Fotographie: Aron Brendle
Von Aron Brendle, Judith Schreiber, Philipp Maier und Myriam Kammerlander
Schreib am Fluss. Unter diesem Motto trafen sich vier Studierende von schauinsblau an der Wertach in Augsburg. Nach einer kleinen meditativen Übung strömten sie aus, um den Fluss auf sich wirken und diese Wirkung mit dem Stift zu Papier zu bringen. Im Folgenden sind diese Impressionen zusammengestellt.
Aron Brendle
(Schreib überm Fluss)
Rauschen/Dröhnen
eines Rasenmähers in der Kleingartenanlage
des Windes in den Baumkronen
eines Zuges in der Ferne (hoffentlich nicht mehr hier).
Verhaltenes Plätschern des Flusses
Sonne, doch noch, dann wieder Wolken und immer
Wind
Kein Hundegebell hinter den Zäunen, nicht mehr hier. Melancholie.
Dumpfe Musik – Trommeln und Bass
Seiten, wie von Geister-/Zauber-/Windhand umgeblättert
Metallstreben und teils morsches Holz; brutal,
göttlich.
Der Fluss dagegen hat nichts Wildes, Gefährliches an sich.
Pfiff nach einem cremefarbenen Hund, Schwanzwedeln.
Gurren einer Taube, oben auf den Streben des Stegs, kehlig.
Die anderen haben auch keine Angst vor sich nähernden
Zügen. Wieso also du?
Leiter an einer Rückwand des alten Tierheims, mit einem Fahrradschloss an den Zaun
gekettet. Die Farbflecken und das frische Kunstwerk daneben indizieren, dass es eine Graffittihilfe, kein Einbruchmittel ist.
Fahrradhupen-ähnliches Tuten eines Zuges.
Mit der Zeit separiert, kristallisiert sich das Plätschern des Flusses immer mehr vom restlichen Lärm, hebt sich selbst über das Dröhnen der Lok, des Rasenmähers ab.
Ploppen eines Sektkorkens.
Und der Fluss als Konstante.
Amselzwitschern, aufgeregt.
Windböe, schwankende Bäume. Baumkronen erhellt von
Sonnenschein.
Der Schatten des Stiftes, wie er sich über dem Papier hebt und senkt.
Und über allem, unter allem, für alle das Plätschern des Flusses, eine Konstante, eine Notwendigkeit.
Eine Selbstverständlichkeit, eine Illusion.
Gluckern, Glucksen.
Glitzernde Sonnenspiegelung.
Judith Schreiber
Wasser
Sehnsuchtsort
Ruhepol
oder wieso packen wir jeden Sommer unser Leben in Hartschalenkoffer und pilgern gemeinschaftlich dahin, wo wir nur noch Wasser sehen?
Meere
Flüsse
Wasserfälle
rauschen
fließen
den ganzen Tag
wir: besessen davon
laden Meeresrauschen auf Spotify, YouTube und alte MP3 Player
fahren
zum gesund werden
zum gesund bleiben
zur Erholung
zum Spaß
in Scharen
dahin wo Wasser in Fülle ist
nah genug dran
dass wir uns bedienen können
an allem was wir brauchen
aber weit genug weg
dass wir in Sicherheit sind
Wasser keine Gefahr
wir
in Besitz
von Macht
und Kontrolle
lenken Wasser in Städte
fiktive Flussbetten
Wasserhähne
Trinkflaschen
bauen Brücken und Tunnel
weil Wasser eine Ressource
und kein Zivilisationshindernis ist
wir versuchen Wasser uns gleich zu machen
zahm
und leise
und in unsere mit Baggern ausgehobenen Gräber passend
aber rauschen soll es trotzdem noch
nicht stehen bleiben
ungreifbar
groß
und irgendwie mächtig bleiben
Wasser entzieht sich uns
fließt vorbei
nicht aufzuhalten
wir: so fasziniert davon, dass plötzlich alles für uns Wasser ist
stille Menschen sind tiefe Wasser
junge Liebe eine nie versiegende Quelle
das Gegenteil von Mangel Überfluss
und in neuen Situationen werden wir ins kalte Wasser geworfen
Faszination
aber auch
Abhängigkeit
angewiesen sein
ein Ungleichgewicht
immerhin bestehen wir zu 60% aus Wasser
und Wasser besteht zu 100% auch ohne uns
Philipp Maier
Hallo, Grüß Sie, ich möchte Sie über Ihre wirkliche Stellung in der Welt belehren.
So schlammte der Fluss vor sich hin.
Und äffte schelmisch hinterher:
Ich bin schon so groß, dass ich schweigen kann.
Die Quelle des Zusammenhangs, verloren.
Der Zufall vulgär.
Doch schau:
Die Reflexion bedenkt den Ast und
Das Wasser quillt empor, zögerlich
Licht zieht das Flüsslein hinunter
Es plantscht wissend
heiter, ruhig beseelt
Die Ente in tausendem Gefieder.
Beanspruche keine Autorität
Gesang der absoluten Anonymität
Und es floss,
Die Freude des Möglichen
Die Architektur zum Zweck
Das waren alles Menschen
Die Lichter in den Fenstern
Das waren alles Menschen
Die Bahn in Fahrt gerichtet
Das waren alles Menschen
Der Fluss begradigt
Das waren alles Menschen
Passierende Hand in Hand
Das waren alles Menschen
Der Mülleimer mit seinen Sachen
Das waren alles Menschen
Und der Fluss
Das war alles.
Myriam Kammerlander
gleißend weiß bricht der Fluss
durch das Grün
ich schwanke den Abstieg
erst unten kann ich sehen
wo ich bin
zu meinen Füßen schwimmen
kleine weiße Blüten
ich kenne euch nicht
aber friedlich wie ihr seid
möchte ich hier bei euch sitzen
Wertach heißt grünes Wasser
du riechst modrig-heimelig
ich möchte mich in deine sanften
weichen Strudel legen
wie ein Kind
einen Apfel hab ich heute gegessen
die Kerne ins Wasser gespuckt
ich habe mir ein Plätzchen in der Sonne gesucht
wo ich dir nah sein kann
deine Sprache lernen so
wie die der Vögel vielleicht
eines Tages
kann ich nicht auch hier leben?
in den Zweigen der Uferbäume
hängen abgetragene Kleider
hast du sie da hingehängt?
oder einer, der hier wohnt?
ich komme aus der Stadt und
habe schmutzige Schuhe
wie selbstverständlich wasche ich sie
in dir
fließendes Wasser reinigt sich selbst
heißt es
und etwas in mir glaubt noch daran
hier gibt es kleine freundliche Vögel
die dich queren und manchmal
im Flug
ein Schnäbelvoll Wasser nehmen
manchmal
scheint mir
es würde alles zusammenhängen
du, ich, der Eisvogel
die Grasmücke und die Fliegen,
die sich zu meinen Füßen auf den Steinen sonnen
die Apfelkerne und die unbekannten Blüten
im dunklen Wasser, das über dem Moos
kleine Bläschen wirft
jede Waschmaschine und
jedes Gedicht und der Regen und
das Papier, auf dem ich schreibe
du bist ein kleiner Fluss
Wertach,
doch du bist auch überall
die Berge sind in dir
das Sonnenlicht
das alte Moos
der Vogelschnabel
und auch etwas von mir
wir glauben, fließendes Wasser
könne nicht versiegen
ein unendlicher Strom
hoffen wir
und so alt wie die Welt
staunen wir
die Menschenzeit
geht weiter und ich
muss los
und würde doch so gern
deine runden Strudel streicheln
mit meiner Hand
(23.5.2025)