“Wir tauschten Blicke — alle drei”: Tandemübersetzen mit Autor

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Uljana Wolf und Steffen Popp über das Übersetzen miteinander und von/mit Christian Hawkey.

Die kana­di­schen Dich­ter-Über­set­zer Erín Mou­re und Robert Maj­zel beschrei­ben ihre Tan­dem­über­set­zung der fran­zö­si­schen Dich­te­rin Nico­le Bros­sard mit dem Verb enact: auf­füh­ren. Die Sprach­büh­ne, auf der sie sich bewe­gen, ist gleich­zei­tig der Raum, in dem sie der Autorin eine Stim­me geben, die sie vor­her nicht hat­te, die gemein­sa­me Stim­me der Über­set­zer, “and thus none of our voices as an indi­vi­du­al”. Viel­mehr ist die­se in der Über­set­zung geschaf­fe­ne Stim­me ein spec­ta­cle: Schau­spiel, die ste­te Ver­hand­lung von Spra­che zwi­schen zwei Kör­pern — die Ent­schei­dung für ein Wort, und somit Gewich­tung, Tak­tung, Klang­far­be des Tex­tes hän­gen, schrei­ben sie, von ihren Kör­pern ab, ihren Reak­tio­nen auf­ein­an­der und auf das Ori­gi­nal im Moment der Über­set­zung. Als ein sol­ches spec­ta­cle, oder, um mit den Wor­ten eines Gedichts von Chris­ti­an Haw­key zu spre­chen, als per­forming under­stan­ding, haben auch wir unser Tan­dem­über­set­zen erlebt. Mit einer klei­nen Erwei­te­rung: Auf der Sprach­büh­ne spiel­te auch die Stim­me des Autors selbst (nicht nur die sei­ner Gedich­te) eine akti­ve Rol­le, ermu­tig­te, ja dräng­te uns immer wie­der, die Über­set­zun­gen über das Ori­gi­nal hin­aus in einer uns gemä­ßen Wei­se zu insze­nie­ren. Wir begeg­ne­ten Chris­ti­an Haw­key im Som­mer 2006 wäh­rend des Inter­na­tio­na­len Poe­sie­fes­ti­vals im slo­we­ni­schen Meda­na, zu einem Zeit­punkt, als sein Debüt­band “The Book of Fun­nels” in den USA bereits beträcht­li­che Aner­ken­nung erfah­ren hat­te. Sei­ne Gedich­te fas­zi­nier­ten uns vor allem durch die Art, wie Bil­der auf­ge­löst wer­den, bevor sie sich im poe­ti­schen Raum eta­blie­ren, wodurch eine oft atem­be­rau­ben­de Dyna­mik ent­steht. Gän­gi­ge Vor­stel­lun­gen von lyri­scher Per­fek­ti­on und End­gül­tig­keit wer­den per­ma­nent und mit ori­gi­nel­len Mit­teln unter­lau­fen, gleich­zei­tig und wie neben­bei ste­hen Ein­drü­cke von gera­de­zu klas­si­scher Anmut und Tie­fe. Chris­ti­an Haw­keys Poe­tik wider­setzt sich ein­fa­chen Begrif­fen, lässt sich weder Lan­guage School, New For­ma­lism noch Spo­ken Word zuord­nen; er zeich­net sich gera­de dadurch aus, dass er ver­schie­de­ne, hete­ro­ge­ne Sti­le auf­nimmt, ver­bin­det und auf eine ganz eige­ne Wei­se wei­ter­ent­wi­ckelt. Schon in Meda­na war uns klar, dass wir Chris­ti­an Haw­keys Gedich­te über­set­zen wür­den. Genau­er, jedem von uns kam die­se Idee etwa zur sel­ben Zeit, und als wir uns spä­ter, zurück in Ber­lin, dar­über aus­tausch­ten, beschlos­sen wir kur­zer­hand, die Über­set­zun­gen gemein­sam anzu­ge­hen. In die­ser Zeit stell­te Ron Wink­ler die Antho­lo­gie zeit­ge­nös­si­scher ame­ri­ka­ni­scher Lyrik “Schwer­kraft” zusam­men, für die wir Über­set­zun­gen von Chris­ti­an Haw­key bei­steu­er­ten. Dabei fan­den wir zu einer gemein­sa­men Arbeits­wei­se, die wir auch wäh­rend der Arbeit an der Werk­aus­wahl “Rei­sen in Zie­gen­ge­schwin­dig­keit” bei­be­hiel­ten. Nach­dem wir eine Aus­wahl aus Chris­ti­an Haw­keys Gedicht­bän­den “The Book of Fun­nels” (2004) und “Citi­zen Of” (2007) getrof­fen hat­ten, an der sich der Autor selbst mit Vor­schlä­gen und Prä­fe­ren­zen betei­lig­te, über­trug jeder zunächst sämt­li­che Tex­te für sich. In die­ser Arbeits­pha­se hiel­ten wir unab­hän­gig von­ein­an­der Rück­spra­che mit dem Autor, der gedul­dig sämt­li­che Fra­gen beant­wor­te­te, oft mehr­mals, in lan­gen Emails und Tele­fon­ge­sprä­chen. Wir Über­set­zer hin­ge­gen tausch­ten uns so wenig wie mög­lich aus, so dass zunächst jeder auf sei­ne Wei­se mit den Tex­ten inter­agie­ren konn­te, Reak­tio­nen auf­zeich­nen, eige­ne Ansät­ze fin­den, die Stim­me des Autors in eine Bezie­hung zur jeweils eige­nen set­zen. Es ist uns daher erst spä­ter auf­ge­fal­len, dass wir teil­wei­se unter­schied­li­che Fra­gen gestellt haben, und dass Chris­ti­an Haw­key wie­der­um ähn­li­che Fra­gen manch­mal unter­schied­lich beant­wor­tet hat. Ob dies nun bewusst oder unbe­wusst geschah, ist einer­lei, wich­tig ist, dass uns die Gedich­te auf die­se Wei­se in ihrer Fremd­heit und ihrem Eigen­sinn erhal­ten blie­ben, uns immer wie­der auch poe­tisch her­aus­for­der­ten und dazu anhiel­ten, sie beim Über­set­zen als Ver­hand­lungs­räu­me, Orte andau­ern­der Trans­fer­vor­gän­ge offen zu hal­ten: A Per­forming Under­stan­ding. Manch­mal ver­wei­ger­te sich der Autor auch direkt unse­ren Fra­gen, ließ uns mit Unklar­hei­ten, schwie­ri­gen Abwä­gun­gen allein, getra­gen von dem Wunsch, dass sich die Tex­te in der Über­set­zung neu schrei­ben, mit dem Über­set­zer anders schrei­ben soll­ten. In einer zwei­ten Arbeits­pha­se leg­ten wir unse­re fer­ti­gen Über­set­zun­gen neben­ein­an­der und erar­bei­te­ten die Tex­te auf eine gemein­sa­me Fas­sung hin noch ein­mal grund­le­gend neu. Die­ses recht auf­wen­di­ge Ver­fah­ren schien uns am bes­ten geeig­net, die unab­läs­si­ge Expe­ri­men­tier­freu­de die­ser Tex­te und das Anders­sa­gen der Über­set­zung aus­zu­rei­zen, ohne die Kon­trol­le ganz aus der Hand zu geben. Der Umstand, dass wir uns in unse­rem eige­nen Schrei­ben, der poe­to­lo­gi­schen Her­an­ge­hens­wei­se, in Syn­tax- und Rhyth­mus­vor­lie­ben (mit ande­ren Wor­ten: den von unse­ren Kör­pern aus­ge­hen­den Stim­men) sehr von­ein­an­der unter­schei­den, erwies sich wider Erwar­ten als eine gute Vor­aus­set­zung, die Viel­zahl der Stim­men, die unser Autor in sei­nen Gedich­ten bün­delt, auch als sol­che wie­der­zu­ge­ben. Auch stell­ten wir fest, dass wir Chris­ti­an Haw­keys Dik­ti­on auf ver­schie­de­ne Wei­se nahe waren; die eine hat­te ein bes­se­res Gefühl für das Neben­ein­an­der ver­schie­de­ner Ton­la­gen, für Asso­nan­zen und für dra­ma­tur­gi­sche Aspek­te, der ande­re kam bes­ser mit den oft ver­schach­tel­ten Per­spek­ti­ven und der teils sur­rea­lis­ti­schen Bild­lich­keit zurecht. Die­se Kom­pe­ten­zen über­schnit­ten sich natür­lich und es gab eine Viel­zahl von Fra­gen, die immer von neu­em ver­han­delt wer­den muss­ten: Wie etwa ließ sich die Fremd­heit der Tex­te im Deut­schen bewah­ren, in wel­chem Maße soll­te die Über­set­zung impli­zi­te Hin­ter­grün­de lie­fern, von denen man aus dem Gespräch mit dem Autor wuss­te, an wel­chen Stel­len durf­te man sich wie weit vom Ori­gi­nal ent­fer­nen usw. Im Sin­ne der Viel­stim­mig­keit haben wir uns schließ­lich auch ent­schlos­sen, der Aus­wahl jeweils drei Gedich­te in Ein­zel­über­set­zun­gen hin­zu­zu­fü­gen. Hier­bei ging es uns vor allem dar­um, unser eige­nes Tan­dem noch ein­mal auf die Pro­be zu stel­len: Haben wir uns nicht zu sehr gegen­sei­tig kon­trol­liert und damit Über­set­zungs­lö­sun­gen auf kleins­te gemein­sa­me Nen­ner ein­ge­dampft? Wür­den sich die jeweils allein ent­wi­ckel­ten Über­set­zun­gen grund­le­gend von den gemein­sa­men Arbei­ten unter­schei­den? Beim Wie­der­le­sen haben wir den Ein­druck, dass es nicht so ist, und sei es nur des­halb, weil wir die­se Über­set­zun­gen zu einem Zeit­punkt ange­fer­tigt haben, an dem unser Umgang mit Chris­ti­an Haw­keys Gedich­ten schon in vie­ler Hin­sicht von dem des jeweils ande­ren beein­flusst war. Bestimm­te über­set­zungs­tech­ni­sche Eigen­hei­ten wird man den­noch erken­nen, und das war uns bei aller Begeis­te­rung für unse­re gemein­sa­me Arbeit auch wich­tig. Die Sprach­büh­ne wur­de schließ­lich von drei durch­aus eigen­sin­ni­gen Dich­tern bespielt: von denen zwei in der Rol­le der Über­set­zer auf­gin­gen und einer als Autor soufflierte.

WASSER IM OHR (FRÜHE VERSION UW)

Wir tausch­ten Bli­cke — wir drei — & mei­ner war voll der bes­te: er hat­te rosa Fran­sen am Saum & das Wort Nies­kraut in einer Tasche & ein offe­nes Fens­ter — Früh­lings­gras peit­schen­de Kühe sicker­ten hin­durch. Wir sicker­ten hin­durch. Wir waren Sie­be. Wir muss­ten Pol­len mit den Zun­gen aus unse­ren Augen lecken, die rie­sig waren, fast ver­wach­sen, lid­los. Ein Eich­hörn­chen bestieg ein Abfluss­rohr & war­te­te, gespannt. Es war irgend­wie sexu­ell obwohl Mor­ty mein­te, es sei “ja nur eine Rat­te mit schö­nem Arsch; eigent­lich, auf Latei­nisch…” Wir tausch­ten wie­der Bli­cke & dies­mal ver­teil­ten blon­de Frau­en in gol­de­nen Lamé-Over­alls Vögel mit gestick­ten Mar­ken­na­men auf der Brust. Ihre Schnä­bel stan­den offen still. Noch nie einen hecheln­den Vogel gese­hen. Ich warf ihn in die Luft, doch er fiel sanft zurück auf den Asphalt, also zer­tram­pel­te ich ihn — weiß nicht war­um — dies ist die Natur des Instinkts & Auf­recht­drang von Wol­ken­krat­zern, Stein­pil­ze, unsicht­ba­re Flech­ten­zäh­ne, die sich in Stein ver­sen­ken, dass Errö­ten halb Offen­heit, halb Blöd­heit ist, die Klar­heit einer Sab­ber­spur, hän­gend von einem glän­zen­den Baby­kinn … Aus die­ser Ent­fer­nung war es schwer zu sagen, war­um er die Sei­te sei­nes Kop­fes gegen die Luft schlug. Wir hiel­ten inne, & sogar die Hun­de hiel­ten mit uns inne, lauschend.

WASSER IM OHR (FRÜHE VERSION SP)

Wir tausch­ten (die) Bli­cke — alle drei — & mei­ner war abso­lut bes­ser: er hat­te rosa­far­be­ne Pail­let­ten am Saum & das Wort Sumpf­huhn auf einer Tasche & ein offe­nes Fens­ter das das Geräusch von Kühen, die sich durch Früh­lings­gras mampf­ten, fil­ter­te. Es fil­ter­te uns. Wir waren Fil­ter. Wir mit unse­ren Zun­gen, die Pol­len aus den Win­keln unse­rer Augen stie­ßen, die gewei­tet schau­ten, fast ein Auge, lid­los. Ein Eich­hörn­chen besprang eine Dach­rin­ne & ver­harr­te dort, erwar­tungs­voll. Es hat­te etwas Sexu­el­les auch wenn Mor­ty fand, es sei “bloß eine Rat­te mit hüb­schem Arsch — in der Tat, im ori­gi­na­len Latein …” Wir tausch­ten wie­der (die) Bli­cke & dies­mal ver­teil­ten Blon­di­nen in gold­nen Lamé-Over­alls Vögel mit in die Brust gestick­ten Namen gro­ßer Mar­ken. Ihre Schnä­bel, gefro­ren, stan­den offen. Nie hat­te ich einen Vogel hecheln gese­hen. Ich warf ihn hoch in die Luft aber er fiel weich auf den Beton, also zer­stampf­te ich ihn — ich weiß nicht, war­um — so ist die Natur des Instinkts & der senk­rech­te Zug von Hoch­häu­sern, Stein­pil­zen, die unsicht­ba­ren Zäh­ne von Flech­ten, ein­wach­send in Gestein, Beschä­mung, halb Wahr­haf­tig­keit, halb Blö­dig­keit die Trans­pa­renz eines Spu­ckef­a­dens bau­melnd an eines Kin­des glän­zen­dem Kinn … Aus die­ser Ent­fer­nung war nur schwer zu sagen, war­um er sei­nen Kopf seit­lich gegen die Luft stieß. Wir hiel­ten inne, & selbst die Hun­de hiel­ten inne, mit uns, lauschten.

WASSER IM OHR (FINALE VERSION)

Wir tausch­ten Bli­cke — zu dritt — & mei­ner war echt der bes­te: Er hat­te rosa Fran­sen am Saum & das Wort Nies­kraut in einer Tasche & ein offe­nes Fens­ter & Mamp­fen von Kühen durch Früh­lings­gras das es fil­ter­te. Das waren wir. Wir waren Fil­ter. Wir leck­ten Pol­len aus den Win­keln unse­rer Augen die rie­sig waren, fast ver­schmol­zen, lid­los. Ein Eich­hörn­chen bestieg ein Regen­rohr & ver­harr­te, erwar­tungs­voll. Es war irgend­wie sexu­ell obwohl Mor­ty mein­te, es sei “ja nur ne Rat­te mit hüb­schem Arsch und über­haupt, auf Latein …” Wir tausch­ten wie­der Bli­cke & dies­mal ver­teil­ten blon­de Frau­en in Gold­la­mé-Over­alls Vögel mit ein­ge­stick­ten Labeln. Ihre Schnä­bel stan­den offen, starr. Nie hat­te ich einen Vogel nach Luft rin­gen sehen. Ich warf ihn hoch doch er fiel zurück, weich auf den Asphalt also zer­stampf­te ich ihn — kei­ne Ahnung war­um — das ist die Natur des Instinkts & das senk­rech­te Drän­gen von Wol­ken­krat­zern, Stein­pil­ze win­zi­ge Flech­ten­zäh­ne, die an Fel­sen nagen wie Errö­ten halb Anmut, halb Armut ist die Wahr­heit eines Sab­ber­fa­dens an einem glän­zen­den Baby- Kinn … Aus die­ser Ent­fer­nung war nur schwer zu sagen, war­um er sei­nen Kopf seit­lich in die Luft ramm­te. Wir hiel­ten inne & selbst die Hun­de hiel­ten inne, mit uns, lauschten.

Lite­ra­tur­ver­zeich­nis: 

Chris­ti­an Haw­key: The Book of Fun­nels. Seat­tle 2004. 

Chris­ti­an Haw­key: Citi­zen Of. Seat­tle 2007. 

Chris­ti­an Haw­key: Rei­sen in Zie­gen­ge­schwin­dig­keit. Ber­lin 2008. 

Ron Wink­ler (Hg.): Schwer­kraft. Jun­ge ame­ri­ka­ni­sche Lyrik. Salz­burg 2007.