Eine Frage des Bewusstseins: Was will uns Stanley Kubricks „Weltraumbaby“ sagen?

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von Alex­an­der Pussl

 

Schat­ten Rosen Schat­ten
Unter einem frem­den Him­mel
Schat­ten Rosen
Schat­ten
auf einer frem­den Erde
zwi­schen Rosen und Schat­ten
in einem frem­den Was­ser
mein Schat­ten

Inge­borg Bach­manns Gedicht „Schat­ten Rosen Schat­ten“ zeigt die Ver­lo­ren­heit des Men­schen, die Aus­druck sei­ner man­geln­den Bin­dung an den Kos­mos zu sein scheint. Was nun domi­niert, ist eine Fremd­heit, die sich zu einer Selbst­ent­frem­dung stei­gert. Das Sub­jekt ist zum Schat­ten ver­küm­mert und zutiefst ver­un­si­chert. Es scheint nahe­lie­gend, dass auch das Bewusst­sein des unend­li­chen Rau­mes, der uns und die Erde umgibt, nicht unbe­dingt zu einer Ver­si­che­rung des Indi­vi­du­ums und sei­ner Rol­le bei­tra­gen kann.
Stan­ley Kubricks Film „2001: Odys­see im Welt­raum“ jedoch nimmt hier­zu eine ande­re Stel­lung ein. Aus­sa­ge­kräf­tig ist die letz­te Sze­ne des Films, in wel­cher der Prot­ago­nist im Anschluss an eine Zeit­rei­se Zeu­ge des Kreis­laufs von Tod und Geburt wird. Letz­te­re wird in Form eines Wesens vor­ge­führt, des­sen Ent­wick­lungs­sta­di­um ver­mut­lich etwa auf den ach­ten Monat der Schwan­ger­schaft datiert wer­den könn­te. Von einer aura­ti­schen Frucht­bla­se umge­ben, nimmt es eine Stel­lung irgend­wo im All ein und betrach­tet von dort aus Erde und Mond. Was ist nun so beson­ders an die­sem „Welt­raum­ba­by“? Aus bio­lo­gi­scher Sicht ver­fügt ein Embryo sicher­lich über wenig Selbst­be­wusst­sein. Es soll­te also noch weit ent­fernt davon sein, zen­tra­le Fra­gen an die Bedeu­tung der eige­nen Exis­tenz zu stel­len.
Doch gera­de die­se Unbe­küm­mert­heit scheint die­ses Wesen nicht aus­zu­strah­len. Ent­schlos­sen und selbst­be­wusst erblickt es die Erde und den Mond aus einer Per­spek­ti­ve, die sonst nur Astro­nau­ten oder „Gravitiy“-Zuschauern ver­gönnt ist. Und es scheint nicht ein­mal ver­wun­dert zu sein! Es ist nicht beein­druckt von der Unend­lich­keit des Kos­mos. Sein Blick sagt: Ich sehe, und ich weiß. Ein uner­hör­tes Ver­hal­ten, das bei einem akri­bisch arbei­ten­dem Regis­seur wie Kubrick kein Zufall sein kann. Mit unge­heu­rer Fes­tig­keit fasst es das sich ihm bie­ten­de Sze­na­rio ins Auge. Und scheint etwas zu wis­sen, das dem reflek­tier­ten, ver­un­si­cher­ten Sub­jekt unbe­kannt ist. Die Gewiss­heit der kos­mi­schen Unend­lich­keit schmä­lert nicht mehr die eige­ne Bedeu­tung. Für das Welt­raum­kind ist sie viel­mehr ein Plä­doy­er für die Mäch­tig­keit sei­nes Bewusst­seins. Das Wis­sen, dass sich die Erde um die Son­ne dreht, ist kei­ne Krän­kung mehr. Sei­ne Rol­le im Kos­mos muss es nicht hin­ter­fra­gen, sich selbst nicht suchen. Es wirft kei­nen Schat­ten. Aus der Erkennt­nis folgt daher die Ein­sicht in die Wahr­neh­mungs- und Bewusst­seins­ge­walt. Stellt man das Bewusst­sein, nicht die Exis­tenz in den Mit­tel­punkt, so wird die Rol­le des Indi­vi­du­ums viel­mehr gestärkt als geschwächt. Wenn die­se Film­sze­ne mit Richards Strauß‘ Stück „Also sprach Zara­thus­tra“ unter­legt ist, so muss dies nicht als die „ewi­ge Wie­der­kehr des Glei­chen“ ver­stan­den wer­den — ein Gedan­ke, den Nietz­sche unter ande­rem im gleich­na­mi­gen Werk erläu­tert. Plau­si­bler scheint die Schluss­fol­ge­rung, dass der Mensch die Bedeu­tung sei­nes Denk­ho­ri­zon­tes noch nicht ver­stan­den hat, in die­sem Sin­ne — und in dem Nietz­sches — also noch im Wer­den begrif­fen ist.