„Wie klingen denn Juden?”

You are currently viewing „Wie klingen denn Juden?”

Gui­do Gin Kos­ter brennt für das lite­ra­ri­sche Hör­spiel. Kei­ne ande­re Gat­tung eig­ne sich bes­ser, um die Grat­wan­de­rung zwi­schen Unter­hal­tung und Bil­dung ohne plum­pen Mora­lis­mus zu meis­tern. Doch ist das Hör­spiel nicht schon längst tot? Ein Gespräch über eine schein­bar ver­lo­re­ne Kunst, Vor­ur­tei­le und: Geld.

Schau ins Blau: War­um soll­te man heu­te noch Hör­spie­le hören?

Gui­do Gin Kos­ter: Ich glau­be, der Bil­dungs­aspekt wird häu­fig unter­schätzt. In mei­nen Hör­spie­len geht es zum Bei­spiel oft um his­to­ri­sche The­men. Nach der Aus­strah­lung von „Jeru­sa­lem. Desa­fi­na­do“ sprach mich eine Höre­rin an und sag­te, dass es wirk­lich toll sei, auf eine so ange­neh­me Wei­se mehr über das heu­ti­ge Jeru­sa­lem zu erfah­ren. So soll es sein.

Wie­so eig­net sich dafür das Hör­spiel beson­ders gut?

Ich ver­su­che immer, Erkennt­nis­se über The­men zu ver­ar­bei­ten, die mir beson­ders am Her­zen lie­gen — und das am bes­ten auf einem bestimm­ten Niveau. Das Hör­spiel kann unter­hal­ten und bil­den und ist dabei nicht zu lang und nicht zu kurz. Wel­che ande­re Gat­tung haben wir denn sonst dafür? Im Thea­ter funk­tio­niert das für mich ana­log komi­scher­wei­se nicht.

Wol­len Sie mit Ihren Hör­spie­len auch moralisieren?

Der Münch­ner Inten­dant Mat­thi­as Lili­en­thal hat ein­mal gesagt: „Gute Sozi­al­ar­beit ist immer noch bes­ser als schlech­tes Thea­ter“. Das unter­schrei­be ich auch fürs Hör­spiel. Es hat über­haupt kei­nen Zweck, die Hörer zu beleh­ren und sie für dumm zu ver­kau­fen. Trotz­dem möch­te ich, dass mei­ne Hör­spie­le nicht nur unter­hal­ten, son­dern auch Impul­se geben. Ich habe den päd­ago­gi­schen Anspruch, mich zu fra­gen: „Was sind The­men, die eine Gesell­schaft bewegen?“

Macht es dabei einen Unter­schied, ob Sie ein Hör­spiel oder einen Roman schreiben?

Der größ­te Unter­schied für mich ist, dass ich beim Hör­spiel immer kom­pri­mie­ren muss — wor­un­ter ich manch­mal lei­de. Ich weiß dann, ich habe nur eine bestimm­te Anzahl an Zei­chen oder Minu­ten und somit kei­nen Platz, man­ches wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Ich weiß auch, dass die Chan­ce, ein Stück vom Sen­der pro­du­zie­ren zu las­sen umso grö­ßer ist, je weni­ger Figu­ren es gibt. Drei bis vier Figu­ren sind gut, acht bis zehn eher weni­ger. Dann über­legt man als Autor natür­lich schon: Wie kann ich jetzt den Text so gestal­ten, dass ich nur 50.000 Zei­chen brau­che? Pro­sa ist dann schon eine net­te Abwechs­lung, da hat man Zeit und Platz. Ansons­ten fin­de ich die Unter­schie­de nicht so groß.

Wie hat sich Ihr Weg zum Hör­spiel gestaltet?

Ich bin aus meh­re­ren Grün­den beim Hör­spiel gelan­det. Zum einen war es am Anfang ein finan­zi­el­ler Anreiz, da mei­ne ers­ten Thea­ter­stü­cke nur an klei­ne­ren Häu­sern insze­niert wur­den. Zum ande­ren habe ich aber schnell gemerkt, dass ich so für die Büh­ne ‚üben’ kann. Ich habe vier oder fünf Hör­spie­le geschrie­ben, aus denen spä­ter Thea­ter­stü­cke wur­den. Zum Bei­spiel ‚Nach­klang’. Und für die Büh­nen­fas­sung habe ich dann 1996 den damals gera­de wie­der ‚akti­vier­ten’ Kleist-Dra­ma­ti­ker-Preis erhal­ten. Damals habe ich auch Regie­an­wei­sun­gen für mei­ne Hör­spie­le geschrie­ben, als wären es Büh­nen­an­wei­sun­gen für Regie und Aus­stat­tung! Heu­te wür­de ich sagen: über­flüs­si­ger­wei­se. Und schließ­lich bin ich mit dem Hör­spiel auf­ge­wach­sen. Mei­ne Mut­ter war eine gro­ße Anhän­ge­rin des Hör­spiels und als Kind habe ich immer sehr vie­le Hör­spie­le (mit)gehört.

Obwohl es doch bestimmt auch bei Ihnen zu Hau­se einen Fern­se­her gab?

Zuhö­ren hat mir gereicht. Wenn es ein gutes Hör­spiel war, konn­te ich die Bil­der sofort sehen. Außer­dem hat­te es auch etwas Ver­bo­te­nes. Eini­ge Fil­me durf­te ich nicht sehen, dann habe ich immer ab der Tages­schau­zeit heim­lich Hör­spie­le gehört. Ich soll­te aber eigent­lich im Bett noch lesen und nicht am Radio hän­gen. Und beim Hören war ich unge­mein fas­zi­niert von den Spre­chern. Ich reagie­re sehr auf Stim­men. Das hängt sicher auch mit mei­ner musi­ka­li­schen Aus­bil­dung zusammen.

Sie haben Hör­spie­le sowohl für Kin­der als auch Erwach­se­ne geschrie­ben. Auf wel­chen Markt möch­ten Sie sich in Zukunft fokussieren?

Ich habe mir vor­ge­nom­men, wie­der mehr Stü­cke für Men­schen mei­nes Alters zu schrei­ben, denn da ist gera­de eine Leer­stel­le. Das Hör­spiel ist momen­tan sehr zwei­ge­teilt: in akus­ti­sche Expe­ri­men­te einer­seits und in Umset­zun­gen von Jugend­tex­ten, Kri­mis oder erfolg­rei­chen Roma­nen ande­rer­seits. Ich plä­die­re aber für Ori­gi­nal­tex­te, die für das jewei­li­ge Medi­um geschrie­ben wer­den.  Sei­en es Tex­te für die Büh­ne oder für das Hör­spiel. Ich wür­de also ger­ne Tex­te für Men­schen zwi­schen 40 und 60 Jah­ren schrei­ben. Mei­ne Gene­ra­ti­on sehe ich da momen­tan unter­re­prä­sen­tiert. Aber das ist schwie­rig, weil weder die Hör­spiel­dra­ma­tur­gen noch die Thea­ter­dra­ma­tur­gen wirk­lich dar­auf ein­ge­stellt sind und viel Zeit und Mühe auf ‚Bear­bei­tun­gen’ ver­wen­den. Daher kommt heu­te auch eine gewis­se Begriffs­ver­wir­rung, was das Hör­spiel vom Hör­buch unterscheidet.

Wel­che The­men haben Sie bei die­ser Ziel­grup­pe im Kopf?

Letzt­end­lich will man immer bei sei­nen eige­nen The­men blei­ben, also bio­gra­fi­sche The­men, die sich im Lau­fe der Jah­re ange­sam­melt haben. Bei Hör­spie­len habe ich in den letz­ten Jah­ren zudem auch poli­ti­sche The­men wie die Shoa auf­ge­grif­fen. Ich habe mir vor­ge­nom­men, zukünf­tig auch aktu­el­le The­men zu Isra­el zu machen. Die Redak­tio­nen sind dies­be­züg­lich aber mehr als zurück­hal­tend und sagen oft ab. ‚Jerusalem.Desafinado’ zum Bei­spiel wur­de von allen Redak­tio­nen der ARD, ORF und SFR abge­sagt. Nur der klei­ne RBB hat sich getraut und gesagt: Wir machen das!

Bekom­men Sie zu den Absa­gen auch Begründungen?

Bei ‚Jerusalem.Desafinado’ fühl­ten sich anschei­nend vie­le Radio­dra­ma­tur­gen her­aus­ge­for­dert, ihre Absa­ge zu begrün­den. Sonst hat sich heu­te lei­der das Prin­zip ‚Dau­men­hoch-Dau­men run­ter’ durch­ge­setzt. Ohne dass man noch einen Drei­zei­ler dazu erhält.

Man­che Begrün­dun­gen — was jetzt die­ses Hör­spiel zum gegen­wär­ti­gen Isra­el betrifft — streif­ten Anti­se­mi­tis­mus. Ein Redak­teur sag­te mir zum Bei­spiel, er kön­ne das nicht machen, denn er habe kei­ne Schau­spie­ler, die wie Juden klin­gen. Dann habe ich gefragt: Wie klin­gen denn Juden? Aber natür­lich will ich die Ant­wort nicht wirk­lich hören. Ein deut­scher Schau­spie­ler, der jüdisch ist, klingt natür­lich wie Sie und ich. Viel­leicht hat er einen leich­ten baye­ri­schen oder hes­si­schen Akzent oder sonst etwas. Ein ande­res Mal hat­te ich eine Geschich­te über ein gleich­ge­schlecht­li­ches Paar. Die­se Geschich­te, in der auch noch eine Ver­ge­wal­ti­gung vor­kam, muss­te ich dann auf ein hete­ro­se­xu­el­les Paar umschrei­ben, weil das Radio­pu­bli­kum, nach Mei­nung des Redak­teurs, eher kon­ser­va­ti­ver sei. So etwas nen­ne ich Zen­sur. Aber wenn Sie einen gewis­sen öko­no­mi­schen Druck haben, machen Sie das. Natür­lich kni­cken sie als Autor dann ein, denn sie wol­len ja von ihrer Arbeit leben.

Wel­che Frei­hei­ten hat man als Hör­spiel­au­tor, was die The­men betrifft? Oder gibt es  so etwas wie Auf­trags­ar­bei­ten zu spe­zi­el­len, vor­her ver­ein­bar­ten Themen?

Bis Mit­te der 80er Jah­re gab es Auf­trags­ar­bei­ten, aber dafür bin ich dann doch eine jün­ge­re Gene­ra­ti­on. Das habe ich sel­ber nicht mehr erlebt, seit ich 1990 mein ers­tes Hör­spiel unter­brin­gen konn­te. Übri­gens damals mit Geor­ge Tabo­ri als Spre­cher! Für DDR-Autoren gab es das noch län­ger, weil sie sonst nach der Wen­de oft vor dem Nichts gestan­den wären. Also soweit ich weiß, hat die Kul­tur­wel­le des DDR Rund­funks oft Auf­trags­hör­spie­le ver­ge­ben. Und wie mir Kol­le­gen erzähl­ten: mit erstaun­lich gro­ßen Frei­hei­ten. Wahr­schein­lich dach­ten die damals ‚Mäch­ti­gen’ auch: Wer hört schon Hörspiele?

Ich schrei­be schon immer für alle mög­li­chen Redak­tio­nen — und zwar aus­schließ­lich auf eige­nes Risi­ko. Manch­mal brau­che ich drei Mona­te, mal ein Drei­vier­tel­jahr, um einen grö­ße­ren Hör­spiel­text fer­tig­zu­stel­len. Das hängt ja auch von der Recher­che ab. Sehr auf­wen­dig war da eine Hör­spiel­ar­beit über eine Kriegs­fo­to­gra­fin. Sich mit Kriegs­fo­to­gra­fie zu beschäf­ti­gen, das dau­ert natür­lich sei­ne Zeit. Das wur­de dann auch eine Arbeit, die mich auch emo­tio­nal sehr mit­ge­nom­men hat. ‚Am Anfang war der Blick’. Eine gro­ße Pro­duk­ti­on des NDR Ham­burg. Der Redak­teur war ein fein­geis­ti­ger Mensch, der auch mein erfolg­reichs­tes Hör­spiel ‚Was für eine schö­ne Rei­se’ pro­du­ziert. Was ‚Hör­spiel des Monats’ wur­de und bis heu­te immer wie­der von den Sen­dern ins Pro­gramm genom­men wird. Eine ‚Shoa-Geschich­te’, mit der ich auch nach Isra­el ein­ge­la­den wur­de zu einer öffent­li­chen Vor­füh­rung und danach mit den Men­schen gespro­chen habe, die es direkt betrof­fen hat. Das sind immer sehr emo­tio­na­le Begegnungen.

Arbei­ten Sie an meh­re­ren Pro­jek­ten gleich­zei­tig oder kon­zen­trie­ren Sie sich immer nur auf eine Arbeit?

Ich habe ver­sucht, par­al­lel zu arbei­ten, aber das schaf­fe ich kaum. Ich muss immer einen Text fer­tig­stel­len, bevor ich etwas Neu­es anfan­gen kann. Finan­zi­ell gese­hen ist das natür­lich eine Kata­stro­phe. Leich­ter ist es mit Radio­fea­ture, die ich ja auch mache. Aber das ist mehr eine … Sach­ar­beit. Da sind dann anschei­nend weni­ger die Emo­tio­nen beschäftigt.

Was muss ein Autor im Jahr leis­ten, um von der Arbeit leben zu können?

Man müss­te an drei bis vier Hör­spie­len gleich­zei­tig arbei­ten, um finan­zi­ell hin­zu­kom­men. Wir Autoren leben nicht so sehr von den Neu­pro­duk­tio­nen, son­dern von den soge­nann­ten Über­nah­men. Also Wie­der­ho­lun­gen. Über­nah­men wer­den mit zwi­schen 25 und 75 Pro­zent von dem hono­riert, was man ursprüng­lich für eine Neu­pro­duk­ti­on eines Hör­spiels bekom­men hat. Wenn man ehr­lich ist, kann man aber seit Ende der 2000er nicht mehr davon so leben, dass man mit die­sen Ein­nah­men auch eine Fami­lie  ernäh­ren könn­te. Für ein Hör­spiel bekommt man um die 4000 Euro. Wenn Sie gut sind, bekom­men Sie zwei bis drei im Jahr produziert.

Wo sehen Sie das Problem?

Die Sen­der haben viel weni­ger Ter­mi­ne für die Aus­strah­lung von Hör­spie­len als frü­her. Die Zahl der Autoren bleibt aber unge­fähr gleich. Grob geschätzt kon­kur­rie­ren also 200 Autoren um Sen­de­plät­ze, die sich seit 10 Jah­ren um etwa 30 Pro­zent dezi­miert haben. Die Sen­der müss­ten über­le­gen, dass sie im Jahr nur noch so vie­le Stü­cke pro­du­zie­ren, wie es dafür auch Sen­de­plät­ze gibt. Momen­tan pro­du­zie­ren sie aber noch so vie­le, als hät­ten sie noch  Sen­de­plät­ze wie in der alten Hoch­zeit des Radi­os zur Ver­fü­gung. Dadurch sind aber die Wie­der­ho­lungs­plät­ze durch Ursen­dun­gen blo­ckiert, denn die Ursen­dun­gen müs­sen ja laut Ver­trag ein­mal gesen­det wer­den. Zudem kommt natür­lich auch, dass seit eini­gen Jah­ren ver­sucht wird, das Hono­rar zu drü­cken. Die Ver­la­ge haben ‚Min­dest­ho­no­ra­re’ durch­ge­setzt, was aber zu der absur­den Situa­ti­on geführt hat, dass auch nicht mehr als die Min­dest­ho­no­ra­re gezahlt wer­den, auch wenn vor­her die ‚frei­wil­li­gen’ Hono­ra­re der Sen­der höher lagen. Ein gesell­schaft­li­ches Phä­no­men über­haupt. Wer Min­dest­lohn zah­len muss, zahlt eben auch nicht mehr als das. Wir Autoren sind meis­tens in kei­ner guten Ver­hand­lungs­po­si­ti­on, unter ande­rem des­we­gen, weil wir meis­tens nicht gewerk­schaft­lich orga­ni­siert sind. Die ARD ver­han­delt gera­de mit Ver­la­gen neue Hono­rar­be­din­gun­gen aus und da wol­len sie jetzt hin­ein­schrei­ben las­sen, dass die­se Bedin­gun­gen nur noch für die gel­ten, die in einer Gewerk­schaft orga­ni­siert sind. Das ist natür­lich unmög­lich. Autoren sind kei­ne Stahl­ar­bei­ter oder Kran­ken­schwes­tern. Wir tun uns mit Gewerk­schaf­ten eben schwerer.

Was müss­te Ihrer Mei­nung nach im Hör­spiel­be­reich geschehen?

Also wir Autoren soll­ten uns nicht dafür ent­schul­di­gen, dass wir Hör­spie­le machen. Da sind wir zu sehr in eine Defen­si­ve gedrängt wor­den. Es exis­tiert ein Publi­kum, das Inter­es­se an Hör­spie­len hat. Das sehe ich ja immer, wenn die Sen­der vor der Aus­strah­lung im Radio zu einer öffent­li­chen Prä­sen­ta­ti­on des Hör­spiels ein­la­den. Da ist man oft erstaunt, wie viel Men­schen kom­men, um nur in einem Saal zu sit­zen und eine Stun­de lang auf zwei gro­ße, schwar­ze Laut­spre­cher zu star­ren. Also da gibt es rich­ti­ge Freaks, die sich auch in der Hör­spiel­ge­schich­te sehr gut aus­ken­nen. Also mehr als ich auf jeden Fall! Also die­ses Inter­es­se,  muss  wie­der mehr aner­kannt wer­den. Ich bekam zum Bei­spiel am Anfang mei­ner Hör­spiel­kar­rie­re noch Bespre­chun­gen mei­ner Sachen in der FAZ oder in der Süd­deut­schen Zei­tung. Die­se Rubri­ken gibt es auch schon län­ger nicht mehr. Das heißt, man arbei­tet etwas in einem luft­lee­ren Raum. Ohne gro­ße Reso­nan­zen. Und da haben sich die Hör­spiel­re­dak­tio­nen in eine pas­si­ve und defen­si­ve Posi­ti­on hin­ein­ma­nö­vriert. Ich hof­fe, das wird sich ändern. Die Redak­teu­rin­nen und Redak­teu­re sind ja jetzt jün­ger als ich und wer­den auch neue Ver­brei­tungs­ka­nä­le nut­zen. Also sicher mehr als die alte Rie­ge, die jetzt so nach und nach abtritt.

Wie arbei­ten Sie als Autor? Wie begin­nen Sie Ihre Schreibarbeit?

Das Wich­tigs­te ist: Sie müs­sen Anfang und Ende ken­nen. Dann schrei­be ich Blö­cke, die einem Film­skript ähneln. Ich schrei­be nicht mehr chro­no­lo­gisch. Viel­leicht, weil ich älter wer­de und ich mich schlech­ter kon­zen­trie­ren kann, wer weiß… Was ich aber brau­che, ist Logik, also ein Gerüst im Kopf. Wenn ich mer­ke, dass ich abschwei­fe, set­ze ich manch­mal aus und fra­ge mich, ob ich mich gera­de von… Tages­ein­ge­bun­gen ver­füh­ren las­se. Bei Tex­ten fürs Kin­der­hör­spiel bin ich befrei­ter. Weil sie nicht logisch in unse­rem erwach­se­nen Sinn sein müs­sen. Um jeman­den von A nach B zu bekom­men, kann ich einen flie­gen­den Tep­pich ein­bau­en. Das geht bei den Tex­ten für die Erwach­se­nen lei­der nicht. Da muss stän­dig eine Logik beach­tet wer­den, die eben auch ein­engend ist.

Was hilft Ihnen beim Schrei­ben? Schrei­ben Sie immer am sel­ben Schreib­tisch oder haben Sie gewis­se Rituale?

Nein. Ich kann immer und über­all schrei­ben, zu jeder Tages- und Nacht­zeit. Ich brau­che auch kei­ne Abge­schie­den­heit, ich las­se mich auch nicht durch Men­schen um mich her­um ablen­ken. Aber: Ich brau­che immer Musik, die zum The­ma passt und mich in Stim­mung versetzt.

Haben Sie beim Ver­fas­sen der Hörspie­le schon eine Idee von der Ver­to­nung im Kopf?

Ja, und das kann ich wäh­rend des Schrei­bens auch nicht ver­drän­gen. Zum einen läuft das Schrei­ben erst rich­tig gut, wenn ich weiß, wel­che Musik ich als Regis­seur ver­wen­den wür­de. Aber lei­der sind ja meis­tens Autor­schaft und Regie in der ARD streng getrennt. Zum ande­ren habe ich die Stim­men der Spre­che­rin­nen und Spre­cher beim Schrei­ben schon im Kopf. Ich weiß dann: Die­ser Schau­spie­ler ist ein eher älte­rer, knor­zi­ger Typ und der wird es auch auf die­se Art im Stu­dio ein­spre­chen. Also beto­ne ich die Rol­le auch in die­se Rich­tung. Man braucht manch­mal Ste­reo­ty­pen. Frü­her nann­te man das ‚die komi­sche Alte’ oder der ‚auf­brau­sen­de Jüng­ling’. Sonst funk­tio­niert es auch für die Hörer zu Hau­se nicht. Ein Hör­spiel ist ja doch kurz. Eine knap­pe Stun­de. Bil­der im Kopf ent­wi­ckeln ist gut und schön, aber es ist eine Hil­fe­stel­lung, wenn Kli­schees auf posi­ti­ve Art und Wei­se auch über die Stim­men erfüllt wer­den. Dass man die Hör­spie­le jetzt danach über Media­the­ken zum Nach­hö­ren abru­fen kann, war ja noch vor weni­gen Jah­ren tech­nisch gar nicht mög­lich. Lei­der hinkt das soge­nann­te Ver­gü­tungs­sys­tem der Tech­nik hin­ter­her. Was wir Autoren dafür bekom­men, dass die Hör­funk­an­stal­ten die Hör­spie­le im Netz ein­stel­len, bis zu einem Jahr, ist ein Witz. Also da muss ein neu­es Bezahl­sys­tem her. Ich weiß nicht, viel­leicht pro Klick sound­so­viel. Und solan­ge es im Netz zum kos­ten­lo­sen Nach­hö­ren steht, bekommt man ja auch kei­ne hono­rier­te Über­nah­men durch ande­re Sen­der hin. Wozu soll­ten sie, wenn man es sowie­so umsonst im Netz abru­fen kann.

Wann hal­ten Sie eine Umset­zung für misslungen?

Haupt­kri­te­ri­um für mich ist die Musi­ka­li­tät. Wenn der Spre­cher einen ande­ren Rhyth­mus spricht als ich mir das vor­stel­le, dann ist das – für mich —  schlecht. Die Hörer kön­nen es natür­lich total anders emp­fin­den. Es kann auch pas­sie­ren, dass Spre­cher nicht mei­ne Art von Humor tei­len, Iro­nie nicht erken­nen und dann alles sehr ernst spre­chen. Das ist vor allem bei Tex­ten über die Shoa oder den Holo­caust so. Ich will aber kei­nen deut­schen Gedenk­tags-Ton haben.

Wie erken­nen Sie, dass ein Spre­cher zu Ihrem Text passt?

Spre­cher sol­len den Text spre­chen und nicht bloß able­sen! Noch bes­ser ist es, wenn sie ihn im Stu­dio spie­len. Also aus­wen­dig.  Sobald sie am Text kle­ben und die gan­ze Zeit auf die Blät­ter vor ihnen star­ren, ist es vor­bei. Ich fin­de es zum Bei­spiel eine groß­ar­ti­ge Form der Zusam­men­ar­beit, wenn mich vor der Auf­nah­me im Stu­dio Spre­cher anru­fen, weil sie sich unsi­cher sind, wie sie man­che Stel­len ein­spre­chen sol­len. Für mich ist die Musi­ka­li­tät beson­ders wich­tig und wenn ein Spre­cher sagt, dass er einen Satz, so wie ich ihn geschrie­ben habe, nicht spre­chen kann, dann akzep­tie­re ich das immer. Von den Tele­fo­na­ten mit Schau­spie­lern habe ich als Schrei­ber immer pro­fi­tiert. Es muss ihnen leicht von der Zun­ge gehen.

Wer­den Sie von der Umset­zung Ihrer Tex­te eher posi­tiv oder nega­tiv überrascht?

Meis­tens posi­tiv. Erstaun­lich, was? Die Hör­spiel­pro­duk­ti­on ist grund­sätz­lich recht demo­kra­tisch. Man erlaubt mir in vie­len Fäl­len auch ein Mit­spra­che­recht. Ich kann zum Bei­spiel sagen, dass ich ger­ne die­se oder jene Spre­cher hät­te. Man hat natür­lich Lieb­lings­schau­spie­le­rin­nen und Schau­spie­ler, die einem beson­ders gut gefal­len.  Und auch bei der Musik­far­be kann ich Vor­schlä­ge machen. Das ist natür­lich für mich, weil ich ja auch von der Musik her kom­me, beson­ders wich­tig. Und selbst die Vor­schlä­ge für die Regie wer­den beach­tet. Es muss natür­lich zeit­lich pas­sen. Und wenn jemand mit mei­nen Tex­ten gar nichts zu tun haben woll­te, dann haben mir das die Dra­ma­tur­gen meis­tens dis­kret ver­schwie­gen. Des­we­gen weiß ich gar nicht, wel­che Regis­seu­re mei­ne Tex­te grau­en­voll finden!

In Ihrem Hörspiel „Jeru­sa­lem. Desa­fi­na­do“ behan­deln Sie die The­ma­tik jüdi­scher Iden­ti­tät und Kul­tur auf humo­ris­ti­sche Wei­se. Wie schaf­fen Sie es, belas­te­te Stof­fe wie die­se humor­voll umzusetzen? 

Humor ist mir gege­ben. Im Fall von „Jeru­sa­lem. Desa­fi­na­do“ kam zudem mei­ne eige­ne Geschich­te hin­zu. Zum einen habe ich zwei prä­gen­de Groß­müt­ter, eine war sehr katho­lisch, und die ande­re ist in einer jüdi­schen Fami­lie auf­ge­wach­sen, die dann nach Bra­si­li­en in die Emi­gra­ti­on gin­gen. Zum ande­ren haben mei­ne eige­ne Fami­lie und ich sel­ber für eini­ge Zeit in Jeru­sa­lem gelebt und wir sind auch jedes Jahr wenigs­tens ein­mal in Isra­el. Für die­ses Hör­spiel habe ich wie ein Jour­na­list gear­bei­tet. Ich bin mit einem Block rum­ge­lau­fen und habe auf­ge­schrie­ben, was ich so auf­ge­schnappt habe. Vor allem in Super­märk­ten und auf Spiel­plät­zen sieht und hört man viel. Eigent­lich ein nor­ma­les Mit­ein­an­der. Da erzäh­len mir dann mus­li­mi­sche oder christ­li­che Paläs­ti­nen­ser, dass ihre Fami­li­en seit Jahr­hun­der­ten schon neben Fami­li­en „ande­ren Glau­bens“ leben und es hat immer funk­tio­niert. Aber dann stülpt sich so oft die­se gro­ße Poli­tik drü­ber, die das Mit­ein­an­der in der Nach­bar­schaft nicht zulässt. Da merkt man schnell: Es gibt bestimm­te Pro­ble­me in Isra­el, die die Poli­ti­ker brau­chen, um an der Macht zu blei­ben. Und das ist dann doch eine immer wie­der depri­mie­ren­de Erfah­rung. Aber ich sage dann immer: Wir in Ber­lin haben nicht geglaubt, dass die Mau­er fällt. Und auch ihr in Isra­el wer­det euer 1989 bekommen.

Susan­ne Hein­rich wur­de 1985 bei Leip­zig gebo­ren. Sie ver­fass­te schon in ihrer Schul­zeit lite­ra­ri­sche Tex­te und stu­dier­te zeit­wei­se am Deut­schen Lite­ra­tur­in­sti­tut in Leip­zig. Zwi­schen 2005 und 2011 erhielt sie Auf­ent­halts-Sti­pen­di­en in Ber­lin, Los Ange­les und der Vil­la Mas­si­mo in Rom. In die­sen Jah­ren ver­öf­fent­li­che sie zwei Roma­ne und zwei Bän­de Erzählungen.

Ab 2012 stu­diert sie Regie an der Deut­schen Film- und Fern­seh­aka­de­mie Ber­lin. Mit Das melan­cho­li­sche Mäd­chen erschien 2019 ihr ers­ter Film, der von der Kri­tik viel­fach begeis­tert auf­ge­nom­men wur­de und bis­her mit dem Max-Ophüls-Preis und dem Drei-Län­der-Film­preis der Säch­si­schen Kunst­mi­nis­te­rin für den bes­ten Spiel­film aus­ge­zeich­net wurde.