Comics heute

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Ein Interview mit Isabel Kreitz über literarische Vorlagen, filmisches Erzählen und das harte Brot des Comiczeichnens

von Tina Krebs und Sabi­ne Wirth

Schau ins Blau: Sie waren bei der Ver­lei­hung des Max und Moritz Prei­ses 2008 in drei Kate­go­rien nomi­niert. Bes­ter deutsch­spra­chi­ger Comic-Künst­ler, Bes­ter deutsch­spra­chi­ger Comic und Bes­ter Comic für Kin­der. Sie haben dann für
Der 35. Mai. Als Comic den Preis für den bes­ten Kin­der-Comic bekom­men. Den­ken Sie, dass Sie in der rich­ti­gen Kate­go­rie gewon­nen haben?

Isa­bel Kreitz: Das ist ja eine fie­se Fra­ge! Kei­ne Ahnung, da kann ich mich nicht ent­schei­den. Ich bin froh, dass ich über­haupt einen Preis bekom­men habe und dass ich neben mei­nen bei­den Kol­le­gen Anke Feuch­ten­ber­ger und Rein­hard Kleist auf dem Sofa sit­zen durf­te. Das fühl­te sich alles sehr gut an.

Schau ins Blau: Uns ist auf­ge­fal­len, dass Ihre Comics ganz unter­schied­li­che Alters­grup­pen anspre­chen. Gibt es für Sie so etwas wie ein Lieblingspublikum?

Isa­bel Kreitz: Eigent­lich immer das Publi­kum, das nor­ma­ler­wei­se kei­ne Comics liest. Es ist für mich viel span­nen­der, mit mei­nen Wer­ken Leu­te zu errei­chen, die nicht von sich aus Comics lesen würden.

Schau ins Blau: Was erwar­ten Sie sich von Ihren Lesern?

Isa­bel Kreitz: Ich hof­fe immer, dass die Leu­te die Comics nicht wegen der Zeich­nun­gen, son­dern wegen des The­mas oder der Geschich­te kau­fen. Und dass sie sich, wenn sie eine Geschich­te inter­es­siert, auch mit einem Zei­chen­stil aus­ein­an­der­set­zen, der nicht so bequem ist.

Schau ins Blau: Wie hat man sich denn den Arbeits­pro­zess vor­zu­stel­len? Wie gehen Sie an ein The­ma her­an und wel­che Arbeits­schrit­te gibt es bis zum fer­ti­gen Comic?

Isa­bel Kreitz: Zuerst lese ich ganz viel. Die Idee geht eigent­lich immer von einer Lek­tü­re aus. Dann hole ich mir Quel­len­ma­te­ri­al dazu und lang­sam ver­dich­tet sich dar­aus eine Geschich­te. Ich nen­ne das Mate­ri­al-Col­la­ge, im Grun­de ist das eine Zusam­men­stel­lung aus Quellen.

Schau ins Blau: Sie sind aus­ge­zeich­net wor­den für
Der 35. Mai. Als Comic, ein Comic, der auf dem Kin­der­ro­man
Der 35. Mai oder Kon­rad rei­tet in die Süd­see von Erich Käst­ner basiert. Wie­so haben Sie sich für Käst­ner entschieden?

Isa­bel Kreitz: Ich fin­de die Spra­che bei Käst­ner so wun­der­bar modern. Sie hat etwas sehr beson­de­res, ist fast zeit­los. Die­se Spra­che habe ich als Kind geliebt. Es sind kei­ne Gags, aber es wird auf eine humor­vol­le Wei­se erzählt. Es gibt bei Käst­ner unnach­ahm­li­che For­mu­lie­run­gen und es hat mir gro­ßen Spaß gemacht, das in Sprech­bla­sen zu set­zen und den ein­zel­nen Figu­ren zuzuordnen.

Schau ins Blau: Sind Sie mit Käst­ner aufgewachsen?

Isa­bel Kreitz: Ja, ich bin wie mei­ne Eltern oder mei­ne Tan­te mit den gan­zen Kin­der­bü­chern auf­ge­wach­sen. Und die Käst­ner-Bücher waren ein­fach mei­ne Lieblingsbücher.

Schau ins Blau: Die Ent­de­ckung der Cur­ry­wurst, ein wei­te­rer Comic von Ihnen, setzt die gleich­na­mi­ge Novel­le von Uwe Timm zeich­ne­risch um. Fin­den Sie, dass Lite­ra­tur sich beson­ders gut zur Ver­bild­li­chung eignet?

Isa­bel Kreitz: Ich gehe auch da von den Geschich­ten aus. Wenn mir eine Geschich­te gut gefällt, dann ver­su­che ich dar­aus mei­nen eige­nen Film zu machen. Das habe ich schon als Kind mit irgend­wel­chen Geschich­ten gemacht und im Grun­de mache ich heu­te nichts anderes.

Schau ins Blau: Heißt das, dass Sie sich mit Ihrer Arbeit mehr dem Medi­um Film ver­bun­den fühlen?

Isa­bel Kreitz: Auf jeden Fall. Fast mehr als mit dem Buch. Sagen wir mal so: die Geschich­te neh­me ich aus der Lite­ra­tur, aber die Art und Wei­se, wie ich die­se Geschich­te erzäh­le, neh­me ich eher aus dem Film.

Schau ins Blau: Wo sehen Sie Ihre Posi­ti­on als Zeich­ne­rin in Abgren­zung zum Autor des Tex­tes, der als Grund­la­ge für Ihren Comic dient? Ver­su­chen Sie der lite­ra­ri­schen Vor­la­ge treu zu bleiben?

Isa­bel Kreitz: Soweit die lite­ra­ri­sche Vor­la­ge trans­por­ta­bel ist in eine Film­hand­lung, ja. Was ich immer ger­ne mache, um den Figu­ren noch mehr Sub­stanz oder Eigen­hei­ten zu geben, ist, die Spra­che, die der Autor benutzt hat, Wort für Wort in die Sprech­bla­sen zu trans­por­tie­ren. Wenn es in der Vor­la­ge wört­li­che Rede gibt, also aus­ge­ar­bei­te­te Dia­lo­ge, benut­ze ich die­se auch im Comic.

Schau ins Blau: Pas­siert es dann auch manch­mal, dass sich die Comic-Zeich­nun­gen, wäh­rend sie dar­an arbei­ten, zu weit von der Ori­gi­nal­ge­schich­te entfernen?

Isa­bel Kreitz: Eigent­lich nie. Das hängt mit mei­ner Arbeits­wei­se zusam­men, die rela­tiv sys­te­ma­tisch ist. Ich ver­su­che mir die Arbeit zu erleich­tern, indem ich das gan­ze Sto­ry­board, die Hand­lung, die Abfol­ge und auch schon die ein­zel­nen Bil­der fest­le­ge, bevor ich mit der Umset­zung anfange.

Schau ins Blau: Könn­ten Sie sich auch vor­stel­len, direkt für den Film zu arbeiten?

Isa­bel Kreitz: Ja, von der Nei­gung her auf jeden Fall, aber von der Per­sön­lich­keit wahr­schein­lich nicht. Ich stel­le es mir unheim­lich schwer vor, mit ande­ren Leu­ten in einer Wei­se zusam­men zu arbei­ten, dass ich ihnen erzäh­le, was sie machen sol­len. Oder dass ich sie von mei­ner Begeis­te­rung und von mei­nen Ideen über­zeu­ge. Ich glau­be da liegt es mir eher, ein­fach anzu­fan­gen und hin­ter­her das fer­ti­ge Ding auf den Tisch zu legen und zu sagen ?Guckt mal!”.

Schau ins Blau: Wenn Sie einen lite­ra­ri­schen Stoff in Bild­form gestal­ten, wür­den Sie dann sagen, dass die Geschich­te dadurch kom­ple­xer wird oder im Gegen­teil viel­leicht für vie­le Leser leich­ter zugänglich?

Isa­bel Kreitz: Das ist immer der Vor­wurf, der der Comic-Adap­ti­on gemacht wird, dass das Buch ?leicht” ist oder eine nicht ernst­zu­neh­men­de Ver­si­on. Ich den­ke man muss das so sehen, dass man ein­fach etwas dazu tut. Das Buch wird also nicht in eine ande­re Form über­tra­gen, son­dern jemand ande­res macht eine Zutat mit­hil­fe der Geschich­te. Und dar­aus ent­steht eine ganz eige­ne Geschichte.

Schau ins Blau: Also ist es auch nicht gerecht­fer­tigt, Comics in die Unter­hal­tungs­spar­te zu schieben?

Isa­bel Kreitz: Das muss jeder Leser selbst beur­tei­len. Doch ich den­ke, dass es mitt­ler­wei­le so viel Tole­ranz geben soll­te, nicht gleich das gan­ze Comic-Medi­um doof zu fin­den, weil man zwei schlech­te Comics gele­sen hat. Genau­so wenig wür­de jemand, der zwei schlech­te Gedich­te gele­sen hat, auf die Idee kom­men, die gan­ze Dich­tung in die Ton­ne tre­ten zu wol­len. So viel Tole­ranz soll­te man dem Medi­um schon ent­ge­gen bringen.

Schau ins Blau: Wie sehr ist man als Comic-Künst­ler denn abhän­gig von den Ver­la­gen und den Verlagsprogrammen?

Isa­bel Kreitz: Das ist eine inter­es­san­te Sache. Ich habe ja nun nach fünf­zehn Jah­ren Betriebs­zu­ge­hö­rig­keit alle Spar­ten ein­mal durch­ge­macht. Ich bin ein­ge­stie­gen, als der Alben­markt gera­de zusam­men­brach, habe also noch ein paar Comic-Alben gemacht. Danach kamen Heft­chen und jetzt sind es die Gra­phic Novels. Das Ver­lags­pro­gramm hat bestimmt Ein­fluss auf die Erschei­nungs­form, aber ich per­sön­lich fand es unglaub­lich anre­gend, alles aus­zu­pro­bie­ren. Ich den­ke, wer jetzt mit Gra­phic Novels anfängt, hat defi­ni­tiv die meis­ten Frei­hei­ten beim Erzählen.

Schau ins Blau: Was wür­den Sie denn unab­hän­gig von allen Gen­re- und Ver­lags­vor­ga­ben ger­ne machen? Also wenn es kei­ne Rol­le spie­len wür­de, wie lan­ge das Zeich­nen dau­ert und was das Pro­jekt kostet?

Isa­bel Kreitz: Gute Fra­ge! Das ändert sich immer mal wie­der. Ich habe Ideen, die ich vor mir her schie­be und den­ke, dass ich das irgend­wann mache, wenn ich Zeit habe. Aber wenn ich dann Zeit habe, habe ich wie­der ande­re Ideen. Es gibt noch so vie­le Roman­ad­ap­tio­nen, die ich ger­ne machen wür­de. Ich habe auch noch vie­le The­men im Kopf, zu denen ich mehr Zeit brau­che, wenn ich sie sel­ber schrei­ben muss.
Die Sache mit Sor­ge zum Bei­spiel ist sehr spon­tan pas­siert. Da habe ich nicht jah­re­lang dar­über nach­ge­dacht. Wer weiß, was sich noch ergibt, das kann ich jetzt gar nicht sagen.

Schau ins Blau: Bei der Preis­ver­lei­hung haben Sie erwähnt, dass es nicht so leicht ist, durch Comic-Zeich­nen den Lebens­un­ter­halt zu bestrei­ten. Ist das aber ein Ziel, das Sie anstreben?

Isa­bel Kreitz: Auf jeden Fall. Das ist natür­lich mein Traum. Dass ich irgend­wann ein Buch nach dem ande­ren zeich­nen kann, zwi­schen­durch nach Mal­lor­ca flie­ge und da über­win­te­re. Nein, im Grun­de fin­de ich es, so wie es ist, ange­nehm. Die Sachen, die ich sel­ber mache, sind natür­lich schreck­lich ver­kopft und da ist man die gan­ze Zeit gedank­lich sehr beschäf­tigt. Man hat so sei­ne Höhen und Tie­fen und manch­mal ist es unglaub­lich ange­nehm, zwi­schen­durch einen Job zu machen, bei dem man nicht so viel nach­den­ken muss und sich nicht stän­dig selbst kri­ti­siert oder hin­ter­fragt. So eine Art Atem­pau­se, um dann wie­der ein­zu­stei­gen. Eine gute Mischung aus Brot­er­werb, Jobs und Comic-Zeich­nen für Spaß, Ruhm und Ehre zu haben, ist schon sehr angenehm.

Schau ins Blau: Das heißt, in den Pau­sen, die Sie vom Zeich­nen neh­men, zeich­nen Sie?

Isa­bel Kreitz: Im Grun­de schon, aber es kom­men dann ganz ande­re Auf­ga­ben auf einen zu. Die eige­nen Sachen zeich­net man in dem Stil, der einem am Her­zen liegt, was im Fal­le mei­nes letz­ten Buches
Die Sache mit Sor­ge rela­tiv rea­lis­ti­sche Blei­stift-Zeich­nun­gen waren. Zwi­schen­durch kommt dann ein Job, bei dem man ganz car­too­nis­tisch zeich­nen muss oder plötz­lich ganz sach­lich. Das Ange­neh­me ist, die Abwechs­lung zu haben und nicht ste­hen zu bleiben.

Schau ins Blau: Wie Sie schon erwähnt haben, ist Ihr neus­ter Comic
Die Sache mit Sor­ge. Sta­lins Spi­on in Tokio, eine Gra­phic Novel, die sehr rea­lis­tisch mit Blei­stift gezeich­net ist; und in der Tat wir­ken die Bil­der teil­wei­se sehr fil­misch. Woher bekom­men Sie die Inspi­ra­ti­on für die­se unglaub­lich detail­lier­ten Bilder?

Isa­bel Kreitz: Eigent­lich durch das Anschau­en von Fotos. Das lernt man, wenn man viel mit Film auf­ge­wach­sen ist. Im Ver­hält­nis zu mei­nen Alters­ge­nos­sen war ich, glau­be ich, eher ein Fern­seh­kind. Ich habe wahn­sin­nig viel vor der Glot­ze gehan­gen, aber es gab damals auch viel mehr schö­ne Schwarz-Weiß-Fil­me, die ein­fach Spu­ren hin­ter­las­sen haben in mei­nem gra­phi­schen Den­ken. Wenn ich Schwarz-Weiß-Bil­der samm­le für die Recher­che, dann ent­steht im Gehirn schon so ein Kos­mos von Bil­dern und man kann sich hin­ein­den­ken in die Zeit. Irgend­wann ver­dich­tet sich das und wenn man zeich­net, geht es dann fast von selbst.

Schau ins Blau: Gibt es eini­ge Fil­me, die Sie beson­ders beein­flusst haben?

Isa­bel Kreitz: Ja, die Stumm­fil­me. Es gab frü­her sonn­tag­vor­mit­tags die so genann­te ?Mati­nee”. Wir hat­ten ja nur drei Pro­gram­me als ich klein war. Die Eltern haben noch geschla­fen und als klei­nes Kind steht man früh auf, schleicht sich vor den Fern­se­her, guckt eine Stun­de lang das Test­bild und dann kommt auf ein­mal
Metro­po­lis oder
Der müde Tod oder
Das Cabi­net des Dr. Cali­ga­ri. Und das zieht man sich so rein, weil es auch nichts ande­res gibt. Ich war immer vor dem Fern­se­her geklebt und da es auch kei­nen Ton gab, wur­de die Fan­ta­sie unglaub­lich ange­regt beim Zuschau­en. So führt eins zum ande­ren. Das hat mich bestimmt sehr ange­regt zu zeich­nen, schon damals als Kind.

Schau ins Blau: Arbei­ten Sie schon an neu­en Pro­jek­ten? Oder ist das noch geheim?

Isa­bel Kreitz: Ich habe natür­lich immer ein biss­chen die­ses Voo­do-Ding, dass, wenn man zu viel über Sachen redet, die noch nicht ent­stan­den sind, es dann nicht klappt. Aber gera­de sit­ze ich an dem zwei­ten Erich Käst­ner Band, eine Adap­ti­on von
Pünkt­chen und Anton. Das gefällt mir gut, weil es das Ber­lin der drei­ßi­ger Jah­re zeigt. Da gibt es ein paar Bil­der von Wal­ter Trier, die schon ein paar Vor­ga­ben leis­ten. Das kann ich mir sehr gut vor­stel­len. Für nächs­tes Jahr habe ich zwar schon eine Idee, aber wo, mit wel­chem Ver­lag und ob und wie lan­ge, das weiß ich noch nicht.

Schau ins Blau: Was wür­den Sie jun­gen Comic-Künst­lern mit auf den Weg geben?

Isa­bel Kreitz: Ich kann nur wie­der­ho­len, was ich damals gesagt bekam, als ich Leu­te besucht habe, die ich bewun­dert habe oder von denen ich etwas ler­nen woll­te. Die haben mir immer gesagt, man muss ler­nen weg­zu­schmei­ßen. Um sich zu ver­än­dern oder zu ver­bes­sern, muss man immer wie­der Sachen, die man ver­meint­lich toll fin­det, ent­sor­gen und noch ein­mal von vor­ne anfan­gen. Denn der zwei­te Ver­such wird immer der bes­se­re Versuch.