#6 Durst kommt von Mangel. SebastiAns Album Thirst

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© Jean-Baptiste Mondino

Eine Musikempfehlung von Nora Weinelt

Als ich kurz vor Semes­ter­be­ginn gefragt wur­de, ob ich einen Text schrei­ben wol­le über etwas, das mir durch die Pan­de­mie gehol­fen hat, kam mir das The­ma bei­na­he ana­chro­nis­tisch vor. Wer will davon über­haupt noch hören, jetzt, wo das Leben lang­sam wie­der in sei­ne gewohn­ten Bah­nen zurück­kehrt – etwas anti­kli­mak­tisch zwar und ohne den gro­ßen Befrei­ungs­schlag, den man sich lan­ge Zeit naiv erhofft hat­te, aber doch deut­lich spür­bar? Die Ver­gan­gen­heits­form schien mir durch­aus ange­bracht: Etwas, das mir gehol­fen hat, denn das Schlimms­te war über­stan­den, zumin­dest woll­te ich das ger­ne glau­ben. Ich muss­te sofort an Thirst den­ken, ein 2019 erschie­ne­nes Album des fran­zö­si­schen Musi­kers Sebas­ti­An, der sich vor allem als Pro­du­zent und frü­hes Aus­hän­ge­schild des Elek­tro-Labels Ed Ban­ger einen Namen gemacht hat. Im Spät­som­mer, als Nor­ma­li­tät so greif­bar schien, habe ich es viel gehört. Es ver­kör­per­te für mich, schon qua Titel, den Durst die­ser Über­gangs­zeit, die dann doch kei­ne war, die Stim­mung von Näch­ten im Frei­en und die Hoff­nung auf mehr.

In den letz­ten Wochen, in denen die Inzi­den­zen rasant stie­gen und die Inten­siv­sta­tio­nen sich füll­ten, wur­de die Fra­ge nach Stra­te­gien für den Lock­down wie­der aktu­ell, und aus der Zeit gefal­len schien mir nun viel­mehr mei­ne Idee, einen Text über Thirst schrei­ben zu wol­len. Beim Wie­der­hö­ren kam mir das Album dann aller­dings pas­sen­der vor denn je. Es ist nur begrenzt tanz­bar, sper­rig, kom­plex, trei­bend, aber oft retar­die­rend, teil­wei­se pop­pig-bal­la­desk, unter­malt mit Streich­in­stru­men­ten, dann wie­der hart, peit­schend, indus­tri­al, und dabei immer melan­cho­lisch. Wenn Thirst für mich vor ein paar Wochen noch den Auf­bruch ver­kör­pert hat, dann viel­leicht auch, weil es gera­de der Bruch ist, der Sebas­ti­Ans Album zusam­men­hält. Vie­le der Tracks sind Fea­tures, das Art-Pop-Duo Sparks etwa war an Hand­cuf­fed to a Par­king Meter betei­ligt, einem Song, der nost­al­gi­schen Indi­edis­co-Charme ver­sprüht, auch der Rap­per Allan King­dom oder der Soul­sän­ger May­er Hawt­hor­ne sind auf Thirst ver­tre­ten. Lose zusam­men­ge­hal­ten durch Sebas­ti­Ans eige­ne Hand­schrift als Pro­du­zent, bil­den die­se so unter­schied­li­chen Gen­res eine fra­gi­le Balan­ce, die immer wie­der aus dem Gleich­ge­wicht zu gera­ten droht. Sei­ne Musik ist nicht leicht, sie for­dert und frustriert.

Durst kommt von Man­gel, und womög­lich macht genau das für mich Thirst zum Album die­ser Tage: Es setzt immer wie­der von Neu­em an, ohne anzu­kom­men, es nährt Hoff­nung und ent­täuscht sie. „We’re all just dre­a­ming / Just bare­ly drif­ting towards the shore / Nobo­dy is lis­tening / But I won­der who sent the­se tears we’re floa­ting on?”, singt der R&B‑Künstler Gal­lant in Run for me, einem der Höhe­punk­te der Plat­te. Noch ein­mal Zurück­bli­cken, bevor es wei­ter­geht, for­dert das Out­ro dann: „Just take one last good look at the dark“, heißt es dort – in minu­ten­lan­ger, ner­ven­zeh­ren­der Wie­der­ho­lung, zum Abschluss eines Songs, der längst vor­bei zu sein scheint, aber trotz­dem nicht enden will.