Alltagspoesie im Moshpit

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© Rebec­ca Kraemer

Betterov am 03.12.2022 im Münchner Club Ampere

von Han­nah Bauer

Ein Kon­zert, das beim ers­ten Song direkt das Mosh­pit eröff­net, wird höchst­wahr­schein­lich ein High­light. Das bestä­tig­te auch der Auf­tritt des Künst­lers Bet­terov am 03.12.2022 im Münch­ner Club Ampere. Die ener­gie­ge­la­de­ne Stim­mung trug sich von der ers­ten bis zur letz­ten Rei­he. Man konn­te nicht anders, als die Hal­le mit dem Gefühl zu ver­las­sen, dass er zu einer der Grö­ßen der deut­schen Indie-Sze­ne her­an­wach­sen wird. Wäh­rend der kon­zert­lo­sen Zeit der Pan­de­mie wur­de Bet­terov, durch Auf­trit­te bei For­ma­ten wie The Cir­cle Ses­si­on oder TV Noir und Erwäh­nung in dem bekann­ten Pod­cast Fest und Flau­schig, einer grö­ße­ren Öffent­lich­keit bekannt. Trotz eines schon beacht­li­chen Reper­toires an Ver­öf­fent­li­chun­gen spielt er gera­de sei­ne ers­te Tour. Hät­te Bet­terov nicht immer wie­der betont, wie lan­ge er auf die­se Mög­lich­keit gewar­tet hat, wäre die­se feh­len­de Erfah­rung nicht auf­ge­fal­len. Der Sän­ger hat die Aus­strah­lung eines gebo­re­nen Live-Musi­kers, der ohne spek­ta­ku­lä­re Büh­nen­show oder Spe­zi­al­ef­fek­te einen Draht zu sei­nem Publi­kum auf­baut und es in sei­nen Bann zieht. Er schafft es, die per­fek­te Mischung zwi­schen ruhi­gen Tönen und Voll­gas nach vor­ne zu fin­den. Das bes­te Bei­spiel hier­für ist sein größ­ter Hit Duss­man, der in zwei Ver­sio­nen gespielt wur­de. In der ers­ten Hälf­te des Auf­tritts per­formt er den Song akus­tisch am Key­board — den Groß­teil des Gesangs über­nahm hier das Publi­kum, das den Text per­fekt beherrsch­te. Ein zwei­tes Mal begeg­ne­te uns dann Duss­mann — wie kann es anders sein — bei der Zuga­be, dies­mal ganz und gar nicht ruhig und mit einem Mosh­pit delu­xe. Anhand der Text­si­cher­heit der Men­ge wird auch deut­lich, dass eine der größ­ten Stär­ken Bet­terovs sei­ne Lyrics sind. Der Künst­ler hat das Talent, Erfah­run­gen sei­nes All­tags durch Wor­te in exis­ten­ti­el­le The­ma­ti­ken unse­rer Gene­ra­ti­on umzu­wan­deln. So wird in dem eben schon erwähn­ten Duss­mann die Beob­ach­tung des gleich­na­mi­gen Ber­li­ner Kauf­hau­ses zu einer Refle­xi­on über die Ver­gäng­lich­keit von Ästhe­tik und Ruhm. “Und Taran­ti­no gewinnt drei Oscars für Pulp-Fic­tion/ Jetzt läuft der Film nachts auf RTL II/ Damals wars die Nacht der Näch­te, heu­te ist es nur noch irgendeine.” 

Ver­gäng­lich­keit und Schnell­le­big­keit sind eini­ge der gro­ßen The­men von Bet­terovs Musik. In Ich kann mich nicht erin­nern denkt er laut über die Ten­denz der Mensch­heit nach, Momen­te fest­hal­ten zu wol­len. Die Erkennt­nis, dass dies unmö­gich ist, stellt der Musi­ker hier als etwas Frus­trie­ren­des und Unbe­frie­di­gen­des dar. Wenn im Publi­kum ver­ein­zel­te Han­dys eben jenen Gedan­ken­gang fil­men, ergibt sich eine herr­li­che Meta­ebe­ne. Ertappt blickt man auf das eige­ne Video. Stel­len­wei­se fühl­te sich die Stim­mung im Ampere an wie ein kol­lek­ti­ver Auf­schrei, eine Art, die Gedan­ken, die uns alle bewe­gen, offen brül­len zu kön­nen. Beson­ders deut­lich wur­de das bei Angst, der Song ver­wan­delt den inne­ren Lärm eben jenes Gefühls in Melo­die und Wor­te. Wenn die Zei­le “Stil­le, Stil­le, Stil­le alles muss dun­kel sein/ Denn erst wenn alles dun­kel ist/ Und erst wenn alles nicht mehr ist/ Dann bin ich da” eben gar nicht still, son­dern beglei­tet von trei­ben­den Beats und Gitar­ren­riffs geschrien wird, ist der inne­re Zwie­spalt der Angst tref­fend in Musik eingefasst. 

Außer­dem muss hier noch ange­merkt wer­den, dass der Ton sowie die gesam­te Orga­ni­sa­ti­on her­aus­ra­gend und unkom­pli­ziert waren. Bet­terov ist mit Sicher­heit ein Musi­ker, der die deut­sche Musik­bran­che in den nächs­ten Jah­ren wei­ter­hin beschäf­ti­gen wird. Sein Debüt-Album Olym­pia ist im Okto­ber erschie­nen — anhö­ren lohnt sich. Es ist sowohl lyrisch als auch musi­ka­lisch ein Fest.