Erfolgreich Aussteigen. Aber wie?

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© Para­mount Vantage

Was Tracks (2013) besser macht als Into the Wild (2007)

von Ste­ven Gabber

In Bücher­re­ga­len oder auf Kino­lein­wän­den, auf Insta­gram-Pro­fi­len oder auf Net­flix, im wirk­li­chen Leben oder als lite­ra­ri­sche Figur: Schon seit Dio­ge­nes genießt der Aus­stei­ger enor­me Popu­la­ri­tät. Rich­tig gehört: Aus­stei­ger. Zu gen­dern, wäre Heu­che­lei. Betrach­tet man das Phä­no­men des Aus­stiegs in sei­ner his­to­ri­schen Per­spek­ti­ve, kann man nicht leug­nen, dass es sich zumeist um ein rein männ­li­ches Phä­no­men han­delt. Über Franz von Assi­si zu Hen­ry David Tho­reau; von Shake­speares Corio­la­nus zu August Engel­hardt, Haupt­fi­gur in Krachts Impe­ri­um. Doch was haben die­se pro­to­ty­pi­schen Aus­steig­er­fi­gu­ren, sei­en sie real­his­to­risch beglau­bigt oder lite­ra­risch ver­ar­bei­tet, gemein­sam (abge­se­hen davon, dass es sich um pri­vi­le­gier­te, wei­ße Män­ner handelt)?

Um es auf einen gemein­sa­men Nen­ner zu brin­gen: Sie ver­las­sen durch ihren wil­lent­li­chen Aus­stieg einen sozia­len Sys­tem­zu­sam­men­hang, sei es die eige­ne Fami­lie, die eige­ne Rechts- oder Wirt­schafts­ord­nung oder eine poli­ti­sche Sphä­re. Das kann sowohl äußer­lich gesche­hen, etwa durch den Wech­sel des eige­nen Lebens­raums, als auch inner­lich, indem man sich bei­spiels­wei­se von vor­herr­schen­den Denk- und Glau­bens­sät­zen absetzt. Fakt ist: Aus­stei­gen­de wei­chen bewusst von einer wie auch immer gear­te­ten ‚Norm‘ ab.

Die Fas­zi­na­ti­on des Aus­stiegs speist sich wohl ins­be­son­de­re aus mensch­li­cher Neu­gier und Sehn­sucht nach alter­na­ti­ven Lebens­for­men und ‑per­spek­ti­ven. In der Gegen­wart mehr als je zuvor, schließ­lich sind gesell­schaft­li­che Sys­tem­zwän­ge in einer kapi­ta­lis­ti­schen, glo­ba­li­sier­ten, kon­for­mis­ti­schen Mas­sen­kul­tur des 21. Jahr­hun­derts nicht weni­ger gewor­den. Dass der Traum des Aus­stei­gens iro­ni­scher­wei­se nicht sel­ten aus­ge­rech­net durch Mas­sen­me­di­en an sein Ziel­pu­bli­kum gelangt, scheint dabei nur Weni­ge zu stö­ren. Schon längst hat etwa die Film­in­dus­trie ver­schie­dens­te Aus­stei­ger­gen­res ins Leben geru­fen, zum Bei­spiel Road- und Biker­mo­vies wie Easy Rider (1969) und Two-Lane Black­top (1971), oder Hip­pie-Explo­ita­ti­on-Fil­me, etwa The Big Cube (1969) aus dem (übel mora­li­sie­ren­den) Hau­se Hollywood.

Und was wäre die Film­in­dus­trie ohne die Aben­teu­er­fil­me – ein popu­lä­res Gen­re, des­sen Wur­zeln in klas­si­schen Bil­dungs­ro­ma­nen lie­gen, und das sich her­vor­ra­gend an ein Mas­sen­pu­bli­kum ver­mark­ten lässt. Das Sche­ma ist denk­bar ein­fach: Ein meist ado­les­zen­ter, männ­li­cher Held löst sich aus sei­nen Fami­li­en­ban­den und reift an den Her­aus­for­de­run­gen der gro­ßen, wei­ten Welt, um schließ­lich sei­nen Platz dar­in zu finden.

Bli­cken wir zum Bei­spiel auf das aben­teu­er­li­che Hol­ly­wood-Aus­stei­ger­n­ar­ra­tiv Into the Wild (2007). Ein bio­gra­phi­scher Film, der die mitt­ler­wei­le zum Kult avan­cier­te Lebens­ge­schich­te von Chris­to­pher John­son McCand­less ali­as Alex­an­der Super­tramp (12.02.1968 — 18.08.1992) ver­ar­bei­tet. Wie die gleich­na­mi­ge, his­to­ri­sche Per­son ist die Haupt­fi­gur Sohn einer wohl­ha­ben­den, ame­ri­ka­ni­schen Fami­lie, die ihm zunächst ein gesi­cher­tes Umfeld und eine aus­ge­zeich­ne­te Bil­dung ver­schafft. Doch Chris ver­wei­gert den Mate­ria­lis­mus und die emo­tio­na­le Käl­te sei­ner Eltern, bricht daher nach sei­nem Col­lege-Abschluss den Kon­takt ab und trampt als Mini­ma­list durch den Wes­ten der USA. Schließ­lich gelangt er auf den ver­meint­li­chen Spu­ren sei­nes Vor­bilds Jack Lon­don nach Alas­ka, wo Chris für eini­ge Zeit in völ­li­ger Iso­la­ti­on lebt, ehe er dort tra­gisch verhungert.

Es dau­ert nicht lan­ge und Chris‘ Bio­gra­phie wird durch Jon Kra­kau­er so erfolg­reich lite­ra­risch ver­ar­bei­tet, dass der Regis­seur Sean Penn sehr bald sein Inter­es­se an einer Ver­fil­mung bekun­det, durch die der „Mythos Chris“ schließ­lich an ein Mas­sen­pu­bli­kum gelangt. Es ist bereits vier­zehn Jah­re her, dass der Film in die Kinos kam. Seit­dem hat sich nicht nur die Pop­kul­tur, son­dern auch die Film­wis­sen­schaft aus­führ­lich mit dem Werk beschäf­tigt. Trotz aller Eupho­rie gibt es neben Lob auch Kri­tik, die sich ins­be­son­de­re aus der Tat­sa­che speist, dass wir es im Fal­le von Into the Wild mit einem sehr kon­ser­va­ti­ven Aus­stei­ger­n­ar­ra­tiv zu tun haben. Und das liegt nicht nur dar­an, dass schon wie­der eine männ­li­che Aus­steig­er­fi­gur (gespielt von Emi­le Hirsch) im Vor­der­grund steht. Zwar wer­de der Film den Anfor­de­run­gen an eine kom­mer­zi­ell erfolg­rei­che Para­mount Van­ta­ge-Pro­duk­ti­on gerecht, jedoch feh­le es ihm hin­sicht­lich sei­nes ein­di­men­sio­na­len Kunst‑, Welt- und Men­schen­bil­des an Tie­fe, so die Kri­ti­ker. Und damit haben sie nicht ganz unrecht. Wie ver­staubt die Film­äs­the­tik in vie­len Aspek­ten daher­kommt, wird ins­be­son­de­re dann deut­lich, wenn man einen Ver­gleich zu einem Aus­steig­er­film zieht, der sich deut­lich von den eta­blier­ten Gen­re­t­ra­di­tio­nen absetzt.

Die Rede ist von der nur weni­ge Jah­re spä­ter ver­öf­fent­lich­ten, unab­hän­gi­gen aus­tra­li­schen Film­pro­duk­ti­on Tracks (2013) unter der Regie von John Cur­ran. Die Erzäh­lung ori­en­tiert sich eben­falls an bio­gra­phi­schen Eck­punk­ten einer his­to­ri­schen Vor­la­ge. Dies­mal gilt das Inter­es­se der Fil­me­ma­cher jedoch kei­ner männ­li­chen Figur, son­dern der aus­tra­li­schen Aben­teu­re­rin und Schrift­stel­le­rin Robyn David­son (*1950), die als jun­ge Frau zusam­men mit vier Kame­len und ihrem Hund eine neun­mo­na­ti­ge Wan­de­rung quer durch die aus­tra­li­sche Wüs­te unter­nimmt. Anders als McCand­less nimmt ihre Rei­se kei­nen tra­gi­schen Ver­lauf. Statt­des­sen erreicht David­son nach etwa 2700 Kilo­me­tern durch das unwirt­li­che Lan­des­in­ne­re Aus­tra­li­ens ihr Ziel: Den Indi­schen Oze­an. Ihre Rei­se wur­de 1977 als Repor­ta­ge im Natio­nal Geo­gra­phic Maga­zi­ne ver­öf­fent­licht, doch erst Jahr­zehn­te spä­ter ver­filmt. Es ist an sich schon erstaun­lich, dass es die Geschich­te einer weib­li­chen Aus­stei­ge­rin im mas­ku­li­nen Aus­stei­ger-Main­stream über­haupt auf die Kino­lein­wän­de geschafft hat, auch wenn es rund fünf­und­drei­ßig Jah­re dau­ern muss­te, bis jemand die Bio­gra­phie David­sons fil­misch umset­zen soll­te. Zum Ver­gleich: Nur vier Jah­re nach dem Tod von Chris McCand­less erscheint bereits Jon Kra­kau­ers Repor­ta­ge als abso­lu­ter Best­sel­ler und noch im sel­ben Jahr bekun­det Penn sein Inter­es­se an einer Verfilmung.

Doch eine weib­li­che Prot­ago­nis­tin (gespielt von Mia Was­i­kows­ka) ins Zen­trum des Gesche­hens zu stel­len, ist noch lan­ge kein Garant für eine pro­gres­si­ve Film­äs­the­tik. Daher ein Blick auf die Aspek­te, durch die sich Tracks beson­ders deut­lich von sei­nen Vor­gän­gern absetzt. Da wäre zunächst die Fra­ge, wie ein Film sei­ne eige­ne Räum­lich­keit dar­stel­len kann und soll. Im Fokus ste­hen in bei­den Fil­men offen­sicht­lich Natur-Räu­me, in denen sich die Prot­ago­nis­ten bewe­gen, denn die­se kann man mit ver­schie­de­nen Stra­te­gien darstellen.

Man kann im Fal­le von Into the Wild nicht dar­über hin­weg­se­hen, dass der Film sich ideo­lo­gisch irgend­wo gegen Ende des 19. Jahr­hun­derts befin­det. Er strotzt regel­recht vor kolo­nia­ler Wild­west-Ideo­lo­gie, wenn er etwa Alas­ka als ‚unbe­rühr­te‘ Land­schaft prä­sen­tiert, die McCand­less im Geis­te eines Pio­niers zu erobern und bezwin­gen ver­sucht. Die Natur ist und bleibt die Spiel­wie­se des tap­fe­ren Hel­den – ist Objekt eines wei­ßen, männ­li­chen Sub­jekts. In ver­staub­ter Wild­west­ma­nier wird das ‚wil­de‘, ‚unge­zähm­te‘ Alas­ka als Gegen­raum zur mensch­li­chen Sphä­re kon­stru­iert und sti­li­siert. Eine sol­che Stra­te­gie der Natur­dar­stel­lung ist kaum fort­schritt­li­cher ist als das, was wir in alten Karl May-Roma­nen fin­den. Aus­ge­rech­net Wild­nis? Die­ses ideo­lo­gie­träch­ti­ge Kon­zept, das sich unhin­ter­fragt mit­ten im Titel ein­ge­nis­tet hat, möch­te uns Alas­ka als unbe­sie­delt und unzi­vi­li­siert ver­kau­fen. Dass Alas­ka jedoch alles ande­re als ein men­schen­lee­rer Raum ist, beweist ein Blick auf die Sied­lungs­ge­schich­te vor der Ankunft euro­päi­scher Migran­ten. Nati­ve Ame­ri­cans besie­del­ten die­se Regi­on schließ­lich schon seit Jahr­tau­sen­den, doch wird ihre kul­tur­ge­schicht­li­che Rol­le bis in die Gegen­wart häu­fig mar­gi­na­li­siert. Und Into the Wild macht kei­ner­lei Anstal­ten, sich von die­ser Tra­di­ti­on zu lösen.

Anders jedoch Tracks, ein Film, der sich von genau die­sen Kli­schees bewusst absetzt und die aus­tra­li­sche Land­schaft unter völ­lig ande­ren Vor­zei­chen dar­stellt. Man könn­te von einem ästhe­ti­schen Para­dig­ma des soge­nann­ten eco­cri­ti­cism spre­chen, der die Natur als ein kom­ple­xes Öko­sys­tem begreift, anstatt ihr kolo­nia­le Kor­set­te zu ver­pas­sen. Die Vor­stel­lung, dass man es mit einem unbe­völ­ker­ten Raum zu tun haben könn­te, ver­mei­det der Film expli­zit. In Tracks steht die indi­ge­ne Bevöl­ke­rung nicht nur im Zen­trum der Hand­lung, ihr Wis­sen im Umgang mit dem aus­tra­li­schen Lebens­raum setzt der Film als Schlüs­sel zum Erfolg der Prot­ago­nis­tin in Sze­ne. Einen Teil der Rei­se bestrei­tet sie in Beglei­tung von Mr. Eddy (gespielt von Rol­ley Min­tu­ma), Mit­glied der Mutitjulu-Aborigines.

Robyn David­son (Mia Was­i­kows­ka) und Mr. Eddy (Rol­ley Min­tu­ma) © The Wein­stein Company

David­son ist kei­ne Erobe­rin, son­dern zu Gast in einem frem­den Lebens­raum. Es zeugt von Respekt vor der indi­ge­nen Bevöl­ke­rung, dass der Film die wei­ße Prot­ago­nis­tin in abso­lu­ter Abhän­gig­keit zum Wis­sen und Wil­len der Ein­ge­bo­re­nen dar­stellt. Ohne die gerings­te Spur kolo­nia­ler Hybris legt der Film viel Wert dar­auf, der Geschich­te dadurch eine Hal­tung von Demut und Respekt vor einem emp­find­li­chen Lebens­raum zu verleihen.

Sicher – die Fil­me­ma­cher kön­nen wohl kaum beein­flus­sen, wel­ches Ver­hält­nis die real­his­to­ri­schen Per­so­nen zur Natur oder zur indi­ge­nen Bevöl­ke­rung pfleg­ten. Nie­mand behaup­tet etwa, dass Into the Wild durch eine fik­ti­ve Begeg­nung zwi­schen McCand­less und einem alas­ki­schen Nati­ve Ame­ri­can zu einem bes­se­ren Film wer­den wür­de. Doch ist es eben­so frag­wür­dig, ästhe­ti­sche Para­dig­men aus längst ver­gan­ge­nen, kolo­nia­len Tagen unhin­ter­fragt zu wie­der­ho­len. Kon­kret gesagt: Into the Wild hät­te eben­so auf zahl­rei­che (fik­ti­ve!) Sequen­zen ver­zich­ten kön­nen, in denen der Film Chris ein­deu­tig im Geis­te eines Pio­niers sti­li­siert. So etwa, als er an einer Stel­le sei­ne rote Müt­ze als Weg­mar­kie­rung auf einem Ast befes­tigt, auf sym­bo­li­scher Ebe­ne also einen mensch­li­chen Fuß­ab­druck in eine qua­si-unbe­rühr­te Natur setzt – in der­sel­ben Manier, in der man eine Flag­ge in den Boden rammt oder mit einem Gip­fel­kreuz sym­bo­lisch einen Berg bezwingt. An ande­rer Stel­le erin­nert eine Rücken­an­sicht sofort an stark roman­ti­sier­te Natur­dar­stel­lun­gen Cas­par David Fried­richs. Ob Zufall oder nicht – in bei­den Fäl­len wird einer ver­klär­ten Natur ein mensch­ge­mach­tes Kor­sett über­ge­stülpt, die­se somit ver­frem­det und verfälscht.

Chris als Pio­nier © Para­mount Vantage

Man kann sich durch­rin­gen und behaup­ten, dass der Ver­such, die eige­ne Film­äs­the­tik an das Welt- und Men­schen­bild der Haupt­fi­gur anzu­glei­chen, ein wir­kungs­vol­les Stil­mit­tel ist. Nur was, wenn der Denk­ho­ri­zont der Figur sei­ne nai­ven oder pro­ble­ma­ti­schen Sei­ten hat? Es gäbe einen Weg aus der Bre­douil­le, den Into the Wild aber nicht ein­schlägt. Das Zau­ber­wort heißt Distanz. Distanz zum eige­nen Inhalt, Distanz zur eige­nen Form. In der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft nennt man Kunst­wer­ke, die die­se Distanz zu sich selbst beab­sich­ti­gen und ihr eine Funk­ti­on geben, selbst­re­fle­xiv. Gera­de für die McCand­less-Geschich­te wür­de es sich eigent­lich anbie­ten, die Kon­stru­iert­heit des Films in den Vor­der­grund zu stel­len, bedient er sich doch bei einer Viel­zahl an unter­schied­li­chen Quel­len. Doch anstatt die­se zur Rela­ti­vie­rung des eige­nen Anspruchs auf Wahr­heit zu benut­zen, möch­te Into the Wild auf das Gegen­teil hin­aus. Tage­buch­ein­trä­ge, geo­gra­phi­sche Sta­tio­nen, lite­ra­ri­sche Vor­bil­der – sie die­nen viel­mehr als Beglau­bi­gung dafür, dass der Film mit Chris‘ Bio­gra­phie ‚wahr­heits­ge­mäß‘ umgeht, was auch immer das bedeu­tet. Dabei scheint es den Fil­me­ma­chern viel wich­ti­ger zu sein, den Mythos McCand­less mög­lichst kohä­rent zu hal­ten, anstatt etwa den Umstand zu beleuch­ten, dass vie­le der benutz­ten Quel­len poten­zi­ell unzu­ver­läs­sig oder spe­ku­la­tiv sind.

Anders Tracks, der die­se selbst­re­fle­xi­ve Dimen­si­on zwei­fels­oh­ne besitzt und vir­tu­os umsetzt. Sprich: Der Film ist sich über wei­te Stre­cken sei­ner eige­nen Kon­stru­iert­heit bewusst und the­ma­ti­siert aus­gie­big die Media­li­tät der Mate­ria­li­en, mit denen er arbei­tet. Was wir über Robyn David­son wis­sen, stammt aus mit­tel­ba­ren Quel­len – pri­mär eine Natio­nal Geo­gra­phic Repor­ta­ge und per­sön­li­che Auf­zeich­nun­gen der Autorin, die ihre Geschich­te 1982 als Auto­bio­gra­phie ver­öf­fent­licht. In ande­ren Wor­ten: The Medi­um is the Mes­sa­ge. Die Quel­le zeigt nur eine Refle­xi­on der Wirk­lich­keit. Tracks hält uns die­sen Fakt in Gestalt der wich­tigs­ten Neben­rol­le vor Augen – der des Kame­ra­manns Rick Smo­lan (gespielt von Adam Dri­ver). Sei­ne Lin­se fil­tert Infor­ma­tio­nen und berei­tet sie für die Außen­welt als pro­fi­ta­ble Repor­ta­ge auf. „What about honest jour­na­lism?“, fragt David­son, die sich wei­gert für Ricks Fotos zu lächeln und stellt damit die Authen­ti­zi­tät der Bil­der in Frage.

Robyn im Spie­gel Ricks © The Wein­stein Company

Abs­trakt gesagt: (Massen-)Medien über­brin­gen ihre Infor­ma­tio­nen in einem kapi­ta­lis­ti­schen Ver­mark­tungs- und Publi­ka­ti­ons­pro­zess an die Leser*innen oder Zuschauer*innen. Die for­ma­len Grund­be­din­gun­gen des Medi­ums über­schat­ten die Authen­ti­zi­tät der Inhal­te. Es über­rascht kaum, dass uns gera­de Tracks als unab­hän­gi­ge, nicht pro­fit­ori­en­tier­te Pro­duk­ti­on die­sen Umstand vor Augen hält – nicht aber der hyper­kom­mer­zi­el­le Hol­ly­wood­strei­fen aus der Feder Penns. Into the Wild möch­te kein medi­en­kri­ti­sches State­ment set­zen und dabei ris­kie­ren, sein eige­nes Nest namens „Film­in­dus­trie“ zu beschmutzen.

Schlie­ßen wir das Pan­ora­ma ab und zie­hen ein Fazit. Es ist wahr, Aus­stie­ge in Natur­räu­me sind gera­de im Film schwie­rig umzu­set­zen. Zu leicht folgt man als Regisseur*in platt­ge­tre­te­nen Pfa­den der Vorgänger*innen und ver­strickt sich ger­ne an genau den­sel­ben Pro­blem­stel­len. Into the Wild möch­te sei­nen Zuschauer*innen Alas­ka als eine Wild­nis im Sin­ne einer unge­zähm­ten Land­schaft ver­kau­fen, die sein qua­si-kolo­nia­ler Held als Pio­nier zu bezwin­gen hat. Dem­ge­gen­über berück­sich­tigt Tracks den Umstand, dass die­se popu­lä­re Vor­stel­lung ein pro­ble­ma­ti­sches, mensch­li­ches Kon­strukt ist. Robyns Aus­stei­ger­ge­schich­te wird viel­mehr als eine ein­ver­nehm­li­che Begeg­nung mit einem Öko­sys­tem insze­niert, das nicht etwa bezwun­gen wer­den muss – Aus­tra­li­en ist statt­des­sen ein geschichts­träch­ti­ger Lebens­raum, dem man ins­be­son­de­re als Außen­ste­hen­der respekt­voll begeg­nen soll­te. Dass die­ses Öko­sys­tem den­noch Gefahr läuft, sen­sa­tio­na­li­siert oder sti­li­siert – sprich ver­zerrt dar­ge­stellt zu wer­den – hält uns der Film ins­be­son­de­re dann vor Augen, wenn Tracks sei­ne eige­ne media­le Mit­tel­bar­keit in den Vor­der­grund rückt.

Aus dem Aus­stei­ger-Main­stream ästhe­tisch aus­zu­stei­gen, ist leich­ter gesagt als getan und kommt oft­mals mit dem Preis einer schlech­te­ren Ver­markt­bar­keit, wie Tracks beweist. Dass es aber hin und wie­der not­wen­dig ist, gera­de in Mas­sen­me­di­en alte Pro­duk­ti­ons- und Wahr­neh­mungs­mus­ter auf­zu­bre­chen, steht außer Fra­ge. Tracks, so kann man sagen, ist die­ser Sprung von einem kolo­nia­len, patri­ar­cha­len Para­dig­ma hin­ein in ein eman­zi­pier­te­res 21. Jahr­hun­dert gelungen.