“Theater hat dort gewonnen, wo es keine Lösung mehr weiß.”

You are currently viewing “Theater hat dort gewonnen, wo es keine Lösung mehr weiß.”


Thomas Köck über das politische Schreiben für das Theater

von Johanna Thebe

Tho­mas Köck wird mit sei­nen mehr­fach aus­ge­zeich­ne­ten Thea­ter­tex­ten als poli­ti­scher Autor dis­ku­tiert und dabei zugleich für sei­nen vir­tu­os-poe­ti­schen Sprach­ge­brauch gelobt. Die Pra­xis der Kunst als poli­ti­sches Mit­tel fin­det in sei­nen Thea­ter­tex­ten eben­so Raum, wie in sei­nen Akti­vi­tä­ten als Blog­ger (vor allem im Rah­men des von ihm mit­in­iti­ier­ten Blog­pro­jekts NAZIS & GOLDMUND), aber auch in sei­nen eher theo­re­ti­schen (und dar­in nicht weni­ger poli­tisch, poe­tisch und radi­kal sub­jek­ti­ven) Äuße­run­gen im Rah­men der Ham­bur­ger Poe­tik­vor­le­sung ghost mat­ters oder dem Online­ma­ga­zin log­buch des Suhrkampverlags.

Kapi­ta­lis­mus­kri­tik, Kri­tik an den gesell­schaft­li­chen Aus­gren­zun­gen, an Ras­sis­mus und Neo­ko­lo­nia­lis­mus oder der Kli­ma­wan­del sind eini­ge der The­men, die in den Tex­ten des Mit­te-30-jäh­ri­gen in Öster­reich gebo­re­nen Sprach­künst­lers unter viel­ge­stal­ti­gen und his­to­ri­schen wie aktu­ell theo­re­tisch-phi­lo­so­phi­schen Bezug ver­han­delt wer­den. Dabei schei­nen die­se Tex­te eine ganz prak­ti­sche Ziel­rich­tung zu haben: Gegen den neu­en rech­ten Faschis­mus in Euro­pa, für eine der Ent­frem­dung der spät­ka­pi­ta­lis­ti­schen Lebens- und Pro­duk­ti­ons­wei­sen ent­ge­gen­wir­ken­de Soli­da­ri­tät. Doch nicht nur die The­men, son­dern eben auch der sound die­ser Tex­te des durch Musik sozia­li­sier­ten, in Ber­lin leben­den Autors, geben Anlass, nach dem Ver­hält­nis von lite­ra­ri­schen Tex­ten und poli­ti­scher, sozia­ler und kul­tu­rel­ler Gegen­wart zu fragen.


Schau ins Blau Lie­ber Tho­mas Köck, gro­ßen Dank, dass Sie sich Zeit für das Gespräch mit Schau ins Blau neh­men! Sagen Sie doch ger­ne zu Beginn, was Sie dazu bewegt, sich auf die­se Ein­la­dung zum Gespräch zum Poli­ti­schem im Schrei­ben für das Thea­ter ein­zu­las­sen? Sehen Sie dar­in eine will­kom­me­ne Gele­gen­heit, sich als Autor mit einer enga­gier­ten Hal­tung zu prä­sen­tie­ren und ist dies eine mög­li­che Ergän­zung zu Ihrem poli­ti­schem Schrei­ben? Oder las­sen Sie das Poli­ti­sche doch lie­ber in der Lite­ra­tur stattfinden?

Tho­mas Köck Ich mag das Par­lie­ren, das Suchen als Gesprächs­form, nicht zu wis­sen, wo man hin möch­te. Ihr Maga­zin bie­tet ja die Mög­lich­keit, man­che Din­ge etwas aus­führ­li­cher und aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven zu beleuch­ten. Als Autor bin ich oft der Letz­te, der Ant­wor­ten auf mei­ne Tex­te weiß, aber im Gespräch erge­ben sich viel­leicht dazu Möglichkeiten.

Schau ins Blau Wenn Ihre Tex­te als poli­tisch gel­ten dür­fen, sind sie es dann, weil dar­in eine bewusst gewähl­te Hal­tung trans­por­tiert wird und gibt es dabei bestimm­te ästhe­ti­sche Stra­te­gien, die Sie wählen?

Tho­mas Köck Ich set­ze mich nicht hin und ver­fol­ge den Plan, poli­ti­sche Tex­te zu schrei­ben. Das sind Kate­go­rien von außen, sie stam­men von einem mit Schlag­wor­ten ope­rie­ren­den Betrieb. Ich ver­mu­te, dass das Poli­ti­sche eher auf der Zei­chen­ebe­ne statt­fin­det, weil dort nicht so etwas wie ein Plot oder eine Geschich­te im Vor­der­grund steht oder Figu­ren, die im Dienst eines Pro­blems etwas aus­han­deln, son­dern eher The­sen und die Spra­che selbst. Auch gram­ma­ti­ka­li­sche Regeln kön­nen bestim­men, wie wir über Pro­ble­me spre­chen, wie wir über uns spre­chen, was sicht­bar ist und was nicht und wie wir über­haupt spre­chen. Und ich ver­mu­te, die Kon­zen­tra­ti­on der Tex­te auf die­se Spiel­re­geln der Spra­che anstatt auf die vor­der­grün­di­ge Unter­hal­tung durch einen Plot, iden­ti­fi­ziert man dann als poli­tisch. Für mich ist das eigent­lich nur poe­tisch. Ich sehe da mei­nen Job drin. Zu ver­dich­ten und an der Form weiterzuarbeiten.

Schau ins Blau Sehen Sie, sowohl für die ästhe­ti­sche Gestal­tung, als auch für die Inhal­te Ihrer Tex­te eine Pro­ble­ma­tik dar­in, unter poli­ti­sche oder enga­gier­te Vor­zei­chen gestellt zu wer­den, oder ist das gar kein Widerspruch?

Tho­mas Köck Iden­ti­fi­ziert zu wer­den, kate­go­ri­siert zu wer­den, irgend­wie ein­ge­ord­net zu wer­den ist ja eigent­lich immer schwie­rig. Das Pro­blem ist ja nicht nur das Label, mit dem man bestimm­te Sicht­bar­kei­ten erzeugt und ein bestimm­tes Publi­kum vor­ab fest­legt, son­dern auch eine bestimm­te Les­bar­keit, die dadurch zemen­tiert wird. Wie gesagt, ich wür­de vie­le der ver­meint­lich als poli­tisch iden­ti­fi­zier­ten Ver­fah­ren in den Tex­ten schlicht als poe­tisch bezeich­nen, als For­men der Ver­schrän­kung, der Mon­ta­ge, der Kol­li­si­on, der Aus­ein­an­der­set­zung mit bestim­men Fra­gen und Pro­ble­men, eher mit dem Wunsch kei­ne poli­ti­schen Tex­te zu machen, son­dern Tex­te poli­tisch zu machen. Wenn man es ernst meint mit der Poe­sie, mit der Spra­che, mit den Sät­zen, mit der eige­nen Arbeit im wei­tes­ten Sin­ne (gilt ja auch für Musik oder Film und Per­for­mance), dann schabt man nun ein­mal an den Bedin­gun­gen der eige­nen Per­spek­ti­ve, des eige­nen Welt­zu­gangs und des­halb macht man ja am Ende die­se Arbeit, weil man etwas ver­ste­hen möch­te. Sich selbst viel­leicht. Wie­so man ist, wer man ist. Wie­so die­se Gesell­schaft so ist, wie sie ist, wie ihre Aus­schlüs­se funk­tio­nie­ren, war­um Men­schen ein­an­der Schmerz zufü­gen und ein­an­der ernied­ri­gen. Und um das zu ver­ste­hen, muss man fra­gen und durch das Fra­gen öff­nen sich Räu­me. Das Poli­ti­sche beginnt ja mit Ran­ciè­re dort, wo das Uner­hör­te zur Spra­che kommt, die Nicht-Reprä­sen­tier­ten spre­chen und sich eine Stim­me ver­schaf­fen. Und Poe­sie kann die­se Räu­me erzeu­gen und öff­nen, in dem die­se nicht-reprä­sen­tier­ten Stim­men Gehör bekommen.

Schau ins Blau In Ihrer Ham­bur­ger Poe­tik­vor­le­sung heißt es zum sound Ihrer Tex­te: “sound ist soviel rele­van­ter / als jeder inhalt jedes the­ma soviel / bedeut­sa­mer als poli­tik / gera­de weil er hoch­po­li­tisch ist“[1]. Set­zen Sie hier, auch wenn Sie dann an ande­rer Stel­le von einer „sym-poie­ti­schen ethik“[2] spre­chen, einen ethi­schen Anspruch vor oder in das Poli­ti­sche? Inwie­fern spie­gelt sich also das Poli­ti­sche im sound wider und liegt dar­in eine ethi­sche Qua­li­tät Ihrer Texte?

Tho­mas Köck Der Sound ist ja ein poe­ti­sches Mit­tel, und dann natür­lich ist es sofort poli­tisch, wenn man über­legt, dass Sound auch ent­steht aus dem Nicht­be­fol­gen von gram­ma­ti­ka­li­schen Regeln oder tra­dier­ten Sinn­zu­sam­men­hän­gen, der Sound hat letzt­lich natür­lich auch etwas Eksta­ti­sches, Unkon­trol­lier­ba­res, das die Gram­ma­tik sprengt oder zumin­dest durch­streicht oder den­ken wir an Akzen­te und sofort wird da aus dem Sound eine grö­ße­re Fra­ge über die eige­ne Spra­che, das ver­meint­lich Ori­gi­nä­re eines Sounds, eines Klangs und eines regio­nal begrenz­ten und von dort aus uni­ver­sal gedach­ten Sprach­ge­brauchs und der dar­an anschlie­ßen­den Sinn­zu­sam­men­hän­ge. Ich bin der fes­ten Über­zeu­gung, dass Sinn ein Effekt von Rhyth­mus und Beto­nung ist und nichts, was Begrif­fen inhä­rent wäre. Sound legt die Spu­ren fest, durch die wir dem Sinn folgen.

Schau ins Blau Sowohl Ihre tex­tu­el­le Ästhe­tik der Viel­stim­mig­keit, der Stel­len­wert des Chors in ihren Thea­ter­tex­ten, aber auch die For­de­rung auf dem von Ihnen initi­ier­ten Blog NAZIS & GOLDMUND las­sen ein viel­köp­fi­ges, radi­kal-inklu­si­ves, in sich wider­sprüch­li­ches Kol­lek­tiv als poli­ti­sches Sub­jekt erschei­nen. Was ist dar­an eman­zi­pa­to­risch, wor­in besteht hier das poli­ti­sche Moment?

Tho­mas Köck Ich kom­me ja gar nicht so von der Lite­ra­tur, es ist nicht so, dass ich dach­te, ich möch­te ger­ne Bücher und Roma­ne schrei­ben. Ich kom­me ja aus Pro­be­räu­men, also ver­siff­ten Kel­lern, die für mich aber eben immer sol­che offe­nen Räu­me blei­ben wer­den, tem­po­rä­re auto­no­me Zonen, wo man auch mit Musiker*innen und Kolleg*innen zusam­men­ar­bei­tet und im bes­ten Fall gar nicht mehr weiß, wie jetzt genau ein Sound bzw. ein Song zustan­de kam. Eines beein­flusst da im bes­ten Fall das ande­re beim gemein­sa­men Spie­len. Und das als offe­ne Form, also mit Freund*innen zusam­men Musik zu machen, war letzt­lich die wich­tigs­te, prä­gends­te und ver­schwö­re­rischs­te Pra­xis, die ich je erfah­ren durf­te. Der träu­me ich immer noch hin­ter­her. Mir ging es da nie vor­der­grün­dig um mich, son­dern um die gemein­sa­me Sache. Das ist meis­tens auch eine pre­kä­re Situa­ti­on, weil es von allen ein bestimm­tes Durch­strei­chen des Indi­vi­du­el­len erfor­dert, auf das man wie­der­um hin erzo­gen wur­de, und man durch­lebt gera­de des­halb vie­le schwie­ri­ge Kon­flik­te zusam­men. ‚Sei Du selbst‘, ‚Glaub an Dich‘ und so — all die­se neo­li­be­ra­len Man­tras. Dabei weiß ich doch eigent­lich immer erst, wer ich gera­de bin, was ich mag und so wei­ter, wenn ich mich mit ande­ren aus­tau­sche. Allei­ne ver­küm­me­re ich meis­tens. Und danach suche ich eigent­lich immer noch und dann sind offe­ne For­men natür­lich per se poli­tisch. Nicht nur, weil sie den zen­tra­len Akteur der west­li­chen Moder­ne oder der Auf­klä­rung in Fra­ge stel­len, näm­lich das Indi­vi­du­um, das sich, so erzählt man das zumin­dest, gefäl­ligst selbst ver­wirk­li­chen und etwas aus sich machen soll, sei­ne Beson­der­hei­ten, sein Sin­gu­lä­res zu Mark­te tra­gen soll. Es sind natür­lich tem­po­rä­re Frei­räu­me, die im bes­ten Fall aut­ark sind, auch weil sie dem Wunsch nach Kon­trol­le, nach Ord­nung und Kate­go­ri­sie­rung zuwi­der­lau­fen. Man möch­te ja die Regie und den Autor iden­ti­fi­zie­ren und man will ja fest­le­gen, wer jeweils die Urheber*innen sind. Das sind ja die Kon­troll­werk­zeu­ge der Moder­ne gewe­sen. Und wenn die nicht mehr grei­fen, ent­steht Unru­he. Und die will man ja bekannt­lich ver­mei­den, sonst lei­det das Geschäft und man muss sei­ne eige­nen Kate­go­rien in Fra­ge stel­len. Und mich inter­es­sie­ren ein­fach offe­ne For­men, offen­si­ver Aus­tausch, die gemein­sa­me Pra­xis, die gemein­sa­me Suche. Mich inter­es­siert tat­säch­lich die Sym-Poie­sis, wie das Don­na Hara­way nennt. Ich mei­ne gera­de in einer Zeit, in der über­all Ein­he­gun­gen und Umman­te­lun­gen vor­ge­nom­men wer­den, wo über­all neue Mau­ern gewünscht wer­den und ein völ­lig ver­que­rer, iden­ti­tä­rer Bio­lo­gis­mus mit ver­meint­lich ein­fa­chen Fron­ten wie­der zurück­kehrt, fin­de ich es schon erstre­bens­wert, die Offen­heit, die Ambi­va­lenz und das auch in sich wider­sprüch­li­che Kol­lek­ti­ve her­zu­stel­len und zu ver­su­chen, es aus­zu­hal­ten. Immer wieder.

Schau ins Blau Wie auto­nom sind Ihre Thea­ter­tex­te, inwie­fern ver­ste­hen sich die­se als Literatur?

Tho­mas Köck Auto­no­mie ist auf jeden Fall ein zen­tra­ler Begriff für mich. Das gilt tat­säch­lich auch für die Tex­te, in die­sem Sin­ne, um zu erfah­ren, ob die Tex­te sich selbst als Lite­ra­tur ver­ste­hen, müs­sen Sie schon die Tex­te selbst befragen.

Schau ins Blau Was hat die Auf­führ­bar­keit oder dann die Ver­kör­pe­rung auf der Büh­ne selbst für eine Wir­kung auf den Text und ihr Schrei­ben und liegt dar­in für Sie eine Dimen­si­on des Politischen?

Tho­mas Köck Also die Tex­te wol­len ja nicht, dass die Räu­me, die sie selbst eröff­nen, auf der Büh­ne durch die­sen sehr eng getak­te­ten Betrieb gleich wie­der zuge­macht wer­den. Des­halb sper­ren sie sich hier und da viel­leicht ein wenig. Könn­te man sagen. Ich wür­de eher mei­nen, es sind vor allem die bes­ten und inter­es­san­tes­ten Schauspieler*innen, die sehr vie­le Wider­stän­de gegen­über der Büh­ne mit­brin­gen, gegen­über dem Betrieb­li­chen im Thea­ter, gegen­über so Begrif­fen wie Ver­kör­pe­rung oder so, und mit guten Tex­ten ist es genauso.

Schau ins Blau Sind die Zustän­de in den Thea­tern, in Anbe­tracht der Zugäng­lich­keit, der hier­ar­chi­schen und nach öko­no­mi­schen Kri­te­ri­en orga­ni­sier­ten Betrie­be, aber auch der bestehen­den Wer­tung des Thea­ter­tex­tes, momen­tan güns­tig für poli­ti­sche Autor*innen? Was soll sich ändern?

Tho­mas Köck Ich wür­de mir ins­ge­samt mehr Zugäng­lich­keit und Durch­läs­sig­keit wün­schen. Mehr tem­po­rä­re auto­no­me Zonen für alle Betei­lig­ten. Und ja, die Klas­sik kann man in so spe­zi­el­len Insze­nie­run­gen für tou­ris­ti­sches Publi­kum zei­gen, ansons­ten soll­te man das Thea­ter weg von der Ver­wal­tung des Ewig­glei­chen emanzipieren.

Schau ins Blau Lässt sich befürch­ten, dass Ihre Tex­te, denen ja sehr viel Aner­ken­nung zukommt, zwar eine Berei­che­rung für eine bestimm­te Sze­ne, die sich mit Lite­ra­tur und Thea­ter aus­ein­an­der­setzt, bedeu­ten, aber viel­leicht gera­de hier­durch wie­der­um zum Kon­sum­gut wer­den, statt poli­ti­sche Spreng­kraft zu entfalten?

Tho­mas Köck Ja viel­leicht. Mich inter­es­siert ja eher, durch ande­re Rol­len­ver­hält­nis­se, ande­re Geschich­ten, ande­re Erzäh­lun­gen und ande­re Bil­der am Ende ande­re Beset­zungs­po­li­ti­ken zu ermög­li­chen und neue Sicht­bar­kei­ten her­zu­stel­len, mit reper­toire­fä­hi­gen Tex­ten, was am Ende hof­fent­lich einen Betrieb ein klein wenig ver­än­dert, der immer­hin zei­gen will, wie die Welt so aus­sieht, wer und was reprä­sen­tier­bar ist und ehe man sichs ver­sieht, ste­hen da ande­re Gesich­ter, Geschich­ten und Nor­men und das sind die Ker­ben, die ich mit die­sen Tex­ten in die­se Bret­ter schla­gen will, die immer­hin die Welt bedeu­ten wollen.

Schau ins Blau Gilt es da auch, ande­re, wei­te­re Alli­an­zen außer­halb des Lite­ra­tur- und Thea­ter­be­reichs zu suchen? Wel­che wären das?

Tho­mas Köck Ja, unbe­dingt. Also wie gesagt, ich kom­me ja nicht aus dem Lite­ra­tur- oder Thea­ter­be­reich und suche eigent­lich eh immer Schul­ter­schlüs­se und Kompliz*innenschaften. Eine gute alte Alli­anz wäre der Klas­sen­kampf, wären anti-ras­sis­ti­sche, anti-sexis­ti­sche Netz­wer­ke. Wir haben mit Nazis & Gold­mund ja auch eini­ges pro­biert und ver­sucht, Netz­wer­ke her­zu­stel­len und zu mode­rie­ren. Vor allem mei­ne Kolleg*innen Jörg Albrecht und Ger­hild Stein­buch sind da sehr engagiert.

Schau ins Blau Wenn in der Dis­kus­si­on über Thea­ter heu­te die man­geln­de Diver­si­tät in den Anstel­lun­gen der Schauspieler*innen kri­ti­siert wird und auch die künst­le­ri­sche Arbeit sich mit dem Vor­wurf von eli­tä­rer Stell­ver­tre­tungs­po­li­tik und sogar kul­tu­rel­ler Aneig­nung kon­fron­tiert sieht, wor­in besteht denn da genau die Pro­ble­ma­tik und wie las­sen sich gerech­te­re Struk­tu­ren schaffen?

Tho­mas Köck Die Pro­ble­ma­tik besteht vor allen Din­gen aus einer Welt, in der Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen, Sprech­be­din­gun­gen und Sicht­bar­kei­ten ungleich­mä­ßig ver­teilt sind. Man kann das nicht ein­fach so lösen, ohne an das Grund­übel, näm­lich den Kapi­ta­lis­mus her­an­zu­ge­hen. Man kann aber in einem ers­ten Schritt ver­su­chen, größt­mög­li­che Poly­pho­nie in den Struk­tu­ren her­zu­stel­len. Auf insti­tu­tio­nel­ler Ebe­ne zum Bei­spiel ein­fach erst ein­mal durch Diver­si­tät. Da führt kein Weg dran vor­bei. Man soll­te erst ein­mal poly­pho­ne Struk­tu­ren schaf­fen. Und das nicht nur auf Ebe­ne des Ensem­bles, son­dern auch und vor allem in den Lei­tun­gen, den Dra­ma­tur­gien, den KBBs, usw. Und zwar nicht aus Deko­grün­den, son­dern um schär­fer zusam­men den­ken zu kön­nen und auch ein­fach um neue Alli­an­zen her­stel­len zu kön­nen, damit es auf Dau­er wirk­lich egal sein kann, wer wo wie spricht, auf­tritt und spielt. Die Fra­ge nach wirk­lich län­ger­fris­ti­ger, hori­zon­ta­ler Gerech­tig­keit die­ser gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Struk­tu­ren (und letzt­lich sind die Dis­kus­sio­nen im Thea­ter und in der Kunst ja nur ein Sym­ptom von gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Ver­wer­fun­gen) ist aller­dings um ein Viel­fa­ches kom­ple­xer. Weil wir in einem Sys­tem leben, dass von unglei­chen Ver­hält­nis­sen, von Aus­beu­tung lebt. Die Pro­duk­ti­ons­kos­ten müs­sen so gering wie mög­lich sein, um den Mehr­wert so hoch wie mög­lich zu hal­ten – das wird am Ende immer Aus­beu­tun­gen und unglei­che Struk­tu­ren schaf­fen. Und das soll­te man sich vor Augen füh­ren: Man kriegt den Kapi­ta­lis­mus nicht auf Dau­er grü­ner und diver­ser. Ein nach­hal­ti­ger Kapi­ta­lis­mus ist völ­lig para­dox, weil das gegen das Grund­prin­zip des Wachs­tums lau­fen wür­de. Das ist ähn­lich wie mit der Künst­ler­kri­tik am Kapi­ta­lis­mus nach 68. Der Kapi­ta­lis­mus hat sich erneu­ert, wur­de hip, cool, Pop und von den Yup­pies erobert und die Aus­beu­tun­gen haben sich ledig­lich ver­scho­ben. Und das dür­fen wir jetzt nicht zulas­sen. Wenn wir es ernst mei­nen mit Gleich­be­rech­ti­gung, mit Nach­hal­tig­keit, mit Diver­si­tät, müs­sen wir auch und vor allem an den Kapi­ta­lis­mus ran. Gemein­sam. Und so schmerz­haft es klingt, aber in unse­rem Sys­tem kriegt man das Thea­ter aus dem Kapi­ta­lis­mus aber nicht den Kapi­ta­lis­mus aus dem Theater.

Schau ins Blau Gibt es für Ihre Tex­te einen Tra­di­ti­ons­kon­text des Thea­ter­text­schrei­bens oder ist die­se so schrift­fi­xier­te Fra­ge zu eng gedacht im Anbe­tracht der Offen­heit Ihres Schrei­bens, das inter­me­di­al ist durch die Inte­gra­ti­on von Bild oder Musik in das Tex­tu­el­le, aber auch in Bezug auf gegen­wär­ti­ge und geschicht­li­che Kontexte?

Tho­mas Köck Tra­di­tio­nen wer­den doch von jeder Gene­ra­ti­on neu aus­ge­han­delt, den­ke ich. Also man wür­de wahr­schein­lich heu­te ganz ande­re Tra­di­ti­ons­li­ni­en der Kunst im 19. Jahr­hun­dert aus­ma­chen als viel­leicht vor hun­dert Jah­ren. Man erkennt neue Ähn­lich­kei­ten, weil man neue Fra­gen aus­macht usw. Und mir geht es da ähn­lich. Alle paar Jah­re sehe ich mich mit neu­en Kompliz*innen und Tra­di­tio­nen quer durch die Geschich­te und die Medi­en (selt­sa­mes Wort) ver­knüpft. Mei­ne größ­ten Kompliz*innen stam­men ja aus der Musik. Momen­tan pas­siert hier kaum etwas am Schreib­tisch ohne Anton Rafa­el Irisar­ri, Grou­per, Cate­ri­na Bar­bie­ri oder Hip­hop wie Rebe­ca Lane oder Ana Tijoux. Ansons­ten ist Foto­gra­fie ein Medi­um, das ich wich­tig fin­de fürs Arbei­ten. Aber ich bin eigent­lich der Über­zeu­gung, dass sich die­se Medi­en, Kon­tex­te und letzt­lich Künstler*innen immer schon sehr stark sym-poie­tisch gegen­sei­tig beein­flusst haben. Letzt­lich ist ja gera­de das Thea­ter ein Ort, in dem bild­ne­ri­sche Kunst, dar­stel­len­de Kunst, Lite­ra­tur, Musik usw. zusam­men­kom­men. Und die­ser poten­ti­el­le Aus­tausch reizt mich ins­ge­samt an die­sen Räumen.

Schau ins Blau Wir haben oben schon von dem sound Ihrer Thea­ter­tex­te gespro­chen, wel­cher sich ja auch über die Musi­ka­li­tät und Bild­lich­keit auf die Ebe­ne der Gefüh­le bezie­hen lässt. Wie wür­den Sie das Affek­ti­ve mit ihrer Ästhe­tik und auch mit Ihrem Poli­tik­ver­ständ­nis zusammenbringen?

Tho­mas Köck Weiß nicht, also manch­mal höre ich ja, die Tex­te arbei­ten mit einer Über­wäl­ti­gungs­äs­the­tik oder so. Ich neh­me mei­ne Arbei­ten als poe­ti­sche Tex­tu­ren sehr ernst. Ich will nie­man­den über­wäl­ti­gen, das Thea­ter schon, aber auch nicht über­wäl­ti­gen, son­dern ihm letzt­lich ande­re Räu­me für Tex­te abge­win­nen. Als ich ange­fan­gen habe, am Thea­ter zu arbei­ten, gab es die kla­re Anwei­sung: Ver­lan­ge nicht zuviel, sonst spie­len sie dich nicht. Und die­se Ein­schät­zung woll­te ich mal aus­tes­ten. Und wegen der Affek­ti­vi­tät des Sounds, also wie schon oben gesagt: Ich glau­be ein­fach, dass der Rhyth­mus letzt­lich die Spu­ren zum Sinn weist. Die Art, wie etwas gesagt wird, ent­schei­det, was ankommt. So funk­tio­niert ja auch Popu­lis­mus. So funk­tio­niert natür­lich jede Rede – aber wir ver­ges­sen das bei­zei­ten. Und bei die­sen (und ande­ren) Tex­ten fällt es offen­sicht­lich auf: Spra­che ist nicht ein­fach so da, die wird nach tra­dier­ten Rhyth­men und Regeln per­formt. Und klar, in der uner­war­te­ten Mon­ta­ge von Bil­dern wie­der­um wer­den unter Umstän­den ande­re Bil­der, Struk­tu­ren, und viel­leicht, viel­leicht sogar Aus­we­ge sichtbar.

Schau ins Blau Die Stü­cke, die Sie schrei­ben legen die kata­stro­pha­len Zustän­de der Gegen­wart mit wei­ten his­to­ri­schen Bezü­gen offen und las­sen eine radi­ka­le Kri­tik am Kapi­ta­lis­mus, ein­her­ge­hend mit ver­schie­dens­ten Aus­beu­tungs- und Dis­kri­mi­nie­rungs­for­men zu. Wo und wie gehen Ihre Tex­te über die Kri­tik, die Nega­ti­on und den Bruch mit dem Bestehen­den hinaus?

Tho­mas Köck Auch hier fin­de ich es wich­tig, dass man sich über­legt, dass es reper­toire­fä­hi­ge Tex­te sind. Das heißt im bes­ten Fall sind sie ver­gleich­bar mit Viren, die Häu­ser quer durch die Repu­blik befal­len und Fra­gen an die Struk­tur des Hau­ses stel­len, an die Beset­zungs­po­li­tik und an die Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen – so ver­ste­he ich zumin­dest Wün­sche in den Tex­ten nach Chö­ren, nach diver­sen Beset­zun­gen oder eben grö­ße­re Geschich­ten und Zusam­men­hän­ge (wo ja zeit­ge­nös­si­sche Dra­ma­tik eher klein und unkom­pli­ziert den­ken soll). Das heißt das Pro­duk­ti­ve in den Tex­ten ist für mich eher auf der Pro­duk­ti­ons­ebe­ne zu sehen. In der Anma­ßung, als Autor (der ja vom Betrieb gar nicht gebraucht wird) vom Thea­ter das Unmög­li­che ein­zu­for­dern und dort, wo sich Thea­ter dann dar­auf ein­las­sen, erhal­ten die meis­tens auch tol­le, schö­ne und gemein­schaft­li­che Aben­de zurück. Zumin­dest durf­te ich schon eini­ge erle­ben. Trotz der Här­te der The­men oder der im Text behan­del­ten Pro­ble­me. Aber wenigs­tens spre­chen wir dann im bes­ten Fall ein­mal gemein­sam über die­se Pro­ble­me. Und spie­len die ein­mal gemein­sam durch.

Schau ins Blau Las­sen sich Aspek­te die­ser Pro­duk­ti­vi­tät oder sogar des Uto­pi­schen Ihrer Tex­te auf kon­kre­tes Han­deln bezie­hen? Wenn Ihre Lite­ra­tur (beson­ders ein­dring­lich in den dys­to­pi­schen Sze­na­ri­en aus der Kli­ma­tri­lo­gie) sicher­lich kei­ne gesell­schaft­li­che Uto­pie ent­wirft, gibt sie dann doch benenn­ba­re Impul­se für poli­ti­sches Han­deln im Hier und Jetzt?

Tho­mas Köck Dass die Tex­te kei­ne Uto­pien ent­wer­fen, haben Sie jetzt gesagt. Das ist schon ein kate­go­ri­sches Pro­blem. Wenn ich eine gesell­schaft­li­che Uto­pie suche, dann sehe ich die in einer bestimm­ten Form der Spra­che, in einem bestimm­ten Sound, in einer bestimm­ten Form des Mit­ein­an­ders, in dem viel­leicht bestimm­te Kate­go­rien erst ein­mal nicht statt­fin­den und ein offe­nes, sym-poie­ti­sches Spiel mög­lich ist. Was genau wäre denn eine gesell­schaft­li­che Uto­pie auf der Büh­ne? Ich weiß immer nicht – Thea­ter und Bil­dungs­auf­trag bzw. Thea­ter als hand­lungs­lei­tend. Ich gehe da aus ver­schie­de­nen Grün­den nicht mit. Ich ver­ste­he, dass man sich das wünscht, dass von einer Büh­ne her­un­ter die Schauspieler*innen sagen, wie man zu leben hat und wie die Welt ein bes­se­rer Ort sein könn­te. Die­se gan­ze archi­tek­to­ni­sche Anord­nung dar­an ist schon das Pro­blem. „Da oben“ auf der Büh­ne sind doch erst ein­mal Schauspieler*innen und die Tex­te, die sie spre­chen, und der Raum in dem sie ste­hen und die Klei­dung, die sie tra­gen, sind doch nicht authen­tisch. Das Licht, das sie von hin­ten dra­ma­tisch anleuch­tet, wäh­rend sie ver­meint­lich uto­pisch sind, wird doch zwei Wochen lang pro­biert. Außer­dem ist die­ser Ort Thea­ter ja auch durch­zo­gen von den glei­chen struk­tu­rel­len Pro­ble­men wie der Rest der Welt. Und die soll­te man durch eine gemein­sa­me, sym-poie­ti­sche Pra­xis ändern. Es geht dar­um, die Struk­tu­ren umzu­schmei­ßen und zu ändern – eine bestimm­te Poe­sie oder ein Sound kann das reflek­tie­ren, beglei­ten und auch archi­vie­ren oder ganz schlicht die tra­dier­ten, gewohn­ten Pro­duk­ti­ons- und Spiel­wei­sen zum Stot­tern brin­gen und in der Kol­li­si­on mit dem Wider­stän­di­gen, mit wider­stän­di­gen Tex­ten, die sich gegen bestimm­te gewohn­te Insze­nie­rungs­prak­ti­ken zur Wehr set­zen, etwas völ­lig Neu­ar­ti­ges zuta­ge tre­ten las­sen. Thea­ter hat dort gewon­nen, wo es kei­ne Lösung mehr weiß.


[1]Köck, Tho­mas: ghost mat­ters. poe­tik vor­le­sung von tho­mas köck an der hoch­schu­le für musik & thea­ter ham­burg; https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=17268:die-hamburger-poetikvorlesung-des-dramatikers-thomas-koeck&catid=53:portraet-a-profil&Itemid=83.

[2]Ebd..


(Bild­rech­te: © Elsa-Sophie Jach)

Tho­mas Köck wur­de 1986 in Steyr, Ober­ös­ter­reich gebo­ren. Er ist durch Musik sozia­li­siert und stu­dier­te Phi­lo­so­phie und Lite­ra­tur­theo­rie in Wien und an der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin, sowie Sze­ni­sches Schrei­ben und Film an der Uni­ver­si­tät der Küns­te Ber­lin. Er arbei­te­te beim thea­ter­com­bi­nat wien, war mit einem Doku­men­tar­film­pro­jekt über Bei­rut zur Ber­li­na­le Talents ein­ge­la­den, war Haus­au­tor am Natio­nal­thea­ter Mann­heim, bloggt mit Kolleg*innen auf nazisundgoldmund.net gegen rechts und ent­wi­ckelt mit Andre­as Spechtl unter dem Label ghost­dance kon­zer­tan­te rea­dy­ma­des. Für sei­ne Thea­ter­tex­te wur­de er mehr­fach aus­ge­zeich­net, u.a. 2018 mit dem Lite­ra­tur­preis »Text & Spra­che« des Kul­tur­krei­ses der deut­schen Wirt­schaft sowie 2018 und 2019 mit dem Mül­hei­mer Dra­ma­ti­ker­preis für die Thea­ter­tex­te para­dies spie­len (abend­land. ein abge­sang) und atlas, zuletzt auch mit dem Publi­kums­preis der Mül­hei­mer Thea­ter­ta­ge NRW.