NOT TiGHT

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© Teh­il­lah De Castro

DOMi & JD Becks Debüt bringt jugendlichen Wind in Blue Note Records 

von Roman Matzke

Eine saxo­phon­spie­len­de Rat­te dreht sich im Kreis, der Hin­ter­grund wech­selt rasant die Far­be. Die Web­site lädt. Mehr blin­ken­de Mus­ter. Mehr Far­be. Laut, wirr, schrill, irgend­wie retro, irgend­wie modern. Der pixeli­ge Cur­sor bewegt sich durch das 90er Design – auf einer fei­nen Linie zwi­schen Meme und ver­spiel­ter Ernst­haf­tig­keit. Ich möch­te wis­sen, ob die Merch-Zahn­bürs­ten der Insta­gram Ads ein Scherz sind. Sind sie nicht. Für 10 Dol­lar kann auch ich Besit­zer eines Stücks SMi­LE-Plas­tik in Neon wer­den (Far­be nicht wählbar).

Wer die vir­tuo­sen New­co­mer DOMi (Key­board) & JD Beck (Drums) bereits durch die Zild­ji­an und Nord Live Ses­si­ons ken­nen­ler­nen konn­te, hät­te auch ohne Titel erra­ten kön­nen, um wes­sen Web­site es geht. Case in Point: das „Mad­vil­lai­ny Tri­bu­te“, wor­in DOMis Thrift­s­to­re-Sweat­shirt Tür­kis, Pink, Gelb, Min­nie Mou­se und Jeff Spi­co­li Che­ckers ver­eint. Und bereits nach 15 Sekun­den kann auch der obli­ga­to­ri­sche Hund-im-Pool-mit-Son­nen­bril­le-und-Cow­boy­hut Insert abge­hakt wer­den. Out­fits ande­rer Vide­os zei­gen Video­spiel- und Car­toon­re­fe­ren­zen. Kon­ser­va­to­ri­ums­mu­sik im Anzug war ges­tern. Aber ist das über­haupt noch Jazz?

„Nein“ wäre wohl die Ant­wort der bei­den Künst­ler. Wird live „My Favo­ri­te Things“ gespielt, klingt das eher nach Outk­ast als nach Col­tra­ne – für Becks Drum­stil ein Match Made in Hea­ven. Dass Hip-Hop vom Jazz borg­te, ihn ver­bog und in den Ohren einer neu­en Gene­ra­ti­on wie­der­be­leb­te, ist DOMi (22) & JD Beck (19) mehr als geläu­fig. Oscar Peter­son imi­tie­ren oder zum tau­sends­ten Mal Char­lie Par­ker aufs Key­board trans­po­nie­ren? Nach all dem was folg­te, – mit Dil­la an der Spit­ze – für die bei­den Gen‑Z Musi­ker undenk­bar. Zu alt­ba­cken. Und das ist ver­ständ­lich. Die Chan­ce auf fri­schen Wind im legen­dä­ren Blue Note Kata­log (das Jazz Label mit Tra­di­ti­on) wur­de in einer Koope­ra­ti­on mit Ander­son .Paak genutzt und brach­te am 29.07.22 das Debut Album NOT TiGHT auf den Markt – für die ganz hip­pe Jugend im Novem­ber auch auf Kassette.

.Paaks Ein­fluss ist mit einem Blick auf die lan­ge Fea­ture-Lis­te schnell ersicht­lich: Snoop Dogg, Bus­ta Rhy­mes, Mac DeMar­co, Thun­der­cat und Kurt Rosen­win­kel — .Paak selbst lässt sich eben­falls hören. Da darf man skep­tisch wer­den: Sind das Wün­sche sei­tens der Künst­ler oder Mar­ke­ting Stunts? 

„Drink until the point a nig­ga spit up / Ride or die tog­e­ther, like we on some gang shit if we was bloo­din’ or we crip up“. Das – um Ver­wir­rung bezüg­lich des Autors zu ver­mei­den – ist nicht das lyri­sche Meis­ter­werk eines Walt Whit­mans; nein, falsch gera­ten, auch nicht Shake­speare. Bus­ta Rhy­mes ist es, der in „PiLOT“ zeigt, was Jahr­zehn­te am Mic noch aus der Dich­ter­see­le kit­zeln. In den 90ern wenig hin­ter­fragt und heu­te wohl nost­al­gisch. Pro­gres­si­on Fehl­an­zei­ge. Nach all dem Wir­bel um den fina­len Release hat­te ich am 29. nach die­sem Fea­ture und Mac DeMar­cos „TWO SHRiMPS“ (Lyri­ker­klä­rung will­kom­men) bereits kei­ne Lust mehr. Der You­tube-Algo­rith­mus schein­bar auch nicht, denn anstel­le des nächs­ten Tracks wähl­te Auto­play einen alten Jazz Funk & Soul Mix aus Japan. Hier steckt also die Dyna­mik! Von laut zu lei­se, lang­sam zu schnell, Licks die atmen … und der Blues.

Wären das die 60er, hät­te der Erst­ein­druck genügt. Halb gehört, halb gemocht. 5/10. Pay­check plea­se. Die Creem Zei­ten der impul­si­ven Les­ter Bangs Reviews lie­gen jedoch in fer­ner Ver­gan­gen­heit; und ein Album mehr­mals zu hören ist heu­te selbst­ver­ständ­lich. Also, auf geht’s, in die para­do­xe Welt der poly­rhyth­mi­schen Tiefenentspannung.

NOT TiGHT – natür­lich Iro­nie. Oder doch nicht? Dass das Zusam­men­spiel des fran­zö­sisch-texa­ni­schen Duos nach tau­sen­den gemein­sa­men Stun­den im (teils vir­tu­el­len, teils rea­len) Pro­be­raum mehr als „tight“ ist, steht außer Fra­ge; die 15 Tracks im Gesamt­pa­ket so zu beschrei­ben, scheint jedoch dis­ku­ta­bel. Gleich vor­weg: die Col­lab-Men­ta­li­tät „für jeden etwas“ stellt rasan­te Abwechs­lung vor aus­gie­bi­ge Entfaltung. 

Das ist zwar scha­de, aber 70 % des Albums sind durch­aus kohä­rent. War­um also beim Hören nicht den Edi­tor spie­len? DOMi & Becks Gene­ra­ti­on kon­su­miert Tik­Toks und Co. in einer Wech­sel­ge­schwin­dig­keit, die JDs Drum­ming nahe­kommt. Das Album von vor­ne bis hin­ten – als Gan­zes – zu hören, ist heu­te kei­ne Pflicht mehr. Mit Min­gus Ah Um(1959) hät­te man sich das nicht getraut (war­um auch?), aber im heu­ti­gen Play­list-Kli­ma scheint NOT TiGHT gera­de dafür zu plädieren.

Kon­zen­trie­ren wir uns mal einen Moment auf die bei­den Stars. Bewe­gen sich DOMis Hän­de in nie dage­we­se­ner Kom­ple­xi­tät? Stellt JDs Tech­nik jeden Schlag­zeu­ger in den Schat­ten? Ist das der Sound einer neu­en Gene­ra­ti­on? Nein. Nein. Und viel­leicht ein biss­chen… aber… nein. Mit Super­la­ti­ven soll­te man nicht um sich wer­fen, wie das in Reviews direkt nach Release der Fall war. Auch mit wer­ten­den Adjek­ti­ven wird es schnell schwie­rig: Ist das Schlag­zeug hib­be­lig, oder gar ner­vös? Hat NOT TiGHT ADHS-Ten­denz? Kri­tik die­ser Art scheint Hör­ersub­jek­ti­vi­tät nicht zu kennen.

Irgend­wo in der Mit­te, zwi­schen neu und alt, zwi­schen Gen‑Z und Tra­di­ti­on, pen­delt sich das Album ein, so viel kann man sagen. Mit „revo­lu­tio­när“ oder „gene­ra­ti­ons-defi­nie­rend“ soll­te also nicht um sich gewor­fen werden.

Trotz all dem: Was hier gebo­ten wird, hat her­aus­ra­gen­de High­lights. Die sicher in Eile erdich­te­ten Lyrics mal bei­sei­te (den Cole Por­ter des neu­en Jahr­hun­derts zu fin­den, scheint immer aus­sichts­lo­ser), „MOON“ lässt Jazz-Legen­de Her­bie Han­cock den Voco­der aus­pa­cken, was einer­seits an Sun­light Zei­ten anschließt, ande­rer­seits mit DOMis Akkor­den frisch und auf­re­gend bleibt. Das Solo lässt auf­merk­sa­me Hörer förm­lich vom Stuhl fal­len – Ten­si­on und Release funk­tio­nie­ren wie eh und je, las­sen die Fin­ger mit­spie­len und beein­flus­sen die Atmung. Ein „uuuh“ oder „aaah“ lässt sich selbst im öffent­li­chen Raum nicht ver­knei­fen – vom Bass Face mal ganz abge­se­hen. Da kommt das char­man­te „DUKE“ mit sei­ner ruhi­gen Ader gera­de recht. 

Wäh­rend anspruchs­vol­le­re Titel wie „NOT TiGHT“ oder das ein­gän­gi­ge „SMi­LE“ Instru­men­tal­fans der ers­ten Stun­de glück­lich machen, zeigt „BOW­LiNG“ zu wel­chem Effekt die bei­den zar­ten Stim­men hin­ter Thun­der­cats  „am I fuck­ing this up?“ Musings genutzt wer­den kön­nen. Auch wenn es lyrisch bana­ler kaum gehen mag: Die kal­te Text­ober­flä­che genügt, um durch den ein oder ande­ren har­mo­ni­schen Spalt ech­te Gefüh­le kom­men zu las­sen. Das weckt Lust nach mehr. 

„WHOA“ gibt schließ­lich mit Kurt Rosen­win­kels Gitar­ren­spiel einen Hin­weis dar­auf, was uns in den anste­hen­den Live­shows erwar­ten könn­te. Glo­ba­le Star­mu­si­ker wer­den das Talent der bei­den Zoo­mer auf die Pro­be stel­len — sie kämp­fen las­sen. Noch kennt man sie nicht am Limit, hat Anspan­nung und Erschöp­fung nie gehört.

Das muss sich für eine lan­ge Kar­rie­re ändern. Den­noch soll die­se For­de­rung nicht nach ver­bis­se­nem Jazz­fan klin­gen – für tra­di­tio­nel­le Impro­vi­sa­ti­on gibt es bei Blue Note schließ­lich immer noch genü­gend Platz. „TAKE A CHANCE“ mit .Paak beweist es: die Hip-Hop und Soul Rou­te ist die rich­ti­ge für DOMi & JD Beck und steht ihrer musi­ka­li­schen Ent­wick­lung kei­nes­falls im Weg. Das nächs­te Album gibt dem extra­va­gan­ten Far­ben­mix viel­leicht dank dazu­ge­won­ne­ner Lebens­er­fah­rung das nöti­ge Blau – den Human Touch zwi­schen robo­ti­scher Per­fek­ti­on, die Blue Note