Möchten Sie noch einen Kaffee?

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Ein Text von Son­ja Hahn

Das Hotel lag inmit­ten der regen Innen­stadt. Ein gutes Mit­tel­klas­se Hotel, nicht zu schick, aber auch nicht schä­big, defi­ni­tiv ein wenig bie­der. Cor­ne­li­us wipp­te auf sei­nen Fuß­bal­len auf und ab. Die schüch­ter­ne Prak­ti­kan­tin hat­te weder sei­nen, noch den Namen sei­nes Arbeit­ge­bers auf der Buchungs­lis­te fin­den kön­nen. Er war­te­te dar­auf, dass sich eine der ver­sier­te­ren Emp­fangs­da­men zum Schal­ter bege­ben wür­de, um sich dem Pro­blem anzu­neh­men. Das War­ten mach­te ihn ner­vös. Es mach­te ihn ner­vös, dass die Wand zu sei­ner Lin­ken mit einem Spie­gel ver­klei­det war, so war er nicht nur inner­lich, son­dern gleich­sam gedop­pelt auch im Spie­gel ner­vös. Sei­ne Anspan­nung füll­te den kom­plet­ten Emp­fangs­raum des klei­nen Hotels aus. Hat­te sei­ne Fir­ma wirk­lich ein Zim­mer für die Dau­er der Inge­nieurs-Tagung reser­viert? Viel­leicht hat­te sie es ver­ges­sen? Viel­leicht hat­te das Hotel die Reser­vie­rung ver­schlu­dert und er wür­de noch mor­gen hier ste­hen. Cor­ne­li­us Blick husch­te durch das Foy­er. Am Ende eines lan­gen Gan­ges sah er einen Aus­schnitt des Frühstücksraums.

Eine älte­re Dame mit gelb­lich wir­ken­dem Haar stand mit einem Tablett an des­sen Schwel­le, das Gesicht im Halb­schat­ten ver­bor­gen. Sie wirk­te in ihrem schwar­zen Kleid mit der wei­ßen Schür­ze merk­wür­dig starr, wie eine Hos­tess der alten Schu­le: streng und gerade.

„Sie wol­len ein­che­cken?“ Eine jun­ge brü­net­te Frau, mit einem freund­li­chen Gesicht war am Schal­ter erschie­nen. „Ent­schul­di­gen Sie die Unan­nehm­lich­kei­ten. Ihr Zim­mer wur­de aus Ver­se­hen unter fal­schem Namen gebucht.“ Erleich­tert gab Cor­ne­li­us sei­ne Daten an, bevor die Frau ihm sei­ne Zim­mer­schlüs­sel aushändigte.

„Früh­stück ist von sie­ben bis neun Uhr, ich wün­sche Ihnen einen ange­neh­men Aufenthalt.“

Cor­ne­li­us nick­te freund­lich und begann, nach einem letz­ten Blick auf die selt­sa­me Bedie­nung, die höl­zer­ne Stie­ge, die zu sei­nem Zim­mer führ­te, hin­auf­zu­stei­gen. Sie kam ihm unan­ge­nehm steil und schmal vor. Je wei­ter er sich den Zim­mern näher­te, des­to sti­cki­ger wur­de die Luft. Holz­ver­tä­fel­te Wän­de und schwe­re Bil­der­rah­men hat­ten die Spie­gel­wand und den wei­ßen Mar­mor des Emp­fangs­raums abge­löst. Das gan­ze Inte­ri­eur des Hotels schien sich immer mehr wie ein gedie­ge­ner Land­gast­hof aus­zu­neh­men. Sein klei­nes Zim­mer erin­ner­te ihn, mit sei­nen ver­schnör­kel­ten Holz­mö­beln, gar an eine geschrei­ner­te Pup­pen­stu­be. Die Ein­rich­tung ließ das Foy­er nahe­zu futu­ris­tisch wir­ken. Cor­ne­li­us muss­te unwill­kür­lich an die selt­sa­me Alte den­ken, sie erschien ihm nun wie manu­fak­tiert für die­sen Ort.

Ein mecha­ni­sches Ticken mach­te ihn auf eine Kuckucks­uhr im Eck neben dem Schrank auf­merk­sam. Sie war fili­gran gear­bei­tet, das Holz bunt bemalt. Cor­ne­li­us emp­fand ihre Anwe­sen­heit als unge­wöhn­lich. Er inspi­zier­te die Uhr fach­män­nisch. Eine Cha­let-Kuckucks­uhr mit einem Acht-Tage-Uhr­werk, 19. Jahr­hun­dert. Cor­ne­li­us stieß einen aner­ken­nen­den Pfiff aus. Falls das Innen­le­ben der Uhr antik war, wur­de der Kuckucks­ruf noch über win­zi­ge Pfei­fen im Inne­ren der Uhr erzeugt. Eine Schan­de so ein altes Schmuck­stück nicht bes­ser zu präsentieren.

Am nächs­ten Mor­gen begab sich Cor­ne­li­us ohne Umschwei­fe in den hel­len Früh­stücks­raum, um sei­ne Ener­gie­spei­cher für die anste­hen­de Tagung zu fül­len. Er war am Tag zuvor zügig zu Bett gegan­gen, hat­te aber fürch­ter­lich geschla­fen. Das Ticken der Uhr hat­te sich in sei­ne Träu­me ein­ge­schli­chen. Cor­ne­li­us hat­te von dem schrei­en­den Kuckuck geträumt, bis plötz­lich der Kas­ten auf den Boden gefal­len und in sei­ne Ein­zel­tei­le zer­sprun­gen war: ein Durch­ein­an­der der höl­zer­nen Mecha­nik, der Schräub­chen und Federn und dem Kuckuck, der nun wie tot, abge­trennt von der Uhr, kei­nen Laut mehr von sich gab. Den Schweiß im Nacken hat­te er ver­sucht sie wie­der zusam­men­zu­set­zen, doch die Men­ge der Tei­le schien immer grö­ßer und unüber­sicht­li­cher zu wer­den. Dann war da mit einem Mal die alte Dame, ihr Gesicht zuck­te selt­sam, bevor sie ihre Hand nach Cor­ne­li­us aus­streck­te und ihre höl­zer­nen Fin­ger schraub­stock­ar­tig um sein Hand­ge­lenk schloss.

Cor­ne­li­us fühl­te sich wie gerä­dert und ließ sich erschöpft an einem recht­ecki­gen Holz­tisch nie­der. Jeder Tisch war akku­rat für Zwei gedeckt und mit einem klei­nen Blu­men­ar­ran­ge­ment adrett deko­riert. Kaum hat­te er sich gesetzt, kam eben die alte Dame, die ihn zuvor noch in sei­nem Traum heim­ge­sucht hat­te, auf ihn zu. Sie blieb exakt einen Meter neben Cor­ne­li­us ste­hen, beug­te sich in einem fünf­und­vier­zig Grad Win­kel nach vor­ne, lächel­te emo­ti­ons­los und frag­te mit einer hei­se­ren Stim­me: „Möch­ten Sie einen Kaf­fee?“ Ihr Atmen ließ Cor­ne­li­us an das pfei­fen­de Aus­tre­ten der Luft eines Bla­se­balgs den­ken. Sein Blick blieb an ihrer wäch­ser­nen Haar­struk­tur hän­gen. Die­se, und über­haupt die gan­ze Dame, erin­ner­te ihn an die alten Por­zel­lan­pup­pen sei­ner Groß­mutter. Sein Alp­traum hall­te wie ein kur­zes Echo in sei­ner Erin­ne­rung auf und ein eisi­ger Schau­er über­lief ihn.

„Möch­ten Sie einen Kaffee?“

Cor­ne­li­us räus­per­te sich: „Bit­te, ja.“ Die alte Bedie­nung füll­te sei­ne Tas­se mit der damp­fen­den, brau­nen Flüs­sig­keit, bevor sie sich an den nächs­ten Gast wandte.

Cor­ne­li­us schaff­te es nicht sei­nen Blick von der Frau abzu­wen­den. Etwas an ihr, ließ ihm die Haa­re zu Ber­ge ste­hen. Ihre Bewe­gun­gen schie­nen an jedem Tisch in den exakt glei­chen Abmes­sun­gen zu erfol­gen. Sie sag­te weder guten Mor­gen, noch wie gehts, stell­te nur die immer glei­che Fra­ge. Sie beweg­te sich lang­sam und mechanisch.

Cor­ne­li­us rutsch­te unbe­hag­lich auf sei­nem Stuhl hin und her, war er der ein­zi­ge, dem die Frau komisch vor­kam? Die ande­ren Gäs­te schie­nen so in ihr Früh­stück ver­tieft, dass sie der Dame ledig­lich ein flüch­ti­ges Lächeln zu war­fen, ohne wirk­lich hin zu schau­en. Die gest­ri­ge Ner­vo­si­tät war zurück­ge­kehrt. Die­se Bewe­gun­gen… Sie konn­te doch kein Auto­mat… Aber wie­so eigent­lich nicht? Mög­li­cher­wei­se ein Ver­such des Hotels, den Gäs­ten einen Auto­ma­ten unter­zu­ju­beln, um mensch­li­ches Per­so­nal zu spa­ren. Eine mecha­ni­sche Holz­kon­struk­ti­on aus frü­he­rer Zeit, wie die Dame selbst, nicht Dame… Cor­ne­li­us schüt­tel­te den Kopf, fass­te sich, trank den letz­ten Schluck…

„Möch­ten Sie noch einen Kaf­fee?“ Schon stand sie neben ihm, einen Meter ent­fernt, fünf­und­vier­zig Grad, wie konn­te sie wissen…

„Bit­te, ja.“

Cor­ne­li­us war­te­te mit pochen­dem Her­zen, bis sie davon gestakst war, bevor er die hei­ße Brü­he her­un­ter­schlang. „Möch­ten Sie noch einen Kaf­fee?“ Sie war schon wie­der da. Ein wach­sen­des Grau­en brei­te­te sich in Cor­ne­li­us aus, er woll­te den Blick abwen­den, doch ihre glä­ser­nen Augen hiel­ten ihn gefan­gen. Es schien ihm, als wären die Pupil­len ledig­lich kreis­run­de, von Far­be umran­de­te Aus­las­sun­gen. Cor­ne­li­us mein­te die höl­zer­ne Mecha­nik, die Zahn­räd­chen und Ach­sen, die Gum­mi­rie­men und Kol­ben hin­durch sehen zu kön­nen. Hör­te er das Knar­zen? Das Kna­cken, das Sur­ren der Räd­chen? Das Kla­ckern der inein­an­der­grei­fen­den höl­zer­nen Zähnchen?

Wie­der und wie­der und wie­der näher­te sie sich dem Tisch. „Möch­ten Sie noch einen Kaf­fee? Möch­ten Sie noch einen Kaf­fee?” Cor­ne­li­us starr­te auf den Mund der Frau. Wie klap­pen­de Holz­kie­fer eines Nuss­kna­ckers. Kaf­fee? Kaf­fee? Klack, Klack, Klack mach­te die Mecha­nik, der Mund ging auf und zu, die Arti­ku­la­ti­on schlecht gear­bei­tet, die höl­zer­ne Kon­struk­ti­on zu plump um die fili­gra­ne Into­na­ti­on der mensch­li­chen Spra­che zu beherr­schen. Und sie starr­te, starr­te ihn an, war­te­te auf den Befehl, Kaf­fee ja oder nein, hing die Mechanik?

„Bit­te, ja.“ Sag­te Cor­ne­li­us schwach, begann zu zit­tern, die nächs­te Tas­se, er wuss­te nicht, die wie­viel­te es war, aber run­ter damit, den Auto­mat anfi­xiert. Sie beweg­te sich steif auf ihn zu, der Rücken ein Brett, als Rück­grat einen Stock. Tock, tock, tock, näher­ten sich die höl­zer­nen Schrit­te, näher­te sich die unver­meid­li­che Fra­ge, und Cor­ne­li­us zuckt, springt auf, stößt an den Tisch. Das Essen fällt, der Kaf­fee spritzt, die Dame stürzt.

Sie greift nach ihm, „Weg von mir!“ er schlägt nach den höl­zer­nen Fin­gern, den Stöck­chen, schlecht bespannt mit… er will es nicht wis­sen. Sie fal­len bei­de, das Holz knackt und bricht.

Cor­ne­li­us schreit, kann es nicht ertra­gen. Der fürch­ter­li­che Auto­mat, zer­bro­chen, kaputt. Läng­li­che Objek­te lie­gen ver­streut, Holz, Metall, Por­zel­lan­split­ter. Die Mecha­nik! Die Gelen­ke und Glie­der! Cor­ne­li­us liegt, er greift nach etwas, sei­ne Hän­de zit­tern vom Kof­fe­in, ein Bein aus Holz. Eine Stim­me brüllt: “Sperrt ihn weg! Der dreht kom­plett durch!”

Plötz­lich waren über­all Kör­per, die an Cor­ne­li­us ris­sen und zerr­ten, die ihm den Blick auf den kaput­ten Auto­mat ver­wehr­ten, ihn davon tru­gen. Eine Tür knall­te, ein Schlüs­sel dreh­te sich und plötz­lich war er allein. Cor­ne­li­us rap­pel­te sich keu­chend auf. Sie hat­ten ihn in eine klei­ne kah­le Akten­kam­mer gesperrt.

Ein altes gerahm­tes Bild weck­te sei­ne Auf­merk­sam­keit. Es war schwarz weiss, schon etwas ver­gilbt. Ein Schnapp­schuss des Früh­stücks­raums. Unten in der Ecke stand eine Jah­res­zahl ‑1974. Cor­ne­li­us wisch­te mit sei­nem Hemds­är­mel die Staub­schicht weg. Eine altern­de Hos­tess im Hin­ter­grund schien einem Gast Kaf­fee anzubieten.

Ein Meter ent­fernt, fünf­und­vier­zig Grad… Alle Kraft schien Cor­ne­li­us Glie­der zu ver­las­sen, als er sie erkannte.

Son­ja Hahn, Jahr­gang 1989, ist eine von zwei Stu­den­tin­nen der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, die Jan Valk und ich in unse­rem Schreib­work­shop auf­ge­nom­men haben. Nach ihrem Bache­lor in Musik­thea­ter­wis­sen­schaf­ten arbei­te­te sie drei Jah­re lang als Regie­as­sis­ten­tin am Lan­des­thea­ter Coburg, wo sie mit eini­gem Erfolg gro­ße Pro­duk­tio­nen wie La Tra­via­ta , King Arthur oder Lohen­grin betreu­te. 2015 ging sie wie­der nach Bay­reuth, um dort einen Mas­ter in Lite­ra­tur und Medi­en zu stu­die­ren. Um eine Teil­nah­me am Schreib­work­shop „Spre­chen – Eine Erre­gung“ hat­te sie sich mit einem Text bewor­ben, des­sen Bewusst­seins­strom sich der­art erregt, dass das Schrift­bild sei­ne for­ma­len Gren­zen über­schrei­tet und zu einem visu­el­len Mit­tel aus­ufert, das die Hand­lung aktiv mit­ge­stal­tet. Ihr zwei­ter sze­ni­scher Pro­sa­text folg­te einem ähn­li­chen Erzähl­an­satz und beschrieb gleich­zei­tig ein­fühl­sam und detail­ge­nau die Eska­la­ti­on einer voll­kom­men iso­lier­ten Stu­den­tin. Dar­über hin­aus schrieb Son­ja Hahn im Lau­fe des Semi­nars noch einen drit­ten Text, mit dem sie beweist, dass sie auch die Form der klas­si­schen Kurz­ge­schich­te beherrscht. Nach dem Vor­bild von Hoff­mann und Poe und viel­leicht auch nach denen der baye­ri­schen Hotels, in denen die Stu­die­ren­den wäh­rend unse­res Work­shops unter­ge­bracht waren, führt sie uns in ein Mit­tel­klas­se­ho­tel, in dem auf den ers­ten Blick alles voll­kom­men nor­mal scheint. Aber nur auf den ers­ten Blick.

Geschrie­ben von Ulri­ke Almut Sandig.