Der lange Schatten des Schildes

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© Mar­vel Stu­di­os / Disney+

von Jona Kron

Mit The Fal­con and the Win­ter Sol­dier spen­diert Dreh­buch­au­tor Mal­com Spell­man dem Mar­vel Cine­ma­tic Uni­ver­se (MCU) eine zwei­te Mini­se­rie. Die ins­ge­samt sechs Epi­so­den (à ca. 60 Min.) bau­en auf der Hand­lung des Kino­block­bus­ters Aven­gers: End­ga­me (2019) auf, erzäh­len jedoch eine in sich mehr oder min­der geschlos­se­ne Geschich­te. Gelingt nun der Anschluss an den Erfolg der ers­ten Mini­se­rie Wan­da­Vi­si­on (2021) und für wel­che Zwe­cke nutzt Spell­man die immense Reich­wei­te des Mar­vel-Uni­ver­sums?

Die Prä­mis­se ist zunächst denk­bar sim­pel: der Anfüh­rer der Aven­gers, Ste­ve Rod­gers ali­as Cap­tain Ame­ri­ca, hat sei­nen Rund­schild an den Nagel gehängt. In sei­ner direk­ten Nach­fol­ge ste­hen die bei­den Prot­ago­nis­ten Bucky Bar­nes ali­as Win­ter Sol­dier und Sam Wil­son ali­as Fal­con. Aber kei­ner der bei­den möch­te die Per­so­na ihres gemein­sa­men Men­tors und Freun­des anneh­men. Wes­halb Sam ent­schei­det, den an ihn wei­ter­ge­reich­ten Schild mit den rot-wei­ßen Strei­fen und dem wei­ßen Stern auf blau­em Grund zur Auf­be­wah­rung der US-ame­ri­ka­ni­schen Regie­rung zu übergeben.

Aller­dings bekom­men es die Hel­den im wei­te­ren Ver­lauf der Serie gleich mit zwei Antagonist*innen zu tun, die das Ver­mächt­nis des Cap­ta­ins auf zwei­fel­haf­te Wei­se am Leben erhal­ten. Da ist zum einen die Anfüh­re­rin der zuneh­mend radi­ka­ler han­deln­den, anti-natio­na­len Anar­chis­ten­grup­pe der Flag Smas­hers, Kar­li Mor­genthau. Und zum ande­ren John Wal­ker, ein US-Sol­dat höchs­ten Ran­ges — blond und blau­äu­gig. Ihn ernennt die Regie­rung kur­zer­hand zum neu­en Cap­tain Ame­ri­ca. Mor­genthau und Wal­ker gelan­gen bei­de in den Besitz der Mix­tur, die bereits Ste­ve Rod­gers sei­ne über­mensch­li­chen Kräf­te ver­lie­hen und ihn zum „Super Sol­dier“ gemacht hatte. 

Kar­lis Bond-eske Ver­fol­gungs­jagd um die hal­be Welt bil­det die trei­ben­de Kraft der Haupt­hand­lung. Hier­bei erhält sowohl Kar­lis akti­vis­ti­sche Moti­va­ti­on als auch das Image des „All-Ame­ri­can“ Super­hel­den eine glo­ba­le Dimen­si­on. Die­se erzeugt ein zuneh­men­des Span­nungs­feld mit den Inter­es­sen der US-Regie­rung, was zu einer ein­drucks­vol­len Ent­la­dung in der letz­ten Epi­so­de führt.

Trotz ein paar klei­ner Schnit­zer in der Nach­be­ar­bei­tung, ist die Serie alles in allem ein visu­el­ler Genuss. Beson­ders gelun­gen ist die fik­tio­na­le Gangs­ter­me­tro­po­le Mad­ri­po­or insze­niert, Schau­platz der drit­ten Epi­so­de. Düs­te­re, qual­mi­ge Gas­sen tref­fen auf grel­les Neon­licht und beschwö­ren die Ästhe­tik frü­he­rer Sci-Fi Klas­si­ker wie Bla­de Run­ner (1982) oder der zeit­ge­nös­si­schen John Wick Film­rei­he (2014–2019). Eine span­nen­de Kampf­cho­reo­gra­phie unter­streicht den letz­te­ren Ein­druck und ist wohl der Zusam­men­ar­beit mit Derek Kol­stad zuzu­schrei­ben — sei­nes Zei­chens Dreh­buch­au­tor der John Wick Filme. 

 

Der Neben­hand­lung gebührt außer­dem ein beson­de­res Augen­merk. Sie besteht aus zwei Hand­lungs­strän­gen: der des Fal­cons Sam und der des Win­ter Sol­diers Bucky. Bei­de über­schnei­den sich gele­gent­lich the­ma­tisch – bei­spiels­wei­se im Fami­li­en­mo­tiv –, gehen aber ihren eige­nen Schwer­punk­ten nach. Bucky beschäf­tigt sich mit Schuld und auf ver­schie­de­ne Wei­se damit, sie zu beglei­chen. Die­ser Hand­lungs­strang setzt nicht nur etwas MCU-Hin­ter­grund­wis­sen vor­aus, er bringt dar­über hin­aus eini­ge doch recht obsku­re Neben­cha­rak­te­re zurück ins Spiel. Es ist schwer, sol­cher Art von Fan­ser­vice ihren Platz in einer Mar­vel Pro­duk­ti­on abzu­spre­chen. Jedoch drän­gen sich eini­ge die­ser Cha­rak­te­re zu häu­fig und teils takt­los in den Vor­der­grund, was sogar die Wir­kung der Seri­en­kli­max untergräbt. 

Sel­bi­ges gilt im Übri­gen auch für die Kampf­ein­la­gen. So per­fekt wie sie in eini­gen Fol­gen zum Gesamt­bild bei­tra­gen, so fehl am Platz wir­ken sie gegen Ende der Serie. Es scheint als wäre hier eine action­ori­en­tier­te Mar­vel-For­mel mit den Bedürf­nis­sen des Dreh­buchs kol­li­diert, erneut zum Leid­we­sen des Serienfinales.

Dage­gen stellt sich der Hand­lungs­strang um Sam Wil­son als das Herz­stück der gesam­ten Serie her­aus. Sam hat, anders als die meis­ten sei­ner Super­hel­den­kol­le­gen, kei­ne Super­kräf­te. Er muss also erheb­lich mehr Zeit in die Vor­be­rei­tung jedes ein­zel­nen Ein­sat­zes inves­tie­ren. Zusätz­lich ist er der ein­zi­ge dun­kel­häu­ti­ge Super­held, des­sen Gesicht nicht ver­deckt ist, wes­halb er sich umso mehr unter Druck setzt. Sam möch­te der Öffent­lich­keit ein mög­lichst posi­ti­ves Bild des afro-ame­ri­ka­ni­schen Super­hel­den ver­mit­teln, ein Bestre­ben, das ihn lan­ge Zeit von sei­ner Fami­lie getrennt hat. Jetzt will auch er – ähn­lich wie Bucky – Wie­der­gut­ma­chung leis­ten. Er möch­te sei­ner Schwes­ter hel­fen, das Erbe ihres Vaters, ein altes Boot, wie­der see­tüch­tig zu machen. Im Lau­fe die­ser Hand­lung wer­den sys­te­mi­sche, sowie sozia­le Unge­rech­tig­keit und der Umgang mit dem Erbe afro-ame­ri­ka­ni­scher Geschich­te behandelt. 

Beson­ders her­vor­zu­he­ben sind hier­bei Sams Besu­che bei Isai­ah Brad­ley, einem alten Mann, der sich als ers­ter „Super Sol­dier“ (noch vor Ste­ve Rod­gers) ent­puppt. Die US-Regie­rung hat­te Isai­ah und eine Grup­pe ande­rer afro-ame­ri­ka­ni­scher Sol­da­ten in den 50ern gegen ihren Wil­len mit Pro­to­ty­pen eines „Super Serums“ inji­ziert. Die gewon­ne­nen „Erkennt­nis­se“ soll­ten zur Ent­ste­hung von Cap­tain Ame­ri­ca die­nen. Isai­ah über­leb­te als Ein­zi­ger und wur­de unter wei­te­ren Expe­ri­men­ten und Fol­ter für 30 Jah­re heim­lich weg­ge­sperrt und sei­ner Iden­ti­tät beraubt. So adap­tiert Spell­man, selbst afro-ame­ri­ka­ni­scher Abstam­mung, auf gelun­ge­ne Art und Wei­se den Mar­vel Comic Truth: Red, White & Black (2003) von Robert Mora­les und  Kyle Bak­er. Jedoch besteht hier dar­über hin­aus ein offen­sicht­li­cher Bezug zu inzwi­schen öffent­lich gemach­ten Expe­ri­men­ten im Auf­trag der US-Regie­rung an Schwar­zen Sol­da­ten und Zivi­lis­ten — etwa Ver­su­che zur Aus­wir­kung von Senf­gas im Zwei­ten Welt­krieg. Spell­man eröff­net also auch einen Dis­kurs dar­über, was es heißt, als Schwar­zer Mann die Far­ben der USA zu tra­gen, ob auf dem Ärmel oder auf dem Schild.

Zieht man Resü­mee, so lei­det das Herz von The Fal­con and the Win­ter Sol­dier häu­fig am Kor­sett einer action­ori­en­tier­ten Gen­re­mi­schung. Die ein­zel­nen Tei­le grei­fen zwar oft genug inein­an­der, stol­pern schließ­lich aber doch etwas unbe­hol­fen über­ein­an­der. Das gibt nicht nur Abzü­ge in der sprich­wört­li­chen B‑Note, son­dern wird einer durch­aus sehens­wer­ten Geschich­te um den Fal­con Sam Wil­son nicht gerecht. Trotz­dem kommt man nicht umhin, Spell­mans Dreh­buch beson­ders dafür zu loben, dass es sei­ne Chan­ce wahr­ge­nom­men hat; eine gol­de­ne Gele­gen­heit, einen im öffent­li­chen Dis­kurs unter­be­leuch­te­ten Teil der US-Geschich­te in das schwer über­seh­ba­re Flut­licht der MCU-Schein­wer­fer und somit in den Main­stream zu rücken.