Kult-Regisseur mit Mitte 30!

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von Katha­ri­na Vater

Mit Wer frü­her stirbt, ist län­ger tot gelang dem damals 33-jäh­ri­gen Mar­cus H. Rosen­mül­ler ein über­ra­schen­der Kino­er­folg. Über­ra­schend vor allem des­halb, weil der Regis­seur die Komö­die in und über Bay­ern han­deln ließ und das auch noch auf Bai­risch. Schon bald war vom „Kult-Regis­seur Mar­cus H. Rosen­mül­ler“ und des­sen Ver­dienst, der „Wie­der­be­le­bung des Hei­mat­films“, zu lesen. Seit­her sind wei­te­re neun Kino­fil­me ent­stan­den, in denen die Hei­mat Rosen­mül­lers immer eine Rol­le spielt. Im Inter­view mit Schau ins Blau spricht er über sei­nen Blick auf die eige­ne Arbeit und dar­über, was Kult und Hei­mat für ihn bedeuten.

SCHAU INS BLAU: Lie­ber Herr Rosen­mül­ler, Ihr Kino­de­but Wer frü­her stirbt ist län­ger tot aus dem Jahr 2006 wur­de in den Medi­en gefei­ert als die „Wie­der­ge­burt des Hei­mat­films“ und Sie damit als „Erfin­der des neu­en deut­schen Hei­mat­films“. Was sagen Sie zu die­ser Deklaration?

MARCUS H. ROSENMÜLLER: Ich glau­be nicht an den „neu­en deut­schen Hei­mat­film“ und hal­te das für eine Erfin­dung der Medi­en. Ich kann aber mit dem Begriff Hei­mat­film leben, obwohl ich das The­ma Hei­mat nicht expli­zit behan­delt habe. Ich habe auf­grund von Vor­bil­dern, wie Franz Xaver Bogner, Hel­mut Dietl und vie­len öster­rei­chi­schen Fil­me­ma­chern nur nicht auf mei­ne Wur­zeln ver­zich­tet. Im Mit­tel­punkt stand mei­nes Erach­tens stets eine glo­ba­le Geschichte.

SCHAU INS BLAU: Eine Komö­die, die in Bay­ern über Bay­ern auf Bai­risch spielt begeis­ter­te die Men­schen in ganz Deutsch­land. Wie haben Sie den gro­ßen – ver­dien­ten – Erfolg Ihres ers­ten Kino­films damals erlebt und wie glau­ben Sie, hat Ihr Film die Zuschau­er für sich gewonnen?

MARCUS H. ROSENMÜLLER: Wir, also das gesam­te Team, die an dem Film gear­bei­tet haben, waren ja schon sehr zufrie­den mit dem Film, trotz­dem hat uns der rie­si­ge Ansturm dann doch sehr über­rascht. Ich den­ke, da ist eini­ges zusam­men­ge­kom­men, und ich wuss­te auch sofort, das wird mir viel­leicht nie wie­der so gelin­gen. Wir haben ein­fach den Nerv getrof­fen und ich den­ke, das ist uns vor allem gelun­gen, weil wir sym­pa­thisch mit Erwar­tungs­hal­tun­gen gebro­chen haben und ver­sucht haben mit Lust und ein bis­serl Anar­chie eine doch recht erns­te Geschich­te zu erzählen.

SCHAU INS BLAU: Bereits nach Wer frü­her stirbt war über­all vom „Kult-Regis­seur Mar­cus H. Rosen­mül­ler“ zu lesen. Wie ste­hen Sie die­sem Titel gegenüber?

MARCUS H. ROSENMÜLLER: Ich den­ke, der Titel ist abso­lut über­trie­ben. Und ich den­ke auch, dass es nach außen hin arro­gant wirkt. Wenn ich mir die Fil­me anschaue, die ich bis­her gemacht habe, so muss ich mir klar ein­ge­ste­hen, dass ich weit – und ich mei­ne sehr weit – von einem Kult-Regis­seur ent­fernt bin. Es gibt bestimm­te Regis­seu­re die mei­nes Erach­tens wirk­lich kul­tig sind, die ver­rückt sind, bei denen alles Hand und Fuß hat, bei denen in jeder Sze­ne neben der ober­fläch­li­chen Geschich­te ein State­ment her­aus­zu­le­sen und zu spü­ren und zu atmen ist. Bei denen ein Film zu Kunst wird. Zumin­dest in der Art Film den ich vor­ha­be zu machen bin ich ein blu­ti­ger Anfän­ger, aber einer der wei­ter­macht. Ich den­ke, bei mir stammt der Titel Kult-Regis­seur eher aus der Ver­mark­tung und der Pres­se heraus.

SCHAU INS BLAU: Was macht für Sie einen soge­nann­ten „Kult-Regis­seur“ aus und an wen den­ken Sie, wenn die­ser Begriff fällt?

MARCUS H. ROSENMÜLLER: Ich den­ke, ein Kult-Regis­seur ist jemand, der in einem bestimm­ten Gen­re für ein Fan­pu­bli­kum von die­sem Gen­re etwas Her­aus­ra­gen­des gemacht hat. So ist Vol­ker Itten­bach ein Kult­re­gis­seur beim Splat­ter­film, Edward Bla­ke in der über­dreh­ten Komö­die und Hitch­cock im Thriller.

SCHAU INS BLAU: Ob nun Wer frü­her stirbt, Bes­te Zeit (2007), Som­mer in Oran­ge (2011) oder Wer’s glaubt, wird selig (2012), Ihre Fil­me spie­len in Ihrer Hei­mat Bay­ern. Was bedeu­tet Hei­mat für Sie?

MARCUS H. ROSENMÜLLER: Mir erscheint der Begriff über­stra­pa­ziert. Ich lebe in einer Umge­bung. Und die­se Umge­bung hat einen Ein­fluss auf mich, und ich auf sie. Zuerst die Spra­che, dann das Han­deln, das Den­ken, das Gefühl. Man bekommt etwas auf­ok­troy­iert, ent­wi­ckelt sich aber, und kann sei­ne inne­re Hei­mat ändern, und hat dann wie­der­um einen Ein­fluss auf die, ich nen­ne sie jetzt mal äuße­re Hei­mat. Es ist eine gegen­sei­ti­ge Reak­ti­on. Und im bes­ten Sin­ne wäre es ein Ver­trag von gegen­sei­ti­ger Verantwortung.

SCHAU INS BLAU: Ihre Stof­fe fin­den Sie immer wie­der in klei­nen baye­ri­schen Ört­chen. Was fas­zi­niert Sie daran?

MARCUS H. ROSENMÜLLER: Ich mag die­se über­schau­ba­re Gesell­schafts­struk­tur. Die Per­so­nen kön­nen sich nicht so leicht ver­ste­cken. Sie wer­den gefor­dert und müs­sen reagie­ren. Auch eine schein­ba­re Pas­si­vi­tät ist da durch­aus eine Reak­ti­on. Hin­zu kommt, dass ich mich sicher füh­le in den Dia­lo­gen, in den Aktionen.

SCHAU INS BLAU: Trans­por­tiert wird stets auch ein Hei­mat­ge­fühl. Ste­hen Kult und Hei­mat für Sie in einem engen Verhältnis?

MARCUS H. ROSENMÜLLER: Schon, aber im Wech­sel­ver­hält­nis und manch­mal auch nur in eine Rich­tung. Es kann also sein, das ein Kult­phä­no­men nur in der Hei­mat des Erzeu­gers ent­steht und auch nur dort ver­stan­den wird, oder aber dort der Start­schuss ist und der Kult danach die Außen­welt erobert. Es kann aber auch sein, dass eine außer­halb des Erzeu­gers, des Künst­lers, bestehen­de Gemein­de des­sen Geschaf­fe­nes zum Kult erhebt und der Erzeu­ger dort eine neue Hei­mat findet.

SCHAU INS BLAU: Nicht nur der Begriff Hei­mat schwingt in jedem Ihrer Fil­me mit, auch die humo­ris­tisch-kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der Reli­gi­on, genau­er dem katho­li­schen Glau­ben, ist stets Bestand­teil. Mei­nen Sie, dass Ihre Art des Umgangs mit die­sem aktu­ell sehr prä­sen­ten The­ma auch zur Popu­la­ri­tät Ihrer Fil­me beiträgt?

MARCUS H. ROSENMÜLLER: Ich den­ke, es ist viel­leicht eine Mischung. Es sind ja exis­ten­ti­el­le Fra­gen denen ich nach­ge­he. Fra­gen, die uns alle beschäf­ti­gen. War­um leben wir? Was kommt nach dem Tod? Wie sind die Erklä­rungs­ver­su­che der Gesell­schaft dazu? Und zur Gesell­schaft gehört für mich auch die Reli­gi­on, die Poli­tik, die Men­schen… Ich den­ke, es gibt vie­le Iden­ti­fi­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten und ich hof­fe, unser Ver­such die Geschich­ten mensch­lich zu erzäh­len und die Lust von uns, dem Zuschau­er ein posi­ti­ves Welt­bild zu ver­mit­teln, wird honoriert.

SCHAU INS BLAU: Seit Wer frü­her stirbt sind nun sechs Jah­re ver­gan­gen. Sechs Jah­re und neun Kino­fil­me. Das macht ein­ein­halb Fil­me im Jahr. Eine Bilanz, die dem jun­gen Rai­ner Wer­ner Fass­bin­der nahe­kommt. Wie hält man das durch?

MARCUS H. ROSENMÜLLER: Zual­le­rest auf­grund all mei­ner Part­ner, die mir die Zuta­ten zu den Fil­men lie­fern. Und weil die­se Part­ner auch Freun­de sind, macht’s Spaß. Und man muss die Kir­che schon im Dorf las­sen. Es sind ja kei­ne welt­ver­än­dern­den Fil­me und wer­den auch nur im rela­tiv klei­nen über­schau­ba­ren Umfeld wir­ken. Das ist natür­lich bei einem Fass­bin­der was ganz anderes.

SCHAU INS BLAU: Bleibt dabei noch Zeit für die Fami­lie und das Pri­vat­le­ben jen­seits des Films?

MARCUS H. ROSENMÜLLER: Ja. Und die­se Zeit ist die wichtigste.

SCHAU INS BLAU: Sie haben mir erzählt, dass Sie als Kind und Jugend­li­cher noch nicht der Kame­ra- und Film-„Freak“ waren, den man hin­ter einem Regis­seur ver­mu­ten könn­te. Wann wuss­ten Sie, dass der Film Ihre Beru­fung ist?

MARCUS H. ROSENMÜLLER: Das weiß ich bis heu­te nicht. War­um ich den Beruf lie­be, das weiß ich. Weil er so abwechs­lungs­reich ist, so eine unglaub­li­che Her­aus­for­de­rung ist und letzt­end­lich, mei­nes Erach­tens, das Resul­tat, also ein Film, ein unglaub­lich schö­nes Pro­dukt ist. Also auch objek­tiv gesehen!

SCHAU INS BLAU: Zur Zeit arbei­ten Sie an einem Dreh­buch, das in eine neue Rich­tung geht …

MARCUS H. ROSENMÜLLER: Ganz lus­tig, ich fin­de gar nicht, dass es in eine ande­re Rich­tung geht. Es ist eine Bio­gra­fie über Bernd Traut­mann, einen deut­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen in Eng­land, der bei Man­ches­ter City zu einer Tor­wart­le­gen­de wur­de. Es spielt halt nicht in Bay­ern, aber ande­re Wur­zeln von mir wer­den schon zu sehen sein.

SCHAU INS BLAU: Also doch ein soge­nann­ter „neu­er deut­scher Heimatfilm“?

MARCUS H. ROSENMÜLLER: Es gibt ihn nicht, den “neu­en deut­schen Hei­mat­film”. Oder? Ich weiß es nicht.

SCHAU INS BLAU: Eine schö­ne Abschluss­fra­ge, fin­de ich. Vie­len Dank für das Gespräch.

 

Mar­cus H. Rosen­mül­ler, gebo­ren 1973 in Tegern­see, stu­dier­te an der Münch­ner Hoch­schu­le für Film und Fern­se­hen (HFF). Mit Wer frü­her stirbt, ist län­ger tot kam 2006 sein ers­ter Film ins deut­sche Kino. Sein Debut wur­de u.a. mit dem Deut­schen Film­preis 2007 und dem Baye­ri­schen Film­preis 2007 aus­ge­zeich­net. Es folg­te jähr­lich min­des­tens eine Kino­pro­duk­ti­on: u.a. Bes­te Zeit (2007), Bes­te Gegend (2008), Räu­ber Kneißl (2008), Die Perl­mut­ter­far­be (2009), Som­mer in Oran­ge (2011), Wer’s glaubt, wird selig (2012).