Letzte Hilfe

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© Johan­nes Kormann

von Johannes Kormann

 

Das ster­ben­de Fleisch erbricht sich,

stran­gu­liert würgt es Liter um Liter

an Lebens­saft aus ihrem Stumpf hervor.

 

Ihre Fin­ger­nä­gel schaf­fen neue Kan­ten in sei­nem Rücken.

Fels­sprün­ge, an die sie sich noch klam­mern kann,

bevor sie fal­len muss.

 

Sei­ne kleb­ri­gen Hän­de tas­ten weiter

auf der von Eis­kris­tal­len durch­setz­ten Haut.

Suchen Halt an ihrem Gesicht.

 

Aus den gesprun­ge­nen Lip­pen flie­ßen undeut­lich Silben.

Wer­den von Atemstößen

abge­hackt,

stür­zen,

zer­schel­len am Boden.

 

Die Augen weit auf­ge­ris­sen, blind.

Wie im Schlaf durchgeschnitten.

Die Pupil­len sind Buntglasfenster.

War­ten dar­auf von der See­le durch­bro­chen zu werden.

 

Als die Kan­ten ausreißen,

zie­hen sei­ne Arme

ihren schmel­zen­den Salzberg

näher.

 

Er will ihr Nähe schen­ken und die Lebenskraft

zurück­ge­ben,

in der er kniet,

die der Stoff sei­ner Hose gie­rig aufsaugt.

 

Ihr Mund hängt an sei­nem Ohr,

wäh­rend er vor­sich­tig ihren Ober­kör­per umschlingt.

Eine Schlan­ge, die ihr Opfer nicht töten,

das Rück­grat nicht wie einen Zweig bre­chen will.

 

Zer­brö­ckeln­de Lip­pen hau­chen einen toten Kuss

auf sei­nen Hals.

Ihre Sät­ze sind Chi­mä­ren von Verzweiflung

und Hoff­nung.

Ein zäh­feuch­tes Keu­chen aus Reue und Liebe.

 

Als ihr Nacken den Halt verliert,

weg­bricht,

stirbt auch sei­ne Selbsttäuschung.

Die Rest­wär­me ihres Lebensfunkens

ver­duns­tet in der Luft.

 

Zurück lässt sie ihn mit Leich­nam und Bekenntnis.

Geliebt bis bei­des blut­leer war.

Nur lee­re Wor­te für ihn.

 

Nicht ihm.

Einem Toten gal­ten die Gedan­ken der Sterbenden.

Hat­ten sei­ner Projektion

das Herz in der Brust zermalmt.

Johan­nes Kor­mann, gebo­ren 1997 in Lai­me­ring, ist schon sein Leben lang von Geschich­ten und ihrer Macht begeis­tert. Ab 2013 begann der Stu­dent der Ver­glei­chen­den Lite­ra­tur­wis­sen­schaft sei­ne Ideen in Skript­form fest­zu­hal­ten – eini­ge der dar­aus ent­stan­de­nen Wer­ke ver­öf­fent­licht er auf sei­ner Web­site. Unter Ein­flüs­sen der Thea­ter­kul­tur sowie diver­sen japa­ni­schen und west­li­chen Seri­en ent­wi­ckel­te er sei­nen Hang zur Dark Fic­tion. Sein male­risch-düs­te­rer Schreib­stil, der in einer Fas­zi­na­ti­on des Tra­gi­schen und Phan­tas­ti­schen wur­zelt, kon­fron­tiert Leser*innen mit unver­mit­tel­ten Wen­dun­gen und tro­cke­nem Humor.
Musi­ka­lisch inter­es­siert ist er an Metal­co­re und Cham­ber Pop und zählt Derek Lan­dy, Wal­ter Moers und Kei­i­chi Sig­sa­wa zu sei­nen größ­ten lite­ra­ri­schen Einflüssen.