#14 hörinsblau — Das Gespräch

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© Neo­pol Film

mit dem Filmregisseur Jakob Zapf

von Cla­ra Eisenreich

Jakob Zapf arbei­tet als Dreh­buch­au­tor, Pro­du­zent und Regis­seur. Sein Debüt­film Eine Hand­voll Was­ser fei­er­te 2021 Pre­mie­re und beschäf­tigt sich mit der Geflüch­te­ten­kri­se, Gene­ra­ti­ons­kon­flik­ten und dem Kli­ma­wan­del. Gemein­sam mit sei­nen Kolleg*innen der Neo­pol Film möch­te er den Fokus auf die (Ab-)Normalitäten und Zer­brech­lich­kei­ten der Gesell­schaft legen und Fil­me schaf­fen, die das Publi­kum zeit­gleich zum wei­nen und lachen brin­gen. Schau­ins­blau hat mit ihm über die Pro­duk­ti­on und Inter­pre­ta­ti­on von Eine Hand­voll Was­ser gesprochen.

schau­ins­blau: Die männ­li­che Haupt­fi­gur ver­mei­det es zunächst sein Gegen­über, das jun­ge Mäd­chen, bei ihrem Namen zu nen­nen. Dies geschieht erst, als er Gemein­sam­kei­ten in ihren bei­den Geschich­ten fin­det: Sei­ne Flucht aus dem heu­ti­gen Polen und ihre Flucht aus dem Jemen. Dient die­se Sze­ne als Schlüsselszene?

Jakob Zapf: Das ist auf jeden Fall eine Schlüs­sel­sze­ne. Die­se Ver­bin­dung der zwei Geschich­ten war sowohl Moti­va­ti­on als auch Inspi­ra­ti­on für die­sen Film. Es gibt eben inner­halb Deutsch­lands genau die­se geteil­ten Geschich­ten von Men­schen: Die, die neu nach Deutsch­land kom­men und die alten Men­schen, die hier schon lan­ge leben, aber auch nicht unbe­dingt auf dem jet­zi­gen deut­schen Staats­ge­biet gebo­ren sind. In eini­gen Bun­des­län­dern betrifft das bis zu einem Vier­tel der Bevöl­ke­rung. In Sach­sen ist zum Bei­spiel ein Vier­tel der Bevöl­ke­rung nach dem zwei­ten Welt­krieg zuge­wan­dert und heut­zu­ta­ge weiß man davon fast gar nichts mehr. Die­se Ver­gan­gen­heit ver­bin­det die Leu­te und bil­det somit auch eine Schlüs­sel­sze­ne des Films.

schau­ins­blau: Was­ser und vor allem der Zugang zu Trink­was­ser zieht sich, wie auch schon im Titel „Eine Hand voll Was­ser“ erkenn­bar, als roter Faden durch den Film. Was hat es damit auf sich?

Jakob Zapf: Für den Film war ursprüng­lich eine ande­re Situa­ti­on geplant: Die Jah­re bevor wir den Film gedreht haben, gab es sehr tro­cke­ne Som­mer und Jah­re. Wir hat­ten eigent­lich vor, den Film im Som­mer zu dre­hen, das hat dann aber aus ver­schie­de­nen Grün­den pro­duk­tio­nel­ler Art nicht funk­tio­nier. Die Ent­schei­dung, den Film dann doch spä­ter im Jahr zu dre­hen war dann jedoch auch eine krea­ti­ve Ent­schei­dung. Trotz­dem war das Was­ser immer sehr wich­tig, auch weil es ein Film ist, der sehr stark über das Ver­ständ­nis einer neu­en Gene­ra­ti­on nach­denkt und zei­gen soll, wie die­se durch das Leben geht. Heu­ti­ge Gene­ra­tio­nen beschäf­ti­gen sich ganz stark mit der Zukunft und auch mit deren Umwelt­aspekt. Die­ses Mäd­chen kommt nun aus einem Kul­tur- und geo­gra­phi­schen Bereich, in dem Tro­cken­heit und Was­ser­man­gel schon immer prä­sent sind, gera­de weil gro­ße Tei­le des Lan­des aus Wüs­te bestehen. Des­we­gen hat Was­ser für sie eine beson­de­re Bedeutung. 

Außer­dem gibt es eben die­sen Begriff im Ara­bi­schen — die­se Hand voll etwas. Das ent­spricht genau der Men­ge, zum Bei­spiel an Was­ser, die in eine Hand rein­passt. Die­se reicht aber eben nicht, um davon nicht mehr durs­tig zu sein oder eine Pflan­ze zu ernäh­ren. Es ist aber den­noch die Men­ge, die zwi­schen Hoff­nung und Trau­rig­keit schwebt. Des­we­gen und weil Was­ser natür­lich auch für das Leben all­ge­mein und für den Kreis­lauf des Lebens steht, haben wir das dann so auch als Leit­mo­tiv durch den Film durch­ge­zo­gen und ver­schie­de­ne For­men von Was­ser gedreht. Wir haben ver­schie­de­ne Bil­der von Was­ser, sei es der klei­ne Fluss, in den sie hin­ein­läuft oder Regen, Aqua­ri­um, trop­fen­der Was­ser­hahn, Gar­ten gie­ßen, usw.

schau­ins­blau: Also spielt der Film auch auf eine gewis­se Nach­hal­tig­keit an?

Jakob Zapf: Ja total! Der Film hat sehr viel mit Nach­hal­tig­keit zu tun, weil eben auch Nach­hal­tig­keit ver­schie­de­ne Ebe­nen hat. Nach­hal­tig­keit hat die­se Umwelt­ebe­ne, aber eben auch eine sozia­le Ebe­ne. Das ist genau das, was auch in der Schlüs­sel­sze­ne, über die wir eben gespro­chen haben, zwi­schen den bei­den Prot­ago­nis­ten zur Spra­che kommt. Nach­hal­tig­keit wie­der­holt sich eben­so wie ihre gemein­sa­me Geschich­te über Gene­ra­tio­nen und geo­gra­phi­sche Orte hinweg.

schau­ins­blau: „Die Entro­pie nimmt zu. Wenn du Milch in den Kaf­fee schüt­test, dann kannst du sie nicht mehr tren­nen. Das ist wie mit den Flücht­lin­gen. Es kom­men immer mehr. Eigent­lich heißt das, dass nichts mehr so wird, wie es frü­her mal war.“ Mit die­sen Wor­ten nimmt der Prot­ago­nist eine kla­re poli­ti­sche Hal­tung in Gegen­wart des Kin­des ein, das selbst aus dem Jemen nach Deutsch­land geflüch­tet ist. War­um wur­de die­se per­sön­li­che Ebe­ne der immer noch stark debat­tier­ten poli­ti­schen Dis­kus­si­on des Asyl­rechts gewählt?

Jakob Zapf: In dem Film zei­gen wir natür­lich Cha­rak­te­re, die in einem fik­tio­na­len Film mit­ein­an­der inter­agie­ren, so ent­steht dann eine per­sön­li­che Ebe­ne. Wenn Cha­rak­te­re auf­ein­an­der­tref­fen, pral­len immer auch ver­schie­de­ne Wer­te­vor­stel­lun­gen auf­ein­an­der. Das ist genau wie im ech­ten Leben. In einem Film hat man aber nur andert­halb Stun­den Zeit, um die­se Din­ge mit­ein­an­der zu ver­han­deln — anders als im ech­ten Leben. Da müs­sen dann Ele­men­te manch­mal dra­ma­ti­siert und Sze­nen zusam­men­ge­zo­gen wer­den, die sich im ech­ten Leben viel­leicht erst­mal anstau­en wür­den und erst spä­ter kulminieren.

Außer­dem ist Kon­rad auch ein Cha­rak­ter, der durch­aus kein Blatt vor den Mund nimmt. Das zum Bei­spiel auch sei­ner Toch­ter gegen­über nicht. So fragt er sie, war­um sie denn die Bla­gen adop­tie­ren müs­se und meint damit die Kin­der ihrer les­bi­schen Freun­din und ver­steht nicht war­um die­se jetzt Teil sei­ner Fami­lie sein sol­len. Da han­delt er genau­so unfair und unfreund­lich. Er ist ein­fach ein schrof­fer Typ, dem es egal ist, ob er gut ankommt oder nicht. Die Klei­ne wider­spricht ihm ja auch und erwi­dert, dass es in Mathe, also in Bereich der Natur­ge­set­ze, im Gegen­satz zur Gesell­schaft eben kei­ne Flücht­lin­ge gibt. Sie trennt hier wie­der die Ebe­nen, die er wahl­los mit­ein­an­der ver­mischt hat.

schau­ins­blau: Ist es euch beim Schrei­ben des Dreh­buchs leich­ter gefal­len, die­se The­men auf einer fik­tio­na­len Ebe­ne zu dis­ku­tie­ren, weil dadurch eine gewis­se Distanz besteht? 

Jakob Zapf: Leicht ist es nicht unbe­dingt. Es ist oft not­wen­dig sehr genau zu recher­chie­ren und sich mit der Wirk­lich­keit aus­ein­an­der zu set­zen, um Figu­ren in einem Film glaub­haft dar­zu­stel­len, zu zei­gen, was sie wol­len und ihre bewuss­te Moti­va­ti­on hin­ter die­sen Bestre­bun­gen auf­zu­zei­gen. Zusätz­lich zu den was sie wol­len, brau­chen die Cha­rak­te­re noch etwas, sind sich des­sen aber nicht unbe­dingt bewusst. Das ist bei uns allen so. Hin­zu kommt auch noch ihre Wer­te­ori­en­tie­rung. Dabei soll ein ‚set of values‘ gezeigt wer­den, das dar­stellt, wo jemand her­kommt, in wel­chen Zusam­men­hän­gen jemand denkt, wie neue Situa­tio­nen ein­ge­ord­net, beur­teilt und bewer­tet wer­den, und dann eben auch wie neue Men­schen bewer­tet und beur­teilt wer­den. Das tun wir näm­lich alle, auch wenn wir es oft nicht so ger­ne zuge­ben. Kin­der sind dabei oft noch frei­er, des­we­gen ist das ganz schön zu sehen, wie Thur­ba im Gegen­satz zu Kon­rad agiert.

schau­ins­blau: Gehen wir gleich zu den Kin­dern über. Als Thur­ba mit ihren Freun­den spricht, wird schnell klar, in wel­cher pre­kä­ren Situa­ti­on alle ste­cken. Als die Freun­de von ihrer bevor­ste­hen­den Abschie­bung und geplan­ten Flucht nach Eng­land erfah­ren, geben sie ihr Tipps, wie sie in Deutsch­land blei­ben kann. Die per­sön­li­chen Schick­sa­le sind dabei stark geprägt von poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen, die sie selbst nicht beein­flus­sen kön­nen, wie bei­spiels­wei­se der Sta­tus ihres Asyl­an­trags und damit ein­her­ge­hen­de Fol­gen. War­um woll­tet ihr das durch den Mund der Kin­der dar­stel­len und nicht etwa eine erwach­se­ne Frau zur Prot­ago­nis­tin machen?

Jakob Zapf: Wir haben auch eine erwach­se­ne Frau als Prot­ago­nis­tin. Sie wird gespielt von Pegah Fery­do­ni und ver­kör­pert die Rol­le der Frau Al Sher­bi­ni, das ist der Name von Thur­bas Fami­lie. Wir reagie­ren alle anders auf Kin­der als auf Erwach­se­ne. Erwach­se­ne Men­schen emp­fin­den wir schnel­ler als Bedro­hung, Kin­der hin­ge­gen sel­te­ner – gera­de wenn es wirk­lich Kin­der sind und noch kei­ne Jugend­li­chen. Die Schau­spie­le­rin, die Thur­ba gespielt hat, war zum Zeit­punkt der Dreh­ar­bei­ten neun Jah­re alt, also noch sehr jung. Das kann dann schon das ein oder ande­re Herz erwei­chen — wie bei Kon­rad. Der Film wird des­halb auch oft mit Der Klei­ne Lord ver­gli­chen. Ich selbst habe ihn wäh­rend der Erstel­lung des Dreh­buchs und der Dreh­ar­bei­ten nie als Refe­renz­werk gese­hen, auch wenn mir die­ser Ver­gleich ein­leuch­tet. Ich hat­te ande­re Fil­me als Refe­ren­zen: Gran Tori­no oder Per­fect World, bei­de von Clint East­wood gedreht. Bei zwei­te­rem spielt Kevin Cos­t­ner einen ehe­ma­li­gen Gefan­ge­nen, der ein Kind ent­führt. Im Lau­fe des Films ent­wi­ckelt sich zwi­schen bei­den eine Freund­schaft. Trans­ge­ne­ra­tio­na­les Ken­nen­ler­nen bil­det den Zugang zu unse­rem Film.  Die­ses Ken­nen­ler­nen, Anfreun­den und die unwahr­schein­li­chen Begeg­nun­gen ent­ste­hen zu las­sen: Ich glau­be das alles sind Din­ge, die wir in unse­rer Gesell­schaft brau­chen. Wir müs­sen uns auf­ein­an­der ein­las­sen. Um den Zugang zu, oft auch von der Gesell­schaft abge­kap­sel­ten, Per­so­nen zu errei­chen, ist es leich­ter die­sen durch ein Kind her­zu­stel­len. Kin­der brin­gen noch nicht so vie­le Bür­den mit sich, die einem Erwach­se­nen bereits wider­fah­ren sind.

schau­ins­blau: Nach­dem Kon­rad Haus­nick Thur­ba in sei­nem Haus gefun­den hat und ihr wider­wil­lig Schutz und eine Mahl­zeit anbie­tet, wird Thur­ba durch das Bra­ten von Speck mit ihren Kriegs­trau­ma­ta kon­fron­tiert. Spä­ter wer­den sie jedoch kaum the­ma­ti­siert. War­um wer­den die­se psy­cho­lo­gi­schen Nach­wir­kun­gen des Krie­ges außen vorgelassen?

Jakob Zapf: Sie wer­den eigent­lich nicht wirk­lich außen vor­ge­las­sen. Sie kom­men in die­sem Moment hoch und Kon­rad ent­schließt sich, erst­mal nicht dar­auf ein­zu­ge­hen und einen respekt­vol­len Umgang mit Thur­ba zu fin­den – ganz gegen­tei­lig zu sei­nem eigent­li­chen Ver­hal­ten. Dar­an merkt man, dass er selbst eine schwie­ri­ge Ver­gan­gen­heit hat, weil er hier einen Schritt zurück­geht und das dann nicht mehr bewer­tet. Er stellt das nicht in Fra­ge und fragt auch nicht nach. Damit lässt er ihr ihre Ver­letzt­heit, nimmt sie an und bie­tet ihr etwas ande­res zu essen an. Dabei bleibt er bei sei­ner schrof­fen Art. Er wird nicht net­ter, aber lässt die­sen Teil an ihr in Ruhe und drückt da nicht wei­ter drauf.

Ich fin­de auch, dass es sich nicht gehört, jeman­den auf sei­ne Trau­ma­ta anzu­spre­chen, wenn man die Per­son gera­de erst ken­nen­lernt. Genau­so gehört es sich mei­ner Mei­nung nach auch nicht, wis­sen zu wol­len, wie sich die­ses anfühlt und gleich­zei­tig Erklä­run­gen dazu ein­zu­for­dern. Erst­mal geht es dar­um, den Men­schen so ken­nen­zu­ler­nen, wie er sein möch­te und sich auch nach außen dar­stel­len und leben möch­te. Dazu gehört es auch, dass man die Tei­le, die ver­letz­lich sind, erst ein­mal in Ruhe lässt, damit eine Ver­traut­heit ent­ste­hen kann. Das, fin­de ich, ist die ers­te Sze­ne, in der Kon­rad wirk­lich mensch­lich wirkt.

Des­we­gen wird es an die­ser Stel­le eben nicht aus­ge­las­sen. Er ver­sucht dar­an anschie­ßend schon, ihre Fami­li­en­kon­stel­la­ti­on nach­zu­voll­zie­hen; spricht dabei über den Onkel in Eng­land. Aber er redet nicht auf sie ein und ver­sucht auch nicht, den Psy­cho­lo­gen zu spielen.

schau­ins­blau: Eine Figur, die eher am Ran­de auf­tritt, ist die Nach­ba­rin. Kann man ihr eine poli­ti­sche Funk­ti­on zuordnen?

Jakob Zapf: (lacht) Ja, das kann man, glau­be ich, schon. Sie ist eine Art ‚Vor­ort­po­li­zei‘, die ger­ne Gär­ten patrouil­liert. Wäh­rend sie vor­gibt, nur mit ihrem Hund spa­zie­ren zu gehen, inter­es­siert sie sich haupt­säch­lich für die Geschich­ten ihrer Nach­barn und weiß genau, was wo pas­siert. Ich den­ke, die­se Figur kennt jeder: Men­schen, die man eigent­lich kaum kennt und dann eine zu gro­ße Neu­gier­de für das Leben der ande­ren Per­son in sich tra­gen und sich auch in der Posi­ti­on sehen, das kom­men­tie­ren zu dür­fen. Sie bil­det auf jeden Fall einen poli­ti­schen Kom­men­tar, ja.

schau­ins­blau: Eine Sze­ne ist uns beson­ders im Kopf geblie­ben. In die­ser schnei­det sich Thur­ba ihre Haa­re ab. Gibt es einen bestimm­ten Grund, wes­halb die Prot­ago­nis­tin durch das Tra­gen einer Müt­ze von Beginn an ihre Haa­re „ver­steckt“?

Jakob Zapf: Da gibt es ver­schie­de­ne Grün­de. Der Grund, der jetzt noch im Film und jetzt noch für die Zuschau­er erkenn­bar ist, ist der, dass Thur­ba aus einem mus­li­mi­schen Land kommt und sie nicht möch­te, dass ihre Haa­re über­all erkenn­bar sind. Gleich­zei­tig möch­te sie aber auch kein Mäd­chen sein, son­dern eher wie ein Jun­ge wir­ken. Das rea­li­siert Kon­rad, indem er ihr eine ande­re Müt­ze gibt, die sie schnell gegen die alte aus­tauscht. Es gab in der Dreh­buch­ent­wi­cke­lung auch noch eine ande­re Situa­ti­on, in der sie sich zusätz­lich für ihre Haa­re schämt, weil sie Haar­aus­fall hat, den wir auch am Set her­ge­stellt haben. Das ist jedoch nicht so wirk­lich rüber­ge­kom­men und hat sich nicht erschlos­sen. Des­halb haben wir das ein wenig ver­ein­facht und Thur­ba nur die­sen einen Grund zuge­ord­net. Natür­lich hat man als Mensch oft meh­re­re Beweg­grün­de für ein Ver­hal­ten. Im Film ist es aber auch gut, wenn der Cha­rak­ter nur einen Beweg­grund hat. Das ver­steht dann auch das Publi­kum besser.

schau­ins­blau: Als wir vor­hin über die Bedeu­tung von Was­ser gespro­chen haben hast du wie auch jetzt über Vor­stel­lung ver­sus Rea­li­tät gespro­chen. Wie viel fällt am Ende raus, wenn man das Dreh­buch vor­her im Kopf hat und die Ideen dann aber doch in der Umset­zung schei­tern. Wie viel Pro­zent sind das in etwa? 

Jakob Zapf: Das ist wirk­lich sehr unter­schied­lich. Unser Dreh­buch hat­te mal 100 bis 150 Sei­ten und das noch cir­ca zwei Wochen vor dem Dreh. Ich hat­te dann ein Gespräch mit der Her­stel­lungs­lei­te­rin und mit dem Produzenten.

Wir hat­ten uns vor­her auf­ge­teilt: Wir sind ja alle Pro­du­zen­ten aber Andrea Sim­mi hat bei Eine Hand­voll Was­sereher die Rol­le der Her­stel­lungs­lei­te­rin ein­ge­nom­men und Tonio Kell­ner­die des Pro­duk­ti­ons­lei­ters. Ich war da schon tief in der Regie abge­taucht und hat­te kei­ne kla­re Sicht mehr. Bei­de haben mir gesagt, dass ich das Dreh­buch jetzt kür­zen muss – und das um 30 bis 50 Pro­zent, sonst wür­den wir nächs­te Woche nicht mit dem Dreh begin­nen. Ich war erst total über­rum­pelt und dach­te mir „wie wir dre­hen nicht?“. Am Ende wäre es aber auch nicht anders gegan­gen. Ich habe dann nicht ganz 30 Pro­zent son­dern eher so 25 Pro­zent gestri­chen —  bei man­chen Sze­nen schwe­ren Her­zens. Es gab vie­le Sze­nen, vor allem mit dem Mäd­chen, oder auch mit ihr in Kon­takt mit ande­ren, unter ande­rem auch Gleich­alt­ri­gen. Das ist nun im Film lei­der auf­grund unse­res Bud­gets gar nicht mehr ent­hal­ten. Kin­der in die­sem Alter müs­sen sehr stren­ge Vor­schrif­ten bezüg­lich der Dreh- und Arbeits­zeit ein­hal­ten. Das ist natür­lich rich­tig, wir konn­ten uns des­halb aber bestimm­te Din­ge ein­fach nicht leis­ten. Bei einem Debüt­film ist das, den­ke ich, noch rela­tiv nor­mal. Bei unse­rem ande­ren Debüt­film Ach du Schei­ße, der im Herbst in die Kinos kommt und 90 oder 85 Minu­ten auf einem Dixie Klo spielt, ist nicht so viel raus­ge­fal­len, viel­leicht so 10% — da war das Dreh­buch schon frü­her fertig.

Ich habe aber auch eine Kol­le­gin, die hat für ihren Film 37 Sekun­den, der auf der Ber­li­na­le 2019 in der Sek­ti­on Pan­ora­ma den Publi­kums­preis gewon­nen hat, alles geän­dert. Das Dreh­buch han­delt von einer jun­gen Frau mit Behin­de­rung, und als sie ihre Haupt­dar­stel­le­rin gefun­den hat­te, die eine spe­zi­fi­sche Behin­de­rung hat, hat sie das gan­ze Dreh­buch weg­ge­wor­fen und es von vor­ne neu geschrie­ben. Da hat sie also 100 Pro­zent weg­ge­wor­fen und von null ange­fan­gen, und das auch zwei Wochen vor Dreh­be­ginn. Der Film ist trotz des­sen super gewor­den und lohnt sich sehr! Das ist wohl von Pro­jekt zu Pro­jekt verschieden.

Ich den­ke auch, je indus­tri­el­ler und damit auch erfah­re­ner die Mit­wir­ken­den sind, des­to weni­ger wird weg­ge­wor­fen. Des­to kla­rer wird auch von Anfang an dar­auf hin­ent­wi­ckelt, wie das Bud­get ist, wie viel man umset­zen kann. Wenn man noch neu in die­ser Bran­che ist und noch viel ler­nen muss, klaf­fen Vor­stel­lung und Rea­li­tät oft noch weit auseinander.

schau­ins­blau: In einer Sze­ne des Films spricht Thur­ba in ihrer Erst­spra­che fol­gen­de Wor­te: „Gharfa tum­mah“. Die­se wer­den von den Prot­ago­nis­ten, Thur­ba und Kon­rad Haus­nick, zusam­men mit „Eine Hand voll Was­ser“ über­setzt. Dies führt letzt­end­lich auch zum Titel des Films. Eta­bliert wird die­se Begriff­lich­keit jedoch von Kon­rad. Im wei­te­ren Ver­lauf wer­den die­se Wor­te auch nicht mehr aus dem Ara­bi­schen über­setzt. Wel­che Funk­ti­on hat hier Sprache?

Jakob Zapf: Das ist Thur­bas Spra­che, die Kon­rad in sei­nen Wort­schatz auf­nimmt und damit auch eine Offen­heit zeigt, die vor­her nicht da war – auch sei­ner Toch­ter gegen­über. Das ver­wun­dert sei­ne Toch­ter auch sehr. In die­sem Moment wil­ligt sie auch ein, ihm zu hel­fen, obwohl er sie vor­her sehr ver­letzt hat. Das ist eine Art Zei­chen für sei­ne Veränderung.

schau­ins­blau: Dann kom­men wir jetzt schon zum Ende: Wel­che Pro­jek­te sind zukünf­tig geplant?

Jakob Zapf: Ganz vie­le. Wie bereits gesagt, arbei­te ich als Pro­du­zent bei Neo­pol Film mit Tonio Kell­ner. Über das Auch du Schei­ße Pro­jekt habe ich schon kurz gespro­chen. Der Film, bei dem ich als Pro­du­zent wir­ke, kommt die­sen Herbst in die Kinos und hat­te jetzt Welt­pre­mie­re auf dem Hard­li­ne Fes­ti­val in Regens­burg. Dann arbei­te ich auch als Dreh­buch­au­tor für eine Serie, die wir gera­de ver­su­chen zu finan­zie­ren. Sie heißt Neben­wir­kun­gen oder auf Eng­lisch A Neces­sa­ry Evilund es geht um Lob­by­is­mus im phar­ma­zeu­ti­schen Bereich auf EU Ebe­ne. Das ist eine gro­ße, euro­pä­isch inter­na­tio­na­le Serie, vom Gen­re ein Cor­po­ra­te Thril­ler. Dann habe ich gera­de ein neu­es Pro­jekt begon­nen, eine Roman­ad­ap­ti­on auch für eine Serie, die ich mit einer Kol­le­gin, Mari­el­la Trip­ke, zusam­men schrei­be. Ansons­ten arbei­ten wir noch an einer Doku, die jetzt auch schon gedreht wird. Sie han­delt über das St.Pauli Vier­tel in Ham­burg. Sie wird vor­aus­sicht­lich in der Media­thek des SWR, bzw. der ARD, gegen Ende des Jah­res ver­öf­fent­licht. Dann dre­hen wir außer­dem nächs­tes Jahr Max und die wil­de Sie­ben – Die Geis­te­ro­ma. Teil eins ist ein Kin­der­film der Rat Pack und wir arbei­ten jetzt am zwei­ten Teil.

schau­ins­blau: Dan­ke für das Interview.

Jakob Zapf: Dan­ke auch. Hat mich sehr gefreut.