„Sozialismus endlich sozial“

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© Jan-Pie­ter Fuhr

Eine Kritik zu Moskau, Tscherjomuschki am Staatstheater Augsburg

von Cla­ra Eisenreich

Woh­nungs­knapp­heit in Metro­po­len — ein Pro­blem, dass auch in deut­schen Groß­städ­ten The­ma ist. Wie bereits die star­ke Debat­te und der Volks­ent­scheid zu Deut­sche Woh­nen & Co ent­eig­nen in Ber­lin gezeigt hat, sind es auch in der musi­ka­li­schen Sati­re von Dmi­t­ri Schost­a­ko­witsch weni­ge Men­schen, die über die häus­li­che Zukunft der Bürger*innen Mos­kaus ent­schei­den – und das inner­halb des kom­mu­nis­ti­schen Sys­tems der dama­li­gen Sowjet­uni­on. Obwohl Mos­kau, Tscher­jo­musch­ki bereits 1959 ver­öf­fent­licht wur­de, über­zeugt die Insze­nie­rung Corin­na von Rads mit einem aktu­el­len Bezug zu The­men wie Woh­nungs­not, Vet­tern­wirt­schaft, Kor­rup­ti­on und der Fra­ge nach Sozia­lis­mus und sozia­ler Gerechtigkeit.

Das Stück beginnt bereits mit der Aus­sor­tie­rung derer, die einen Besich­ti­gungs­ter­min bekom­men. Die­se Ter­mi­ne sind zwar bereits vor­her ver­ge­ben wor­den, wer­den jedoch erst vor Ort durch den Haus­meis­ter ver­teilt. Das Büh­nen­bild, das durch offe­ne Holz­git­ter, eine holo­gra­fi­sche Trep­pe und einem Kran­ele­ment ein Wohn­haus im Bau­zu­stand dar­stel­len soll, unter­streicht durch Öff­nen und Schlie­ßen der Holz­git­ter die­se Seg­men­tie­rung der Figu­ren. Dadurch erhöht das Büh­nen­bild nicht nur die Dyna­mik des Dar­ge­stell­ten, son­dern ver­weist bereits hier auf sozia­le Unge­rech­tig­keit und Will­kür. Besun­gen wird, in Rus­sisch mit der ein­ge­blen­de­ten deut­schen Über­set­zung, das Zusam­men­le­ben unter Nach­barn. Die­se füh­ren nicht nur Small­talk im Trep­pen­haus, es wird auch ernst, wenn etwa die pri­vi­le­gier­ten Figu­ren schul­ter­zu­ckend “Was geht mich das an?” fra­gen, wenn sie auf ihre Nachbar*innen in pre­kä­ren Situa­tio­nen stoßen.

Bereits zu Beginn pro­du­ziert die Insze­nie­rung sich durch das Stück zie­hen­de Ant­ago­nis­men, die sich nicht nur in den spä­te­ren Bewohner*innen des Hoch­hau­ses in Tscher­jo­musch­ki, einer Sozi­al­sied­lung am Ran­de Mos­kaus, son­dern auch in Zusam­men­spiel zwi­schen Miets­par­tei­en und Wohn­haus zei­gen. Wäh­rend Lucia, die Prot­ago­nis­tin, von ihrer Zukunft und einem moder­ni­sier­ten Mos­kau träumt und dies durch ihre Arbeit in einem Muse­um mit Aus­stel­lun­gen zur Zukunft Mos­kaus zu errei­chen ver­sucht, schwelgt ihr Vater in Erin­ne­run­gen an das alte Mari­en­berg und ver­gleicht Miets­häu­ser bereits zu Beginn mit Hüh­ner­stäl­len, die für man­che einen Palast dar­stel­len, obwohl sie nur aus Dreck bestehen. Nach ihm zeigt der Hüh­ner­stall nicht nur den Ver­fall der Stadt, son­dern auch die Abhän­gig­keit des Staa­tes von Ein­zel­per­so­nen, die das Sys­tem zusam­men­hal­ten. Span­nend hier­bei ist, dass die Figur mit Hil­fe einer Hand­pup­pe in Form eines Huhns die vier­te Wand durch­bre­chen kann. Sei­ne Kri­tik dringt so noch näher an das Publi­kum her­an —  und das meist mit einem iro­ni­schen Unterton.

Auch Weg­ge­hen und in die Hei­mat Zurück­keh­ren sind The­men, die durch die pre­kä­re Wohn­si­tua­ti­on der Figu­ren in den Fokus rücken. Wohn­raum trägt hier stark zur Erkennt­nis und Des­il­lu­sio­nie­rung bei. Wie weit Illu­si­on und Rea­li­tät aus­ein­an­der lie­gen merkt man immer wie­der: Wäh­rend ein selbst­er­nann­ter kapi­ta­lis­ti­scher Kos­mo­po­lit in sei­ne Hei­mat­stadt zurück­kehrt, um mit Frau und Haus sess­haft zu wer­den, fin­det sich ein jun­ges Paar zwar in ihrem Traum der eige­nen Woh­nung wie­der, jedoch nicht in ihrer gewünsch­ten Zurück­ge­zo­gen­heit, son­dern inmit­ten von Nachbar*innen, die ihre Woh­nung besich­ti­gen, weil sie selbst kei­ne mehr bekom­men haben. Auch Luci­as Träu­me sehen wir zer­plat­zen: Kurz nach­dem sie das Publi­kum gesang­lich über ihre Zie­le und Träu­me auf­klärt, erle­ben wir sie von einem Moment auf den ande­ren die gemein­sa­me Woh­nung mit ihrem Vater ver­lie­ren. Wie so vie­le muss sie sich plötz­lich eine Alter­na­ti­ve über­le­gen und fin­det die­se eben­so im Miets­haus in Tscher­jo­musch­ki. Gera­de noch hat sie durch Kon­tak­te ihren Schlüs­sel vor allen ande­ren erhal­ten, sitzt sie im nächs­ten Moment wie­der auf der Stra­ße, da ihre Zwei­zim­mer­woh­nung gemein­sam mit der Nach­bars­woh­nung zu einer Vier-Zim­mer „Para­di­se Resi­dence“ ver­ei­nigt wer­den soll. Geprägt vom Wider­stand gegen Kor­rup­ti­on, Macht­dy­na­mi­ken und Ein­kom­mens­un­ter­schie­de sucht die Haus­ge­mein­schaft gemein­sam nach einer Lösung. Wahl­pla­ka­te der demons­trie­ren­den Anwohner*innen for­dern dabei pla­ka­tiv „Sozia­lis­mus end­lich sozi­al!“ Gefun­den wird die­ser im ‚Sozia­lis­ti­schen Gar­ten‘, in dem die „Uto­pie von Gleich­heit, Frei­heit und Gerech­tig­keit […] auf­recht erhal­ten wird“. Hier formt die Haus­ge­mein­schaft gemein­sam eine über­spitz­te Ide­al­form des Sozia­lis­mus, in der die Gemein­schaft stär­ker ist als die in der Gesell­schaft exis­tie­ren­den Hier­ar­chien. Auf der ‚Zau­ber­bank‘ im ‚Zau­ber­gar­ten‘ las­sen die Bewohner*innen den Stadt­ver­wal­ter, sei­ne Frau und den Ver­mie­ter ihre Kor­rup­ti­on reflek­tie­ren. Die­se wer­den so zum Sozia­lis­mus bekehrt, vom Kapi­ta­lis­mus gerei­nigt und auf ihre Posi­ti­on in der Gemein­schaft hin­ge­wie­sen. Das Stück endet mit die­ser Uto­pie der Wohnungssuche.

„Mos­kau, da wo die Bäu­me klein sind und die Träu­me wahr wer­den“, die­se Wunsch­vor­stel­lung scheint sich im Traum­gar­ten erfüllt zu haben. Die eigent­li­chen Pro­ble­me rund um sozia­len Sta­tus, Kapi­tal und Woh­nungs­not las­sen sich so jedoch nicht aus der Welt schaffen.

Beson­ders rüh­rend waren die Ope­ret­ten­ele­men­te der Insze­nie­rung. Der Ein­satz des Cho­res, als alle Bewohner*innen von ihren Träu­men im neu­en Zuhau­se berich­te­ten, war ein regel­rech­ter Gän­se­haut­mo­ment. Die Aktua­li­tät der im Stück behan­del­ten The­men bestä­tigt sich auch in sei­ner Umset­zung: Unter Corin­na von Rads Regie kamen mul­ti­me­dia­le Ele­men­te auf die Büh­ne, die die Brü­cke zur Gegen­wart per­fekt schla­gen konnte.

Mos­kau, Tscher­jo­musch­ki spielt am Augs­bur­ger Staats­thea­ter im Mar­ti­ni­park noch bis zum 15. Mai 2022.