Schauinsblau Wrapped 2023 Teil 2

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Col­la­gier­ter Blau­druck: © Miri­am Malik

Von Diana Schneider und Gabriel Gavran

Diana Schneider (20) studiert Germanistik und möchte sich gerne mit vielen Katzen zurückziehen und sich ihrer unendlichen Leseliste widmen.

Als ich vor zwei Jah­ren im Okto­ber nach Augs­burg zog, war alles ganz anders, als ich es mir vor­ge­stellt hat­te. Trotz aller Hoff­nun­gen wur­de es ein letz­tes Coro­na-Semes­ter. Und so saß ich ein hal­bes Jahr lang allei­ne in mei­ner 17qm Stu­den­ten­woh­nung vor mei­nen Online­kur­sen und kann­te in der gesam­ten Stadt nur eine Freun­din. Das war, als ich das ers­te Mal Spin­ner von Bene­dict Wells gele­sen hatte. 

Spinner

Erst im vor­her­ge­hen­den Som­mer hat­te ich sein bekann­tes­tes Werk Vom Ende der Ein­sam­keit geschenkt bekom­men und war augen­blick­lich begeis­tert. Zusam­men mit der Kurz­ge­schich­ten­samm­lung Die Wahr­heit über das Lügengehö­ren die drei Bücher zu mei­nen abso­lu­ten Favoriten.

Jeden­falls brach nun der Win­ter an und ich fühl­te mich ein wenig ver­lo­ren. Allein in einer neu­en Stadt ohne Anschluss oder jeg­li­che Ahnung, was so rich­tig pas­sier­te. Bis ich Spin­ner in die Hand nahm und mich so rich­tig ver­stan­den fühl­te. Das Buch dreht sich um den 20-jäh­ri­gen Jes­per Lier, wel­cher nach sei­nem Abitur nach Ber­lin gezo­gen ist, um sein Leben radi­kal zu ver­än­dern. Nur ist dies irgend­wie nicht so gelun­gen, wie er es sich vor­ge­stellt hat­te. Eigent­lich muss er zurück in sei­ne Hei­mat­stadt, aber davor drückt er sich gewal­tig. Statt­des­sen erlebt er eine ereig­nis­rei­che und teil­wei­se skur­ri­le Woche, in wel­cher er ein wenig sei­ne Melan­cho­lie und Apa­thie bei­sei­te­le­gen kann und am Ende sogar Hoff­nung schöp­fen und Ori­en­tie­rung fin­den kann.

Als ich mich die­ses Jahr wie­der ein biss­chen ver­lo­ren fühl­te und erneut anfing das Buch zu lesen, wuss­te ich sofort wie­der, wie­so es mir damals so sehr gefal­len hat. Manch­mal füh­len wir uns doch alle ein wenig ver­lo­ren im Leben, wäh­rend bei allen ande­ren alles zu lau­fen scheint. Was wir ver­ges­sen ist, dass dies eben nur Schein ist. Beim Lesen hat­te ich wie­der das Gefühl, an die Hand genom­men zu wer­den. Es gibt Momen­te, da braucht man ein­fach mal ein: „Hey, du bist nicht allein. Ist viel­leicht grad alles biss­chen schwie­rig und schei­ße, aber alles wird wie­der in Ord­nung!“ Und genau das gelingt Spin­ner mei­ner Mei­nung nach unglaub­lich gut, wes­we­gen es einen Platz bei mei­nen Jah­res­fa­vo­ri­ten verdient.

© Dio­ge­nes Verlag

Hozier – Unreal Unearth

Musik spielt in mei­nem Leben eine wich­ti­ge Rol­le. Es gibt kaum Momen­te, in denen ich kei­ne Musik höre. Unter zahl­rei­chen Neu­ent­de­ckun­gen die­ses Jahr stach in mei­nem Spo­ti­fy Wrap­ped beson­ders eine her­vor: das neu erschie­ne­ne Album von Hozier. Ehr­lich gesagt war ich bis zu die­sem Jahr kei­ne akti­ve Höre­rin des Musi­kers. Bis auf eine Hand­voll Lie­der war mir sei­ne Musik nicht all­zu bekannt. Aller­dings bekam ich zufäl­lig mit, dass er ein Album für die­ses Jahr ange­kün­digt hat­te. Die ers­te Sin­gle kam in der Woche mei­nes Geburts­ta­ges raus und für mich war das Zei­chen genug. Bevor das Album Ende August erschien, kann­te ich die gesam­te Dis­ko­gra­phie und freu­te mich mit jedem Sin­gle-Release immer mehr.

Unre­al Unearth ist höchst durch­dacht. Es ist näm­lich nach Dan­tes Kon­zept der neun Krei­se der Höl­le aus­ge­rich­tet. Die Lie­der ver­kör­pern the­ma­tisch jeweils eine Sün­de, also eine Sphä­re der Höl­le. Hört man das Album in der fest­ge­leg­ten Lie­der­rei­hen­fol­ge, steigt man mit dem Nar­ra­tiv in die Höl­le hin­ab (und dann aber auch wie­der mit dem letz­ten Lied her­aus). Das Album ist voll­be­packt mit poe­ti­schen Lyrics, The­men wie Reue und Lei­den­schaft, grie­chi­schen Mythen oder den ein­fa­chen und ehr­li­chen Momen­ten des Mensch­seins. Folk­rock­mu­sik mag zwar nicht jeder­manns Geschmack tref­fen, aber wer sich auf die Tex­te und das Sto­rytel­ling ein­lässt, dem ist ein wahr­haf­tig magi­sches, musi­ka­li­sches Erleb­nis garantiert.

Gabriel Gavran (29) ist Germanistikstudent und möchte nächstes Jahr mit Christian Kracht auf Sylt Fischbrötchen essen. 

Forellenfischen in Amerika

Schon gewusst? Forel­len­fi­schen in Ame­ri­ka ist gera­de mega der Hit! Richard Brau­tig­ans Buch Forel­len­fi­schen in Ame­ri­ka bleibt mein abso­lu­tes High­light des Jah­res. Die­ses Werk hat gefühlt alles: Eine geball­te Ladung an Witz, Fan­tas­tik und Coolness. 

Brau­tig­ans Buch wur­de 1967 in der Hip­pie-Hoch­pha­se ver­öf­fent­licht und schnell zu einem Erfolg in den USA. Was die­ses Buch beson­ders macht, ist nicht nur der eige­ne, lako­ni­sche Schreib­stil, son­dern auch der abge­dreh­te Sinn für Bild­lich­keit. Eine Hand­lung gibt es in die­sem Werk nicht. Die Phra­se „Forel­len­fi­schen in Ame­ri­ka“ fun­giert nicht nur als Über­schrift, son­dern als das Haupt­mo­tiv des Wer­kes, wel­ches von Kapi­tel zu Kapi­tel vari­iert wird. In einem Kapi­tel ent­puppt sich Forel­len­fi­schen in Ame­ri­ka als eine Per­so­ni­fi­ka­ti­on, die mit einer Figur namens Maria Kuchen­re­zep­te durch­geht. An einer ande­ren Stel­le wird es als Sinn­bild des Ame­ri­can Dreams ver­wen­det und in einem nächs­ten Kapi­tel wird wort­wört­lich vom Forel­len­fi­schen in ver­schie­de­nen Creeks erzählt. Brau­tig­an hat etwas kre­iert, das Lau­ne beim Lesen macht. Wäh­rend des Lesens, wird einem bewusst, dass man irgend­wie zufrie­den lächelt und sel­ten kann ein Autor so etwas evo­zie­ren. Forel­len­fi­schen in Ame­ri­ka gilt für mich als Must-Read! Beson­ders — Vor­sicht, Spoi­ler! -, weil es mit dem Wort Mayon­nai­se endet.

© Kein & Aber
© Kein & Aber

JPEGMafia & Danny Brown – Scaring the hoes

Anfang des Jah­res dropp­ten zwei mei­ner liebs­ten Hip-Hop-Künst­ler ein Col­lab-Album und noch bevor ich mir einen Song ange­hört hat­te, wuss­te ich, dass das ein abso­lu­ter Ban­ger wird. Als dann das Album lief, waren die­se Wor­te unter­trie­ben: Das Ding hier ist ein tota­ler Abriss!

Das Pro­jekt der ame­ri­ka­ni­schen Rap­per JPEG­Ma­fia und Dan­ny Brown wur­de 2022 schon ange­te­ast und März letz­ten Jah­res released. Die Fan­ge­mein­de bei­der Künst­ler war bereits eupho­risch, da zwei der größ­ten Expe­ri­men­tal Hip Hop-Künst­ler sich für ein Album zusam­men­setz­ten. Das End­pro­dukt ist mehr als nur gelun­gen. Die Beats auf die­ser CD sind har­te, unge­wöhn­li­che Instru­men­tals, die unglaub­lich cat­chy und fas­zi­nie­rend sind. Gera­de der Song Steppa Pig hat einen sofort an der Angel. Die Lyrics sind slick und durch­dacht. Schon an den Titeln bemerkt man die moder­nen Pop Cul­tu­re- und Inter­net-Refe­ren­zen, die das Album wie einen Spie­gel unse­res jet­zi­gen Zeit­geis­tes dar­stellt. Es wech­selt zwi­schen wit­zi­gen und gro­tes­ken Pas­sa­gen, die eine Che­mie zwi­schen den bei­den Künst­lern her­vor­brin­gen, wel­che ich zuletzt bei Kanye und Kid Cudi gese­hen habe. Kein Song wirkt for­ciert oder unfer­tig. Die Pro­duk­ti­on auf dem Ding ist gelun­gen, der Sound aus den Boxen purer Genuss. Mein Album des Jah­res. Spo­ti­fy stimmt mir zu.

Vagabond

In einem Inter­view letz­ten Jah­res äußer­te sich der Man­ga­ka Take­hi­ko Inoue über sein nie been­de­tes Werk Vagabond und mein­te, dass er es wie­der auf­grei­fen und zu Ende brin­gen will. Über die­se Neu­ig­kei­ten platz­te ich vor Freu­de, weil der Man­ga seit 2015 auf Hia­tus ist und auf ein wür­di­ges Ende war­tet. Aus lau­ter Vor­freu­de grub ich wie­der die Bän­de aus und las die­ses unbe­en­de­te Meis­ter­werk erneut.

Der Man­ga Vagabond basiert auf den his­to­ri­schen Roman Mus­a­shi von Eiji Yoshi­ka­wa, der die legen­dä­ren Folk­lo­ren über den Samu­rai Miya­mo­to Mus­a­shi lite­r­a­ri­siert hat­te. Inoue greift die gro­ben Züge des Romans auf und kon­stru­iert sei­nen eige­nen Spin von der sagen­um­wo­be­nen Geschich­te des Samu­rais. Der Man­ga erzählt die Geschich­te des Samu­rai Miya­mo­to Mus­a­shi, der eigent­lich Take­zo Shin­men hieß, bevor er sei­nen Namen änder­te. Er greift die Legen­den der jewei­li­gen Duel­le auf einer rea­lis­ti­schen Ebe­ne auf und befasst sich wei­ter mit der Phi­lo­so­phie des Samu­rais, der auch für sein Buch der fünf Rin­ge bekannt war. Man hat hier kei­nen kli­schee­haf­ten Action­man­ga, son­dern ein his­to­ri­sier­tes Werk, wel­ches mit Dia­lo­gen und Art­work eine Lebens­ge­schich­te wun­der­voll in Sze­nen setzt. Beson­ders die Tusche­füh­rung ist fan­tas­tisch. Jedes Panel wirkt wie ein Gemäl­de. Es gibt Berich­te, wie Inoue wegen sei­nes Wer­kes an Burn­out litt. Wer die Hin­ga­be und Per­fek­ti­on sei­ner Illus­tra­tio­nen sieht, kann ver­ste­hen, wie viel Mühe und Herz in die­sem Man­ga ste­cken. Für mich bleibt Vagabond wei­ter­hin etwas ganz Beson­de­res und ein High­light im letz­ten Jahr.

© VIZ Media LLC

Der col­la­gier­te Blau­druck stammt von Miri­am Sewera Malik 

Miri­am Sewera Malik stu­diert Erzie­hungs­wis­sen­schaft M. A. an der Uni­ver­si­tät Augs­burg. Ihre künst­le­ri­sche Inspi­ra­ti­on schöpft sie aus per­sön­li­chen Erfah­run­gen und gesell­schaft­li­chen Pro­ble­men. Die Kunst hilft ihr bei der Ver­ar­bei­tung und Refle­xi­on die­ser Ereig­nis­se. Sie expe­ri­men­tiert mit unter­schied­li­chen Medi­en und Tech­ni­ken, wie z. B. Acryl­ma­le­rei, Zeich­nun­gen, digi­ta­le Kunst, Foto­gra­fie, Töp­fe­rei und Cya­no­ty­pie. Nach ihrem Stu­di­um möch­te sie eine kunst­the­ra­peu­ti­sche Aus­bil­dung absol­vie­ren, um ande­ren dabei zu hel­fen, ihre Erfah­run­gen durch Kunst aus­zu­drü­cken und zu verarbeiten.