be­rich­ten exis­tiert noch nicht. Und so kom­me ich nicht umhin, selbst vom Stu­die­ren­den­kon­gress der Kom­pa­ra­tis­tik, der am 27. und 28. Mai 2022 in Wup­per­tal statt­fand, zu erzählen:

Suche nach Unter­kunft: Wer kennt einen, der einen kennt? Der Freund ver­mit­telt den Schlaf­platz bei A, der mich vom Bahn­hof abho­len wird – Zug ver­spä­tet, natür­lich. Man geht nun also noch ein Bier­chen trin­ken und schlen­dert durch das nächt­li­che Wup­per­tal. Spa­zier­gang durchs Vil­len­vier­tel: Fach­werk, Stuck und Neo­klas­si­zis­mus; Grün­der­zeit, erklärt man mir.

- Mit den stei­len Stra­ßen ist das fast wie in San Fran­cis­co, meint A, der noch nie in SF war.

- Aber mit Schwe­be­bahn statt cable car, ent­geg­ne ich, der auch noch nie in SF war.

A fragt mich, was denn das bedeu­te, ein Kon­gress mit dem The­ma „Lite­ra­tur und Zukunft“. Doch ich bin zu müde (eine Aus­re­de), ant­wor­te nur grob (um die Dar­stel­lung von Zukunft und die Zukunft der Lite­ra­tur soll es gehen) und ver­trös­te ihn auf morgen.

Ant­wor­ten gibt es dann andern­tags im Hör­saal: Prof. Dr. Jür­gen Wert­hei­mer eröff­net mit ‚sei­nem‘ „Pro­jekt Cas­san­dra“ – Kri­sen­früh­erken­nung durch Lite­ra­tur­aus­wer­tung – und insze­niert Kom­pa­ra­tis­tik als think tank: Denn gera­de die schein­bar lang­sa­me, iso­lier­te Lite­ra­tur kön­ne als Pro­gno­se­instru­ment die­nen. Bei einer lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­chen Lek­tü­re soll Halbaus­ge­spro­che­nes frei­ge­legt wer­den. Kein ande­res Medi­um ber­ge so vie­le Spu­ren, Ver­än­de­rungs­po­ten­tia­le und See­len­zu­stän­de wie die Lite­ra­tur. Anhand eines brei­ten Text­kor­pus‘ lie­ßen sich unter Berück­sich­ti­gung der loka­len Gege­ben­hei­ten und Vor­ge­schich­ten Zukunfts­vor­aus­sa­gen tref­fen. Pro­no­mi­nal­ver­schie­bun­gen, Feind­bil­der und Gewalt­le­gi­ti­ma­tio­nen zeich­ne­ten hier­bei tek­to­ni­sche Ver­schie­bun­gen einer Lite­ra­tur­land­schaft ab; Mythen und Erin­ne­run­gen dien­ten als Spreng­sät­ze. Da die Lite­ra­tur einem Wirk­lich­keits­ge­fühl ver­pflich­tet sei, ent­hal­te sie ein Sen­so­ri­um der Ver­än­de­rung. So sol­le man sich, laut Wert­hei­mer, das Pri­mat der Lite­ra­tur (schon allein) auf­grund ihrer „Rea­li­täts­sucht“ nicht aus­re­den las­sen. Als soft power ermög­li­che sie die Erklä­rung von Zusam­men­hän­gen, Kon­tex­ten und Reak­tio­nen. Bezeich­nen­der­wei­se inter­es­sie­ren sich NATO SHAPE, die West Point Aca­de­my und das Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um (wel­ches das Pro­jekt sogar för­der­te) für die­se Ansät­ze – ande­re Minis­te­ri­en wären Wert­hei­mer lie­ber gewe­sen. Zudem scheint Cas­san­dra nicht allein der Namens­ge­bung zu die­nen: Das Team um Wert­hei­mer schreibt Berich­te (über den Koso­vo, Alge­ri­en oder Nige­ria), kommt jedoch über sei­nen Bera­ter­sta­tus nicht hin­aus – was, oder ob über­haupt etwas, mit die­sen Infor­ma­tio­nen geschieht, bleibt den Wis­sen­schaft­lern unklar. Zukunfts­pro­gno­sen der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft sind jedoch unab­ding­bar, denn die Tita­nic sei, so Wert­hei­mer, auch nur „auf Sicht gefahren“.

Mit die­ser War­nung star­ten Panels zur Zukunfts­be­wäl­ti­gung in der Sci­ence-Fic­tion, zu urba­nen Zukunfts­sze­na­ri­en sowie zu Gen­der­kon­zep­ten im Lau­fe der Zeit. Auch hier dient der Blick in die Ver­gan­gen­heit als Aus­gangs­punkt der Über­le­gun­gen: Mary Shel­leys The Last Man (1826) beschreibt eine Zukunft, die inzwi­schen zwar über­holt schei­ne – Heiß­luft­bal­lons wer­den wohl nicht mehr das Fort­be­we­gungs­mit­tel der Zukunft –, deren Zeit­geist jedoch höchst aktu­ell sei (Stich­wort Pan­de­mie). Die Vor­tra­gen­de, Kathe­ri­ne Dah­l­quist-Bau­er, merkt aber trotz­dem an, dass das Frau­en­bild, eben­so wie die aus­schließ­lich wei­ße Bevöl­ke­rung, ver­al­tet wir­ke; auch kön­ne sie Shel­ley wohl zum Vor­wurf machen, nie eine weib­li­che Hel­din ima­gi­niert zu haben.

- Und wie nütz­lich kann dann so eine ver­al­te­te lite­ra­ri­sche Zukunft sein? – möch­te A spä­ter wissen.

- Naja, die­se schein­bar ver­staub­te Visi­on bie­tet in ihrer unglaub­li­chen Krea­ti­vi­tät Nähr­bo­den für ste­tig neue Inter­pre­ta­tio­nen, die dar­auf­hin selbst wie­der­um neue Zukünf­te zeich­nen kön­nen, reflek­tie­re ich.

Im Vor­trag von Aiden John wird dies deut­lich: Jea­nette Win­ter­sons 2019 erschie­ne­ner Roman Fran­kiss­stein trans­for­miert Shel­leys Geschich­te über Fran­ken­steins Mons­ter zur trans­hu­ma­nis­ti­schen Zukunfts­vi­si­on: Trans­kör­per­lich­keit wer­de hier einer­seits in Bezug auf Gen­der bespro­chen, aber hin­ter­fra­ge auch die phy­si­sche und kogni­ti­ve Opti­mie­rung eines Men­schen, der dazu bereit ist, sei­nen Kör­per zurück­zu­las­sen. So heißt es im Roman: „The future is not bio­lo­gy – it’s AI“ (Win­ter­son, S. 72), wodurch das heut­zu­ta­ge gefürch­te­te Gefah­ren­po­ten­ti­al der Künst­li­chen Intel­li­genz an die Stel­le der mons­trö­sen Krea­tur Shel­leys trete.

Doch nur vor­der­grün­dig sehen lite­ra­ri­sche Zukünf­te düs­ter aus, selbst dys­to­pi­sche Sze­na­ri­en hel­fen bei der Kul­ti­vie­rung der Kata­stro­phe: Anstatt Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung wird Zukunfts­be­wäl­ti­gung und damit auch ‑gestal­tung betrie­ben. Dadurch, dass poli­ti­sche Pro­ble­ma­ti­ken der Gegen­wart wahr­ge­nom­men und extra­po­liert dar­ge­stellt wer­den – die Lite­ra­tur kann die­se hier­bei nicht nur abbil­den, son­dern der Leser­schaft ganz per­sön­lich näher­brin­gen –, wer­den auch Ver­än­de­rungs­mög­lich­kei­ten auf­ge­zeigt. Denn die War­nun­gen der Lite­ra­tur impli­zie­ren Hoff­nung und zei­gen das Ver­lan­gen nach einer bes­se­ren Welt, wie es Marie-Clai­re Stein­kraus in ihrem Vor­trag erklärt. Dar­über hin­aus demons­trier­ten pro­mi­nen­te Gegen­bei­spie­le wie Star Trek in sei­nen Schau­platz­ver­le­gun­gen des Kal­ten Krie­ges gera­de­zu posi­ti­ve Zukunfts­va­ri­an­ten, die durch ihre Behand­lung von Femi­nis­mus und mit ihrer Kri­tik am Ras­sis­mus, laut der Dok­to­ran­din Jen­ni­fer Preuß, gera­de­zu „woke“ daher­kom­men.

Eben­dies schil­de­re ich A beim Abend­essen. Dass die Beschäf­ti­gung mit der Zukunft einen Blick in die Ver­gan­gen­heit benö­tigt, ver­steht er. Aber war­um denn gera­de im Kino über­wie­gend vom Krieg der Ster­ne erzählt wer­de und nicht etwa von völ­ker­ver­bin­den­den trans­ga­lak­ti­schen Abkom­men, wer­de ich gefragt. Ob Dar­stel­lun­gen von Dys­to­pie und Apo­ka­lyp­se schlicht unver­meid­lich gewor­den oder zur­zeit ein­fach nur en vogue sind, das kann ich ihm nicht beant­wor­ten. Aller­dings wird bei lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­chen Ana­ly­sen evi­dent: Nega­ti­ve wie posi­ti­ve Zukunfts­mo­del­le sind glei­cher­ma­ßen nütz­lich – ent­schei­dend ist, wie die­se die Gegen­wart beein­flus­sen können.

Dahin­ge­hend skiz­ziert auch Prof. Dr. Ursu­la Kocher am zwei­ten Kon­gress­tag Ansät­ze für lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­ches Han­deln. Denn Lite­ra­tur ermög­li­che Teil­ha­be der Leser­schaft an ihren Inhal­ten, die ent­schei­dend über rei­ne Fak­ten hin­aus­ge­hen: Lite­ra­tur expe­ri­men­tie­re, gebe die Mög­lich­keit zur Empa­thie, rege zum Mit­den­ken an – was eine Ent­schleu­ni­gung vor­aus­setzt, die sozia­le Medi­en nicht bie­ten kön­nen –, for­de­re zu Hal­tung auf und demons­trie­re Mul­ti­per­spek­ti­vi­tät (von Theo­rien und Erfah­run­gen). Die­se Teil­ha­be ver­mö­ge es, gera­de durch lite­ra­ri­sche Zukunfts­be­schrei­bun­gen, den Lesen­den Lösungs­an­sät­ze zu geben und Resi­li­enz gegen­über sowie Ver­trau­en in die Zukunft zu schaf­fen. Die Ambi­gui­täts­to­le­ranz der Lite­ra­tur ste­he dabei im ange­neh­men Gegen­satz zum Exper­ten­tum einer oft­mals hand­lungs­un­fä­hi­gen Gegen­wart. Lite­ra­tur­wis­sen­schaft kön­ne nun, so Kocher, in gemein­sa­mer Text­ar­beit Über­set­zung für die Gesell­schaft leis­ten. Gera­de die neu­en stu­dies (ins­be­son­de­re eco­cri­ti­cism und der Ansatz einer natu­re­cul­tu­re) häl­fen bei einer Über­win­dung von binä­ren Oppo­si­tio­nen. Die Idee von Zukunft beinhal­te hier­bei stets eine Schlei­fe über Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart – durch die­ses Wie­der­ho­len und Erin­nern könn­ten Zukunfts­sze­na­ri­en Kon­ti­nui­tä­ten auf­de­cken, Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­se sicht­bar machen und Grenz­über­schrei­tun­gen des Men­schen (Mensch – Tier/Pflanze/Materie/Klima/Maschine/KI) aus­ta­rie­ren. Um hier­bei nicht zu päd­ago­gi­sie­ren, wäre es unum­gäng­lich, Zukunft als gemein­sa­mes Pro­blem – oder bes­ser: als gemein­sa­me Chan­ce – zu ver­mit­teln, was dann in Panels zu Gedächt­nis, Geschich­te und Gegen­wart als Weg­be­rei­ter der Zukunft sowie zu Gesell­schafts­räu­men und Zukunft erneut anklingt.

So betrach­tet der Stu­dent Nico Krö­ger Hei­mat dem­ge­mäß als Noch-Nicht des Zukünf­ti­gen. Anstatt zur Abgren­zung, redu­ziert auf Pola­ri­tät und als Reak­ti­ons­be­griff auf Iden­ti­täts­lo­sig­keit, kön­ne Hei­mat auch als pro­duk­ti­ver Begriff ver­wen­det wer­den; Zukunft ermög­li­che hier ein „Far­big­ma­chen“ der abge­stumpf­ten Merk­welt. Erst Umden­ken und Kri­se schü­fen über­haupt einen Ort des Noch-Nicht, der folg­lich durch ein Tätig­sein zur (viel­leicht uner­reich­ba­ren) Hei­mat wer­den kön­ne. Dies gelin­ge bes­tens im Nicht-Ort, an wel­chen sich das Kon­zept des Noch-Nicht anlehnt; hier kön­ne der Mensch in sei­ner Ver­ein­ze­lungs­er­fah­rung als Beob­ach­ter zu Tage tre­ten, anstatt dass der Ort ihn als Sub­jekt auf sich selbst zurück­ver­wei­se. Im Hotel bei­spiels­wei­se erset­ze eine Zim­mer­num­mer die alte Iden­ti­tät und ermög­li­che eine neue Hei­mat­su­che im Gegen­raum. Viel­leicht wäre es in die­sem Sin­ne sogar mög­lich, die Wel­ten der Zukunfts­li­te­ra­tur als Noch-Nicht-Orte – mal war­nend, mal träu­mend – unse­rer Gegen­wart zu lesen.

In die­se Ker­be schlägt zumin­dest Roman Ehr­lichs 2020 erschie­ne­ne Kli­ma­dys­to­pie Malé, wel­che Zukunft vor allem als Kri­se und Poten­ti­al der Öko­to­pie ver­han­delt: Laut der Stu­den­tin Han­na Sell­heim schie­be sich hier an die Stel­le des Anthro­po­zen­tris­mus eine öko­sys­te­mi­sche Ver­bun­den­heit und der Natur­be­griff wan­de­le sich von einer mensch­li­chen Pro­jek­ti­ons­flä­che zu einem eigen­stän­di­gen Akteur (eines sen­se of won­der). Der Roman dopp­le sein kol­lek­ti­ves Ertrin­ken in Form und Syn­tax; sei­ne Sprach­kri­se wer­de Aus­druck einer mög­li­chen Zukunfts­kri­se der Lite­ra­tur. In sei­ner Prä­sen­ta­ti­on der Wahr­neh­mung des Nicht-Mensch­li­chen sei es nun mög­lich, den Text als eco­pe­dago­gy zu lesen.

- Aber was ihr da machen wollt, das klingt schon sehr nach Schil­lers ästhe­ti­scher Erzie­hung des Men­schen, so neu ist das ja nun nicht, wirft mir A spä­ter vor.

Ganz unrecht hat er damit nicht. Was Lite­ra­tur über Zukunft aller­dings bie­ten kann, ist Kon­flikt­lö­sung durch Krea­ti­vi­tät, denn Kunst ermög­licht eine Dyna­mik, die so im wis­sen­schaft­li­chen und gesell­schaft­li­chen Dis­kurs oft unter­zu­ge­hen scheint.

- Fast wie bei Schil­ler, man sagt dazu jetzt nur Stär­kung von Resi­li­enz, ant­wor­te ich.

Aber Zukunft muss nicht grund­sätz­lich dra­ma­tisch-unheil­schwan­ger erzählt wer­den: Chris­ta Wolfs Tex­te stel­len gar eine anti­tra­gi­sche All­tags­poe­tik dar. Das Schrei­ben las­se sich bei ihr als gesell­schaft­li­che Pra­xis ver­ste­hen, wel­ches als Palim­psest, als Gewe­be von Geschrie­be­nem und Unge­schrie­be­nem eine Ästhe­tik des Netz­werks erzeu­ge, was Clai­re Schle­eger in ihrem Vor­trag auf­zeigt. Die Gegen­wär­tig­keit des Thea­ters erset­ze Wolf durch ein Futur II, das kei­ne gemein­sa­me Zeit ermög­li­che, sodass sich auch hier Zukunft gegen die Tra­gik (der Gesell­schaft) richte.

Höchst tra­gisch hin­ge­gen geht es in Kleists Die Fami­lie Schrof­fen­stein zu. Der Text set­ze – so Juli­us Böhm – gleich drei, oben­drein wider­sprüch­li­che Zukunfts­de­ter­mi­nan­ten (Bluts­ver­wandt­schaft, Erb­ver­trag, Rache­schwur), die eine Sicher­heit des Pas­sie­ren-Wer­dens äußer­ten. Die­ses tra­gi­sche Zukunfts­wis­sen als futu­ri­sche Gege­ben­heit sowie diver­se Mau­er­schau­en ver­ge­gen­wär­tig­ten das Nicht-Gegen­wär­ti­ge: Ver­gan­gen­heit und Zukunft trä­fen im dra­ma­ti­schen Prä­sens auf­ein­an­der, des­sen Knapp­heit der Zeit ein tra­gi­sches „Zu spät!“ unum­gäng­lich schei­nen las­se. Hier­bei sei also die Zeit der Kri­se im Dra­ma zugleich eine Kri­se der Zeit(en); statt dem güns­ti­gen Augen­blick nahe der Unglücks­tag, indi­vi­du­el­le Frei­heit müs­se mit objek­ti­ver Not­wen­dig­keit auf­ge­wo­gen werden.

- Da war mir das mit den Dys­to­pien doch lie­ber, da hat man wenigs­tens das Gefühl, noch etwas ändern zu kön­nen, ent­geg­net mir A, der mir jetzt am Abend des zwei­ten Kon­gress­ta­ges doch noch die Schwe­be­bahn zei­gen möchte.

Das ist wahr­schein­lich auch ein Leit­mo­tiv der Tagung: Zukunft als Mög­lich­keits­raum zu begrei­fen, den uns Lite­ra­tur – die ja selbst wie­der­um Mög­lich­keits­raum ist für mensch­li­ches Nach­den­ken und mensch­li­che Gefüh­le – vor­hält als Hypo­the­se, als War­nung, als Weg­wei­ser, auf die wir nun reagie­ren kön­nen. So zeigt sich Lite­ra­tur als all­zu mensch­lich und damit zutiefst ‚un-maschi­nell‘. Denn Algo­rith­men, Auto­ma­ten und arti­fi­zi­el­le Intel­li­genz sind in die­sen bei­den Tagen erstaun­lich stark in den Hin­ter­grund gerückt in unse­rem Spre­chen über Lite­ra­tur und Zukunft. Frei­lich blei­ben die­se The­men For­schungs­de­si­de­ra­te, Angst vor einer Ablö­sung ‚mensch­ge­mach­ter‘ Stof­fe und Dis­kur­se braucht man – so die Erkennt­nis am Ende des Kon­gres­ses – jedoch nicht zu haben. Den­noch: Ein genaue­rer Blick auf Text­pro­duk­ti­on und Lite­ra­tur­land­schaft der Zukunft blieb lei­der aus, was eine unan­ge­neh­me Leer­stel­le zurücklässt.

Ich kor­ri­gie­re also mei­ne müde Aus­kunft des ers­ten Abends an A: Zukunfts­be­zie­hun­gen in Tex­ten und lite­ra­ri­sche Zukunfts­räu­me wur­den im Rah­men der Tagung prä­zi­se aus­ge­leuch­tet, ob Uto­pie, Dys­to­pie, Öko­to­pie oder ganz indi­vi­du­el­le Zukünf­te. Um die Zukunft der Lite­ra­tur jedoch, hät­te es gern etwas mehr gehen dürfen.

Wir lösen unse­re Tickets und set­zen uns in die Schwebebahn.

- Die war ja auch mal die Zukunft, meint A, wäh­rend wir über der Wup­per fahren.

Hat sich dann aber nicht durch­ge­setzt, zu teu­er, oder weil man den Leu­ten zum Fens­ter rein­schau­en kann, mut­ma­ßen wir in die Wohn­zim­mer der Anwoh­ner bli­ckend. Futu­ris­tisch sieht das Gebil­de aller­dings noch immer aus.

Maxi­mi­li­an Rich­ter, Jahr­gang 1997, absol­viert nach sei­nem Bache­lor in Ver­glei­chen­der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft den Mas­ter in Inter­na­tio­na­ler Lite­ra­tur an der Uni­ver­si­tät Augs­burg. Sei­ne Inter­es­sens­schwer­punk­te hier­bei sind Lite­ra­tur­theo­rie (v. a. Autor­schaft, Text, Medi­en­theo­rie), deutsch­spra­chi­ge Lite­ra­tur des 20. Jahr­hun­dert sowie euro­päi­sches Kino. Nebst­dem unter­nimmt er künst­le­ri­sche Aus­flü­ge in Form von Regie­as­sis­tenz oder Fotografie.