Persepolis von Marjane Satrapi

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Schwere Kost zu Pandemiezeiten?

von Anke Marie Bock
 

Wenn ich davon erzäh­le, dass mir das Ein­tau­chen in ande­re Wel­ten in Form von Büchern, Comics, Fil­men und Seri­en — kurz Lite­ra­tur im All­ge­mei­nen — in Zei­ten einer welt­wei­ten Pan­de­mie mit Ein­schrän­kun­gen, Lock­downs und Abstands­re­ge­lun­gen hilft, die gute Lau­ne und Lebens­lust nicht zu ver­lie­ren, den­ken die meis­ten an humor­vol­le, lus­ti­ge und auf­hei­tern­de Geschich­ten – und lie­gen doch so falsch. Als ich auf mei­ner ste­tig wach­sen­den Lese­lis­te Per­se­po­lis ent­deck­te und mich frag­te, wie ich die­se preis­ge­krön­te Gra­phic Novel bis­her igno­rie­ren konn­te, habe ich kur­zer­hand zuge­grif­fen – und mich sofort in Satra­pis kla­rer, direk­ter und dadurch knall­har­ter Erzähl­wei­se ver­lo­ren. Ihr Meis­ter­werk erzählt in schmuck­lo­sen, ein­fa­chen und doch aus­drucks­star­ken Panels ihre Kind­heit im Iran nach, zur Zeit der isla­mi­schen Revo­lu­ti­on. Satra­pis unver­blüm­ter Stil und die gna­den­lo­se Offen­ba­rung der Gefühls­welt einer Jugend­li­chen, die die poli­ti­schen Umwäl­zun­gen am eige­nen Leib spü­ren muss, lie­ßen mich nicht nur mit­fie­bern, son­dern mit­füh­len. Mar­ji, die Prot­ago­nis­tin, zeigt Wider­stands­kraft, Revo­lu­ti­ons­wil­len und über­dies den Mut, eine eige­ne Mei­nung zu haben und die­se auch zu ver­tre­ten. Wäh­rend Mar­ji kon­ti­nu­ier­lich bemüht ist, sich selbst zu fin­den, obwohl ihr eige­nes Leben direkt bedroht ist, nimmt Satra­pi die Leser*innen mit auf eine Rei­se durch Pro­pa­gan­da und Gerüch­te, poli­ti­sche Ver­zer­rung und Ein­fluss­nah­me, mit­ten hin­ein in die Wir­ren eines Krie­ges, der für die Jugend­li­che ein Kom­plex aus Wider­sprü­chen dar­stellt. Mar­ji ver­kraf­tet Grau­sa­mes, wie der Fol­ter­mord von Fami­lie und Freun­den, inte­griert die kon­stan­te Gefahr eines Bom­ben­an­griffs oder der eige­nen Inhaf­tie­rung wie selbst­ver­ständ­lich in ihren All­tag und schafft es den­noch, ihre Jugend­lich­keit und die damit ver­bun­de­ne Leich­tig­keit nicht zu ver­lie­ren. Per­se­po­lis ist eine Geschich­te, die Mut macht, die zum Nach­den­ken anregt und die dar­an erin­nert, dass es auch in schwie­ri­gen Zei­ten Posi­ti­ves gibt. Die­se auto­bio­gra­fi­sche Gra­phic Novel hat mich von Anfang an der­art gefes­selt, dass ich sie in einem Rutsch durch­le­sen muss­te. Das Abtau­chen in eine ande­re Welt, ließ mich den eige­nen All­tag gänz­lich ver­ges­sen. Das wie­der Auf­tau­chen danach ist jedoch nicht mit der letz­ten Sei­te besie­gelt. Per­se­po­lis beglei­tet die Leser*innen län­ger als der Zeit­rah­men der Lek­tü­re schein­bar vor­gibt. Per­se­po­lis erwei­tert den Hori­zont und prägt das eige­ne Leben – etwas, das der Schwie­rig­keit des All­tags im Lock­down kraft­voll entgegentritt.