“Also eine Botschaft will ich keinesfalls vermitteln.”

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Interview mit Friederike Mayröcker

von Chris­ti­ne Bossauer-Groß

 

Schau ins Blau: Zu Ihrem Reper­toire gehö­ren Pro­sa, Lyrik, aber auch Hör­spie­le. Ihre Wer­ke über­schrei­ten dabei häu­fig Gat­tungs­gren­zen und sind somit nur schwer einer ein­zi­gen Gat­tung zuzu­ord­nen. Als ers­tes drängt sich daher die Fra­ge auf: Was bedeu­tet für Sie der Umgang mit Gat­tun­gen und deren Überschreitungen?

Frie­de­ri­ke May­rö­cker: Fan­gen wir mal mit den Hör­spie­len an, weil ich die­se schon jah­re­lang nicht mehr mache. Hör­spie­le waren für mich immer nichts ande­res als Pro­sa. Die­se habe ich meis­tens zusam­men mit Klaus Schö­ning gemacht, über­wie­gend für den WDR. Eigent­lich hät­te ich auch noch ein Hör­spiel in der Schub­la­de, aber lei­der ist Klaus Schö­ning zu krank, um noch eines machen zu kön­nen und mit jemand ande­rem möch­te ich es nicht machen, denn die Zusam­men­ar­beit mit ihm war groß­ar­tig. Um zu Ihrer Fra­ge zurück­zu­kom­men – das Hör­spiel sehe ich als Pro­sa, aber durch die Form des Hör­spiels, durch das Gespro­che­ne – ich habe die Hör­spie­le auch selbst gespro­chen – ist es natür­lich eine Gat­tungs­über­schrei­tung. Dazu muss ich noch sagen, dass ich die­se alt­mo­di­sche Art des Hör­spiels, mit Rol­len­wech­sel und künst­li­chen Geräu­schen nicht mag, die­se emp­fin­de ich als furcht­bar und habe des­halb sol­che Hör­spie­le nie gemacht. Ich habe das immer abge­lehnt und Klaus Schö­ning hat­te mir dar­in auch recht gege­ben, daher haben wir das immer so gemacht, dass ich die Tex­te ein­fach wie bei einer Lesung gespro­chen habe. Und das war wun­der­bar – auf die­se Wei­se haben wir 6–7 Hör­spie­le gemacht, sie alle kön­nen zur Pro­sa gezählt wer­den. So viel zum Hörspiel.

Und Ihre Pro­sa und Lyrik? Bei vie­len Ihrer Wer­ke ist es schwie­rig zu sagen, ob es sich nun um Pro­sa oder doch eher um Lyrik handelt.

Sehr rich­tig. Zum Bei­spiel bei den drei jüngs­ten Bücher kann man sich fra­gen: Ist es Pro­sa oder ist es Lyrik. Und ich habe dafür eine eige­ne Bezeich­nung „erfun­den“, das heißt eigent­lich haben das bereits die Fran­zo­sen gemacht: Bohé­me – also ein „Zwi­schen­ding“, wenn man so will, zwi­schen Pro­sa und Lyrik.

Für wie trag­fä­hig hal­ten Sie dann her­kömm­li­che Gat­tungs­be­zeich­nun­gen in der Moder­ne und Gegenwart?

Ich hal­te sie schon noch für trag­fä­hig, obwohl ich selbst die Gat­tungs­gren­zen, vor allem in den letz­ten Jah­ren, nicht unbe­dingt ein­hal­te. Aber ich lese zum Bei­spiel auch ger­ne gute Pro­sa, nur kei­ne Erzäh­lun­gen, kei­ne Geschich­ten, so etwas kann ich nicht lesen und auch nicht schreiben.

Wor­an liegt das?

Ich mag sie ein­fach nicht, viel­leicht fin­de ich sie auch etwas alt­mo­disch. Ich hal­te mich dahin­ge­hend doch sehr an die neue­re fran­zö­si­sche Lite­ra­tur, zum Bei­spiel Roland Bar­thes und all die wun­der­ba­ren fran­zö­si­schen Zeitgenossen.

Die Gat­tung eines lite­ra­ri­schen Wer­kes weckt bei Lesern bestimm­te Erwar­tun­gen. Den­ken Sie, dass es dem Autor gelin­gen soll­te, die­se zu erfül­len oder viel eher den Leser zu über­ra­schen, durch das Spiel mit der Gat­tung als Paratext?

Nun, hier stellt sich zunächst die Fra­ge, ob der Autor über­haupt etwas will und ob er auf den Leser schaut. Ich mei­ne – schaut er auf den Leser, den er nicht kennt?

Tun Sie es?

Um das zu beant­wor­ten, muss ich etwas aus­ho­len. Es pas­siert mir oft mit­ten in einem Satz, wenn ich ihn auf der Maschi­ne schrei­be: Dann den­ke ich manch­mal „Stopp“; kommt die­ser Satz beim Leser an? Dann wische ich ihn weg.

Der Leser ist beim Schreib­pro­zess folg­lich nicht ganz aus­ge­blen­det und wird immer wie­der mal präsent?

Ja, ja, er hat immer mal das Recht da zu sein, als eine Art „Geist“.

Aber an die Gat­tungs­gren­zen hal­ten Sie sich in dem Zusam­men­hang den­noch nicht. So gibt es zum Bei­spiel auch in Ihren neus­ten Wer­ken — der Tri­lo­gie étu­des, cahier und fleurs — sowohl lyri­sche als auch pro­sa­ische Ele­men­te. Zunächst erwar­tet man als Leser aber eher Pro­sa und wird dann durch den star­ken lyri­schen Ein­schlag überrascht. 

Wis­sen Sie, eigent­lich, abge­se­hen von den genann­ten „Stopp-Momen­ten“, den­ke ich eigent­lich nicht an den Leser und sei­ne Erwar­tun­gen. Und ich wür­de auch nie etwas dem Leser zulie­be machen, was ich nicht ver­tre­ten kann, auch in Bezug auf die Gattung.

Sie über­schrei­ten aber eben nicht nur die Gren­zen der lite­ra­ri­schen Gat­tun­gen, wie bei­spiels­wei­se mit den genann­ten Hör­spie­len. Auch in der Tri­lo­gie gibt es, neben pro­sa­ischen und lyri­schen Ele­men­ten, Ein­flüs­se aus der Musik und der Male­rei. So erschaf­fen Sie auch Klän­ge mit Wor­ten, die beim Lesen zu hören sind. Wel­che Rol­le wür­den Sie der Musik und der Male­rei in ihren Tex­ten zuweisen?

Eine sehr gro­ße Rol­le. Ich höre bei­spiels­wei­se, und das schon seit Mona­ten, beim Schrei­ben Skrja­bin – ein wun­der­ba­rer rus­si­scher Kom­po­nist. Und eines der Stü­cke spie­le ich auf mei­nem Gram­mo­phon unun­ter­bro­chen, immer wie­der das­sel­be Stück.

Und das kön­nen Sie immer wie­der hören?

Ja, weil es so schön ist, weil es mich so sehr anregt. Ich glau­be, ich kann es noch wei­ter, über Mona­te spie­len. Es ist so wun­der­bar, weil es mich in eine uner­hört auf­ge­reg­te Stim­mung, die sich sehr pro­duk­tiv auf mein Schrei­ben aus­wirkt, ver­setzt. Ich kom­me sozu­sa­gen dadurch in eine ande­re Bewusst­seins­si­tua­ti­on. Nor­ma­ler­wei­se höre ich am liebs­ten Bach, aber zum Schrei­ben brauch ich der­zeit Skrjabin.

Oft nut­zen Sie auch gra­phi­sche Mar­kie­run­gen: unter­stri­che­ne Pas­sa­gen, groß gedruck­te Wor­te, Zeich­nun­gen, Ein­rü­ckun­gen. Han­delt es sich dabei um Weg­wei­ser für Ihre Leser? Ver­su­chen Sie damit bestimm­te Bedeu­tun­gen her­vor­zu­he­ben oder über­las­sen Sie die Refle­xi­on trotz die­ser Mar­kie­run­gen Ihren Lesern?

Es ist so, dass ich alles in den Text mit hin­ein­neh­men will, sowohl das Gra­phi­sche als auch, unter Umstän­den, das Mit­schwin­gen von Musik. Aber was für mich noch viel wich­ti­ger ist als die Musik, ist die bil­den­de Kunst. Ich habe sehr vie­le Tex­te über bil­den­de Kunst geschrie­ben, sowohl über alte als auch über gegen­wär­ti­ge Wer­ke. Für mich ist die bil­den­de Kunst ein Füll­horn, da könn­te ich noch sehr vie­le Jah­re damit arbei­ten. Es kommt mir ins Inners­te, gute bil­den­de Kunst.

Wie kann man sich das vor­stel­len? Ist die bil­den­de Kunst etwas, das Sie zum Schrei­ben anregt oder ver­su­chen Sie sozu­sa­gen das Bild zum Text zu machen?

Immer wie­der bekom­me ich Auf­trä­ge etwas zur bil­den­den Kunst zu machen, was ich auch immer sehr ger­ne mache. Das heißt, ich stür­ze mich in das ent­spre­chen­de Bild hin­ein, solan­ge, bis ich dar­in unter­ge­he. Dann kann ich mich damit völ­lig iden­ti­fi­zie­ren und dann ent­steht der Text eigent­lich von selbst.

In ihrer Tri­lo­gie ertei­len Sie der chro­no­lo­gi­schen Erzähl­wei­se eine Absa­ge. Wel­che poe­to­lo­gi­sche Funk­ti­on steckt dahin­ter und wel­che Bedeu­tung hat das für die Zeit- und Raumwahrnehmung?

Nun, dass der Text wirkt, als habe er kei­nen Anfang und kein Ende, ist beab­sich­tigt; es soll so sein. Daher fan­ge ich die Sät­ze oft mit einem Klein­buch­sta­ben an, damit man eben nicht sagen kann, da fängt es an und dort hört es auf. Der Text soll flie­ßen, lau­fen, von irgend­wo kommt er dann zusam­men an einem Punkt und läuft dann wie­der auseinander.

Es ist also Absicht, eben­so wie die von Ihnen benut­ze Interpunktion?

Ja, ich ver­wen­de auch die Inter­punk­ti­on auf eine ganz sub­jek­ti­ve Wei­se. Es han­delt sich um eine „Atem-Inter­punk­ti­on“ – so wie ich selbst beim Spre­chen die Atem­pau­sen set­zen würde.

Ihr Schreib­stil ist zwei­fels­frei unver­wech­sel­bar, zudem flie­ßen in die Tri­lo­gie auch ihre eige­nen Erin­ne­run­gen mit hin­ein, die Ihren Lesern bestimm­te Ein­drü­cke ver­mit­teln. Dabei beton­ten Sie in ande­ren Inter­views oft, es gehe Ihnen nicht um die Hand­lung oder eine Bot­schaft. Wie wich­tig ist Ihnen die Ver­mitt­lung einer Bot­schaft tat­säch­lich und wel­che Rol­le spielt dabei die poe­ti­sche Spra­che? Wie ent­schei­dend ist für Sie der Zusam­men­hang zwi­schen Ethik und Narration?

Also eine Bot­schaft will ich kei­nes­wegs ver­mit­teln. Natür­lich nimmt jeder aber für sich etwas her­aus, sei­ne Inter­pre­ta­ti­on mei­ner Tex­te. Das mer­ke ich beson­ders bei Lesun­gen. Da kommt immer etwas zum Hörer rüber, aber es ist mei­ner­seits nicht beabsichtigt.

Es geht mir nie um den Inhalt oder um die Bot­schaft, viel­leicht geht es mir eher um eine gewis­se poe­ti­sche Atmo­sphä­re, dass die­se in gewis­ser Wei­se bei mei­nen Lesern ankommt. Und das tut sie zumeist auch, so glau­be ich, sehr gut. Das mer­ke ich auch bei den drei jüngs­ten Wer­ken. Ich bekom­me vie­le Leser­brie­fe. In die­sen schö­nen Brie­fen steht dann oft, wie das zu Her­zen geht und natür­lich freue ich mich dar­über, wenn beim Lesen mei­ner Tex­te eine poe­ti­sche Atmo­sphä­re entsteht.

Was dür­fen wir in Zukunft von Ihnen erwar­ten? Wer­ke wie étu­des, cahier und fleurs oder pla­nen Sie ein ganz ande­res neu­es Projekt?

Der­zeit schrei­be ich an einem Pro­sa-Werk, aber im Schreib­pro­zess ent­ste­hen immer wie­der Gedich­te. Es soll aber Pro­sa blei­ben, mal sehen ob das gelingt, ich weiß es noch nicht. Ich schrei­be noch bis Ende des Jah­res dar­an und im nächs­ten Jahr soll es dann erscheinen.

Frie­de­ri­ke May­rö­cker, gebo­ren 1924 in Wien, ver­öf­fent­lich seit 1956 Lyrik, Pro­sa und Hör­spie­le. Für ihr, häu­fig gat­tungs­über­schrei­ten­des, Werk wur­de sie mehr­fach aus­ge­zeich­net, unter ande­rem mit dem Georg-Büch­ner-Preis 2001, dem Her­mann-Lenz-Preis 2009, dem Peter-Huchel-Preis 2010 sowie dem Bre­mer Lite­ra­tur­preis 2011. Zu ihrem neus­ten Werk gehört die Tri­lo­gie étu­des (2013), cahier (2014) und fleurs (2015).