Miriam Havemann, “The Subject Rising against its Author”

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von Rudolf Freiburg

Als enfant ter­ri­ble der sech­zi­ger und sieb­zi­ger Jah­re des letz­ten Jahr­hun­derts wuss­te Bryan Stan­ley John­son (1933–1973) mit humor­voll-pole­mi­schen Selbst­in­sze­nie­run­gen der­art geschickt auf sich auf­merk­sam zu machen, dass er von den Medi­en in kür­zes­ter Zeit zum füh­ren­den Ver­tre­ter der bri­ti­schen Avant­gar­de gekürt wur­de. Man sti­li­sier­te ihn zu einer veri­ta­blen Kult­fi­gur, und auch sei­ne Roma­ne und Fil­me wie etwa Chris­tie Malry’s Own Dou­ble Ent­ry (1973) oder Fat Man on a Beach (1974) erhiel­ten rasch Kult­sta­tus. Es gehört jedoch zu den para­do­xen Begleit­erschei­nun­gen des Phä­no­mens „Kult“, dass ihm ein Ver­falls­da­tum inhä­rent zu sein scheint, und auch B.S. John­sons Popu­la­ri­tät war von nur beding­ter Zeit­dau­er. Obwohl er als „Ein­stein der Lite­ra­tur“ einen Para­dig­men­wech­sel in der Lite­ra­tur ein­läu­te­te und im Fokus der Bericht­erstat­tung der Medi­en sei­ner Zeit stand, gel­ten er und sein Werk heut­zu­ta­ge als weit­hin unbe­kannt. Die weni­gen Leser, die von John­son gehört haben, asso­zi­ie­ren sein Schrei­ben vage mit dem Gen­re der Auto­bio­gra­phie oder sehen in ihm nur die Gali­ons­fi­gur wil­der lite­ra­ri­scher und media­ler Expe­ri­men­te. Es ist das Ver­dienst von Miri­am Have­mann, dass sie in ihrer höchst lesens­wer­ten Mono­gra­phie The Sub­ject Rising against its Aut­hor: A Poe­tics of Rebel­li­on in Bryan Stan­ley Johnson’s Œuvre den unbe­que­men Autor gegen der­ar­tig vor­ei­li­ge Urtei­le der Kri­tik in Schutz nimmt und ihm einen fes­ten Platz in der Lite­ra­tur­ge­schich­te des Zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts ein­räu­men möch­te. John­sons Wer­ke, so kann die Ver­fas­se­rin mit gro­ßer Über­zeu­gungs­kraft bele­gen, ver­ste­hen sich näm­lich nicht als die Ergeb­nis­se eines wahn­wit­zi­gen amok­lau­fen­den homo ludens, der jeg­li­che Kon­trol­le über sich und sein Schrei­ben ver­lo­ren habe, son­dern als Aus­druck einer ernst­zu­neh­men­den ‚Poe­tik der Rebel­li­on‘, die in ihrer Ent­wick­lungs­ge­schich­te Kon­se­quenz und Beharr­lich­keit glei­cher­ma­ßen zu erken­nen gebe und in gera­de­zu erstaun­li­cher Wei­se die Ästhe­tik post­mo­der­nen Schrei­bens antizipiere.

John­son wich kei­nem Kampf aus, um gegen den Kon­ser­va­tis­mus sei­ner Zeit anzu­ge­hen, der sei­ner Mei­nung nach das Leben, die Poli­tik, die Kunst, den Film und die Lite­ra­tur para­ly­sie­re. Er fühl­te sich einem rigi­den Wahr­heits­be­griff ver­pflich­tet, den es in Kunst und Lite­ra­tur zu beach­ten gel­te, der aber, so mein­te er jeden­falls, von sei­nen Zeit­ge­nos­sen mit Füßen getre­ten wer­de. Vor allem in den Reprä­sen­tan­ten der neo-rea­lis­ti­schen Schu­le, zu der er außer Charles Per­cy Snow und Antho­ny Powell auch die Grup­pe der ‚Wüten­den Jun­gen Män­ner‘ (‚The Angry Young Men‘) zähl­te, sah John­son sei­ne gefähr­lichs­ten Fein­de, die – unbe­ein­druckt von den post-Kan­ti­a­ni­schen Erkennt­nis­sen des Moder­nis­mus – das lite­ra­ri­sche Erbe Charles Dickens’ antra­ten, ganz so als habe es einen James Joy­ce oder eine Vir­gi­nia Woolf nie gege­ben. John­son selbst hat­te längst dem Glau­ben an ein holis­ti­sches Welt­bild, das sich in den Kate­go­rien von Har­mo­nie, Sym­me­trie und Pro­por­ti­on begrei­fen lie­ße, abge­schwo­ren. Unter dem Ein­fluss des fran­zö­si­schen Exis­ten­tia­lis­mus Jean-Paul Sar­tres und Albert Camus’, aber auch bedingt durch das Stu­di­um der Wer­ke Samu­el Becketts, Alain Rob­be-Gril­lets, Natha­lie Sar­rau­tes, Wal­ter Ben­ja­mins und Theo­dor W. Ador­nos gelang­te John­son zu der Über­zeu­gung, dass das Leben kei­ner­lei Sinn bie­te, son­dern von Kon­tin­genz geprägt sei und bes­ten­falls unein­sich­ti­gen alea­to­ri­schen Regeln fol­ge. John­sons Poe­tik der Rebel­li­on ver­steht sich somit als die adäqua­te und kon­se­quen­te Ant­wort auf eine sinn­ent­leer­te Onto­lo­gie, deren arbi­trä­re Aus­drucks­for­men nach einer Revo­lu­ti­on im Bereich der lite­ra­ri­schen und media­len Dar­stel­lungs­tech­ni­ken von ‚Wahr­heit‘, ‚Wirk­lich­keit‘ und ‚Leben‘ verlangten.

In einem Theo­rie-Kli­ma, in dem Roland Bar­thes die Idee vom „Tod des Autors“ aus­brü­te­te, blieb John­son ein stör­ri­scher Außen­sei­ter und hielt beharr­lich am Autor als wich­tigs­ter Sinn­stif­tungs­in­stanz fest. Es ist exakt die­ses Insis­tie­ren auf Autor­schaft und Inten­ti­on, das John­son den Vor­wurf ein­brach­te, sei­ne Wer­ke sei­en alle­samt ver­kapp­te Auto­bio­gra­phien. Durch die Ent­wick­lung einer spe­zi­fi­schen Ana­ly­se­me­tho­dik für die Erzähl­ver­hält­nis­se in John­sons lite­ra­ri­schen Wer­ken und Fil­men kann Have­mann die­se vor­ei­li­gen Urtei­le in beein­dru­cken­der Wei­se revi­die­ren. Zu die­sem Zweck ver­bin­det sie Michel Fou­caults Ansich­ten zur Autor­schaft mit den Erkennt­nis­sen des Erzähl­theo­re­ti­kers Fotis Jann­idis, von dem sie das Kon­zept der „Autor­fi­gu­ra­tio­nen“ über­nimmt. Wie Fou­cault glaubt Have­mann, dass Autor­schaft dyna­misch und pro­zes­su­al aus­ge­rich­tet sein müs­se, um nicht in den Ver­dacht eines über­al­ter­ten rigi­den Inten­tio­na­lis­mus zu gera­ten. Die­se Autor­fi­gu­ra­tio­nen, die sie über­dies um eine Viel­zahl von „Erzäh­ler­fi­gu­ra­tio­nen“ erwei­tert, kön­nen als ver­schie­de­ne Rol­len vor­ge­stellt wer­den, in die der Autor schlüpft: mal ist er der „Kom­po­nist des Tex­tes“ („com­po­ser of the tex­tu­al form“), mal „Urhe­ber des Text­sinns“ („ori­gi­na­tor of mea­ning“) oder „Text­stra­te­ge“ („text stra­te­gist“) und „Selek­ti­ons­in­stanz für den Inhalt“ („the one who cho­ses the con­tents“), dann wie­der „ideo­lo­gi­scher Kri­ti­ker“ („ideo­lo­gi­cal figu­ra­ti­on“). Durch den Ein­satz von ins­ge­samt sie­ben der­ar­tig fein nuan­cier­ten Autor­fi­gu­ra­tio­nen schafft sich die Ver­fas­se­rin ein sen­si­bles Instru­men­ta­ri­um, mit dem sie auch die kom­ple­xes­ten Erzähl­ver­hält­nis­se in John­son Tex­ten und Fil­men zu ana­ly­sie­ren ver­mag. Auf die­se Wei­se gelingt es Have­mann, von den Erkennt­nis­sen der Rezep­ti­ons­äs­the­tik zu pro­fi­tie­ren, ohne die Posi­tio­nen inten­tio­na­lis­ti­scher Leh­ren völ­lig auf­ge­ben zu müssen.

Im Inter­pre­ta­ti­ons­teil der Stu­die beweist Have­mann, dass sie gegen­wär­tig wohl als füh­ren­de John­son-Exper­tin Deutsch­lands gel­ten darf. Alle ihre Ana­ly­sen basie­ren auf einem beein­dru­cken­den Fun­dus von Doku­men­ta­ti­ons­ma­te­ri­al, das sie in zwei­fel­los sehr zeit­auf­wen­di­gen Pro­zes­sen aus den für die John­son-For­schung ein­schlä­gi­gen Biblio­the­ken und Archi­ven zusam­men­ge­tra­gen hat. Bereits John­sons frü­he Roma­ne atmen den Geist der poe­ti­schen Rebel­li­on, wenn sie wohl auch noch nicht den Grad spä­te­rer Radi­ka­li­tät erreicht haben. In Tra­vel­ling Peo­p­le (1970) ana­ly­siert John­son die con­di­ti­on humaine, indem er jeg­li­che kon­ven­tio­nel­le Form des Geschich­ten­er­zäh­lens – für ihn ein Syn­onym für das Lügen schlecht­hin – auf­kün­digt. Ganz im expe­ri­men­tel­len Geist von James Joy­ces Ulys­ses (1922) ver­fasst, stor­niert die­ser Roman die Geset­ze des linea­ren Erzäh­lens und durch­bricht die nar­ra­ti­ve Chro­no­lo­gie durch die Inte­gra­ti­on von Tage­buch­ein­trä­gen, Brie­fen, Doku­men­ten, Büh­nen­an­wei­sun­gen, Dreh­bü­chern, Bei­spie­len kon­kre­ter Dich­tung und Epi­gra­phen sowie schwar­zen Sei­ten. Kurz nach­dem Les­lie Fied­ler ver­kün­de­te, er wol­le ‚Krieg gegen die Tota­li­tät‘ füh­ren, sagt auch John­son dem Ganz­heits­den­ken den Kampf an. In sei­nen Roma­nen stu­diert er die viel­fäl­ti­gen For­men nar­ra­ti­ver Trans­gres­sio­nen, um die Gren­zen zwi­schen Fak­ti­zi­tät und Fik­ti­on zu ver­wi­schen und auf die­se Wei­se dem Flux und der Kon­tin­genz der ‚Wirk­lich­keit‘ gerecht zu wer­den. Gleich­zei­tig nutzt er die „ideo­lo­gi­sche Figu­ra­ti­on“ („ideo­lo­gi­cal figu­ra­ti­on“), um der eng­li­schen Gesell­schaft deren abso­lut uner­träg­li­che Steif­heit und Eng­stir­nig­keit vor Augen zu füh­ren. In sei­nem zwei­ten Roman Albert Ange­lo (1964) nutzt John­son eine ‚Qua­dri­ga‘, bestehend aus „Kom­po­nist“, „Text­stra­te­ge“, „Erzäh­ler­fi­gu­ra­ti­on“ und „poe­ti­scher Figu­ra­ti­on“, um ver­schie­de­ne Stand­punk­te zu eta­blie­ren, von denen aus die ‚Wirk­lich­keit‘ beschrie­ben wer­den soll. Durch die Anrei­che­rung des Romans mit dra­ma­ti­schen Ele­men­ten, die von „Pro­log“ und „Expo­si­ti­on“ bis zu einem „Coda“ rei­chen, ver­leiht John­son sei­nem Text die Aura des Per­for­ma­ti­ven; zusätz­lich hat der Autor gro­ße Löcher in eini­ge Sei­ten geschnit­ten, um das nar­ra­ti­ve Prin­zip der pro­lep­sis for­mal umzu­set­zen. Die Dra­ma­ti­sie­rung des Romans und die Ein­grif­fe in die phy­si­sche Erschei­nung des Buches kön­nen als Ver­frem­dungs­tech­ni­ken inter­pre­tiert wer­den und füh­ren zur tota­len Ver­un­si­che­rung des Lesers, des­sen Des­il­lu­si­on vor­pro­gram­miert ist: nir­gend­wo mehr kann er sich in Sicher­heit wie­gen, der Roman über­rascht wie das Leben selbst. Ver­gli­chen mit The Unfort­u­na­tes (1969) stellt Trawl (1966) nur eine harm­lo­se Vari­an­te der poe­ti­schen Rebel­li­on dar. In die­sem hybri­den Text beschreibt John­son eine See­rei­se, die sym­bo­lisch als Rei­se ins Inne­re des eige­nen Ichs inter­pre­tiert wer­den kann. Die mosa­ik­ar­ti­ge, an ein Frag­ment erin­nern­de Struk­tur von Trawl sym­bo­li­siert auf die­se Wei­se die Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit und den Iden­ti­täts­ver­lust des exis­ten­tia­lis­ti­schen Sub­jek­tes in der Mit­te des Zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts. Mit The Unfort­u­na­tes erreicht John­sons poe­ti­sche Rebel­li­on ihren vor­läu­fi­gen Höhe­punkt: eher ‚Un-Buch‘ als ‚Buch‘ kommt die­ser ‚Text‘ als eine Art Lose-Blatt-Samm­lung daher, die in einer Box gelie­fert wird; der Leser ist auf­ge­for­dert, sich sei­nen Weg nach dem Zufalls­prin­zip durch das nar­ra­ti­ve Laby­rinth zu suchen. Mit die­sem Bekennt­nis zur Alea­to­rik prä­sen­tiert John­son eine – durch­aus von Melan­cho­lie gefärb­te – Hom­mage an die Kon­tin­genz des Lebens; er ver­wan­delt sei­nen Text in ein Rhi­zom und sorgt für nar­ra­ti­ve Dyna­mik, indem er den Leser dazu ver­führt, immer neue Per­mu­ta­tio­nen vor­zu­neh­men. John­son will damit der ‚ein­zi­gen Wahr­heit‘, näm­lich der­je­ni­gen, dass es ‚kei­ne Wahr­heit gibt‘, Aus­druck ver­lei­hen. Autor und ‚Gott‘ wer­den als blo­ße dei abs­con­di­ti ent­larvt, die der Sor­ge um den Men­schen gar nicht nach­kom­men kön­nen, da sie über­haupt nicht exis­tie­ren. Inspi­riert durch die Leh­ren des Exis­ten­zia­lis­mus defi­niert John­son das „In-die-Welt-Geworfen­sein“ als Zustand der tra­gi­schen Ohnmacht.

Wie Chris­ti­ne Brook-Rose, Antho­ny Bur­gess und Alan Burns prä­sen­tiert John­son somit die lite­ra­ri­schen Expe­ri­men­te nicht um ihrer selbst wil­len – er ist kei­nes­falls am fol­ge­lo­sen jeux d’esprit inter­es­siert – son­dern sie wer­den ihm zu Aus­drucks­for­men einer Lebens­sicht, die von pro­fun­der Des­il­lu­si­on geprägt ist. Dies gilt wohl auch für House Mother Nor­mal: A Ger­ia­tric Come­dy (1971), einen Roman von sar­kas­ti­scher Komik, in dem John­son die dyna­mi­sche Per­mu­ta­ti­ons­tech­nik der Hyper­fik­ti­on des Com­pu­ter­zeit­al­ters vor­weg­nimmt. Mit Hil­fe ergo­di­scher Ver­fah­ren ver­an­schau­licht John­son sei­ne Ideen vom Alter des Men­schen; sei­ne ‚Geschich­te‘ wird aus neun ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven geschil­dert, zusätz­lich bie­tet er Ein­blick in medi­zi­ni­sche Doku­men­te, Kran­ken­be­rich­te und Zeu­gen­aus­sa­gen von alten Men­schen, denen auf­grund unter­schied­li­cher Gra­de geis­ti­ger Demenz nicht vor­be­halt­los getraut wer­den darf. Der „ideo­lo­gi­schen Figu­ra­ti­on“ kommt die Ver­mitt­lung eines Auf­klä­rungs­pro­gramms zu, etwa wenn dem Leser das Fehl­ver­hal­ten vor­schnel­len Urtei­lens vor Augen geführt wird: als er mit einem inne­ren Mono­log der inten­siv an Demenz erkrank­ten Roset­ta kon­fron­tiert wird, neigt er dazu, die­sen für einen Wort­schwall aus unver­ständ­li­chem idio­syn­kra­ti­schem Kau­der­welsch zu hal­ten, bevor er erfährt, dass es sich bei dem Text um die Gedan­ken Roset­tas han­delt, die die­se in ihrer Mut­ter­spra­che Wali­sisch zum Aus­druck bringt. Im Lau­fe der Ent­wick­lung John­sons nimmt die Inten­si­tät, Kom­ple­xi­tät und Sophis­tik sei­ner poe­ti­schen Rebel­li­on stän­dig zu, wie etwa das Kult­buch Chris­tie Malry’s Own Dou­ble Ent­ry (1973) beweist. John­son über­rascht den Leser mit ledig­lich halb­be­druck­ten oder gar ganz lee­ren Sei­ten; die Autor­fi­gu­ra­ti­on gesteht, sie habe jeg­li­che Kon­trol­le über die auf­tre­ten­den Figu­ren ver­lo­ren, vor allem über den Prot­ago­nis­ten der Hand­lung, der sich längst zu einem bizar­ren Ter­ro­ris­ten gewan­delt habe und sich mit der Absicht tra­ge, Big Ben zu spren­gen. Die Auf­lö­sung der kon­ven­tio­nel­len Erzähl­for­men gibt sich in die­sem Roman als radi­ka­ler Pro­test gegen alle For­men von Auto­ri­tät zu erken­nen. Sein fol­gen­der Roman See The Old Lady Decent­ly (1975) ist der Auf­takt zu einer Fol­ge von Büchern, die als Matrix Tri­lo­gy kon­zi­piert war; die zwei wei­te­ren Bän­de soll­ten die Titel Buried Alt­hough und Among­st Tho­se Left Are You tra­gen; trotz der zeit­lich ver­setz­ten Publi­ka­ti­on soll­te der Titel ins­ge­samt also See The Old Lady Decent­ly Buried Alt­hough Among­st Tho­se Left Are You lau­ten. Das Buch arbei­tet mit Doku­men­ten, Pho­to­gra­phien, Zita­ten aus psy­cho­ana­ly­ti­schen Stu­di­en, Num­mern, Adres­sen, Brie­fen sowie Fak­si­mi­les und redu­ziert jeg­li­ches Erzäh­len auf blo­ße „Nar­re­me“, also Mini­mal­ein­hei­ten erzäh­le­ri­scher Struk­tu­ren, die vom Leser dechif­friert wer­den müs­sen. Spra­che wird nicht län­ger als rea­li­sier­tes Medi­um, son­dern bloß als Potenz ange­se­hen, die ihre laten­te Wir­kungs­mäch­tig­keit erst im Bewusst­sein des Lesers zu ent­fal­ten hat. John­son gestal­tet Figu­ren­ge­dich­te, die an die iko­no­gra­phi­sche Lyrik der „Meta­phy­si­cal Poets“ erin­nern. In einem Fall ahmt er in sei­nen Gedicht­zei­len den Umriss einer weib­li­chen Brust nach; um die heim­tü­cki­sche Gefahr von Brust­krebs anzu­deu­ten, hat er das Gedicht in der Mit­te durch eine kla­re Zäsur unter­bro­chen. Der Text wirkt infla­tio­när und ver­schwen­de­risch zugleich, prä­sen­tiert Mini­mal­ka­pi­tel aus nur vier Wör­tern, die künst­lich durch eine Liga­tur von Akro­sticha zusam­men­ge­hal­ten wer­den, um die Unbe­re­chen­bar­keit von Lebens­pro­zes­sen zu verdeutlichen.

Ver­gli­chen mit sei­nen Roma­nen sind die Kurz­ge­schich­ten John­sons von eher mar­gi­na­ler Bedeu­tung für sei­ne Poe­tik der Rebel­li­on, aller­dings treibt sein Mini­ma­lis­mus in „A Few Sel­ec­ted Sen­ten­ces“ neue Blü­ten. Die Kurz­ge­schich­te wirkt wie eine ‚post­mo­der­ne‘ Flo­ri­le­gi­en­samm­lung bestehend aus Ein­zel­sät­zen, die kei­ner­lei Kohä­renz auf­wei­sen und vom Leser zu einem mehr oder min­der sinn­vol­len Gan­zen zusam­men­ge­setzt wer­den müs­sen. John­sons Gedich­te wie etwa „Vil­la­nel­le in Janu­ary“ oder „A Dub­lin Uni­corn“ set­zen auf Mul­ti­per­spek­ti­vi­tät und adap­tie­ren Ele­men­te aus Mythos, Folk­lo­re und der eng­li­schen Lyrik-Tra­di­ti­on. John­sons lyri­sches Œuvre umfasst „Kapi­tel­ge­dich­te“ („chap­ter poems“), Dop­pel­ge­dich­te („two-in-one-poems“) und alea­to­risch wir­ken­de Kol­la­gen, in denen er ele­gisch wir­ken­de rejec­ta­men­ta in einer Tech­nik mit­ein­an­der fusio­niert, die an die Wer­ke von Kurt Schwit­ters und Rolf Die­ter Brink­mann erin­nern lassen.

John­son selbst hät­te ein­ge­räumt, dass sei­ne Thea­ter­ar­beit im Sin­ne der poe­ti­schen Rebel­li­on ein Fehl­schlag war. In sei­nen Stü­cken One Sod­ding After Ano­ther (1967), Who­se Dog Are You? (1967), B.S. John­son vs. God (1971) oder Down Red Line (1974) kommt er über die Imi­ta­ti­on der dra­ma­ti­schen Kunst eines Erwin Pis­ca­tor, Samu­el Beckett, Peter Zadek nicht hin­aus; bes­ten­falls folgt er den Regie­ein­fäl­len einer Joan Litt­le­wood. Alle sei­ne Stü­cke ste­hen unter dem Ein­fluss von Brechts epi­schem Thea­ter und arbei­ten in inten­si­ver Wei­se mit Varia­tio­nen des Ver­frem­dungs­ef­fek­tes. In sei­nen vier­und­zwan­zig Fil­men jedoch – dar­un­ter Adapt­a­tio­nen sei­ner lite­ra­ri­schen Wer­ke, aber auch poe­ti­sche Fil­me – kann John­son an die lite­ra­ri­sche Rebel­li­on sei­ner Roman­äs­the­tik anknüp­fen. In You’re Human like the Rest of Them (1967) setzt John­son eine har­te Film­schnitt­tech­nik ein, um die Linea­ri­tät der Plot-Ent­wick­lung im Keim zu ersti­cken und den Ein­druck einer frag­men­ta­ri­sier­ten Rea­li­tät zu ver­mit­teln. In sei­nen poe­ti­schen Fil­men, von denen Fat Man on the Beach (1974) Kult­sta­tus erreich­te, ahmt John­son die Kon­tin­genz des Lebens nach, indem er der Kame­ra erlaubt, auto­no­me Funk­tio­nen aus­zu­üben; die Kame­ra ent­wi­ckelt eine bizar­re Eigen­wil­lig­keit, schweift wild umher, ver­liert den ‚Schau­spie­ler‘ John­son aus den Augen und ver­lei­tet ihn dazu, sie wie einen Hund zu behan­deln, sie zu ermah­nen und gleich­sam zurück­zu­pfei­fen. Der Film wird durch Clo­se Ups unter­bro­chen, in denen schein­bar unmo­ti­viert Bana­nen oder der gezeich­ne­te Mund einer jun­gen Frau mit extrem roten Lip­pen ein­ge­blen­det wer­den. In Para­digm (1969) schließ­lich wer­den fünf Sta­tio­nen im Leben eines Man­nes gezeigt: zuerst liegt die­ser als nack­ter Jüng­ling auf einem Podest in einem Raum, an des­sen kah­le Wän­de ein Zyklora­ma aus sich stän­dig bewe­gen­den Wol­ken pro­ji­ziert wird; am Ende des Films ist aus dem Jüng­ling ein unra­sier­ter und her­un­ter­ge­kom­me­ner alter Mann gewor­den. Wäh­rend des gan­zen Films hört man ihn unent­wegt in einem unver­ständ­li­chen Kau­der­welsch spre­chen, das der bedrü­cken­den Atmo­sphä­re von Absur­di­tät einen uner­träg­li­chen Cha­rak­ter verleiht.

Mit ihrer Mono­gra­phie ist es Miri­am Have­mann gelun­gen, einen sub­stan­zi­el­len Bei­trag zur B.S. John­son-For­schung zu leis­ten. Ihre Aus­füh­run­gen grei­fen auf einen rei­chen Fun­dus von Sekun­där­li­te­ra­tur zurück, selbst Details, die die Erst­auf­füh­rung von Thea­ter­stü­cken oder die Aus­strah­lung von Fil­men betref­fen, sind von der Ver­fas­se­rin akri­bisch recher­chiert wor­den. Die für die Text- und Film­ana­ly­sen not­wen­di­gen theo­re­ti­schen Kon­tex­te wer­den gewis­sen­haft und dabei leben­dig vor­ge­stellt, das Sys­tem der Autor- und Erzäh­ler­fi­gu­ra­ti­on erweist sich als ein her­vor­ra­gen­des Instru­men­ta­ri­um zur Unter­su­chung der fili­gra­nen Erzähl­ver­hält­nis­se in John­sons Wer­ken. Zu kri­ti­sie­ren ist allen­falls die Nei­gung der Autorin, ver­ba­le Phra­sen wie „all in all“, „it was said befo­re“, „as seen abo­ve“, „it has alre­a­dy been men­tio­ned“ über das gan­ze Buch hin­weg in infla­tio­nä­rer Wei­se ein­zu­set­zen. Dar­über hin­aus bedingt der Wunsch nach ana­ly­ti­scher Prä­zi­si­on gele­gent­lich eine Ten­denz zu For­mu­lie­run­gen, die sti­lis­ti­sche Ele­ganz ver­mis­sen las­sen, wie fol­gen­des Bei­spiel ver­deut­li­chen soll: “The aut­hor, in a most com­pre­hen­si­ve coope­ra­ti­on bet­ween com­po­ser, the one who choo­ses the con­tent, the text stra­te­gist, the nar­ra­tor figu­ra­ti­on and the meta-figu­ra­ti­on thus lays open right from the begin­ning of the novel that the life sto­ry of the nar­ra­tor figure’s mother and the sto­ry of his own coming-into-exis­tence is gene­ra­ted through the author’s effort of wri­ting (…)”. (224) Dies ist aber auch die ein­zi­ge Kri­tik, die sich gegen das ansons­ten her­vor­ra­gen­de Buch vor­brin­gen lässt. Es ist eine Freu­de, Have­manns Beschrei­bung des humor­vol­len Rebel­len B.S. John­son zu lesen und man wünscht der Mono­gra­phie vie­le Rezi­pi­en­ten.1

Anmerkungen


  1. Für die Unter­stüt­zung, die ich beim Ein­rich­ten des Manu­skrip­tes erhal­ten habe, gilt mein Dank Nina Abas­si und Eve­lin Wer­ner. 

Rudolf Frei­burg wur­de 1956 in Hemer gebo­ren. Nach einem Stu­di­um der Anglis­tik, Ger­ma­nis­tik und Päd­ago­gik an der West­fä­li­schen-Wil­helms-Uni­ver­si­tät in Müns­ter pro­mo­vier­te er 1984 mit einer Stu­die zur Inten­tio­na­li­tät lite­ra­ri­scher Tex­te. 1985 wur­de er Hoch­schul­as­sis­tent an der Georg-August-Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen, wo er sich 1992 mit einer Arbeit über Samu­el John­son habi­li­tier­te. 1995 wur­de er als Nach­fol­ger von Prof. Dr. Erwin Wolff auf den Lehr­stuhl für Anglis­tik an der Fried­rich-Alex­an­der-Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg beru­fen, an der er auch gegen­wär­tig noch lehrt. Von 2002 bis 2004 lei­te­te er als Dekan die Phi­lo­so­phi­sche Fakul­tät und war anschlie­ßend von 2004 bis 2007 als Sena­tor der Uni­ver­si­tät tätig. Zur Zeit ist Frei­burg ‘Geschäfts­füh­ren­der Lei­ter des Insti­tuts für Anglis­tik und Ame­ri­ka­nis­tik’, ‘Spre­cher des Depart­ments Anglistik/Amerikanistik und Roma­nis­tik’ und ‘Spre­cher des Inter­dis­zi­pli­nä­ren Zen­trums für Lite­ra­tur und Kul­tur der Gegen­wart’. Er ist Mit­her­aus­ge­ber von 6 Sam­mel­bän­den – u.a. zu den The­men “Lite­ra­tur und Holo­caust”, “Lite­ra­tur und Theo­di­zee”, “Lite­ra­tur und Kult” – sowie Ver­fas­ser zahl­rei­cher wis­sen­schaft­li­cher Bei­trä­ge zur Lite­ra­tur und Kul­tur des acht­zehn­ten sowie des 20. und 21. Jahrhunderts.