Das außer uns andere

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Wenn Gedich­te Din­ge aus Spra­che erzeu­gen, dann ist jede Über­set­zung eines Gedichts eine mas­si­ve Ver­schie­bung. Sie ist frem­de Ver­kör­pe­rung. Den Ort, an und aus dem man schreibt, könn­te man viel­leicht das “in mir ande­re” nen­nen. Und das, was über­setzt, das “außer mir ande­re”. Also das “in mir ande­re” als das eige­ne Schrei­ben und das “außer mir ande­re” als das, was vom Über­set­zen auf­ge­ru­fen wird. Doch was meint das kon­kret? Um der Dif­fe­renz von “außer” und “in” auf die Spur zu kom­men, möch­te ich eini­ge Unter­schie­de zwi­schen dem eige­nen Schrei­ben und dem Über­set­zen sowie Ver­wandt­schaf­ten zwi­schen bei­den Tätig­kei­ten, so wie ich sie wahr­neh­me, vor­stel­len. Ich gebe sie wie­der in der Rei­hen­fol­ge, in der sie mir in den Sinn tra­ten, weil ich glau­be, dass das ihre emo­tio­na­le Wich­tig­keit widerspiegelt.

1. Der erste Unterschied

Beim Über­set­zen ist durch den Aus­gangs­text das erst noch her­zu­stel­len­de Sprach­pro­dukt als Ent­wurf und Sche­ma von Anfang an gege­ben. Dies macht die Über­set­zungs­auf­ga­be leich­ter und schwe­rer. Sie braucht, eben­so wie das eige­ne Schrei­ben, einen Erre­gungs­im­puls. Wäh­rend er im Fall der eige­nen Pro­duk­ti­on woher auch immer stam­men mag, ist er beim Über­set­zen bereits sprach­lich, genau­er: fremd­sprach­lich, gebun­den. Er stammt aus einer Ein­heit, einem kom­po­nier­ten Zusam­men­hang. Eige­nes Schrei­ben hin­ge­gen ist um vie­les “ner­vö­ser”, auch exzen­tri­scher. Jede Sekun­de könn­te der Text, den man spä­ter lie­gen sieht, ein ganz ande­rer gewor­den sein als er wur­de. Sehr kurz oder sehr lang — und vie­les dazwi­schen: ein vier­zei­li­ges Gedicht. Eine Erzäh­lung. Ein 200-Sei­ten-Roman. Manch­mal ist mir, als stün­de ich an einem Teich­ufer und zöge an einem Netz. Ich weiß nicht ein­mal, ob über­haupt etwas in sei­nen Maschen hängt. Zie­he ich nicht gut, reißt das Netz oder glei­tet mir aus den Hän­den und alles ver­schwin­det wie­der in Was­ser und Schlick. Dann wird es nie geschrie­ben. Das Über­set­zen hin­ge­gen beglei­tet eine — ver­gleichs­wei­se — gera­de­zu luxu­riö­se Sicher­heit: Wenn ich jetzt ins Bett gehe und mor­gen Früh wie­der auf­wa­che, liegt der Text noch da — mach’ dir kei­ne Sorgen.

2. Einheit und Formung

Schrei­ben wie Über­set­zen beru­hen u.a. auf der Fähig­keit, Mus­ter zu bil­den, doch darf der Über­set­ze­rin, zumin­dest zunächst, eine Mus­ter­ebe­ne des Ori­gi­nals gleich­gül­tig sein: die “inhalt­li­che Gesamt­kom­po­si­ti­on’. Sie ist bereits geleis­tet wor­den. Hier könn­ten Sie aller­dings wider­spre­chen, mit gutem Recht. In man­chen Über­set­zungs­fäl­len kommt die Kom­po­si­ti­ons­fra­ge durch­aus ins Spiel, etwa wenn nur Tei­le eines Tex­tes über­tra­gen wer­den, ein Werk aus dem Gesamt­werk, eine Gedicht­aus­wahl. Nicht sel­ten wird der Über­set­zer in die­sen Fäl­len zugleich zum Her­aus­ge­ber, ein span­nen­der Vor­gang, der Über­set­zen und Autor­schaft ein­an­der annä­hert. Hybri­de For­men ent­ste­hen: unse­re Kate­go­rien “eigen” und “fremd” sind für sie zu grob. Vor kur­zem lern­te ich einen Ame­ri­ka­ner ken­nen, der Ril­ke unter einem raf­fi­nier­ten Aspekt ins Eng­li­sche über­setzt: auf­ge­nom­men wur­den nur Tex­te, die etwas mit Fan­gen oder Ein­fan­gen, mit Bäl­len, Flug­li­ni­en oder inne­ren Räu­men zu tun haben. Dies aber kon­se­quent durch alle Gen­res hin­durch: Pro­sa, Brief, Anmer­kung, Gedicht. Die schö­ne Leit­idee lässt eine bis­lang unver­trau­te, scharf kon­tu­rier­te Ril­ke­figur sowohl als Autor als auch als bio­gra­phi­sches Sub­jekt vors Auge tre­ten. Als Über­set­zer über­nimmt man in die­sem Fall Autoren­funk­tio­nen, man ent­wirft Kom­po­si­ti­on, Ein­heit, den Buch­auf­bau, muss alles neu denken.

3. Handwerkliches Training

In Lud­wig Witt­gen­steins Phi­lo­so­phi­schen Unter­su­chun­gen fin­det sich ein lebens­na­hes Bild für das Han­deln mit Spra­che, das sehr klug die Ver­bin­dung zwi­schen jeder For­mungs­idee und dem sie aus­füh­ren­den Kör­per zeigt. Letz­te­rem kann ich hier nicht nach­ge­hen, es führ­te uns in Fra­gen danach, wie die Schreib­be­we­gung selbst das, was geschrie­ben wird, beim Über­set­zen wie beim Eigen-Schrei­ben formt. Fürs ers­te aber fol­gen wir Herrn Witt­gen­stein in den Fri­seur­sa­lon. Wahr­lich, es gibt weni­ge Phi­lo­so­phen, die in der Lage sind, in Fri­seur­bil­dern zu den­ken. Witt­gen­stein beschreibt, wie ein Meis­ter die Sche­re dicht am Kopf des Kun­den immer wie­der zuschnap­pen lässt, ohne zu schnei­den. Nur beim x‑ten Mal fal­len Haa­re. Es ist die­ses Klap­pern des Instru­ments, ent­ge­gen der Rede­wen­dung im Deut­schen, kein lee­res Klap­pern. Es folgt aus der not­wen­dig unun­ter­bro­che­nen Bewe­gung der Hand, die ihrer­seits Vor­aus­set­zung ist für einen prä­zi­sen Schnitt. Die Bewe­gung der Sche­re weist dar­auf hin, dass Prä­zi­si­on ein (gro­ßes) Vor- und Umfeld benö­tigt: Anlauf, Übung, Ver­such gehö­ren ihr zu. An dem zu über­set­zen­den Text, den ich nicht “Ori­gi­nal”, son­dern direk­ter und auch lieb­vol­ler “Stoff” nen­nen möch­te, heißt “Klap­pern”: zu spre­chen ver­su­chen. “Inhalt” und “Sprach­stoff” lie­gen in ihrer Ver­wo­ben­heit vor dem Über­set­zer und wer­den nun “gescho­ren”. Ich muss sie aus­ein­an­der­neh­men, ohne ihre Ver­bun­den­heit aus dem Blick zu ver­lie­ren. Manch­mal wird man gefragt, ob man ver­su­che, den Text zu “ver­ste­hen”. Mag sein; es ist aller­dings gewiss kein lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­ches Ver­ste­hen, kein auf­satz­taug­li­ches, kein ein­fach “inter­pre­ta­to­ri­sches”. Es ist ein Ver­ste­hen, das auf die Erzeu­gung des Inhalts aus der Form, der Form aus dem Inhalt zie­len muss. Also auf den Kern. Man bekommt ihn nie zu fas­sen — doch die Schreib­hand kann ihn manch­mal füh­len, und halb am bewuss­ten Ver­stand vor­bei, sozu­sa­gen im Gespräch mit dem eige­nen Sprach­witz, für die Über­set­zung neu-alt, in und außer mir zugleich, erzeu­gen. Dazu gehö­ren “Schnit­te in die Luft”. Sie kön­nen sehr frucht­bar sein. Feh­ler, Ver­le­sun­gen, schrä­ge Wege. Solan­ge man sich dort vor Ein­deu­tig­kei­ten hütet, wo der anver­trau­te Text nicht ein­deu­tig ist. Denn er soll ja nicht gescho­ren wer­den, nicht beschnit­ten — “nur” in prä­zi­ser Sprach­übung geformt. Der Gewinn, den das Aus­pro­bie­ren von Sprach­be­we­gun­gen in eben der Spra­che bedeu­tet, in die hin­ein man über­setzt wird, wird oft ver­kannt. Viel­leicht, weil oft ver­ges­sen wird, dass das eigent­li­che Zen­trum der Über­set­zung die soge­nann­te “Ziel­spra­che” ist. Die Denk- und Zun­gen­be­we­gun­gen in ihr sind Pro­be­gän­ge, wirk­li­che Erfor­schun­gen. Für mich muss die­se “Ziel­spra­che” die Mut­ter­spra­che sein: nur im Deut­schen habe ich das Gefühl, so sicher im Sat­tel zu sit­zen, dass ich mit Sat­tel, Pferd und Zaum­zeug spie­len kann. Sicher — und dadurch frei­er und muti­ger in jenen Hand­be­we­gun­gen, zu denen der frem­de Stoff mich (ver)führt. Die­se Bewe­gun­gen sind nie mecha­nisch, son­dern ent­ste­hen in jedem kon­kre­ten Fall neu ent­lang der spe­zi­fi­schen Kraft­li­ni­en des Aus­gangs­tex­tes, gelei­tet von einer Visi­on des­sen, was er im Deut­schen wer­den könn­te. Der Begriff “Ziel­spra­che” ist dabei, recht bese­hen, ein Euphe­mis­mus. Eigent­lich exis­tiert die­se Spra­che noch nicht. Es gibt die rie­sen­gro­ße Spra­che “deutsch” oder “eng­lisch” oder x — und dar­in einen Ton. Er gehört dem neu­en Text. Er unter­schei­det jede men­schen­ge­mach­te Über­set­zung von der Arbeit einer Maschi­ne, selbst wenn sie per­fekt über­setzt wäre. Er ist Fin­dung und Erfin­dung zugleich. Hand‑, Denk- und Mund­be­we­gun­gen gehen nun in eins. Sie suchen die neue Spra­che des Tex­tes mit Hil­fe eben die­ses Tex­tes, der mich sei­ner­seits so in Gang setzt, dass mir ein­fällt, wie mei­ne eige­ne Spra­che die­se Bewe­gun­gen mit­ma­chen bzw. nach­ma­chen könn­te. Prä­zi­se — in Über­ein­stim­mung
und Abweichung.

4. Präzise?

Die alte Über­set­zer­re­gel “so frei wie nötig, so nah wie mög­lich” hilft hier erwar­tungs­ge­mäß nicht wei­ter. Oder lau­tet sie sowie­so gera­de anders­her­um: “so frei wie mög­lich, so nah wie nötig.” Bes­ten Dank an die Regel. Sie ist para­dox, also dem Über­set­zen ide­al ange­passt. Unbe­lehr­bar fra­ge ich erneut: was ist prä­zi­se? Ist die Sprach­be­we­gung in Gang gekom­men, erscheint, was an die­sem Tag, in die­ser Stun­de, mir, Sub­jekt UD, ein­fällt. Das ist sicher nicht prä­zi­se. Doch ich habe nichts ande­res. Also muss ich mich bewe­gen und “schnei­den”, um mich von dem, was ich dach­te, zu ent­fer­nen. Es folgt eine manch­mal lan­ge und schwie­ri­ge Übung in Empa­thie. Der Ver­such abzu­strei­fen, was ich sonst als Spre­che­rin die­ser (deut­schen) Spra­che und als Autorin in die­ser Spra­che bin. Mei­nen sprach­li­chen Deutsch­ge­wohn­hei­ten, den Eigen­hei­ten mei­ner sprach­li­chen Mus­ter­bil­dung, ent­kom­me ich gewiss nicht wirk­lich oder nicht weit — aber ich bemü­he mich, span­ne durch die­sen Ant­ago­nis­mus die Sprach­kräf­te eigent­lich erst auf. In der Abstreif­be­we­gung ist im nächs­ten Schritt auch ihr Gegen­teil ent­hal­ten: ich sto­ße deut­lich auf mei­ne eige­nen Sprech­ge­wohn­hei­ten. Vor allem aber sto­ße ich auf Sprach­ge­füh­le. Sie sind viel­leicht das Wich­tigs­te beim Über­set­zen. Wir spre­chen so sel­ten über sie, weil sie schwer zu fas­sen sind. Längst bewe­gen wir uns hier in einem Misch­be­reich: für die­sen Text erscheint mir. Abstreif­be­we­gung, Anstoß vom zu über­set­zen­den Text, “außer mir ande­res” füh­len, “in mir ande­res” in Gang set­zen, hie und da dem Eige­nen nach­ge­ben. Ich ver­su­che, Ihnen eine stän­di­ge Bewe­gung zwi­schen Abstrei­fen und Eigen­sinn, Steu­ern und Gegen­steu­ern zu zei­gen. Das macht Mühe. Ich mache sie mir nicht aus Dienst­treue. Gewiss ver­su­che ich bei mei­nen Über­set­zun­gen von H.D. (Hel­ga Doo­litt­le) und Loui­se Glück den Ori­gi­na­len gegen­über treu zu blei­ben, aber nicht, weil Dienst für mich ein Wert an sich wäre, son­dern aus einem ver­läss­li­che­ren Grund, aus Ego­is­mus. Ich möch­te beim Über­set­zen nicht immer das Glei­che erle­ben. Ich möch­te mich aus mir und mei­nen Sprach­ge­wohn­hei­ten her­aus­be­we­gen und brau­che dazu die Hil­fe des frem­den Tex­tes. Mich also öff­nen für die Denk­be­we­gun­gen in einer ande­ren Spra­che, die zugleich immer auch eine Autoren­spra­che ist.

5. Übersetzen als fünffaches Schielen

Die ers­te Dop­pe­lung liegt bereits beim Ori­gi­nal. Aus ihm sieht eine frem­de Spra­che mich zwei­fach an: In leich­ter Abwand­lung der Sauss­u­re­schen Ter­mi­no­lo­gie könn­te man hier von der rie­si­gen, geschich­te­ten, geschicht­li­chen, stän­dig beweg­ten, in zahl­reichs­ten Sozio­lek­ten, Dia­lek­ten, vor allem aber gan­zen Deri­vat- und Misch­spra­chen über den gesam­ten Glo­bus gespann­ten “lan­gue” Eng­lisch spre­chen. In ihr fin­det sich die­se eine “paro­le” des Autors. Das ers­te, was ich wahr­neh­men muss, ist die spe­zi­fi­sche Posi­ti­on, die der mir für die Über­set­zung anver­trau­te lite­ra­ri­sche Text im Raum jener Spra­che ein­nimmt, die er benutzt und zugleich erwei­tert und mit sei­ner Eigen­heit füllt. Im zwei­ten Schritt: die­se bei­den eng­li­schen Räu­me gegen­ein­an­der hal­ten und sie sich aus­ein­an­der (ent)falten las­sen. Mei­ne Auf­ga­be als Über­set­ze­rin liegt wenigs­tens in der Ziel­set­zung dar­in, für die Autoren­spra­che ein Äqui­va­lent in der Spra­che zu ent­wi­ckeln, in die hin­ein ich über­set­ze. Aus dem Geist der Autoren­spra­che her­aus zu han­deln. Immer stär­ker haben wir uns damit in jenen Bereich hin­ein­be­wegt, in dem Wort-zu-Wort oder Satz-für-Satz Über­set­zun­gen nicht genü­gen. Es geht dar­um, etwas zu erfin­den, das im gro­ßen Raum der deut­schen Spra­che, den ich natur­ge­mäß kei­nes­wegs über­bli­cke, in dem ich viel­mehr tas­te und ver­su­che mich zu stre­cken, die­sen Ton ein­neh­men könn­te. Als Impuls, Posi­ti­on und Wider­klang brau­che ich dafür die Autoren­spra­che in ihrer-Spra­che / mei­ner-Fremd­spra­che. Autoren sind unter­schied­lich deut­lich in die­ser Hin­sicht: Shake­speare, Ger­tru­de Stein und auch H.D. (Hil­da Doo­litt­le) haben einen kräf­ti­gen Ton. Sie machen in die­ser Hin­sicht die Arbeit leicht. Zuletzt über­setz­te ich zwei Gedicht­bän­de der ame­ri­ka­ni­schen Dich­te­rin Loui­se Glück. Ihre ers­ten Bücher erschie­nen Ende der 60er Jah­re. Zwei­er­lei, der deutsch­spra­chi­gen Poe­sie nicht auf die­se Wei­se Ver­trau­tes, hat mich an der anglo­ame­ri­ka­ni­schen Lyrik immer inter­es­siert. Zum einen die star­ke nar­ra­ti­ve Tra­di­ti­on, das Lang­ge­dicht, das Vers­epos, der Geschichts- und Geschich­ten­zu­sam­men­hang. Zum ande­ren der Ver­such, sehr ein­fach zu spre­chen. Loui­se Glück zählt sich selbst zu die­ser Rich­tung. Kei­ne poe­ti­schen Bil­der, schnör­kel­lo­se Spra­che, simp­le Syn­tax. Da das Eng­li­sche so wenig dekli­niert, also im Ver­gleich zum Deut­schen eines, das ein rigi­de­res Satz­mus­ter braucht — man erin­ne­re sich an die Schul­re­gel SPO -, ist die­se Ein­fach­heit schnell erreicht. Glücks Gedich­te fol­gen ihrer Tak­tung gern. Sub­jekt, Prä­di­kat, Objekt, Sub­jekt, Prä­di­kat, Objekt, Punkt, Punkt; viel­leicht auch ein­mal kein Punkt, weil ein Ver­sen­de kommt, und immer so wei­ter. Ich male dies aus, um die Ein­tö­nig­keit — für das deut­sche Ohr — zu beto­nen. Zum “Orten” im deut­schen Gedicht­raum gehört nun, die­sen Unter­schied 1. wahr­zu­neh­men. 2. zu beur­tei­len. 3. umzu­set­zen — also auch ihn zu über­set­zen. Für die Beur­tei­lung ist ent­schei­dend, was tat­säch­lich dem Sprach­sys­tem geschul­det ist, und was dem Autor zuge­hört. Man schös­se übers Ziel hin­aus, woll­te man Glück in stän­di­gem SPO-Mus­ter ins Deut­sche über­tra­gen. Es wäre dies zwar “rich­tig”, sogar sehr treu, nur gera­de dar­in falsch. Eine der­ar­ti­ge Über­set­zung erzeug­te für ein deut­sches Ohr zu weit­rei­chen­de Mono­to­ni­en, so dass ich am Ende die Glück­sche Syn­tax, obwohl ich sie im Deut­schen mühe­los repro­du­zie­ren hät­te kön­nen, hie und da umstell­te. Dem Eng­li­schen Schie­len folgt nun ein wei­te­res, im Deut­schen. Hier muss man nicht nur mit zwei, son­dern sogar drei Grö­ßen han­deln, zumin­dest als Autor-Über­set­zer: — der ver­traut-frem­de, und doch mit mehr Lücken als Wis­sen gefüll­te, gefühls- und erin­ne­rungs­in­ten­si­ve Hall­raum der Mut­ter­spra­che. — in ihm der eige­ne Autoren­ton — doch inwie­fern kann ich selbst ihn tat­säch­lich hören? — und “dazwi­schen” die Suche nach dem Autoren­ton für H.D., Ger­tru­de Stein oder Loui­se Glück.

6. Das Ohr

Mag die eige­ne Autor­schaft also hie und da eine Unwäg­bar­keit mehr ins Über­set­zen geben, ist sie doch in ande­rer Hin­sicht ein wesent­li­cher Vor­teil. Manch­mal, wenn ich mir Lyrik‑, aber auch Pro­sa­über­set­zun­gen (Nabo­kovs Loli­ta etwa) ins Deut­sche anse­he, wer­de ich trau­rig, weil so viel weg­ge­fal­len ist, was nicht hät­te weg­fal­len müs­sen. Ich fin­de Schreib­tisch­über­set­zun­gen. Es fehlt der Klang! Selbst­ver­ständ­lich ist ein lite­ra­ri­scher Text, egal wel­chen Gen­res, immer auch Werk fürs Ohr. Anschei­nend ist das man­chem Über­set­zer nicht wirk­lich deut­lich — und woher soll­te er auch die Erfah­rung neh­men, wie Tex­te auf einer Büh­ne klin­gen, wel­che Span­nun­gen zwi­schen Text und Publi­kum allein auf Grund von Phra­sie­rung und Rhyth­mi­sie­rung ent­ste­hen. Hier habe ich Glück: seit 13 Jah­ren lese ich regel­mä­ßig mei­ne eige­nen Tex­te öffent­lich vor; ich erle­be sie als Sprach-Kör­per auf der Büh­ne. Mit Hil­fe des dar­aus all­mäh­lich erwor­be­nen Klang­wis­sens und Klang­ge­fühls gehe ich an Über­set­zun­gen und hof­fe, dass mei­ne Arbeit nicht zu einem sang­lo­sen Ergeb­nis führt. Natur­ge­mäß kann der Ver­such, die Laut­di­men­sio­nen eines Tex­tes mit zu über­set­zen, nie bedeu­ten, die Lau­tung des Ori­gi­nals zu repro­du­zie­ren. Das wäre eine ganz ver­fehl­te Vor­stel­lung. Jeder Vokal, jeder Kon­so­nant bereits klingt anders. Auch hier muss also wirk­lich über­setzt wer­den: gehan­delt, ver­scho­ben, ge- und erfun­den. Das darf, nein muss man einem lite­ra­ri­schen Ori­gi­nal zumu­ten. Ist es wirk­lich gut, lebt es bei die­ser Behand­lung auf!

7. Affinität

Ich suche im Über­set­zen nicht Affi­ni­tät, son­dern Fremd­heit, möch­te also auf jeman­den tref­fen, der mich sprach­lich angeht und mir eine Ent­de­ckung ver­spricht. Bewe­gung in einem voll­kom­men ande­ren Kos­mos ver­lang­te die Über­set­zung des letz­ten Gedicht­zy­klus von H.D. Gebo­ren wur­de die Dich­te­rin 1886 in Penn­syl­va­nia, Anfang der 60er Jah­re starb sie in der Schweiz. Ezra Pound hat­te sie früh in Euro­pa bekannt gemacht, die bei­den waren sich im Col­lege begeg­net — eine wech­sel­vol­le Bezie­hung. Pound führ­te Hil­da Doo­litt­le als Ima­gist mit bild­rei­chen Natur­ge­dich­ten in die Lyrik­sze­ne ein.

Her­me­tic Defi­ni­ti­on / Heim­li­che Deu­tung ist anders: ein Lie­bes-Erin­ne­rungs‑, Anrufungs‑, Rei­se- und Beschwö­rungs­ge­dicht, viel­fach in sich ver­wo­ben, ein­fach-raf­fi­niert gebaut. Sein poe­ti­scher Raum ist mytho­lo­gisch, mythisch, sprach­in­ten­siv, “wit­ty” und reli­gi­ös; er blen­det höchst unter­schied­li­che Din­ge inein­an­der. Ein span­nen­des Über­set­zungs­pro­jekt, auch weil
Heim­li­che Deu­tung ein Zyklus ist, der sich aus drei klei­ne­ren Zyklen bil­det, die wie­der­um aus acht bis 18 Gedich­ten bestehen. Am Ende gehö­ren alle Ver­se zusam­men, und die Über­set­zung wur­de zu einer Art Pro­be­fahrt auch im Hin­blick auf die Fra­ge, wie viel der Wir­kung des Tex­tes im Eng­li­schen rein über die Lau­tung ent­steht — und wie viel Zusam­men­hang bereits durch das Arran­ge­ment der Tex­te zustan­de kommt und sich daher leich­ter über­setzt. Der ers­te Zusam­men­hang ist eine Art Spiel­feld. Der zwei­te wird einem bei­na­he geschenkt, vor­aus­ge­setzt, man ach­tet auf Wort­wie­der­ho­lun­gen und erhält sie — oder benutzt, wenn es nicht anders mög­lich ist, wenigs­tens nur zwei ver­schie­de­ne Wor­te, die­se dann aber kon­se­quent in ihren Unter­schie­den, um z.B. etwas so Weit­grei­fen­des wie “mind” wie­der­zu­ge­ben. Wieder-zu-geben.

8. Genuss des Lesens

Ich über­set­ze, weil ich gern lese und weil Über­set­zen für mich eine der inten­sivs­ten Wei­sen des Lesens ist, die ich ken­ne. Ein inti­mer Dia­log. Ich möch­te dabei eher nicht mit dem Autor spre­chen. Das wesent­li­che Abtas­ten oder Spre­chen ist ein Spre­chen im Text, ein Tas­ten sei­nes Pul­ses. Ich hat­te beim Radi­kal­über­set­zen der Shake­speare-Sonet­te, das sehr frei ver­fährt, aber eben in die­ser Frei­heit aus Shake­speare kommt, das Gefühl, ange­fixt oder ange­pulst zu wer­den von der Grund­en­er­gie der alten Gedich­te. Das ist natür­lich immer nur der Shake­speare-Puls für mich. Und doch: eine gro­ße, star­ke Sprach­kraft roll­te auf mich zu. In die­sem Zusam­men­hang wer­den Autoren-Über­set­zer gern nach der Rück­wir­kung des Über­setz­ten auf die eige­ne Pro­duk­ti­on gefragt. Natür­lich gibt es die­se Rück­wir­kung. Ich erfah­re sie als Kur­ve. Annä­he­rung an den frem­den Ton, Arbeit dar­in. Dann das Abfär­ben. Ich schrei­be etwas “Eige­nes” und den­ke, “ohne H.D. wäre mir das nicht ein­ge­fal­len” — the­ma­tisch, sprach­lich, dich­te­risch. Die­se Pha­se hält ein paar Wochen an, nicht unbe­dingt die gan­ze Über­set­zungs­zeit. Dann Weg­wer­fen des Ein­ge­färb­ten, wie­der Aus­wan­dern aus die­sem Fremd­au­toren­heim. Nach­hal­tig aller­dings ist eines pas­siert: den deut­schen Dich­ter­stim­men wur­de am Ende ein wei­te­rer Ton hin­zu­ge­fügt. In gewis­ser Wei­se bleibt die­ser Ton auch in mir ste­hen. Ich könn­te mich wie­der in ihn ein­ha­ken, wie­der ein­tre­ten. Hier sieht man sie, die “Ver­nähung” zwi­schen Text und Über­set­zer. Wenn ich kurz als Autorin spre­chen darf, die über­setzt wird: oft emp­fin­de ich eine gelun­ge­ne Über­set­zung eines mei­ner Gedich­te als ein Her­vor­ho­len, ja “nach-außen-Stül­pen” der in ihm ent­hal­te­nen, mir frem­den Gestalt. Etwas Inne­res des Tex­tes also, sei­ne eige­ne Fremd­heit. Oder, vom Text her gese­hen: eines der Klei­der sei­ner chan­gie­ren­den sprach­wan­dern­den Mög­lich­kei­ten. Sie deh­nen den Text aus, ohne ihm wirk­lich fremd zu ein; sie ent­wi­ckeln ihn in ein rei­che­res Bild.

Fazit

Der span­nends­te Vor­gang beim lite­ra­ri­schen Über­set­zen ist für mich die Akqui­se, die Ent­wick­lung des Tons die­ses Autors in der deut­schen Spra­che. Das Ergeb­nis ist nolens volens Teil mei­nes eige­nen Wer­kes; dafür muss die Über­set­zung gar nicht wei­ter rück­wir­ken. Je älter ich wer­de, umso deut­li­cher schei­nen mir die Kate­go­rien “eigen” und “fremd” schö­ner Hum­bug. Sehr nütz­lich, juris­tisch wich­tig, recht jung übri­gens, gera­de in der Kunst also nicht selbst­ver­ständ­lich. Ich habe über Epik im Mit­tel­al­ter pro­mo­viert, damals brauch­te man die­se Unter­schei­dun­gen nicht. “Eigen” und “fremd” sind kul­tu­rel­le Arte­fak­te. Das Wort Hum­bug habe ich natür­lich mit Absicht benutzt. Es steht nicht im Grimm­schen Wör­ter­buch, weil es erst spä­ter impor­tiert wur­de; es kommt tat­säch­lich aus dem Eng­li­schen, “hum­bug”, Ety­mo­lo­gie unge­klärt, ein Slang­wort: “A hum­bug”. “A hum­ming bug”. Ich über­set­ze: Ein sum­men­der Käfer? Ein sum­men­der Feh­ler? Ein sum­men­der Schna­bel­kerf, auch Büf­fel­zir­pe genannt? Die­ser klei­ne Exkurs, die­ses Aus­ti­cken an den bei­den Spra­chen ent­lang, muss­te, ent­schul­di­gen Sie, nun am Ende sein, es macht näm­lich Spaß. So ent­steht er aus Spiel und Humor: der Müll, der Rest, das, was man weg­wer­fen wür­de beim Über­set­zen, der neue Stoff. Schau, wie er summt.