Die US-Serie Colin in Black & White gibt Einblicke in die Jugendjahre von Colin Kaepernick und macht auf strukturellen Rassismus in der Gesellschaft aufmerksam
von Nina Gretschmann
1968 schreiben die Amerikaner Tommie Smith und John Carlos Geschichte. Nicht unbedingt, weil sie bei den olympischen Spielen Gold und Bronze gewinnen, sondern weil sie bei der Siegerehrung eine Faust nach oben strecken – das Zeichen der Black Power-Bewegung. Bis heute ist diese Geste, mit der sie gegen die Unterdrückung von People of Color protestierten, als ein ikonisches Bild im kulturellen Gedächtnis der Gesellschaft abgespeichert.
Fast 50 Jahre später macht erneut ein amerikanischer Spitzensportler auf rassistische Missstände in den USA aufmerksam: Colin Kaepernick, Quarterback der San Francisco 49ers, kniet im September 2016 vor Spielbeginn – während der amerikanischen Nationalhymne. Er kniet, um gegen die tödliche Polizeigewalt gegen People of Color zu demonstrieren. Dieser Kniefall wird in der Folgezeit zu einer nationalen Geste, einem Symbol der Black Lives Matter-Bewegung, welches mittlerweile, fünf Jahre später, längst nicht mehr nur vor amerikanischen Footballspielen zu sehen ist, sondern auch beispielsweise bei der Europameisterschaft 2021 vor Anpfiff der Spiele zu beobachten war.
Die Netflix-Serie Colin in Black & White erzählt von Colin Kaepernicks Highschool-Zeit — als junger Quarterback bereit, alles zu tun, um ein Footballstipendium zu erhalten und seinen Traum zu erfüllen: Eines Tages in die NFL zu kommen. Die Geschichte wird auf zwei Ebenen erzählt. In Form einer Drama-Serie wird Colins Leben als Jugendlicher (charismatisch und sensibel gespielt von Jaden Michael) gezeigt. Als Adoptivsohn wächst er bei weißen Eltern auf, verkörpert von Nick Offerman (Parks and Recreation) und Mary-Louise Parker (Weeds), welche ihn voll und ganz bei seinem Traum unterstützen.
Auf zweiter Ebene ergänzt und kommentiert der historische, mittlerweile 34-jährige Colin Kaepernick selbst bestimmte Stationen der Drama-Serie und liefert zusätzliche Informationen, welche über seine eigene Biographie hinausgehen. Denn bereits aus der ersten Folge wird ersichtlich, dass nicht nur exemplarisch das Highschool-Leben Kaepernicks, sondern der strukturelle Rassismus in Amerika im Vordergrund steht.
Die Serie, welche Kaepernick gemeinsam mit Ava DuVernay (When They See Us) kreiert hat, zeigt, wie Colin in seinen Jugendjahren immer häufiger mit rassistischen Vorurteilen und Benachteiligungen zu kämpfen hat. Wie tief verankert Rassismus in der Gesellschaft ist und wie beiläufig sich dieser bemerkbar macht, wird ausgiebig veranschaulicht. Es kommt nicht zu offensichtlichen Anfeindungen, nein – im Gegenteil – Colin in Black & White konzentriert sich auf den unterschwelligen Rassismus, dem People of Color im Alltag viel zu oft ausgesetzt sind.
Die Serie meistert es sowohl auf Drama‑, als auch auf Dokumentationsebene auf die immer noch vorherrschende Zweiklassengesellschaft in den USA aufmerksam zu machen. In den gespielten Szenen wird deutlich, dass die Gesellschaft auf Colin anders reagiert als beispielsweise auf seinen weißen besten Freund oder seine weißen Adoptiveltern. Während der Grund, welcher hinter dieser ungleichen Behandlung steckt, für die Zuschauer*innenschaft sehr schnell zu erkennen ist, begreift Colin erst nach und nach, was es bedeutet, nicht weiß zu sein.
Darüber hinaus gelingt es Colin in Black & White aufzuzeigen, dass struktureller Rassismus oftmals nur schwer von nicht betroffenen Personen wahrgenommen wird. Für diese Veranschaulichung dienen der Serie Colins Adoptiveltern Teresa und Rick Kaepernick, welche zwar als sehr gutmütig, aber auch als äußerst naiv dargestellt werden. Für den systematischen Rassismus, mit welchem Colin selbst vor den Augen seiner Eltern konfrontiert wird, sind Teresa und Nick blind und spielen diesen stattdessen lächelnd herunter.
Rassismus zeigt sich nicht immer erst in öffentlichen Beleidigungen und gewaltsamen Anfeindungen – struktureller Rassismus beginnt bereits viel früher. Die Serie hilft hierbei jedoch, seine Zuschauer*innen für diese unterschwelligen, rassistisch-motivierten Situationen zu sensibilisieren. Das ist vor allem dem Konzept der Serie zu verdanken, das durch seinen Genre-Mix aus Drama und Dokumentation dazu führt, dass man sich als Zuschauer*in auf der einen Seite in den jungen Colin hineinversetzen kann und auf der anderen Seite vom Erwachsenen Colin Kaepernick eine reflexive Instanz für ein noch besseres Verstehen sowie Nachvollziehen vermittelt bekommt.
Colin Kaepernick sagt in der Serie selbst über sich, er sei immer die zweite Wahl gewesen, nie die erste. Trotzdem kämpft er in seiner Jugend unerbittlich für seinen Football-Traum und das obwohl er auch Karriere als Baseballspieler machen könnte und er von unzähligen Colleges Stipendien angeboten bekommt. Doch er schlägt alle Angebote aus, denn es ist „in seinem Blut“, ein Quarterback zu sein. Die Serie macht Mut, an die eigenen Träume zu glauben und allen Vorurteilen zum Trotz nie am eigenen Können zu zweifeln, so ist Colin in Black & White auch allen „Unterschätzten, Übersehenen und Ausgestoßenen“ gewidmet. Gleichzeitig zeigt die Serie, dass es manchmal Dinge gibt, die wichtiger sind, als die eigenen Träume.
Der Black Power-Gruß kostete Smith und Carlos damals ihre Sportlerkarriere und auch Colin Kaepernick wurde nach der Saison 2016/2017 von keinem NFL-Club mehr unter Vertrag genommen. Für den Protest opferte er im Alter von 29 Jahren seinen großen Traum – seine Footballkarriere. Im Jahr 2021 dient die von ihm initialisierte Geste immer noch als friedliches Zeichen des Protests und vereint Menschen unterschiedlichster Herkunft im Kampf gegen soziale Ungerechtigkeiten.
Mit Colin in Black & White führt Colin Kaepernick seinen 2016 mit dem Kniefall begonnen Protest gegen die Unterdrückung der People of Color fort. Statt mit einer stummen Geste auf dem Footballfeld, tritt er nun wortgewandt und erklärend auf. Zwei sehr unterschiedliche Herangehensweisen, um auf strukturellen Rassismus aufmerksam zu machen – die Botschaft des Kniefalls kam an, die der Serie definitiv auch!
Die sechs 30-minütigen Folgen sind seit 29.Oktober auf Netflix verfügbar.