catfish

You are currently viewing catfish

von Leo Blumenschein

Ich saß auf einem Sofa am Ende der Nacht am Ran­de eines Clubs auf einer Welt, die frei und unge­schützt in wahn­wit­zi­gem Tem­po und auf undurch­schau­ba­ren Bah­nen durch das Welt­all schießt, und deren Spi­ral­be­we­gun­gen und inter­stel­la­re Kon­stel­la­tio­nen nach den Wor­ten mei­nes Mit­so­fa­sit­zers dafür ver­ant­wort­lich waren, dass ich genau hier und jetzt auf die­sem Sofa saß und mir sei­nen astro­lo­gi­schen Schwach­sinn  geben muss­te.  Er erzähl­te mir etwas über Sternzeichen.

Trau­ri­ger­wei­se scheint sein Sys­tem geschlos­sen. Ich soll hier sit­zen, weil ich hier sit­ze. Ich soll mit ihm reden, weil ich mit ihm rede. Der Wels soll ein Wels sein, weil er ein Wels ist.  Der Glau­be an kos­mi­sche Kräf­te ist natür­lich nur eine Tau­to­lo­gie ohne jeg­li­chen Erkennt­nis­ge­winn, dach­te ich mir, wäh­rend die Welt wei­ter­hin so durchs All schoss und mich pro­vo­kant igno­rier­te. Ich hat­te kein Inter­es­se an die­sem Gespräch und trotz­dem woll­te ich nicht auf­ste­hen. Als ich nach mei­nem Aszen­den­ten gefragt wur­de, ver­such­te ich so betrun­ken zu wir­ken, dass mein Schwei­gen nicht als Unhöf­lich­keit aus­ge­legt wur­de. Wie immer ver­fehl­te ich mei­ne Wir­kung und wirk­te statt­des­sen nur inter­es­san­ter. Als ich immer mehr gefragt wur­de, ver­such­te ich einen kleins­ten gemein­sa­men Nen­ner zu finden.

„Zumin­dest wäre es mög­lich, dass das sich Zei­gen­de in der Welt nicht der wahrs­te Kern der Welt sei.“ sag­te ich.

Ich merk­te an sei­nem Gesicht, dass ihm mei­ne neue Ver­brü­de­rung gefiel. Die Mund­win­kel flow­ten auf und ab wie in einem unschar­fen Comicfilm.

Ich muss­te über mei­ne eige­nen Wor­te lachen. Die gan­ze Kon­ver­sa­ti­on war Schwach­sinn. Ich wuss­te weder wann und wie ich sie begon­nen hat­te, noch wie ich gedach­te, sie zu einem Ende zu brin­gen. Alles erschien höchst frag­wür­dig und war von einem exis­ten­ti­el­len Wum­mern erfüllt. Die Aszen­den­ten, die Musik, die eigent­lich zu laut war und trotz­dem im Hin­ter­grund blieb, die zucken­den Lich­ter, alles war nur die Abbil­dung einer wah­ren Sze­ne­rie, die ich noch nicht erken­nen konn­te. Die Leu­te um mich her­um pass­ten nur ins Bild: Sie tru­gen mehr­stu­fi­ge Mas­ken aus Freu­de, Trau­er, Amphet­ami­nen, Begier­de, und ein paar ande­ren Regun­gen. Ihre Auf­ga­be war es, sich per­ma­nent in End­zeit­stim­mung zu ver­set­zen, um irgend­was zu füh­len. Eigent­lich waren sie nur sehr trä­ge Fische, die dar­auf war­te­ten ange­stupst zu wer­den oder in der Brat­pfan­ne zu lan­den. Fische haben kei­ne Stern­zei­chen und füh­ren ein sehr lang­wei­li­ges Leben. Am Ende stirbt man immer auf ganz schnö­de und vor­her­seh­ba­re Wei­se. Analogiesucht.

Ich muss­te die Kon­ver­sa­ti­on noch irgend­wie zu Ende bringen.

„Weißt du, dass man den Wels im eng­li­schen cat­fi­sh nennt?“

Das ergab für ihn natür­lich über­haupt kei­nen Sinn. Die Umbe­nen­nung des Wel­ses in cat­fi­sh hat­te sein tau­to­lo­gi­sches Welt­bild voll­kom­men zerbrochen.

Die gera­de noch zucken­den Mund­win­kel mei­nes Zuhö­rers waren in der Tal­stel­lung ste­hen geblie­ben. Bis eben hielt er unse­re Kon­ver­sa­ti­on noch für deep, jetzt erschien ich nur als ein ver­schall­ter Clubidi­ot, der Unzu­sam­men­hän­gen­des laber­te.  Er war natür­lich der eigent­li­che Idi­ot, voll­kom­men unfä­hig, irgend­et­was poe­ti­sches im Wort „cat­fi­sh“ zu ent­de­cken.  Dabei ist doch genau das, das irgend­ein Mensch irgend­wann begon­nen hat, die­sen furcht­bar trä­gen und häss­li­chen Fisch cat­fi­sh zu nen­nen, der eigent­li­che meta­phy­si­sche Akt des Men­schen und nicht das Nach­plap­pern eines Fern­seh­zeit­schrif­ten-Horo­skops, dach­te ich.

Als Schluss­punkt unse­res Gesprä­ches und als Akt der cari­ta­ti­ven Club­pfle­ge bot er mir eine Ziga­ret­te an. Rote L & M. Ich nahm sie trotz tie­fer Abnei­gung. Ich saß noch immer auf dem Sofa am Ran­de des Clubs, wie am Ran­de der Welt. Wenn ich zu lan­ge sit­zen blieb, wür­de ich abdrif­ten und über den Rand ins Welt­all fal­len. Höchst abgefuckt.

All­ge­mein nei­ge ich dazu, in Clubs ziem­lich schnell depres­siv zu wer­den. Ich bin ein­fach von einem grund­le­gen­den Rea­li­täts­zwei­fel durch­seucht: all die lachen­den und tan­zen­den Leu­te wir­ken immer so als täten sie nur so glück­lich. Ich will immer die­se Ober­flä­che durch­bre­chen und sogar dort, wo das Offen­sicht­li­che das Wahr­haf­ti­ge ist, kann ich nie dar­an glau­ben. Ich war also unab­sicht­lich Pla­to­ni­ker und soll­te dem­entspre­chend nicht in einem Club sein. Das war immer­hin eine Erkennt­nis; irgend­et­was, was blei­ben konn­te über die Ziga­ret­ten­län­ge hin­aus, über die Freu­de und mög­li­cher­wei­se gar über die Trau­er, die mich am nächs­ten Tag befal­len würde.

Ich muss­te mich noch ein­mal in End­zeit­stim­mung brin­gen, um mich zum tan­zen zu bewe­gen. Ich tanz­te ziem­lich lan­ge und ziem­lich unbe­hol­fen. Mei­ne Freun­de hat­te ich schon seit Ewig­kei­ten nicht mehr gese­hen. Wahr­schein­lich waren sie schon lan­ge heim­ge­gan­gen. Irgend­wann ent­deck­te ich dann doch noch Skin­ny, wir gin­gen zusam­men auf die Toi­let­te. Danach wur­de alles bes­ser. Ich tauch­te ab und die Welt unter Was­ser, war jene pla­to­ni­sche Welt hin­ter der Welt.

Die Umge­bung um mich begann sich lang­sam zu ver­flüs­si­gen. Erst waren es nur die Sil­hou­et­ten der Tan­zen­den, die waber­ten. Irgend­wie waren sie auf ein­mal über­all, aber nicht mehr als Men­schen­mas­se, son­dern auf­ge­lös­ter, nebel­ar­ti­ger und flüs­si­ger. Die Regung voll und ganz unter­ge­taucht zu sein, berei­te­te mir selt­sa­mer­wei­se kei­ne Sor­gen, son­dern ver­setz­te mich in ein prä-wag­ne­ri­sches Gefühl der Geborgenheit.

Ich war in einem war­men, schla­cki­gen Tüm­pel. Eine Hand streif­te mei­nen Unter­arm ent­lang und es war als ob der Schlamm vom Grun­de eines Sees lang­sam an mir abperlt. Ich begann mich immer lang­sa­mer zu bewe­gen und muss­te an Pla­ton, Tho­mas von Aquin und Peter Alt­mai­er den­ken. „Beseelt.“ dach­te ich mir, und wahr­schein­lich sag­te ich es auch laut. Sogar dem L&M Idio­ten ver­zieh ich. Die Musik klang längst wie ein The­re­min und mei­ne Hän­de, Füße, Bei­ne und Arme schnit­ten immer wie­der in uner­träg­li­cher Lang­sam­keit, aber mit höchs­ter Prä­zi­si­on in die Was­ser­men­ge der Tan­zen­den. Ein paar­mal mate­ria­li­sier­ten sich die Umris­se wie­der zu Per­so­nen und ich ent­deck­te den L&M Idio­ten und Skin­ny, ehe sie sich wie­der ihrer Kon­tu­ren ent­le­dig­ten und zurück in die Mas­se flu­te­ten. Sie tanz­ten selt­sam asyn­chron und es war mir als ob ihre Bei­ne, ihre Arme, ihre Tor­si alle in unter­schied­li­chen Zeit­zo­nen mit unter­schied­li­chen Fluss­ge­schwin­dig­kei­ten behei­ma­tet wären und nur als Abbil­dung „als Spie­gel im Spie­gel“ auf­ein­an­der Bezug neh­men konn­ten. Es war voll­kom­men gleich ob ich tanz­te oder schwamm und auch für Außen­ste­hen­de muss es unklar gewe­sen sein. „Viel­leicht ist das Tan­zen aus dem Schwim­men ent­stan­den“, dach­te ich mir, „und viel­leicht bin ich kein fehl­ge­lei­te­ter Pla­to­ni­ker son­dern nur ein unkon­ven­tio­nel­ler Schwimmer.“

„So schwamm und tanz­te ich vor mich hin.“ Und dadurch, dass ich mir die­sen Satz tat­säch­lich laut dach­te, erschien er mir wie der End­punkt einer Erzählung.

Wart ihr jemals im Okto­ber in der Ost­see baden?

Solan­ge man im Was­ser ist, erscheint einem alles warm. Sogar die Ost­see wirkt dann freund­lich. Sobald man auf­taucht und der Wind um dei­nen nas­sen Kör­per weht, beginnst du fürch­ter­lich zu frie­ren. Als wir den Club ver­lie­ßen war mir schlag­ar­tig kalt. Ich kauf­te mir noch eine Schach­tel rote L&M, setz­te mich auf die Bord­stein­kan­te und beob­ach­te­te wie aus dem Club­aqua­ri­um lang­sam das Was­ser abge­las­sen wur­de. Blub­bernd und gluck­send quill­ten die schla­cki­gen Tan­zen­den nach und nach aus dem Club bis er ganz und gar leer war. Ich sah wie ein Licht anging. Auch das könn­te der End­punkt einer Erzäh­lung sein, dach­te ich mir.