„Drei Generationen Männer und eine sehr junge Frau, die dagegen steht.“

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Ein Gespräch mit der Schriftstellerin Nora Bossong

von Anja Zeltner

„Die Acht­zi­ger sind da“ titel­te kürz­lich die ZEIT in einer Lite­ra­tur­bei­la­ge zur Frank­fur­ter Buch­mes­se und por­trai­tier­te dar­in in den Acht­zi­ger­jah­ren gebo­re­ne Autoren. Unter ihnen fand sich die Ber­li­ner Schrift­stel­le­rin Nora Bossong, die bereits vor ihrem neu erschie­ne­nen Roman Gesell­schaft mit beschränk­ter Haf­tung (Han­ser, Mün­chen 2012) viel Aner­ken­nung für ihre Pro­sa und Lyrik erhielt. Mit Schau ins Blau sprach sie im Inter­view über den Mythos des Unter­neh­mers, Macht und sozi­al­kri­ti­sche Aspek­te in ihrem Schreiben.

 

SCHAU INS BLAU: Inwie­weit set­zen Sie sich mit dem The­ma ‚Kult und Mythos‘ in Ihrem neu­en Roman Gesell­schaft mit beschränk­ter Haf­tung aus­ein­an­der und gibt es viel­leicht sogar eine Art Mythos des Unternehmensgründers?

NORA BOSSONG: In mei­nem Roman geht es tat­säch­lich um einen Unter­neh­mens­my­thos. Dass es eine Art Grün­dungs­my­thos gibt, ist bei­spiel­haft für Fami­li­en­un­ter­neh­men, die von Gene­ra­ti­on zu Gene­ra­ti­on wei­ter­ge­tra­gen wer­den. Das hat auch etwas Posi­ti­ves, weil dadurch etwas zusam­men­ge­hal­ten und auch ein Glau­be dar­an ver­mit­telt wird, dass es sich lohnt, wei­ter­zu­ma­chen. Aber es hat natür­lich eben­so etwas Belas­ten­des, die Last einer Geschich­te, unter der man zusam­men­sackt und von der man sich frei­ma­chen muss, um über­haupt hand­lungs­fä­hig zu wer­den in der Gegenwart.

SCHAU INS BLAU: Es ent­steht der Ein­druck, dass das Unter­neh­men in Ihrem neu­en Roman eine eige­ne Bio­gra­fie besitzt, eine eige­ne Per­sön­lich­keit ist und auch wie eine Per­son behan­delt wird. Der Roman heißt ja Gesell­schaft mit beschränk­ter Haf­tung: Inwie­weit nimmt da die Bio­gra­fie eines Unter­neh­mens eine Rol­le ein?

NORA BOSSONG: Die Bio­gra­fie des Unter­neh­mens spielt eine ganz zen­tra­le Rol­le, da sie die Bio­gra­fien aller ande­ren Figu­ren beein­flusst und auch beein­träch­tigt. In die­sem Sinn kann man es sogar als die Geschich­te eines Über­va­ters sehen. Damit mei­ne ich nicht nur Jus­tus Tiet­jen, den Grün­der der Fir­ma, son­dern das Unter­neh­men „Tiet­jen und Söh­ne“ selbst. Mit die­sem Erbe, dem alten Tiet­jen und sei­nen Söh­nen, muss es Lui­se Tiet­jen, eine jun­ge Frau, auf­neh­men, mit einer gan­zen Rei­he von Män­nern also, die vor ihr waren und die­ses Unter­neh­men mitt­ler­wei­le ins Abseits manö­vriert haben. Drei Gene­ra­tio­nen Män­ner und eine sehr jun­ge Frau, die dage­gen steht.

SCHAU INS BLAU: Es ist also auch ein Gen­der-Kon­flikt, der hier mit hineinspielt?

NORA BOSSONG: Mich inter­es­sier­te natür­lich auch, inwie­fern es Frau­en in wirt­schaft­li­chen Zusam­men­hän­gen und vor allem in Füh­rungs­po­si­tio­nen schwer haben. Bei Lui­se Tiet­jen kommt hin­zu, dass sie extrem jung ist, noch unter 30, was sie für man­che noch unter­le­ge­ner wir­ken lässt. Die­se „Unter­le­gen­heit“ hat aller­dings weni­ger mit ihrer Per­son zu tun, als viel­mehr mit dem Bild, das ande­re Leu­te von ihr haben. Sie hat es mit Situa­tio­nen zu tun, in denen sie die ein­zi­ge Frau ist, die ein­zi­ge Per­son unter 50, und sich da zu behaup­ten ist eine extrem schwe­re Auf­ga­be und etwas, was man nicht so leicht weg­ste­cken kann, den­ke ich.

SCHAU INS BLAU: Der Umstand, dass sich eine weib­li­che Figur in einer männ­lich domi­nier­ten Welt behaup­ten muss, ist ein wie­der­keh­ren­des Motiv in Ihren Tex­ten, auch in Ihrem ers­ten Roman Gegend von 2006. Was inter­es­siert Sie an die­ser Grund­kon­stel­la­ti­on, wie kommt es dazu?

NORA BOSSONG: Die Figu­ren sind in den Roma­nen meist einer bedroh­li­chen Situa­ti­on aus­ge­setzt und müs­sen dar­um kämp­fen, sich in die­ser zu behaup­ten. Bei Webers Pro­to­koll und bei dem jet­zi­gen Roman Gesell­schaft mit beschränk­ter Haf­tung wür­de ich sagen, dass sich immer eine Figur gegen eine ande­re, die ihr vom Alter, vom Sta­tus usw. über­le­gen ist, behaup­ten muss, das heißt, dass ver­sucht wird, eine star­ke Macht­dis­kre­panz auszubalancieren.

SCHAU INS BLAU: Also ist Macht ein sehr zen­tra­les Motiv?

NORA BOSSONG: Macht ist für mich immer wie­der ein zen­tra­les Motiv. Ich fra­ge mich in mei­nen Roma­nen, was mit Men­schen geschieht, wenn sie in Macht­po­si­tio­nen kom­men, fra­ge mich, wie es sie ver­än­dert. Wie ver­hal­ten sich Men­schen, die über­haupt kei­ne Macht haben wol­len, die aber durch die Umstän­de in Macht­po­si­tio­nen kom­men, also Macht wider Wil­len besit­zen? Das fin­de ich hoch­span­nend. Wir glau­ben ja oft, ein­fluss­rei­che Men­schen sei­en durch unbe­ding­ten Wil­len in ihre Posi­ti­on gekom­men. Es gibt aber Kon­stel­la­tio­nen, in denen Leu­te sich unge­wollt in einer Situa­ti­on befin­den, in der sie Ver­ant­wor­tung für Leu­te tra­gen und Ent­schei­dun­gen tref­fen müs­sen, die weit über per­sön­li­che Ent­schei­dun­gen hin­aus­ge­hen. Sie bestim­men in hohem Maße das Leben ande­rer Men­schen mit, obwohl sie sich in die­ser Ent­schei­dungs­si­tua­ti­on über­haupt nicht wohl füh­len. Und das fas­zi­niert mich unglaub­lich, die unge­woll­te Macht und wie jemand dar­aus zu ent­kom­men versucht.

SCHAU INS BLAU: Auf dem Erlan­ger Poe­ten­fest hat der Mode­ra­tor Ihren Roman als „Kauf­manns­ro­man“ bezeich­net. Wür­den Sie dem zustimmen?

NORA BOSSONG: Es ist ein Unter­neh­mens­ro­man, das wäre die Zuschrei­bung, die ich die­sem Text geben wür­de. Zu sagen, dass Lui­se und Kurt Tiet­jen die ein­zi­gen bei­den Prot­ago­nis­ten sind, das greift zu kurz. Es ist eine Geschich­te dar­über, wie Unter­neh­mens­kul­tur durch ver­schie­de­ne Jahr­zehn­te hin­durch statt­fin­det. Dabei gibt es einen star­ken Blick auf die Gegen­wart, in der wir zwei unter­schied­li­che Unter­neh­mens­kul­tu­ren haben: Die von Kurt Tiet­jen, dem Vater, und die von Lui­se Tiet­jen. Das heißt, dass auch der wirt­schaft­li­che Aspekt mit hin­ein­spielt, die Fra­ge, wie das wirt­schaft­li­che Den­ken die Men­schen ver­än­dert. Wel­che wirt­schaft­li­chen Moral­vor­stel­lun­gen haben die Men­schen, mit wel­chen Her­aus­for­de­run­gen sind sie kon­fron­tiert? Das sind alles Din­ge, die in dem Roman eine Rol­le spie­len, von daher den­ke ich, dass tat­säch­lich am ehes­ten „Unter­neh­mens­ro­man“ als Ober­be­griff grei­fen würde.

SCHAU INS BLAU: Ist der sozi­al­kri­ti­sche Aspekt in dem Roman beim Schrei­ben dazu­ge­kom­men oder war er von Anfang an so angelegt?

NORA BOSSONG: Ich hat­te kürz­lich eine Dis­kus­si­on nach einer Lesung, da ging es unter ande­rem dar­um, dass im Drit­ten Reich alle weg­ge­schaut haben und das Publi­kum nick­te zu die­ser Fest­stel­lung ganz andäch­tig. Ich den­ke aller­dings, dass wir auch heu­te noch ziem­lich gut dar­in sind weg­zu­schau­en. Es pas­siert so viel, was nicht in Ord­nung ist und vie­les davon kön­nen wir wis­sen, die Infor­ma­ti­ons­mög­lich­kei­ten sind ja immens groß. Es ist erstaun­lich, wie gut der Mensch dar­in ist, sehr viel auszublenden.

SCHAU INS BLAU: Und des­halb haben Sie auch das Wirt­schafts- und Rechts­stu­di­um an Ihre Roman­re­cher­che ange­schlos­sen, weil man mit die­sem Wis­sen noch mal anders agie­ren kann? Ein Buch macht auch etwas mit der Gesell­schaft, aber stu­die­ren Sie das, um kon­kret Ahnung von den Struk­tu­ren zu bekommen?

NORA BOSSONG: Stu­di­um ist zu viel gesagt, ich habe mich ja nicht noch mal an der Uni ein­ge­schrie­ben, aber ich habe mich für die­sen Roman natür­lich auch mit Wirt­schafts­theo­rie beschäf­tigt, habe ein biss­chen VWL nach­ge­holt, auch BWL. Das sind Gebie­te, die in den Geis­tes­wis­sen­schaf­ten ver­nach­läs­sigt wer­den. Es wird immer von den Wirt­schafts­wis­sen­schaft­lern gefor­dert, sie soll­ten mehr Kant und mehr Hegel lesen und ihr Stu­di­um stär­ker geis­tes­wis­sen­schaft­lich fun­die­ren. Ich fin­de aber, umge­kehrt fehlt bei den Geis­tes­wis­sen­schaf­ten auch eini­ges. Wir leben in einer Gesell­schaft, die so stark von wirt­schaft­li­chen Pro­zes­sen gesteu­ert ist, dass es unse­ren Blick schär­fen wür­de, wenn wir uns wenigs­tens ein biss­chen dafür interessierten.

SCHAU INS BLAU: Die­se Inter­ak­ti­on scheint Ihnen sehr wich­tig zu sein. Sie betrei­ben auch eine Art „method wri­ting“ statt „method acting“, also schrei­ben sich in eine völ­lig ande­re Lebens­welt hinein.

NORA BOSSONG: Ich tau­che tat­säch­lich sehr tief in die Lebens­welt mei­ner Prot­ago­nis­ten ein. Das hat manch­mal so absur­de Aus­wüch­se wie bei mei­nem Diplo­ma­ten­ro­man Webers Pro­to­koll, bei dem ich begann, ver­klau­su­lier­te E‑Mails im Diplo­ma­ten­jar­gon an Freun­de zu schrei­ben, was mir erst spä­ter auf­ge­fal­len ist. Ein Wun­der, dass die mir nicht die Freund­schaft gekün­digt haben. Ich brau­che nach dem Abschluss eines Romans immer ein paar Wochen, bis ich mich von mei­nen Prot­ago­nis­ten erholt habe. Ich ver­su­che mich ja wäh­rend der Schreib­ar­beit auf deren Lebens­wirk­lich­keit ein­zu­las­sen und aus der Situa­ti­on die­ser Men­schen her­aus bestimm­te Kon­flik­te und Fra­ge­stel­lun­gen nach­zu­voll­zie­hen, die sich für mich als Nora Bossong anders dar­stel­len. Die­ser Blick von zwei Sei­ten ist mir wich­tig. Ich fin­de es schwie­rig, wenn wir ein Welt­bild auf­ma­chen, in dem auf der einen Sei­te die Bösen ste­hen — eine Rol­le, die der­zeit gern Ban­kern oder Unter­neh­mern zuge­schrie­ben wird — und auf der ande­ren Sei­te wir. Das greift viel zu kurz. Sicher­lich gibt es bestimm­te Skan­da­le in der Wirt­schafts­welt, bei denen man ein­deu­tig sagen kann, dass das nicht geht, aber meis­tens ist es diffiziler.

SCHAU INS BLAU: Viel­leicht noch eine letz­te Fra­ge, auch auf das „method wri­ting“ abzie­lend: Ist die Lyrik für Sie dann tra­di­tio­nel­ler­wei­se die Art, wie­der in Ihre eige­ne Per­son zurück­zu­fin­den und die­se Rol­len abzu­le­gen oder ist das noch mal etwas Ande­res. Wie inter­agiert die Lyrik mit Ihren Romanen?

NORA BOSSONG: Bei der Lyrik habe ich häu­fig Tex­te, in denen ich mich mit ver­schie­de­nen Moti­ven, Mythen, his­to­ri­schen Ereig­nis­sen beschäf­ti­ge. Ich gehe da auch mit einer Art Such­be­we­gung vor. Lyrik ist für mich eine ande­re Art mit Spra­che umzu­ge­hen, mit Moti­ven, mit Meta­phern und Kon­struk­ti­ons­mög­lich­kei­ten. Inwie­fern die bei­den For­men inter­agie­ren, kann ich selbst wirk­lich schwer beur­tei­len. Sie ste­hen sich zumin­dest nicht im Wege. Wenn es mit einem Text nicht klappt, und ich den­noch sicher bin: die­ses The­ma inter­es­siert mich und ich möch­te unbe­dingt dazu arbei­ten, wechs­le ich die Form und manch­mal geht es plötz­lich rei­bungs­los auf. Dann mer­ke ich, dass ich die gan­ze Zeit ver­sucht habe, aus einem The­ma ein Gedicht zu machen, was aber für die Pro­sa geeig­ne­ter war oder umge­kehrt. Das heißt: Es ergänzt sich gut.

SCHAU INS BLAU: Vie­len Dank für das Interview.

 

Nora Bossong, gebo­ren 1982 in Bre­men, stu­dier­te am Deut­schen Lite­ra­tur­in­sti­tut in Leip­zig und Phi­lo­so­phie und Kom­pa­ra­tis­tik an der Hum­boldt Uni­ver­si­tät in Ber­lin. Gesell­schaft mit beschränk­ter Haf­tung (2012) ist nach Gegend (2007) und Webers Pro­to­koll (2009) ihr drit­ter Roman. Auch als Lyri­ke­rin ist sie tätig: Ihr Gedicht­band Som­mer vor den Mau­ern (2011) wur­de 2012 mit dem Peter Huchel-Preis ausgezeichnet.