Autor-Übersetzer, Sprachheimaten und klangliche Transformationen

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Ein Gespräch mit Ilma Rakusa 

von Sabi­ne Wirth

„Die ‚Ethik´ des Über­set­zens besteht für mich dar­in, bei jedem Satz auf die Stim­me des Autors zu hor­chen. Damit mir nicht nur kei­ne seman­ti­schen, son­dern auch kei­ne musi­ka­li­schen Feh­ler unter­lau­fen. Als Über­set­zen­de bin ich ein Medi­um, durch­läs­sig, ganz Ohr.“
Im Rah­men der Über­setz­er­werk­statt des Erlan­ger Poe­ten­fests 2008 sprach Schau ins Blau mit der Autorin und Über­set­ze­rin Ilma Rakusa.

Schau ins Blau: In Ihrem Vor­trag „Der Autor-Über­set­zer” in der Über­setz­er­werk­statt des Erlan­ger Poe­ten­fests 2008 pro­ble­ma­ti­sier­ten Sie den Balan­ce­akt von Autor-Ich und Über­set­zer-Ich in Per­so­nal­uni­on. Kön­nen Sie noch­mals zusam­men­fas­sen, wor­in die­ser Balan­ce­akt für Sie besteht?

Ilma Rakusa: Abge­se­hen davon, dass sich Schrei­ben und Über­set­zen zeit­lich in die Que­re kom­men — ent­we­der ich über­set­ze oder ich schrei­be — geht es dar­um, beim Über­set­zen den eige­nen Ton zuguns­ten eines frem­den auf­zu­ge­ben. An die­sem Gebot führt mei­nes Erach­tens kein Weg vor­bei. Die per­sön­li­che Zurück­nah­me gehört zum vor­neh­men Geschäft des Über­set­zens. Da ich mich aber gleich­wohl „ein­brin­gen”, also mei­ne spe­zi­fi­schen Fähig­kei­ten ent­fal­ten möch­te, ist es ent­schei­dend, Tex­te aus­zu­wäh­len, die das ermög­li­chen. So über­set­ze ich im Wesent­li­chen nur poe­ti­sche Pro­sa — ob aus dem Unga­ri­schen, Rus­si­schen, Ser­bo­kroa­ti­schen oder Fran­zö­si­schen spielt dabei eine sekun­dä­re Rol­le. Poe­ti­sche Pro­sa ist jenes Gen­re, das mich krea­tiv her­aus­for­dert und dem ich mich auf­grund mei­ner eige­nen schrift­stel­le­ri­schen Tätig­keit beson­ders ver­bun­den füh­le. Auch hier gibt es ver­schie­de­ne Spiel­ar­ten, also Tona­li­tä­ten, in jedem Fall aber han­delt es sich um sprach­in­ten­si­ve Tex­te. Genau das erscheint mir reiz­voll: die Arbeit am Sprach­ma­te­ri­al, der­ge­stalt, dass der über­setz­te Text in Ton­fall und Klang­far­be, in Rhyth­mus und Melo­die dem Ori­gi­nal mög­lichst nahe kommt.

Schau ins Blau: Was ist für sie anstren­gen­der oder her­aus­for­dern­der: das Über­set­zen oder das eige­ne Schreiben?

Ilma Rakusa: Das Über­set­zen ist anstren­gen­der, das Schrei­ben ris­kan­ter. Im Zwei­fels­fall zie­he ich das Risi­ko vor.

Schau ins Blau: Was bedeu­tet es für Sie, einen Text zu über­set­zen, ihn also in ein ande­res Sprach­sys­tem hineinzusetzen?

Ilma Rakusa: Da Spra­chen nie kon­gru­ent sind, bedeu­tet der Trans­fer von einer Spra­che in die ande­re natur­ge­mäß viel Mühe. Nur darf man der Über­set­zung die­se Anstren­gung nicht anse­hen. Zum Know-how des Über­set­zens gehört es, syn­tak­ti­sche, idio­ma­ti­sche und ande­re Trans­for­ma­tio­nen vor­zu­neh­men, um in der Ziel­spra­che den­sel­ben Effekt wie in der Ursprungs­spra­che zu errei­chen. Für schwie­ri­ger hal­te ich es, den Per­so­nal­stil eines Autors adäquat wie­der­zu­ge­ben. Die­ser Per­so­nal­stil kann unter Umstän­den eigen­wil­lig sein und mit gram­ma­ti­schen Regel­ver­stö­ßen, Neo­lo­gis­men und ähn­li­chem ope­rie­ren, die in der Über­set­zung als sol­che kennt­lich gemacht wer­den müs­sen. Hier das rich­ti­ge Maß zu fin­den, braucht Fingerspitzengefühl.

Schau ins Blau: Wel­chen Anspruch stel­len Sie an ihre eige­nen und an frem­de Übersetzungen?

Ilma Rakusa: Natür­lich soll eine Über­set­zung so genau wie mög­lich sein, vor allem aber soll sie den O‑Ton wie­der­ge­ben. Nach dem Dik­tum von Mar­gue­ri­te Duras: „Die schlimms­ten Feh­ler sind die musi­ka­li­schen.” Das ist auch mei­ne Devise.

Schau ins Blau: Haben Sie im Lau­fe der Zeit so etwas wie eine eige­ne „Ethik des Über­set­zens” entwickelt?

Ilma Rakusa: Die „Ethik” des Über­set­zens besteht für mich dar­in, bei jedem Satz auf die Stim­me des Autors zu hor­chen. Damit mir nicht nur kei­ne seman­ti­schen, son­dern auch kei­ne musi­ka­li­schen Feh­ler unter­lau­fen. Als Über­set­zen­de bin ich ein Medi­um, durch­läs­sig, ganz Ohr. (Von eige­nen schrift­stel­le­ri­schen Ambi­tio­nen ver­ur­sach­te Stör­ge­räu­sche müs­sen ausbleiben.)

Schau ins Blau: Gibt es einen Autor oder eine Autorin, den/die Sie ger­ne über­set­zen wür­den, an den/die Sie sich aber nicht herantrauen?

Ilma Rakusa: Ich wür­de lie­bend gern rus­si­sche Lyrik (der Moder­ne) über­set­zen, füh­le mich aber immer im Clinch mit Metrum und Reim. Mei­ne bis­he­ri­gen spär­li­chen Ver­su­che, Gedich­te von Ach­ma­towa oder Zweta­je­wa zu über­tra­gen, haben mich nicht befrie­digt, so wie mich auch die meis­ten Über­tra­gun­gen ande­rer nicht wirk­lich zu über­zeu­gen vermögen.

Schau ins Blau: Sie über­set­zen aus meh­re­ren Spra­chen (Serbokroatisch/Russisch/Ungarisch/Französisch) ins Deut­sche. Gibt es für Sie eine Spra­che aus der sie lie­ber über­set­zen oder aus der die Über­tra­gung ins Deut­sche am leich­tes­ten fällt?

Ilma Rakusa: Am liebs­ten über­set­ze ich aus dem Rus­si­schen, viel­leicht hat es mit einer emo­tio­na­len Affi­ni­tät zu tun. Allein schon die vie­len Ver­klei­ne­rungs­for­men und affek­ti­ven Suf­fi­xe des Rus­si­schen machen mich glück­lich, auch wenn sie im Deut­schen schwer wie­der­zu­ge­ben sind.

Schau ins Blau: Eine Spra­che ist immer mit der Vor­stel­lung einer bestimm­ten Kul­tur ver­bun­den und bedeu­tet in gewis­sem Sin­ne auch (Sprach-)Heimat. In wel­cher Spra­che und Kul­tur füh­len Sie sich zu Hau­se? Inwie­fern wirkt sich Ihre Bio­gra­fie auf Ihren Beruf aus?

Ilma Rakusa: Zu Hau­se füh­le ich mich frag­los in der deut­schen Spra­che und Kul­tur. Immer­hin bin ich schon mit sechs nach Zürich gekom­men, wo ich deutsch ein­ge­schult und gleich zur begeis­ter­ten Lese­rin wur­de. Aber die Mut­ter­spra­che Unga­risch und die wun­der­ba­ren unga­ri­schen Mär­chen mei­ner Kind­heit haben mich nach­hal­tig geprägt. Spä­ter dann vor allem das Rus­si­sche, das ich (nicht zuletzt in Peters­burg) stu­dier­te und mit des­sen Lite­ra­tur ich mich seit­her unent­wegt — auch publi­zis­tisch — beschäf­ti­ge. Mei­ner Bio­gra­fie ver­dan­ke ich die frü­he Erkennt­nis, dass Spra­chen Viel­falt und Reich­tum bedeu­ten, dass sie den Zugang zu ver­schie­de­nen Kul­tu­ren und Denk­wei­sen eröff­nen, und dass Über­set­zen nicht nur ein Beruf ist, son­dern „täg­lich Brot”.

Schau ins Blau: Sie ord­nen sich selbst in die ost­mit­tel­eu­ro­päi­sche Schreib- und Über­set­zungs­tra­di­ti­on ein. Wodurch zeich­net sich die­se Tra­di­ti­on aus?

Ilma Rakusa: In Ost­mit­tel­eu­ro­pa gehört es bis heu­te zur Selbst­ver­ständ­lich­keit, dass Autoren auch Über­set­zer sind. Sie neh­men die Ver­ant­wor­tung auf sich, ver­mit­telnd tätig zu sein. Für soge­nann­te klei­ne Natio­nen spielt das Über­set­zen eine zen­tra­le Rol­le, da es Brü­cken schlägt und aus rea­ler oder ver­meint­li­cher Iso­la­ti­on her­aus­führt. Ich füh­le mich die­ser Ver­mitt­ler­rol­le ver­pflich­tet — als Über­set­ze­rin wie als Publizistin.

Schau ins Blau: Sie ken­nen die aktu­el­le Lite­ra­tur­sze­ne in Ost- und Mit­tel­eu­ro­pa ja sehr gut. Wor­in unter­schei­det sich die­se Sze­ne von der deut­schen Gegen­warts­li­te­ra­tur? Fehlt es in der jun­gen deut­schen Lite­ra­tur an etwas?

Ilma Rakusa: Ohne ver­all­ge­mei­nern zu wol­len: Die ost­mit­tel­eu­ro­päi­schen Lite­ra­tu­ren zeich­nen sich mei­ner Mei­nung nach durch eine gro­ße Vita­li­tät und sprach­li­che Kraft aus. In letz­ter Zeit habe ich vie­le ukrai­ni­sche Autoren (in deut­scher Über­set­zung) gele­sen: Juri Andrucho­wytsch, Ser­hij Zha­dan, Oksa­na Sabusch­ko. Eine elek­tri­sie­ren­de Pro­sa! Das­sel­be gilt für den Rumä­nen Mir­cea Car­ta­res­cu mit sei­ner fan­tas­ti­schen Bil­der­welt. Oder den jun­gen Ungarn Györ­gy Dra­gomán, des­sen Roman „Der wei­ße König” zu mei­nen stärks­ten Lek­tü­re­er­leb­nis­sen der letz­ten Jah­re gehört. Der deut­schen Gegen­warts­pro­sa fehlt es, wie ich fin­de, oft an Rei­bung, sie lässt ver­mis­sen, was man — etwas pathe­tisch for­mu­liert ‑exis­ten­zi­el­le oder künst­le­ri­sche Dring­lich­keit nen­nen könnte.

Schau ins Blau: Im Zeit­al­ter digi­ta­ler Tech­no­lo­gien und des Inter­nets geht die Ten­denz viel­leicht bald dahin, gar kei­ne lan­gen Tex­te (wie Roma­ne) mehr zu rezi­pie­ren, weil das gegen das Mobi­li­täts­den­ken der Zeit ver­stie­ße. Was den­ken Sie darüber?

Ilma Rakusa: Zu mei­nem eige­nen Erstau­nen stel­le ich fest, dass Roma­ne — und zwar dicke Roma­ne — nicht nur mas­sen­haft ver­öf­fent­licht wer­den, son­dern auch rei­ßen­den Absatz fin­den. Der tri­via­le Sek­tor ist da mit­ge­meint. So wie Soaps äußerst beliebt sind, sind es auch volu­mi­nö­se Roma­ne, die den Leser „hin­ein­zie­hen”. Dar­an wird sich wohl so bald nichts ändern. Selbst die fei­nen („eli­tä­ren”) Ver­la­ge zie­hen Roma­ne jedem Erzählungs‑, geschwei­ge denn Lyrik­band vor, da sie sich wesent­lich bes­ser ver­kau­fen. Das Mobi­li­täts­den­ken mag durch­aus Fol­gen zei­ti­gen, doch ste­hen ihm ande­re, „archai­sche” Kräf­te ent­ge­gen wie bei­spiels­wei­se der Wunsch nach Iden­ti­fi­ka­ti­on mit Roman­hel­den aller Art. Kon­junk­tur haben his­to­ri­sche und fan­tas­ti­sche Roma­ne. Und das Phä­no­men „Har­ry Pot­ter” spricht für sich selbst.

Ilma Rakusa wur­de 1946 als Toch­ter einer Unga­rin und eines Slo­we­nen in Rimavs­ká Sobo­ta (Slo­wa­kei) gebo­ren. Ihre Kind­heit ver­brach­te sie in Buda­pest, Ljublja­na und Tri­est. In Zürich besuch­te sie zunächst die Volks­schu­le und dann das Gym­na­si­um. In den Jah­ren 1965–1971 stu­dier­te Ilma Rakusa Sla­wis­tik und Roma­nis­tik in Zürich, Paris und St. Peters­burg. Anschlie­ßend pro­mo­vier­te sie über das Motiv der Ein­sam­keit in der rus­si­schen Lite­ra­tur. 1971–1977 assis­tier­te sie am Sla­wi­schen Insti­tut der Uni­ver­si­tät Zürich. Seit 1977  ist Ilma Rakusa Lehr­be­auf­trag­te der Uni­ver­si­tät Zürich.
Dane­ben ist sie frei­be­ruf­lich als Schrift­stel­le­rin, Über­set­ze­rin und Publi­zis­tin für die “Neue Zür­cher Zei­tung” und “Die Zeit” tätig. Heu­te lebt sie in Zürich.