“Kleine Hausgötter des Trivialen”

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Eine Rezension zu Georg Kleins Band Schund & Segen

von Tabea Krauß

Mit dem Band Schund & Segen. 77 abver­lang­te Tex­te bewegt sich Georg Klein gleich in zwei Zwi­schen­rei­chen. Zwi­schen jour­na­lis­ti­schem und lite­ra­ri­schem Schrei­ben schwe­ben die in der Pres­se erst­erschie­ne­nen und nun im hüb­schen Sam­mel­band erneut ver­öf­fent­lich­ten Feuil­le­ton­bei­trä­ge. Gegen­stand die­ser mit Ver­gnü­gen les­ba­ren Kurz­tex­te sind The­men zwi­schen Tri­vi­al­li­te­ra­tur und Hoch­kul­tur. Klein erhebt schein­ba­ren ‚Schund‘ in arka­di­sche Höhen und stößt kano­ni­sier­te Lite­ra­tur­ge­schich­te vom Sockel der Ernsthaftigkeit.

Von den Kul­tur­re­dak­tio­nen gro­ßer deutsch­spra­chi­ger Zei­tun­gen beauf­tragt, kom­men­tiert Georg Klein Phä­no­me­ne der Gegen­wart und der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit. Phä­no­me­ne, die Bestand­teil einer kol­lek­ti­ven Erfah­rungs­welt sind. Es geht um Per­so­nen, fik­ti­ve Figu­ren, Fil­me und Tex­te, die wir alle ken­nen. Und wenn wir sie nicht ken­nen, haben wir zumin­dest schon von ihnen gehört, denn den Aus­läu­fern ihrer Aura ist nicht zu ent­kom­men: sie sind Kult.

Klein for­dert uns mit sei­nen Tex­ten zum Wie­der­ent­de­cken, zur Neu­per­spek­ti­vie­rung und zum Über­den­ken der Kult­ge­gen­stän­de auf. Die ein­zel­nen Tex­te wid­men sich Rock­stars, Poli­ti­kern, Künst­lern und zeit­ge­schicht­li­chen Ereig­nis­sen. Den Groß­teil machen Buch­be­spre­chun­gen aus. Klein behan­delt jahr­hun­der­te­al­te kul­tur­stif­ten­de Tex­te, wie 1001 Nacht und das Kama­su­tra, kano­ni­sier­te Tex­te der deut­schen Lite­ra­tur­ge­schich­te, wie Kaf­kas Ver­wand­lung und Grass‘ Blech­trom­mel, vor allem aber ame­ri­ka­ni­sche Sci­ence-Fic­tion-Roma­ne wie Wil­liam Gib­sons Neu­ro­man­cer und Har­ry Har­ri­sons Make Room, Make Room. Er weist uns auch auf durch media­le Über­la­ge­rung ver­ges­se­ne Urtex­te hin, wie auf Mary Shel­leys Fran­ken­stein-Text und auf Daph­ne du Mau­riers Erzäh­lung Die Vögel, die Hitch­cock als Vor­la­ge diente.

In sei­ner Rol­le als Lite­ra­tur­kri­ti­ker kann er sich aller­dings auch das Meckern nicht ver­knei­fen. Isa­bell Allen­des Zor­ro mar­kie­re sei­ne Opfer nicht ord­nungs­ge­mäß. Umber­to Ecos Bau­do­li­no ver­der­be den Ler­sern als ner­vi­ger Bes­ser­wis­ser alle Freu­de an his­to­ri­schen Roma­nen, genau wie sein Autor. Und Ste­phen Kings Poe­to­lo­gie in Das Leben und das Schrei­ben sei vor allem ame­ri­ka­nisch und peinlich.

Freu­de macht die Lek­tü­re aus zwei­er­lei Grün­den. Zum einen erleich­tert das Vor­han­den­sein einer gemein­sa­men Bezugs­welt von Autor und Lesern, die im Zei­tungs­text anders als im Roman stets gege­ben ist, die Rezep­ti­on. Sie spannt ein Band zwi­schen Text und Leser­hirn, wel­ches beim Wie­der­erken­nen bekann­ter The­ma­ti­ken in den Tur­bo­auf­nah­me­mo­dus schal­tet. Zum andern ist und bleibt Georg Klein ein gro­ßer Sprach­künst­ler. Sei­ne vir­tuo­sen Kom­bi­na­tio­nen tref­fen­der Meta­phern machen das Lesen zum Genuss. Von die­ser spitz­bü­bi­schen Sprach­spie­le­rei zeu­gen oft beson­ders die Schluss­se­quen­zen sei­ner Arti­kel. Sei­ne Bespre­chung der Neu­über­set­zung von 1001 Nacht durch Clau­dia Ott been­det er bei­spiels­wei­se mit einem Wunsch an den Ehe­mann der Über­set­ze­rin: “Und zusätz­lich wol­len wir die­sem wacke­ren moder­nen Gat­ten wün­schen, dass er auch in den kom­men­den Jah­ren immer aufs Neue dem Zau­ber sei­ner Gat­tin erliegt, aber – Gott, der All­mäch­ti­ge möge es ver­hü­ten! – nie­mals in etwas Gefie­der­tes, Gepelz­tes oder Gehörn­tes ver­hext wird.”

Manch­mal erscheint das Bild des Lesers, zu dem Klein spricht und den er ger­ne unter­hal­ten möch­te, als ein all­zu klar Umris­se­nes. Klein klopft hier und da dem bil­dungs­bür­ger­li­chen männ­li­chen Zei­tungs-Abon­nen­ten all­zu freund­schaft­lich auf die Schul­ter. Glück­li­cher­wei­se ver­steht er es aber auch, sei­ne Alt­her­ren zur iro­ni­schen Selbst­be­trach­tung zu ermutigen.

Georg Klein liebt das Tri­via­le und die­se Lie­be ist anrüh­rend und schön. Die Autoren sei­nes liebs­ten Kind­heits­aben­teu­er­ro­mans sind ihm “klei­ne Haus­göt­ter des Tri­via­len” und haben als sol­che die Auf­ga­be sein “eige­nes Schrei­ben [zu] beschüt­zen”. Sei­ne 77 abver­lang­ten Tex­te bewei­sen, dass Schund tat­säch­lich ein Segen sein kann. Klein schafft es, den Lesen­den Lust auf schö­nen Schund zu machen und die­se Lust mit gutem Gewis­sen zuzu­las­sen. Wer nur mit Astrid Lind­gren und Otfried Preuß­ler auf­ge­wach­sen ist und nicht mit Fran­ken­stein, der könn­te sich Georg Kleins Rezen­sio­nen zum Anlass neh­men, end­lich mal die ver­pass­te Tri­vi­al­lek­tü­re nachzuholen.

Georg Klein: Schund & Segen. 77 abver­lang­te Tex­te.
Rowohlt Ver­lag 2013
432 Sei­ten