Thomas Glavinic — Das bin doch ich

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“Fin­de ich einen guten Ver­lag? Wird mein Buch der Erfolg, den ich mir wün­sche? Kom­me ich auf die Buch­preis­lis­te?” Gla­vi­nics Roman-Dop­pel­gän­ger ist gezwun­gen, unter die­ser quä­len­den Anspan­nung sein All­tags­le­ben zu meis­tern. Und das mehr schlecht als recht, wie es den Anschein hat.

Mit irr­sin­ni­ger Komik und hals­bre­che­ri­scher Akro­ba­tik zwi­schen Rea­li­tät und Fik­ti­on schil­dert der Autor den Stand­punkt des Schrift­stel­lers inner­halb des Lite­ra­tur­be­triebs. Wer einen Roman schreibt, muss “in gewis­ser Wei­se über sich selbst schrei­ben”, erklärt Gla­vi­nic bei einer Lesung. Und mehr als ein­mal fragt man sich: Wie viel vom Autor steckt denn nun in der Roman­fi­gur? Oder wie viel Roman­fi­gur steckt im Autor?

Die Roman­fi­gur lässt sich trei­ben von der eige­nen Hypo­chon­drie, die ihn zu Dates mit unbe­kann­ten Ärz­tin­nen zwingt, ner­ven­auf­rei­ben­den Fami­li­en­tref­fen und ganz zu schwei­gen von den Erleb­nis­sen inner­halb der Lite­ra­tur­fa­brik: Geschäfts­es­sen, an denen das Bes­te der Wein ist, unan­ge­neh­me Begeg­nun­gen mit Jour­na­lis­ten und Star­au­toren sowie Lesun­gen, die man bes­ser nicht besucht hätte.

Dass der Autor sei­nen Roman­dop­pel­gän­ger bei all dem sel­ten vor­teil­haft schil­dert, macht die Figur umso sym­pa­thi­scher. Wir ver­zei­hen ihm den über­mä­ßi­gen Alko­hol­kon­sum, wir ver­zei­hen ihm, dass er sei­ne viel zu ver­ständ­nis­vol­le Frau eigent­lich jeden Abend zu Hau­se war­ten lässt und auch, dass er sich gele­gent­lich nach zu viel Wein an deut­lich älte­re Frau­en her­an­wagt. Denn wäh­rend sein Freund Dani­el Kehl­mann es mit “Die Ver­mes­sung der Welt” auf die Best­sel­ler­lis­te geschafft hat, fragt Gla­vi­nics Mut­ter, was ihren Sohn denn bis jetzt davon abge­hal­ten hat. Nicht weni­ger komisch ist es, wenn der Erzäh­ler mit sei­nem nör­geln­den Schwie­ger­va­ter im Ses­sel­lift fest­sitzt oder sei­ne Oma ihm eine Wid­mung “für Herrn Pri­ma­ri­us Dok­tor Wein­st­ödl” in eines sei­ner Bücher dik­tiert, “mit inni­gem, herz­li­chen Dank für die Pfle­ge, die Sie mei­ner Groß­mutter Judith Schnei­der im Kran­ken­haus haben ange­dei­hen lassen”.

Doch bei aller unter­schwel­li­gen Kri­tik wol­len die Roman­fi­gur, als auch der Erzäh­ler mit deren Dar­stel­lung, nie so recht bos­haft klin­gen. Viel­mehr hebt der (Anti)Held des Buches immer wie­der ganz sanft her­vor, dass er die Bana­li­tä­ten des All­tags auch irgend­wie mag. Er liebt sei­ne Gewohn­hei­ten und sei­ne Fami­lie, ja, er ver­steht eigent­lich nicht so ganz, wie sei­ne Ver­wandt­schaft sich eigent­lich so gut mit ihm arran­gie­ren kann.

Indem der Autor Gla­vi­nic all­täg­li­che Situa­tio­nen poin­tiert beschreibt, voll­zieht er einen sen­si­blen Balan­ce­akt zwi­schen der Dar­stel­lung har­ter Rea­li­tä­ten und einem aus­ge­präg­ten Gespür für die zumeist tra­gi­ko­mi­sche Wir­kung die­ser Situationen.

Eine Ant­wort dar­auf, wo Autor und erzäh­len­des Ich auf­ein­an­der tref­fen, gibt das Buch jedoch nicht. Ledig­lich Gla­vi­nic selbst gesteht: “Wäre das mein Leben, wür­de ich Selbst­mord begehen.”

Gla­vi­nic the­ma­ti­siert die Fra­ge nach dem Autor in der Gesell­schaft, indem er die Erwar­tungs­hal­tung des Lesers nutzt, um das schein­bar Rea­le in sei­ner Geschich­te her­vor­zu­he­ben und um die Fik­ti­on als Teil des wirk­li­chen Lebens vorzuführen.

So scheint auch das Urteil eini­ger Lite­ra­tur­kri­ti­ker, der Roman sei ledig­lich eine lasche Abrech­nung mit dem Lite­ra­tur­be­trieb und der Autor sel­ber ziem­lich mut­los, in Anbe­tracht des Gespürs für der­art wir­kungs­vol­le Fein­hei­ten unge­recht­fer­tigt. “Das Heroi­sche will nicht mein Fach sein”, gesteht auch Gla­vi­nics Roman-Ich ohne Scham. Maß­lo­se Über­trei­bun­gen wären in die­sem Buch fehl am Platz. Der Autor nutzt sei­nen gran­dio­sen Wort­witz und die schein­ba­re Rea­li­täts­nä­he, um zu zei­gen, wie ein ban­gen­der Schrift­stel­ler sich füh­len muss, der auf die Gunst des Lite­ra­tur­be­triebs ange­wie­sen ist, aber gleich­zei­tig schon alles durch­schaut hat. Auch sich selbst.